Workshop-Programm „Global GROOVE“
„Das Mit- und Gegeneinander verschiedener Stimmen“

„Global GROOVE“ ist ein Workshop-Programm für Musikjournalist*innen aus der ganzen Welt
„Global GROOVE“ ist ein Workshop-Programm für Musikjournalist*innen aus der ganzen Welt | Illustration: groove.de

Das Musikmagazin GROOVE und das Goethe-Institut veranstalten ein Workshop-Programm für Journalist*innen weltweit. Mit „Goethe aktuell“ sprechen die Organisator*innen Laura Aha und Kristoffer Cornils über „Global GROOVE“ und ihre Utopie eines internationalen Musikjournalismus.

Von Daniel Welsch

In der Ankündigung von „Global GROOVE“ erwähnen Sie den Stillstand, in dem sich die Kulturszene durch die Corona-Pandemie befindet, aber auch neue digitale Kultur- und Austauschformate, die seitdem entstanden sind. Inwiefern war die Entstehung von „Global GROOVE“ von dieser Situation beeinflusst?

Kristoffer Cornils: Sowohl Laura als auch ich haben unsere Jobs wegen der ökonomischen Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie verloren. Gleichzeitig glauben wir beide, dass Kultur gerade eine tragende Rolle spielen kann als sozialer Katalysator und dass Kulturjournalismus in seiner mediierenden, aber auch kommentierenden und kritisch hinterfragenden Art dabei entscheidend ist.

Bei der Konzeption des Programms war es uns wichtig, dass wir Menschen aus dem sogenannten Globalen Süden, dieser fiktiven Region, miteinbeziehen. In den letzten zehn Jahren hat sich hier schon extrem viel bewegt, zum Beispiel wird die Szene um das Label Nyege Nyege in Uganda wahnsinnig viel im Westen rezipiert. Aber meistens durch die Brille von westlichen Journalist*innen, die wiederum ihre Infos von PR-Firmen aus dem globalen Norden haben. Wir möchten Menschen aus diesen Regionen selbst die Chance geben, diese Geschichten zu erzählen. Damit sich strukturell etwas in der Diskussion um Kultur ändert und diese international auf Augenhöhe geführt wird.

Laura Aha: Ganz praktisch hat die Pandemie gezeigt, dass viele Möglichkeiten da sind, uns digital zu vernetzen. Wir wollten diese Möglichkeiten nutzen, größer denken und dieses Projekt global aufziehen. Auch weil die Situation durch Covid-19 die Kultur überall in gleichem Maße betrifft, ist es spannend, sich weltweit auszutauschen.

Sie haben für die zehn Plätze der Workshop-Reihe etwa 170 Bewerbungen erhalten. Aus welchen Teilen der Welt kamen diese?

Laura Aha: Bei der Auswahl der zehn Teilnehmer*innen haben wir uns bemüht, alle vertretenen Regionen abzubilden. Wir haben Teilnehmer*innen aus der Türkei, aus Guatemala, aus Mexiko und den USA, aus Ägypten, Kenia und Südafrika, aus Indien, aus Hong-Kong, und einen Teilnehmer, der von den Philippinen stammt und jetzt in Vietnam lebt. 

Musikjournalismus ist – nicht nur hier in Deutschland – immer noch sehr männlich. Wie war das Geschlechterverhältnis bei den Bewerbungen?

Laura Aha: Überraschend ausgeglichen. Wir haben zwischendurch mal überschlagen, da waren wir bei einem Verhältnis von 60:40 – also etwas mehr Männer als Frauen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die zehn Teilnehmer*innen der Workshop-Reihe ausgewählt?

Kristoffer Cornils: Das war wirklich hart, weil fast alle Bewerbungen gut waren. Es hat geholfen, dass wir uns selbst die Auflage erteilt haben, dass die Teilnehmer*innen geografisch möglichst breit gestreut sind. Ich habe auch darauf geachtet, an welchem Punkt ihrer Karriere sich die Bewerber*innen befinden. Sind sie eventuell schon zu weit?

Andere wiederum haben uns mit ihren Pitches für die Features im zweiten Teil des Programms überzeugt, weil sie sehr genau skizziert haben, worüber sie schreiben möchten. Da hatten wir das Gefühl, dass das genau die richtige Person ist, um diese Geschichte zu erzählen.

Was ist für Sie als Organisator*innen die größte Herausforderung bei diesem internationalen digitalen Workshop-Programm?

Laura Aha: Es war auf jeden Fall schwierig, die richtige Zielsetzung für den Workshop zu finden, die Philosophie dahinter so zu formulieren, dass keine Missverständnisse entstehen. Es soll nämlich nicht so klingen, als würden weiße Journalist*innen aus dem Westen versuchen, Menschen aus anderen Teilen der Welt etwas beizubringen.

