„Kulturtechniken 4.0“
„Da hat die Künstliche Intelligenz kläglich versagt“
Das Projekt „Kulturtechniken 4.0“ des Goethe-Instituts in Australien untersucht die Wechselwirkung zwischen Künstlicher Intelligenz und traditionellen Kulturtechniken. Im Interview diskutiert Sachbuchautor Thomas Ramge, ob wir durch den technologischen Fortschritt das Schreiben verlernen.
Von Barbara Gruber
Wie nutzen Sie selbst Künstliche Intelligenz (KI) in Ihrem Alltag und Ihrer Arbeit?
Thomas Ramge: Ich nutze KI in meinem Alltag so wie die meisten Menschen: über mein Smartphone und viele Applikationen in diesem Smartphone, von Google Maps über die Suchfunktion, oder die Empfehlungsalgorithmen beim Online-Shopping, die von maschinellem Lernen gefüttert und betrieben werden. Insofern hat sich im Grunde bei fast jeder Form von Nutzung von digitaler Technologie im Hintergrund maschinelles Lernen, also so genannte KI oder die wichtigste Subdisziplin der so genannten Künstlichen Intelligenz, in unser Leben eingeschlichen.
Von KI profitiere ich stark, wenn ich englische Texte schreibe. Dann nutze ich nicht nur die Korrekturform von Word, sondern nutze auch einen Dienst, der Grammarly heißt, der auch die Grammatik intelligent überprüft und Nicht-Muttersprachlern intelligente Verbesserungen zuspielt. Dies ist ein Beispiel für die Nutzung maschinellen Lernens. Bei meinem letzten Buch habe ich auch versucht, mit sehr prominenter und kompetenter Unterstützung zu überlegen, ob KI helfen könnte, ein Buch zu schreiben, das über KI reflektiert; aber da hat die KI kläglich versagt. Das können wir als Menschen als beruhigendes Zeichen werten; ich zumindest tue es.
Schreiben ist eine Kulturtechnik, die für Sie als Journalist und Autor zentral ist. Wie verändert KI Ihrer Meinung nach die Kulturtechnik des Schreibens?
Thomas Ramge: Vielleicht weniger stark, als die Frage impliziert. Zunächst mal in meiner Muttersprache: nicht sehr stark. Aber KI verändert schon mal das Schreiben dadurch, dass es Informationen schneller zugänglich macht. Das heißt, vor jedem Schreibprozess gibt es zuerst einen Recherche-Prozess. Und bei diesem Recherche-Prozess, insbesondere wenn er online gefüttert ist, gibt es Mechanismen von Künstlicher Intelligenz, die mich vielleicht besser auf Informationen oder auf Texte oder Zusammenhänge aufmerksam machen, die mir ansonsten durch die Lappen gehen würden. Es ist eine Hilfsfunktion, um schneller oder umfassender an Informationen zu kommen. Ich nehme es nicht so wahr, dass diese KI, wenn man sie als Hilfe beim Informationen Sammeln systematisch und gut einsetzt, ein Filter wäre, der mir viel vorenthält, oder mich per se in eine Filterblase schickt. Eine solche Wirkung kann natürlich von sozialen Medien ausgehen. Aber für mich als Autor würde ich die Hilfe beim Informationen Sammeln als eine hilfreiche Funktion ansehen: als eine Unterstützung bei der Navigation in der Welt der unfassbar vielfältigen Informationen. Mit KI ist diese Navigation leichter, als wenn ich sie ohne diese maschinelle Unterstützung unternehmen müsste. Beim Schreibprozess selbst, zumindest in meiner Muttersprache, sehe ich erst mal keinen direkten Einfluss von Künstlicher Intelligenz oder von maschinellem Lernen.
Ist es anders, wenn Sie in Fremdsprachen schreiben?
Thomas Ramge: Wenn ich auf Französisch oder Englisch schreibe, empfinde ich KI als eine Unterstützung, als eine Intelligenz- oder Schreib-Verstärkung, weil ich mir genau ansehe, welche Vorschläge ich bekomme. Dann habe ich schon die Kompetenz zu sagen: „Okay, dieser Vorschlag ist eine Verbesserung, jener nicht; aber ich wäre nicht selbst darauf gekommen.“ Und ich merke, dass mir diese Programme sogar helfen, längerfristig mein Schreiben zu verbessern. Ich stelle nämlich fest, dass ich immer weniger Unterstützungsangebote bekomme, sie also nicht mehr brauche. Insofern kann KI auch beim Schreiben so etwas wie ein Trainer sein.
In meinem Buch „Postdigital“ führe ich das Beispiel eines KI-Trainers für Schach an, der hilft, Schwächen beim Schachspiel auszumerzen. Das Gleiche geschieht beim Lernen in der Mathematik. Ich glaube, dass diese Trainerfunktion auch beim Schreiben möglich ist, insbesondere beim Schreiben in einer Fremdsprache. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wird diese Kulturtechnik, das Handwerk des Schreibens, in Grundschulen nicht mehr so tiefgehend gelernt? Und kommt man dann unter Umständen – wie mein jetzt zwölfjähriger Sohn – dahin, dass man sich ungeprüft auf die Rechtschreib- und Grammatik-Korrekturen verlässt? Oder dann im nächsten Schritt: Ich will ungefähr das oder jenes sagen, schreibe etwas hin und schaue, was die KI vorschlägt, worauf ich diesen Vorschlag nur noch anzuklicken brauche. Dies führt zu einer Welt, in der die eigentliche Kulturtechnik des Schreibens nicht mehr ausreichend tief gelernt wird. In der Folge wiederum kann die KI nicht mehr als Trainer fungieren, und alle stagnieren auf einem relativ niedrigen Niveau.
Das heißt, KI ist für Sie zwar ein nützliches Werkzeug, aber Sie sehen durchaus Gefahren für die Zukunft der Kulturtechnik des Schreibens?
Thomas Ramge: Ja, natürlich. Wir sind quasi die letzte Generation – oder vielleicht gibt es noch eine danach –, die ohne diese Möglichkeit einer starken Assistenz beim Schreiben aufgewachsen ist. Aber diese KI-Assistenten sind jetzt hier, vor allem in englischer Sprache. Im Deutschen ziehen die Programme langsam nach, auch wenn diese Assistenzsysteme in englischer Sprache noch viel besser sind als die fürs Deutsche. Man kommt an einen Punkt, an dem jemand, der nicht so gut schreiben kann, durch maschinelle Assistenz auf ein ganz anständiges Schreibniveau gehoben werden kann. Und dann stellt sich genau die Frage: Lernen wir nicht mehr die Grundlagen? Um dann noch eine Stufe höher zu kommen, wird es vermutlich immer so sein, dass du diese Kulturtechnik des Schreibens sehr tief beherrschen musst. Aber für welchen Anteil der Schreibenden reicht gewissermaßen ein unteres oder mittleres Niveau, um von einer Maschine auf ein ganz anständiges Niveau gehoben zu werden? Und welche Rückwirkungen hat dies alles auf das Lehren und Lernen, und auf die Nutzung von Sprache und Schreiben in der Tiefe? Es sollte doch besser nicht so weit kommen, dass die Schreib-Kompetenz vernachlässigt wird, weil man denkt: Um es ganz anständig hinzukriegen, muss man es gar nicht mehr können, weil es die Sprachassistenten gibt.