Einblicke in die iranische Kunst-, Musik- und Literaturszene
Moderner als viele denken
Innerhalb von knapp vier Monaten kamen über dreißig iranische und exiliranische Künstlerinnen, Kulturschaffende und zahlreiche Besucherinnen in Berlin zusammen und machten die Lebendigkeit der iranischen Kunstszene spürbar. Das Kulturprogramm des Goethe-Instituts „Die iranische Moderne“ schuf Begegnungen, regte zum Denken an und hat das Bild, was Moderne im Iran und für iranische Kulturschaffende heißt, erweitert.
Nicht als Zustand, sondern als kontinuierlicher Prozess solle die Moderne verstanden werden, hob der Teheraner Philosoph Hossein Mesbahian zu Beginn des Programms „Die iranische Moderne“ hervor. Die Vorstellung einer abgeschlossenen Moderne sei für den Iran irreführend. Mehr noch als im Westen werde im Iran die Frage diskutiert, was Moderne sei und wie sie gestaltet werden könne. Um Theorien ging es beim Programm „Die iranische Moderne“ allerdings nur am Rande. Die Suche nach einer eigenen, iranischen Moderne wurde in Kunst, Musik und Literatur sichtbar, hörbar und fühlbar.
Vielseitigkeit der iranischen Kulturszene
Die Galeristin Anahita Ghabaian und die Kuratorin Rose Issa gaben Einblicke in die Kunstszene Teherans, die mehrere hundert Galerien bietet. In einem Land, in dem Spielräume für Kultur stetig neu ausgelotet werden müssen, sind Galerien Freiräume für bildende Kunst, für Konzerte, Lesungen und Performances, die anderswo schwer einen Platz finden. Dass Kunst im Iran eine wichtige Ausdrucksform für die junge Generation ist, zeigte sich in den unterschiedlichen Ausstellungsbeiträgen, Filmen und Konzerten, die im Zuge der „iranischen Moderne“ nach Berlin geholt wurden.Erst zwei Stunden vor ihrem Konzert kennengelernt haben sich die Band Kamakan aus dem arabischsprachigen Teil des Irans und die Deutschiranerin Cymin Samawatie. Sie spielten dann gemeinsam in einem ehemaligen Krematorium in Wedding. Beim CTM-Festival traten ein iranisches Elektronik-Duo, ein Ambient-Musiker und Ata Ebtekar mit zwei weiteren Musikern klassischer persischer Instrumente im Theater Hebbel am Ufer auf. Der in Hamburg geborene und jahrelang an der amerikanischen Westküste lebende Ata Ebtekar hat sich vor einigen Jahren entschieden, gemeinsam mit seiner Familie nach Teheran zu ziehen, um dort musikalisch zu arbeiten. Heute ist er eine der zentralen Figuren der Teheraner Elektronik-Szene, spielt in Galerien, im Rahmen lokaler Festivals und bezeichnet die Entscheidung rückblickend als richtigen Schritt. In Berlin brachen die Musiker mit Erwartungen an iranische Musik und unterstrichen die globale Vernetzung der elektronischen Avantgarde.
Renommierte Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Mahmud Doulatabadi bis Nahid Tabatabai wurden ebenso zu Lesungen und Gesprächen eingeladen wie die jungen afghanischen Dichterinnen und Dichter von „The Poetry Project Berlin“, die im Iran aufwuchsen und heute in Deutschland leben. Die Lesungen fanden nicht nur an öffentlichen Orten, sondern auch in Privatwohnungen statt. Die Autorin Shida Bazyar las im Wohnzimmer einer iranisch-deutschen Familie aus ihrem Roman „Nachts ist es leise in Teheran“ und die Iranerinnen Belgheis Soleymani und Nasim Marashi trugen in den Räumen des deutsch-iranischen Kulturvereins „Dekhoda“ aus ihren exklusiv übersetzten Werken vor.
Zwischen Musik, Kunst und Literatur
Als einer der Höhepunkte des Programms fand Mitte März die Konferenz „Iran und die Kunst der Moderne“ in der Gemäldegalerie Berlin statt. Goethe-Institut und Neue Nationalgalerie luden Expertinnen und Experten ein, die Herausbildung der iranischen Kunst der Moderne aufs Neue zu beleuchten. Zeitzeugen wie Kamran Diba berichteten vom Aufbau der iranischen und westlichen Sammlung am Teheraner Museum für Zeitgenössische Kunst (TMoCA), von seinen Ausstellungskonzepten, von seinem Selbstverständnis und seiner Mission als führende Institution für moderne Kunst. Das Verhältnis von islamischer und moderner Kunst und das Shiraz Persepolis Festival waren Thema der Vorträge von Susan Babaie, Fereshteh Daftari und Vali Mahlouji.Mit dem Theatergastspiel „Sei, wer Du nicht bist“ an der Schaubühne endete am 08./09. April das Kulturprogramm „Die iranische Moderne“. Der iranische Regisseur Saman Arastou beschäftigt sich in der Performance mit dem Thema Transsexualität.
So machte das Kulturprogramm nicht nur künstlerische Positionen sichtbar, es schuf Begegnungen, regte zum Denken an und hat das Bild, was Moderne im Iran und für iranische Kulturschaffende heißt, erweitert.