Podcast „QuaRANTine Choir“
Der Chor der Quarantäne
„QuaRANTine Choir“ ist eine künstlerische Kettenreaktion, ein zeitlich und räumlich getrennter Chor. In den zehn Folgen des Podcasts setzen sich Künstler*innen und Musiker*innen mit dem Format des „rant“ (dt. Schimpftirade, Wutrede) auseinander.
Von Denise Elsman & Petra Roggel
„QuaRANTine Choir“ ist eine digitale Audioreihe von Wutausbrüchen aus feministischer Perspektive. Die speziell für diesen Anlass produzierten Beiträge sind in ihrer Form zeitgemäß, ein zerstreuter Chor in apokalyptischen Zeiten von Corona. Strukturell funktioniert der Podcast wie eine Kettenreaktion, die verschiedene geografische Regionen in Europa und den USA miteinander verbindet: Ein fertiger „rant“, also eine künstlerische Schimpftirade, wird als Ausgangsmaterial an die nächste Künstler*in in einem anderen Land geschickt, wodurch die Vorstellung von Verbundenheit und Solidarität gestärkt wird.
Künstlerische Schimpftiraden
Das Goethe-Institut Chicago, District * Schule ohne Zentrum, Berlin sowie die beiden Initiatorinnen des Projekts, Sandra Teitge und Caroline Spellenberg, haben zehn europäische und US-amerikanische Künstler*innen und Musiker*innen eingeladen, am „QuaRANTine Choir“ teilzunehmen. Gemeinsam mit Nora Turato (Kroatien/Niederlande), Astrit Ismaili (Kosovo/Niederlande), Felicia Atkinson (Frankreich/Schweiz), Fauna (Österreich) und vielen weiteren Künstler*innen soll der Podcast ein diskursives Feld an der Schnittstelle von Wut und intersektionalem Feminismus eröffnen.
Die Künstlerin Nora Turato, die die Podcast-Reihe mit ihrem „rant“ eröffnet, fordert in ihren Performances unablässig den fast unsinnigen Wunsch, in der Öffentlichkeit laut, zu viel, instabil, womöglich wahnsinnig zu sein und etwas daraus zu machen, gerade weil die breite Öffentlichkeit noch nicht bereit sei, dass eine Frau sie anschreit, beschimpft, tratscht und jammert oder sie einfach anstarrt.
Das Potential des Lärms
„Jedes Geräusch, das wir machen, ist ein Stück Autobiografie, ein Stück nach außen projiziertes Innenleben, das von der patriarchalischen Kultur zensiert wird“, so die kanadische Dichterin Anne Carson. In Zeiten von Corona scheint die Stille die Szene zu beherrschen – aber es gibt auch viel Lärm. Ob produktiv oder überflüssig, „Lärm, verstanden als maximale Unsicherheit, ist das, was die Normativität der Vernunft hervorruft und ihr vorausgeht, das heißt das Urteil, nach dem Unsicherheit als informativ bewertet oder als unecht verworfen wird“, definiert Cecile Malaspina, die Autorin von „An Epistemology of Noise“. „Wir können uns Lärm nun als einen Zustand der Suspension oder Unentschiedenheit vorstellen, von dem sich die Vernunft durch Akte der Selbstbegründung emanzipiert.“
Während die griechischen Frauen im Altertum nicht dazu ermutigt wurden, unkontrollierte Schreie jeglicher Art im bürgerlichen Raum der Polis, ihrem gemeinsamen öffentlichen Raum oder in Hörweite der Männer auszustoßen, können es Frauen heute – und tun es auch. „QuaRANTine Choir“ geht von diesen theoretischen Vorstellungen aus und setzt die künstlerischen Potentiale des Lärms für diese Krisenzeiten frei. Auch die Intimität der Produktions- und Hörsituation über Mobiltelefone oder andere mobile Geräte spiegelt die weit verbreitete Nutzung von Mobiltelefonen wider, die die physische und persönliche Mobilität in der heutigen Zeit ersetzt.
Seit dem 3. Juni wird wöchentlich – immer dienstags – eine neue Episode der Serie auf Soundcloud veröffentlicht, bis nach zehn Folgen die erste Staffel beendet ist.
Ab dem 1. September beginnt dann eine zweite Staffel. Ausgangspunkt von „Voices from Minneapolis“, so der Untertitel des zweiten „QuaRANTine Choir“, sind die Demonstrationen und Aktionen in den USA und weltweit, die durch den Tod des US-Amerikaners George Floyd in Minneapolis ausgelöst wurden. Künstler*innen, Musiker*innen und Aktivist*innen aus Minneapolis werden dann mit Kolleg*innen aus Berlin einen verstreuten, kollektiven Chor bilden.