Reopening Museums: European and South American Perspectives
„Unsere Seele, unser Auftrag bleibt derselbe“
Vor zwei Jahren fiel das Nationalmuseum in Rio de Janeiro einem Großbrand zum Opfer. Seitdem engagieren sich das Auswärtige Amt und das Goethe-Institut bei den Rettungsarbeiten und der Entwicklung einer Konzeption für ein neues Museum. „Goethe aktuell“ sprach mit dem Direktor des Museums, Alexander Kellner, über die derzeitigen Herausforderungen.
Von Renata Leite
Der Brand im brasilianischen Nationalmuseum am 2. September 2018 zerstörte rund 20 Millionen Objekte – den größten Teil einer Sammlung, die Fossilien, Mumien und historische Zeugnisse aus der ganzen Welt vereinte – sowie das Gebäude, das während des Kaiserreichs die Residenz der brasilianischen Kaiserfamilie war. Seit dem Brand hat Alexander Kellner, Direktor des Nationalmuseums in Rio de Janeiro, versucht, Ressourcen sowie die wissenschaftliche und kulturelle Gemeinschaft der ganzen Welt für den Wiederaufbau der Institution zu mobilisieren. Im aktuellen Kontext der Pandemie ist die Herausforderung noch komplexer, wie der Paläontologe beim Online-Panel Reopening Museums: European and South American Perspectives erläutert, die das Goethe-Institut veranstaltet. Die Diskussion wird am 2. September 2020 auf dem zentralen YouTube-Kanal des Goethe-Instituts von 15:00 bis 16:30 (MESZ) / 10:00 bis 11:30 brasilianischer Zeit in englischer Sprache live gestreamt und simultan auf Portugiesisch übersetzt.
Wie weit sind die Wiederherstellungs- und Rekonstruktionsarbeiten des Museums in diesen zwei Jahren vorangekommen?
Alexander Kellner: Wir arbeiten zügig daran, das Museum so bald wie möglich der Gesellschaft zurückzugeben und eine Institution bereitzustellen, die als Referenz für andere kulturelle Institutionen im Land und in Südamerika dienen kann. Wir konnten bereits die notwendige Infrastruktur aufbauen, so dass aus akademischer Sicht die Arbeit vor Ort wieder aufgenommen werden kann, und wir sind in Fragen des Wiederaufbaus des Palastes vorangekommen. Es gab eine Verzögerung bei der Planung des Wiederaufbauprojektes, aber jetzt ist sie fertig, und nun wissen wir, wie hoch der Investitionsbedarf sein wird: 20% dessen, was Notre-Dame kosten wird. Wir werden noch immer 200 Millionen Real brauchen, ohne die Sammlung zu berücksichtigen, die eine der größten Herausforderungen darstellt und für die wir sehr auf internationale Hilfe angewiesen sind.
Welche Art von Unterstützung braucht das Museum heute?
Alexander Kellner: Es ist absolut unerlässlich, dass wir internationale wissenschaftliche und kulturelle Institutionen sensibilisieren, Originalmaterial zu spenden und beim Wiederaufbau unserer Sammlung zu helfen. Dies ist unser Hauptengpass. Und wir, die wir aus Brasilien stammen, müssen uns diese neuen Stücke verdienen, indem wir den Palast, in dem das Museum untergebracht ist, nach den besten Sicherheitsstandards für die Menschen und auch für die Sammlungen wieder aufbauen. Wir werden der Welt zeigen, dass wir gelernt haben und dass sich eine Tragödie wie diese in unserer Institution nicht wiederholen wird. Wir sind auch auf internationale technische Hilfe angewiesen. In Brasilien gibt es derzeit keine bedeutenden Spezialisten für Taxidermie. Wenn ein großes Tier, wie zum Beispiel ein Elefant, stirbt, brauchen wir eine enorme Agilität. Wir bemühen uns auch um internationale Stiftungen zur finanziellen Unterstützung.
Das Feuer erregte internationale Aufmerksamkeit. Ist Hilfe angekommen?
Alexander Kellner: Die von der deutschen Regierung angebotene Hilfe war außerordentlich, sowohl was den Austausch von technischem Wissen als auch die finanzielle Hinsicht betrifft. Kürzlich haben mehr als 26 wissenschaftliche und kulturelle Institutionen in Deutschland ihre Bereitschaft in einem offenen Brief bekundet, auch bei den Sammlungen zu helfen. Das Goethe-Institut, das Deutschland vertritt, wurde aufgrund der großen Zahl an Aktionen eingeladen, einem der Komitees des Regierungsprojekts „Das Nationalmuseum lebt“ beizutreten, in das die gesamte Wiederaufbauarbeit eingebunden ist. Wir werden diese Aufgabe nur mit der wirksamen Unterstützung anderer Länder erfüllen können.
Alexander Kellner: Unsere Seele, unser Auftrag bleibt derselbe. Das Nationalmuseum hat eine Besonderheit, die es deutlich von anderen Museen und sogar von Naturkundemuseen außerhalb des Landes unterscheidet. Wir haben eine Sammlung zusammengetragen, die nicht nur für das Verständnis unserer Kultur, Geschichte und der Vielfalt unseres Planeten wichtig ist. Aus der Forschung generieren wir Wissen und wir bilden Generationen neuer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Bereichen Naturgeschichte und Anthropologie aus. Auch wissenschaftliche Bildungsaktivitäten führen wir durch. Dies bleibt bestehen. Die Art und Weise, wie wir das tun, ändert sich ein wenig. Unsere große Herausforderung besteht darin, wie wir uns im Inneren des Palastes präsentieren, um die Öffentlichkeit zu begeistern und den kritischen Geist in ihm zu wecken. Wir wollen den Fortschritt der Wissenschaft im Laufe der Zeit auf eine zugängliche Art und Weise präsentieren und zeigen, wie verschiedene Kulturen sie auf unterschiedliche Weise sehen. Das Museum ist auf die modernsten Ausstellungstechniken angewiesen, um vom Kind bis zum Gelehrten alle bedienen zu können, indem es die verschiedenen Ebenen der Vertiefung jedes Wissensgebietes bearbeitet. Wir können eines der interessantesten Museen der Welt bauen, wenn wir Unterstützung erhalten.
Wir erleben ein noch nie dagewesenes Szenario, in dem eine Pandemie den gesamten Sektor vor Herausforderungen stellt. Wie sehen Sie die Zukunft des Nationalmuseums und anderer Institutionen in diesem neuen Kontext?
Alexander Kellner: Meiner Ansicht nach werden Museen auch weiterhin eine enorme Bedeutung haben, vielleicht sogar eine noch größere als in der Vergangenheit. Durch unsere Sammlungen haben wir die Möglichkeit, die Menschen zu bezaubern und zum Nachdenken anzuregen über die Wissenschaft, über Fehler und Erfolge und darüber, wie diese Erfahrungen den Lauf der Dinge verändern. Es sind Themen, die Fragen wie die Entstehung von Viren, Prävention und andere Maßnahmen berühren. Sicherlich wird die Dynamik der Museumsbesuche verändert werden müssen, und wir werden viel in die Digitalisierung investieren müssen. Aber ich glaube nicht, dass das Virtuelle die Magie eines Werks im Kontext einer Ausstellung ersetzen kann.
Die Fragen stellte Renata Leite.