„Sudan Moves“
Die Macht der Archive
Für die virtuelle Künstlerresidenz „Sudan Moves“ lud das Goethe-Institut Sudan deutsche und sudanesische Künstler*innen und Kollektive zu einem Austausch über neue Formen künstlerischer Zusammenarbeit im digitalen Raum ein.
Von Laura Klöckner und Larissa Fuhrmann
Die COVID-19-Pandemie hat weltweit eine neue Wirklichkeit geschaffen und somit unter anderem die Annäherung von Digitalität und Kultur beschleunigt. Die bereits im März getroffene Entscheidung, ein virtuelles Residenzprogramm zwischen dem Sudan und Deutschland durchzuführen, war alles andere als einfach. Aber zusammen mit Rift Digital Lab, Art Kanoon und Elmastaba TV in Khartum war das Goethe-Institut Sudan neugierig zu erkunden, ob und in welchem Maße künstlerische Begegnungen in einem transnationalen digitalen Raum erzeugt werden können.
„Acts of Resistance: An Anthology“ ist die erste virtuelle 3D-Ausstellung des Goethe-Instituts, welche die Werke von 19 Künstler*innen und Kollektiven aus Deutschland, dem Sudan, Katar und der Schweiz präsentieren wird. Im Rahmen des Residenzprogramms beschäftigten sich die Künstler*innen mit den jüngsten sozialpolitischen Veränderungen sowohl im Sudan als auch in Deutschland und erschufen Formate und Sprachen, um ihre Kunst in den digitalen Raum zu übertragen.
Was sind die Kernfragen der beiden von Ihnen entwickelten Projekte?
The Urban Episode: Unser Projekt wirft Licht auf die Frage der Zugänglichkeit der sudanesischen Archive und setzt sich für die Transparenz und den offenen Zugang zu Information ein. Die Schwierigkeit insbesondere bei der Beschaffung von Karten ist der Grund, warum wir die Archive ansprechen. Wir tun dies in der Hoffnung, dass Stadtplaner*innen, Architekt*innen und alle, die an der Gestaltung des städtischen Gefüges Interesse haben, Zugang zu diesen Instrumentarien bekommen, die eine weitere Recherche ermöglichen.
Der Zugang zu Karten ist wesentlich, um zu verstehen, wie sich eine Stadt im Laufe der Zeit entwickelt und verändert. Wir sind immer wieder an zahlreiche örtliche Archive im Sudan herangetreten in der Hoffnung, Zugang zu historischen Karten von Khartum zu bekommen, wurden aber durchgehend mit Ablehnung konfrontiert, mit der Begründung, dass Karten eine Bedrohung für die nationale Sicherheit seien. Also stellten wir uns die Frage: Woher kommt dieses Gefühl der Bedrohung? Was ist der Sinn eines Archivs, wenn die darin vorhandene Information der Öffentlichkeit vorenthalten wird?
Paradoxerweise fanden wir heraus, dass es möglich ist, auf historische Karten von Khartum in digitalen open-access Archiven von Institutionen außerhalb des Sudans zuzugreifen. Diese Umstände bestimmten die Parameter für unsere Installation „Maps in Context“, bei der wir zwei historische Karten von der Umgebung des Goethe-Instituts und des Institut français in Khartum ausstellten.
KHHP: Unser Teil der Arbeit war es, die Rolle des Archivs in Berlin zu untersuchen. Bei unseren Recherchen haben wir die Verbindung zwischen dem vorherrschenden, von den Medien kreierten Narrativ reflektiert sowie die Dokumentation von öffentlichen Räumen durch Google Maps. Die virtuelle Erfahrung der Stadt, wie sie von Google Maps erzeugt wird, ist eine neuartige Archivierungsform, mit der wir täglich interagieren. Indem es die von Google Maps erzeugte virtuelle Erfahrung untersucht, beschäftigt sich das Projekt mit der Frage, wie das Archiv unsere Wirklichkeit und Diskurse gestaltet. Google Maps archiviert nicht nur die Stadt, indem es sie dokumentiert und durch Streetview zugänglich macht, sondern archiviert auch Räume, indem es die Möglichkeit gibt, Erfahrungen, Bilder, Information und Empfehlungen innerhalb der virtuellen Erfahrung zu teilen. Diese neuen Möglichkeiten der Archivierung können einerseits als Prozess der Demokratisierung gesehen werden, andererseits jedoch auch als Beitrag zur Marginalisierung und Kriminalisierung von bestimmten Räumen und Gemeinschaften.
Was war für Sie beim virtuellen Residenzprogramm neu?
KHHP: Als neu gegründete Kollektive haben wir bisher nur als Individuen und nicht gemeinschaftlich an Residenzprogrammen teilgenommen. Der Hauptunterschied, den wir bei dem digitalen Residenzprogramm „Sudan Moves“ wahrgenommen haben, war, dass die Kommunikation ausschließlich digital stattfand. Aufgrund dieser Erfahrung haben wir die Abwesenheit von Körpern und physischen Räumen überwunden, was für uns alle Neuland war. Es gab jedoch keine signifikanten Unterschiede auf der Ebene des Brainstormings und theoretischen Austauschs. Auf der anderen Seite gab es Unterschiede auf der Ebene der praktischen Umsetzung: Normalerweise bieten Residenzprogramme für einen gewissen Zeitraum exklusiven Zugang zu Räumen und Ressourcen, was zu einem intensiven Engagement innerhalb des kreativen Prozesses führt. Bei „Sudan Moves“ war der Austausch auf den Zeitraum der virtuellen Treffen begrenzt, was den kreativen und kollektiven Prozess geprägt hat.
KHHP: Zu Beginn des Residenzprogramms wählten wir den Titel „The Relationship with the Archive“ als das grundlegende Konzept für unsere Arbeit. Bei unseren wöchentlichen Besprechungen präsentierten wir hauptsächlich die Entwicklung unserer Offline-Arbeit in Form von Lecture-Presentations. Zudem mussten wir diesen Lernprozess dem Publikum und den anderen Residenzteilnehmer*innen vorstellen. In Berlin beschlossen wir, diesen Prozess des Austauschs und der Recherchen im digitalen Raum zum grundlegenden Teil unseres künstlerischen Werks zu machen (Zoom, Google Maps, Sound Experience, Digital Media), mit Fokus auf den lokalen Kontext Berlin sowie auf das Viertel, im dem wir leben.
The Urban Episode: Bei uns wurde das Thema von unserer Arbeit als Architekt*innen beeinflusst sowie durch unsere Schwierigkeiten beim Auftreiben historischer Karten. Der Arbeitsprozess beinhaltete daher Recherchen in verschiedenen Archiven, das Besprechen dieser Erfahrung und darüber nachzudenken, wie uns diese beeinflusst.