Webportal „Konverter“
Der Geschmack von Täublingen
Die Punks sitzen im Kinderzimmer, die Brautpaare posieren am Kosmonautenplatz. Dazu der langgezogene Ruf der Milchmänner, Nacktschnecken in der Dusche und Nick Cave im karelischen Untergrund. Um solche Kleinigkeiten geht es bei dem neuen Goethe-Webportal „Konverter“. Kleinigkeiten wie das Leben.
Manchmal muss man eben bis nach Japan reisen, um Taschkent so richtig zu spüren. So wie Aschot Danieljan. Gut, der Mann ist Usbeke, das vereinfacht die Sache ungemein, und doch: Es ist in einem „engen Kämmerlein für ausländische Studenten“, zweihundert Kilometer von Tokyo entfernt, wo ihn plötzlich die Sehnsucht ergreift. Vor dem Fernseher sitzt Danieljan in seiner Studentenbude, hat zufällig in eine russische Sprachsendung für Japaner aus den Achtzigern gezappt, schaut einem Ehepaar aus Moskau zu, das eine Studentin aus Riga auf seine Datscha eingeladen hat, um nun im Wald Pilze zu suchen, genauer gesagt: Täublinge. Zu Russisch: Syrojeschki.
Und da packt sie den Übersetzer und Autor, die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach Täublingen, von denen er nicht einmal weiß, wie sie schmecken. Die Sehnsucht nach Gesprächen in der Muttersprache, die er so lange nicht gesprochen hat, etwa über Murakami und den Nobelpreis, oder danach, durch die breiten Alleen Taschkents zu flanieren und mit Freunden darüber zu sinnieren, wie wundervoll wohl das Leben in Japan sein muss... Alles wegen der Syrojeschki.
Wie lebst du? Die Selbstbeobachtung aus Japan ist eine von Milliarden möglicher Antworten auf diese Frage. Und damit ist sie eines der Mosaiksteinchen des Projekts Konverter. Skateboarding in Almaty, Mixtapes aus Minsk oder eben die Sehnsucht des Japan-Stipendiaten nach Taschkent – es sind die wirklich wesentlichen Dinge des Lebens, um die es sich auf dem Portal Konverter dreht. Es geht um Alltägliches, nicht um Banales. Und um Blickwinkel, möglichst unterschiedliche.
Beton, Staub und steile Rampen
Aleksej Ulko etwa ist noch dort, in Taschkent. Ein Morgen, wie er ihn im Konverter beschreibt, schmeckt nicht nach Täubling. Beton, Staub, ratternde Güterzüge aus Kasachstan, Plattenbauten in Sowjetarchitektur und eine füllige Mutter in Leggins mit Leopardenmuster, das sind die Zutaten seiner Taschkent-Story, angereichert von den Rufen der Kefir-Verkäufer, kreisenden Mauerseglern und dem unbekannten Nachbarn, der nachdenklich an seiner Morgenzigarette zieht. Eine Mischung aus Tristesse und postindustrieller Idylle. „Noch vor zwanzig Jahren lebten hier vor allem verarmte und versoffene Arbeiter der vor langer Zeit geschlossenen Automobilfabrik“, erzählt Ulko. „Aber sie sind entweder bereits gestorben oder in ihre dem Mensch gegenüber feindselige Heimat zurückgekehrt, um in einem der verlassenen Dörfer, beispielsweise in der Kaluga-Region, zu sterben.“ Auch das ist das Leben.Konverter ist ein Ort für Erzählungen und Impressionen aus Osteuropa und Zentralasien. Sie stehen hier gleichberechtigt und weitgehend ungeordnet nebeneinander. Drei Themenkategorien gibt es, in die die Beiträge blogartig hineinlaufen: „Wie lebst du?“, „Playlist“ und „Skate-Spots“. In der ersten Rubrik finden sich – in Worten oder Bildern – Geschichten wieder über das Leben in der Familie, den Stress im Wohnheim, die Nachbarn in der Straße und was die besonderen Orte und wirklich einmaligen Plätze in einer Stadt sein können. In Playlist serviert man uns kleine Mixtapes. Fünf Lieder werden in jeder Playlist von Menschen vorgestellt, die uns erklären, warum gerade diese ihnen so viel bedeuten. Am speziellsten ist die Rubrik „Skate-Spots“, in der sich Bilder vom Leben auf Rollen finden. Wo sind die steilsten Rampen, wo die lässigsten Plätze für Skater in der Stadt? Alles über das Brett, das für manchen die Welt bedeutet.
Jede Erzählung, jede Fotostrecke auf Konverter nimmt die Besucher des Portals mit an einen anderen Ort in die Ukraine, nach Usbekistan, Russland, Georgien oder Kasachstan. Die Inhalte bleiben, die Formate werden gewandelt – ein Konverter eben.
Oder irgendwie so ähnlich
Die Redaktion von Konverter selbst ist auch im Wandel. Momentan ist sie am Goethe-Institut Nowosibirsk angesiedelt. Doch nach zwei Jahren wechselt sie an ein Goethe-Institut in einem anderen Land – neuer Ort, neuer Blick, neue Formate. Dabei soll das Portal niemals eindimensional funktionieren. Ein Großteil der Konverter-Aktivitäten findet in den Sozialen Medien statt, Teilnahme erwünscht.Und jetzt: Licht aus! Und auch den Monitor ausschalten! Aber vorher natürlich noch schnell auf den Play-Button geklickt. Denn nur im absoluten Dunkeln, so die Empfehlung von Wowa Potapenko, lässt sich die Magie der fünf von ihm ausgewählten Stücke erfühlen. Zum Beispiel der Zauber des französischen Komponisten André Popp:
Für Potapenko, einen Musiklehrer und Musiker aus Minsk, verbindet sich mit dem Stück eine besondere Erinnerung: Seine ersten drei Lebensjahre wohnte er in einer Wohnung, in der es in der Küche den in der ganzen UdSSR bekannten Drahtfunkanschluss gab. Die allabendliche Wettervorhersage wurde von Popps Melodie begleitet. Und so findet sie sich nun in einer Playlist gemeinsam mit UB40 und Edward Grieg wieder.
In Taschkent hat Autor Ulko derweil ein Taxi bestiegen. „Das Auto bremst scharf beim Fußgängerübergang, den nervöse Studenten hastig überqueren, und in diesem Moment kommt mir ein Bulgakow-Zitat in den Sinn: ,Die Kater, die die Veranda umstreunten, sahen nach Morgen aus. Über den Lyriker wälzte sich unaufhaltsam der neue Tag des Murmeltiers.‘ Oder irgendwie so ähnlich.“
-db-