„Covered Culture“ in Yokohama
Mehr als das Summen ihrer Teile
Die Komponistin Brigitta Muntendorf und der Dramaturg Moritz Lobeck schufen im Auftrag des Goethe-Instituts die audiovisuelle Rauminstallation „Covered Culture“. Im Interview mit „Goethe aktuell“ sprechen sie über die Bedeutung Beethovens im 21. Jahrhundert – und eine mögliche Parallele zu Neil Young.
Von Carla Jamatte
Was erwartet Besucher*innen in der audiovisuellen Rauminstallation „Covered Culture“?
Lobeck/Muntendorf: „Covered Culture“ kann in Black Box wie White Cube präsentiert werden und auch als Site-Specific Installation funktionieren. So wurden die Besucher*innen im Duolon Museum of Modern Art mit Blick über die Dächer von Shanghai ganz anders empfangen als im Tanzstudio im Berliner Radialsystem oder dem hypermodernen Museumsraum des LOOP Alt Space in Seoul. Wieder anders prägend sind die Stationen im KAGAN Art Hotel für Kyoto Experiment oder bei TPAM – Performing Arts Meeting in Yokohama, wo mit „Covered Culture“ die eindrucksvolle klassizistische Vorhalle eines ehemaligen Bankgebäudes zum akustischen und visuellen Projektionsraum wurde.
Gerade die spezifischen Geschichten und verschiedenen Gestaltungen dieser Räume betonen eine zentrale Idee der Installation aus zehn Lautsprechern und Videoprojektionen: Besucher*innen werden an verschiedensten Orten zum Teil einer Gemeinschaft, für einen Moment können sie Mitglieder eines virtuellen, summenden Chores sein. Es sind Stimmen und Chöre, die unterschiedlicher kaum sein könnten, und die nahezu alle an unterschiedlichen Orten aufgenommen wurden, wie zum Beispiel die chinesische experimentelle Popsängerin SHII oder die japanische Stimmakrobatin Maki Ota, der Opernchor des Deutschen Nationaltheaters Weimar oder der Beijing Queer Chorus.
Diese individuellen, leise summenden und intimen Stimmen und ihre Abbilder sind in ihrer Montage nicht nur ein Versuch, eine Hymne aus dem Gedanken einer Hyperkultur zu entwickeln, die weder einstimmig noch laut gebrüllt wird, sie befragen auch kritisch unser Verständnis von Feierkulturen – der ganzen Installation liegt ja musikalisch ein Zitat der „Ode an die Freude“ zugrunde. Das Summen als primär privater und persönlicher Akt, als zudem bewusst eher Unkünstlerisches und Limitiertes in seinen Entfaltungsmöglichkeiten entzieht sich Zuschreibungen von Nationalität, Geschlecht, Alter und musikalischen Genres. Gleichzeitig – und das macht es so besonders – verweist es auf das Chorische, das aus dem Privaten und Fragilen erwächst und diese „Herkunft“ nicht mehr los wird. Auch wenn viele Menschen summen, entsteht kein Pathos.
Lobeck/Muntendorf: Wir haben mit allen Formationen und Sänger*innen eigene Arbeitsprozesse entwickelt, wobei Proben und Recording als Remote-Control-Setting das Projekt essentiell prägten. Während wir mit dem Opernchor in Weimar auf der Bühne probten und aufnahmen, haben wir mit den Sänger*innen und Performer*innen in Asien über Screens und Chatsoftware gearbeitet und alle Audio- und Videoaufnahmen mit Teams vor Ort entwickelt. Zudem hatten wir bereits Ende 2019 einen Open Call gestartet und so Audio- und Videoaufnahmen von Laien und Profis zugeschickt bekommen, die anhand einer vorgegebenen Audio-Partitur und elektronischen Klängen zu Fragmenten von Beethovens Ode gesummt haben.
Diese Prozesse brauchten ganz klar mehr Zeit für Vorbereitung, Absprache, Proben und Planung – aber wir waren völlig erstaunt darüber, wie intensiv sich ein Arbeitsprozess auch über einen kleinen Bildschirm und so große Distanzen gestalten lässt und wie viel Unvorhergesehenes dennoch die Pläne durchkreuzen kann. So sind wir zum Beispiel mit dem Beijing Queer Chorus während einer Probe ungewollt durch die nächtlichen Straßen in Beijing gelaufen, da ein Mitglied des Chores während der Proben über Video-Chat die Handykamera versehentlich nicht ausgeschaltet hatte.
Lobeck/Muntendorf: Wenn in Osaka 10.000 Japaner*innen in einem vom größten Whisky-Hersteller Japans veranstalteten Mega-Event die „Ode an die Freude“ singen, dann scheint in dieser Hymne eine Attraktion zu liegen, die in der japanischen Kultur in dieser Form vielleicht seltener vertreten ist. In zahlreichen Interviews und Dokumentationen zu diesem Event sprechen Dirigent, Sänger*innen und Publikum darüber, wie verbindend und zuversichtlich diese Hymne wirkt, wie befreiend von individuellen Verirrungen und wie berauschend im kollektiven Pathos.
Doch gerade dieses Pathos ist nicht unproblematisch – die Nazis haben die Neunte zu Hitlers Geburtstag gespielt, im Apartheid-Regime in Rhodesien (heute Simbabwe) wurde sie zur Nationalhymne, die Nato hat sie zur Eröffnung des Brüsseler Hauptquartiers ausgewählt. Beethoven hätte heute wahrscheinlich ähnliche Mails wie Neil Young an Trump geschrieben, als dieser „Rockin' in the Free World“ in seinem Wahlkampf benutzte … Vielleicht könnte unsere Idee, Fragmente aus Beethovens Hymne einem summenden Chor zu überlassen, ja wie ein Reset dieser eher problematischen Aneignungen funktionieren.