Kristoffer Cornils: Die Teilnehmer*innen haben sehr unterschiedliche sozio-ökonomische Hintergründe, auch regionale und kulturelle Differenzen spielen eine Rolle. Das gibt uns allen die Chance, hier wahnsinnig viel zu lernen. Denn natürlich haben wir eine Idee davon, wie Musikjournalismus funktioniert. Diese Idee ist aber total vorgeprägt durch kulturelle, ökonomische und andere Faktoren, wie sie in Zentraleuropa und den USA herrschen.

Deshalb werden wir den Teilnehmer*innen auch ganz deutlich kommunizieren: Widersprecht uns bitte! Denn einige Teilnehmer*innen sind schon recht weit in ihrer Entwicklung, haben ähnlich viele Erfahrungen in diesem Bereich gemacht wie wir. Aber es sind eventuell andere Erfahrungen. Diese wollen wir auf Augenhöhe austauschen und vergleichen.

Gibt es überhaupt Kriterien für guten Musikjournalismus, die über Kultur-, Szene- und Sprachgrenzen hinweg gelten?

Kristoffer Cornils: Ich weiß nicht mal, ob meine Definition von gutem Musikjournalismus mit der von Laura übereinstimmt. Denn was macht guten Musikjournalismus aus? Ich behandele in meiner Arbeit immer weniger ästhetische Fragen, sondern konzentriere mich auf musikindustrielle Hintergründe. Zwar ist das meiner Meinung nach gerade sehr wichtig, dennoch weiß ich auch zu wertschätzen, wenn mir ein Artikel erklärt, warum dieses eine Album so wahnsinnig geil ist.

Eine Art von Musikjournalismus kann nie gesondert gut sein, sondern nur eine Polyphonie der Stimmen macht Musikjournalismus überhaupt zu etwas Gutem. Selbst wenn ich manche Musikmagazine in ihrem Tonfall und ihrer Themenwahl nicht mag, würde ich sie immer verteidigen, weil sie etwas anderes zum Diskurs beitragen. Was guten Musikjournalismus ausmacht, ist das Mit- und Gegeneinander verschiedener Stimmen.

Laura Aha: Es geht bei der Frage nach gutem Musikjournalismus auch um die Frage nach Repräsentation. Gerade wenn wir uns bei diesem Projekt in Gebiete wagen, in denen wir uns nicht auskennen, dann brauchen wir Leute von dort, die uns diese Kultur erklären. Und nicht Leute aus Großbritannien, die nach Indonesien oder Südafrika fahren und darüber berichten. Das wäre für mich ein guter und wünschenswerter Musikjournalismus, der auch zukunftsfähig ist.

Das Projekt „Global GROOVE“ ist zweigeteilt: Nach den zehn Workshops schreiben die Teilnehmer*innen ein eigenes Feature über eine lokale elektronische Musikszene. Wie unterstützen Sie die Teilnehmer*innen in dieser Phase?

Laura Aha: Das läuft dann wie bei einer normalen redaktionellen Zusammenarbeit, wir werden die Teilnehmer*innen wie freie Autor*innen behandeln.

Kristoffer Cornils: Wir nehmen jeweils zwei oder drei Teilnehmer*innen unter unsere Fittiche. Dabei unterstützen uns Alexis Waltz, der Chefredakteur der GROOVE, und Maximilian Fritz, auch Redakteur bei der GROOVE. Wir sind dann als Ansprechpartner*innen jederzeit für die Teilnehmer*innen da und versuchen, wenn uns die Texte in ihren Rohfassungen geschickt werden, diese so gut wie möglich zu redigieren, zu verbessern und mit den Teilnehmer*innen zu besprechen.

Ein Ziel des Projektes ist es, lokale Stimmen global stärker hörbar zu machen. Wie kann das im Musikjournalismus auch über dieses Projekt hinaus gelingen?

Laura Aha: Wir wollen längerfristige Zusammenarbeiten mit den Teilnehmer*innen der Workshops etablieren. Vielleicht erweitert der eine oder die andere der Teilnehmer*innen den Kreis der freien Autor*innen, auch wenn die GOOVE natürlich kein globales Magazin werden kann – dafür sind wir zu klein.

Kristoffer Cornils: Das Problem, das wir haben, ist ein wirtschaftliches. Ich könnte eine internationale Plattform aufbauen, mir zehn Menschen aus der ganzen Welt suchen, die monatlich einen Bericht aus ihrer lokalen Szene abgeben, und dann können das alle auf dieser Plattform lesen. Das klappt aber nur mit Fördergeld, auf dem freien Markt ist das nicht zu haben.

Dennoch wäre es notwendig, dass wir eine Form von internationalem Musikjournalismus, der anders funktioniert, etablieren. Das wäre mein Traum: eine große Plattform mit Teams überall auf der Welt, möglichst dezentralisiert, aber dennoch unter einem Dach. Machbar ist das nicht, aber ein bisschen Utopie steckt bei uns mit drin.

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