„House of Europe“
Lebenszeichen

Der „Mobile Pavillion“ ist eine transportable Architektur, die von einem Team junger ukrainischer Architekt*innen für das House of Europe gebaut wurde. Das Eröffnungskonzert der ukrainischen Band Dachabracha vor dem Rathaus von Iwano-Frankiwsk besuchten 1.500 Einheimische.
Der „Mobile Pavillion“ ist eine transportable Architektur, die von einem Team junger ukrainischer Architekt*innen für das House of Europe gebaut wurde. Das Eröffnungskonzert der ukrainischen Band Dachabracha vor dem Rathaus von Iwano-Frankiwsk besuchten 1.500 Einheimische. | © Nadia Belik

Das EU-Programm „House of Europe“ wurde zu einer der wichtigsten Förderorganisationen der ukrainischen Kultur und Zivilgesellschaft. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine muss es sich neu erfinden.

Von Christian Diemer

Es gibt eine Zeit davor und danach. Das EU-Programm „House of Europe“ vor dem 24. Februar 2022 war ein (europäisches) Haus der Träume und Ideen, die sich in gemeinsamen Lernerfahrungen und Kooperationsprojekten realisierten. Aus 139 Ausschreibungen mit über 15.000 Bewerbungen gingen über 4.500 erfolgreiche Kandidat*innen hervor: ukrainische Kulturschaffende und Kreativunternehmer*innen, aber auch „change agents“ aus Bildung, Gesundheit, Medien, sozialem Unternehmertum, Jugendarbeit – kurzum: aus den entscheidenden Reformbereichen des Landes. Seit 2019 arbeiteten sie mit Expert*innen oder Partnerorganisationen aus nahezu allen europäischen Ländern zusammen. Sie entwickelten Online-Kurse zur Analyse von Umweltdaten oder neue Choreografien. Sie realisierten Web-Präsentationen queerer Lebensgeschichten, die grenzübergreifende Aufarbeitung totalitärer Geheimdiensterfahrungen, ethnografische Online-Ausstellungen, Opernkoproduktionen und vieles mehr. Aus EU-Sicht sollte, unter Federführung des Goethe-Instituts, ein Modellprojekt europäischer Kulturaußenpolitik entstehen, in einem strategisch wichtigen Nachbarland der EU, der Ukraine: ein immaterielles Haus, ein vieldimensionaler Raum der Begegnung. Bis heute ist House of Europe das größte Kulturprogramm, das die EU in einem Land außerhalb ihrer Grenzen aufgelegt hat.

Nichts verkörperte die enorme Reichweite des Programms bis in die Peripherie der Ukraine so anschaulich wie der „Mobile Pavilion“, eine wandelbare Architektur, von House of Europe in Zusammenarbeit mit einem Team junger ukrainischer Architekt*innen entwickelt. Für je mehrere sommerliche Wochen auf Plätzen ukrainischer Provinzstädte aufgestellt, wurde die Struktur ein Teil des urbanen und sozialen Interaktionsraums – und nebenher Schauplatz von Kulturveranstaltungen und Seminaren. Nur 25 Prozent der Förderung des House of Europe floss an in Kiew Ansässige. Dezentrale „Houses of Europe“ schlugen in großen und kleinen Städten der Regionen auf: in Riwne, Dnipro, Mykolajiw, Kamjanez-Podilskyj, Iwano-Frankiwsk. Am 17. Februar, dem letzten Donnerstag in Frieden, eröffneten mutige Partner noch das Pop-up-„House of Europe“ in Charkiw, einen temporären Veranstaltungs- und Informationsraum in den Räumlichkeiten der dortigen Marketingschule „Bahasch“.

Das House of Europe nach dem 24. Februar 2022 ist eines des Überlebens, der akuten Notfallhilfe. Der Großteil des Teams von House of Europe ist noch in der Ukraine vor Ort. Von Teilen des House of Europe-Budgets werden Schutzgüter und Erste Hilfe bezahlt, um Leben zu retten. Der Pop-up-Hub in Charkiw wurde zum medizinischen Zentrum umfunktioniert. Zwischen von House of Europe finanzierten Buchübersetzungen und Info-Flyern lagern jetzt humanitäre Güter. Die Partner geben per Mail ein Lebenszeichen: „Wir leben und werden niemals jemandem unsere schöne Stadt überlassen.“ Zuwendungsempfänger*innen aus Mariupol nutzen die jüngst ausgezahlte Tranche, um Mitglieder ihrer Nichtregierungsorganisation aus der belagerten Stadt zu evakuieren. Mit Notfallstipendien unterstützt das House of Europe seine mehr als 900 Alumnae und Alumni. Es vergibt Geld für die Evakuierung von Kunstschätzen und Kulturerbe aus mehr als 30 Museen, für die Dokumentation russischer Kriegsverbrechen und für die Wiederausstattung kriegsgeschädigter Kultureinrichtungen. Mehr als 1,5 Millionen Euro werden im Rahmen des Krisenpakets innert kürzester Zeit fließen.

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