Zum Tod von SAID
Die Sprache, das Gedicht, der Körper, das Exil

Der iranisch-deutsche Schriftsteller SAID.
Der iranisch-deutsche Schriftsteller SAID. | Foto (Ausschnitt): © Isolde Ohlbaum

Am 15. Mai verstarb SAID im Alter von 73 Jahren. 2006 erhielt der iranisch-deutsche Schriftsteller die Goethe-Medaille. Ein Nachruf.

Von Martin Hielscher

Wenn SAID in den Verlag C.H.Beck kam, wo elf seiner Bücher und ein Hörbuch erschienen sind, in das Gebäude an der Ainmillerstraße in München, in dem auch das kleine Belletristikprogramm angesiedelt ist, war es, als würde sich gleichsam der Pulsschlag des Gebäudes beschleunigen. Von der Kollegin am Empfang, die einen persischen Nachnamen hat, auf den er gleich reagierte, über den Volontär, der bei einer seiner Lesungen gewesen war, was er registriert hatte, bis zu seinem Eintritt in mein Arbeitszimmer – er war auf eine überwältigende Weise präsent. Meist erzählte er einem schon beim Eintreten – er bekam einen Espresso, ich nahm ihm den Mantel ab, viele Jahre, bis zu seinem ersten schweren Herzinfarkt, rauchte er erstmal eine Zigarette – eine Anekdote, einen Witz, eine Begebenheit, ein Lektüreerlebnis. Er war immer makellos gekleidet, stellte sofort eine Verbindung her, verwickelte einen gleich in ein Gespräch, lächelnd, warm, nah. Und immer ging es dabei gleich um das Wesentliche – SAID war nie belanglos, so unterhaltsam, zugewandt, komisch er sein konnte. Das Wesentliche, wie könnte man es nennen? Die Sprache, das Gedicht, der Körper, das Exil, die Liebe, gerade auch die sexuelle, der Gesang, auch der religiöse, Schmerz, Verfolgung, Entwürdigung, aber auch Bilder, Musik, Freundschaft. 

SAID, 1947 in Teheran geboren, dessen Eltern sich schon vor seiner Geburt getrennt hatten und der bei seinem Vater aufwuchs, verließ den Iran mit 17 Jahren, lebte seit 1965 in München, hatte sich in der Studentenbewegung engagiert und erkannte im Mullah-Regime nach der Revolution 1979 im Iran die gleiche Repression, wie es sie schon unter dem Schah gegeben hatte. Als SAID als erwachsener Mann erstmals die Gelegenheit hatte, seine Mutter etwas kennenzulernen – „Landschaften einer fernen Mutter“ (2001) legt davon Zeugnis ab –, musste er am Ende begreifen, dass diese Begegnung gescheitert war und ebenso auch eine Versöhnung mit seinem Herkunftsland. SAID liebte und brauchte die persische Sprache und Kultur, aber seine Heimat, wenn es denn Heimat für ihn gab, wurde die deutsche Sprache. Und er wurde einer der bemerkenswertesten deutschen Dichter, dessen lyrische Sprache, ja die Sprache all seiner Texte, – denn er schrieb neben Gedichten und Psalmen auch Kinderbücher, Essays, Erzählungen, autobiographische Prosa, Hörspiele, Bildbetrachtungen und vieles mehr – eine Reinheit, eine Art abgebeizte Klarheit hatte, etwas Zugespitztes, ein Empfindungs- und Bildreichtum, der doch nichts Ornamentales oder Barockes hatte. Für seine Verdienste um die deutsche Sprache und Kultur erhielt er 2006 die Goethe-Medaille, für sein Engagement für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Schriftstellerinnen die Hermann Kesten-Medaille des PEN-Zentrums Deutschland, dessen Präsident er auch von 2000-2002 war. Er erhielt unter anderen den Literaturpreis der Landeshauptstadt München, den Adelbert-von-Chamisso-Preis, den Friedrich-Rückert-Preis und das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland.

SAID hatte etwas Radikales – von der Empörung, der Klarsicht und dem Schmerz seiner „Aufzeichnungen aus meinem Exil“, die 1995 unter dem Titel „Der lange Arm der Mullahs“ erschienen, bis zu seinen „Psalmen“ (2007), von „Liebesgedichte“ (1989) bis zu den Geschichten in „flüstern gegen die wölfe“ (2021). Eine Radikalität, die dem Schmerz ebenso die Treue hält wie dem Verlangen nach Nähe und der Überwältigung durch die Liebe, die sich die Empörung über Ungerechtigkeit, Machtmissbrauch und Verfolgung ebenso wenig abhandeln lässt wie die Freude an der Schönheit der Sprache und der Möglichkeit, uns selbst und unsere Einsamkeit durch die Sprache, die Hingabe und die Suche nach einer nichtkonfessionellen Spiritualität, die SAID umtrieb, zu übersteigen. Am 15. Mai 2021 starb SAID in seiner Wohnung an einem Herzinfarkt.

herr
ich glaube an das fleisch
seine verschwendung und seine unbelehrbarkeit
und wenn ich durch dieses zwiegespräch
deinen leeren platz erwecke
so bin ich voller hoffnung
daß unser gespräch ein gebet werde
für die einsamen

SAID : „Psalmen“ (2007)

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