„Le Biennali Invisibili“
Die unsichtbare Biennale

Webseite des Projektes „Le Biennali Invisibili“
Webseite des Projektes „Le Biennali Invisibili“ | Grafik (Ausschnitt): Animali Domestici

Die Möglichkeiten der Kultur gegen eine zunehmend als „höllisch“ empfundene Welt verteidigen: Das vom Goethe-Zentrum Baku in Auftrag gegebene Projekt „Le Biennali Invisibili“ („The Invisible Biennials“) zeigt eine Online-Biennale, inspiriert von Italo Calvinos „Invisible Cities“.

Von Georg Seeßlen

Das Verschwinden im Allgemeinen, das Unsichtbar-Werden im Besonderen, gehört zu den großen Fragen des postmodernen Zeitalters, das mittlerweile schon nicht mehr so heißt, sondern vielleicht… das Zeitalter zwischen Krise und Katastrophe. „Why Hasn't Everything Already Disappeared?“ – Warum eigentlich ist noch nicht alles verschwunden? Das ist die Frage, die sich unter anderem die wundervolle Band Deerhunter auf dem gleichnamigen Album stellt: das Verschwinden von Kultur, Humanität und Natur und der Kampf, den die Kunst dagegen führt.
 
Das Verschwinden und Unsichtbar-Werden ist mit der Corona-Pandemie für viele Menschen von einem eher philosophischen und diskursiven Problem zu einer direkten und schmerzhaften Erfahrung geworden. Und das, was vor den Augen der Menschen verschwindet – zu Zeiten von reduzierten Begegnungen, reduziertem Leben in der Öffentlichkeit, bis hin zu Lockdown und Quarantäne – ist neben Natur und Humanität (im Sinne der praktischen Mitmenschlichkeit) vor allem Kultur und Kunst. Die Theater, die Kinos, die Galerien und die Museen verschwinden, genauer gesagt, sie werden zu Orten, die gegen ihr Verschwinden kämpfen. So wie sie vorher die Orte waren, an denen gegen das Verschwinden der Welt gekämpft wurde, so gleichen sie nun den „unsichtbaren Städten“, von denen Italo Calvino 1972 erzählte. Unerhörte, bizarre und geheimnisvolle Orte, in denen sich alle Wünsche und Ängste der Menschen abbilden.

Die Wirkung des Unsichtbaren

Diesem literarischen Vor-Bild folgt das Konzept der „Unsichtbaren Biennale“, das Eduardo Cassino, Tijn van de Wijdeven und Animali Domestici (Alicia Lazzaroni und Antonio Bernacchi) für das Goethe-Zentrum Baku und für den Rest der Welt einrichteten. An die Stelle der unsichtbaren Städte sind hier kuratorische Projekte, eine Serie von virtuellen Kunst-Projekten getreten, die ihr eigenes kritisches Umfeld, ihre eigene literarische Echokammer erzeugen. Und so, wie bei Calvino das, was eine Stadt als zivilisatorisches Projekt ausmacht, paradoxerweise ihre Unsichtbarkeit ist, so wird in dem Projekt „Le Biennali Invisibili“ Idee und Wesen des Biennale-Kuratierens erst durch seine materielle Unmöglichkeit deutlich. In der Online-Ausstellung begegnen sich Bilder und Texte, Kunst und Kritik in einem dialogischen Prozess mit offenem Ausgang. Und was dabei entsteht, ist ein lebendes Meta-Kunstwerk, das in einer virtuellen Umgebung auf einer eigenen Webseite zu besuchen ist.
„Novichelovekan, a biennial with new faces“ mit Abhijan Toto – einer der Online-Ausstellungen des Projektes „Le Biennali Invisibili“
„Novichelovekan, a biennial with new faces“ mit Abhijan Toto – einer der Online-Ausstellungen des Projektes „Le Biennali Invisibili“ | Grafik (Ausschnitt): Animali Domestici

Möglichkeiten des Kuratierens

Das digitale Projekt der Biennali Invisibili gehört zu den Kunst-Begegnungen im Netz, die nicht bloß Ersatz sind für Begegnungen im materiellen kulturellen Raum, sondern auch die gegenwärtige Situation und ihre möglichen Folgen reflektieren. Die Chance des Innehaltens wird genutzt, um verschiedene Probleme und Bedingungen des Kuratierens zu behandeln, die sich wie in den unsichtbaren Städten als poetisch verdichtete Modelle zeigen. Und wie bei Calvino geht es darum, die Möglichkeiten der Kultur gegen eine zunehmend als „höllisch“ empfundene Welt zu verteidigen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, ganz im Sinne des Goethe-Instituts, künstlerisch miteinander zu kommunizieren, über Grenzen der Nationen, der Ideologien, sogar der kriegerischen Fronten hinweg. Das Projekt „Le Biennali Invisibili“ ist ein Modell der Kooperation in einer Welt der Isolation. Und eine abenteuerliche Reise durch die Grenzgebiete zwischen Kunst und Gesellschaft.
 

Autor

Georg Seeßlen ist freier Autor, Feuilletonist und Kulturjournalist.

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