Mexibility
Wir sind in der Stadt, wir können sie nicht verlassen
Mobilität, nicht als physische Bewegung in der Stadt, sondern als Frage sozialer, ökonomischer und ökologischer Beweglichkeit, steht im Zentrum von „Mexibility“. Das Projekt wurde im Rahmen des Deutschlandjahres vom Goethe-Institut in Mexiko realisiert und macht mittels Kartierung, Fotografie und Narration gesellschaftliche, soziale und politische Umstände greifbar.
„Mexibility“ besteht aus urbanen Interventionen, einer Publikation, einer Ausstellung sowie einem breit gefächerten Begleitprogramm. Der Untertitel des Projekts ist dem Gedicht „Hablo de la ciudad“, 1987 („Ich rede von der Stadt“) von Octavio Paz entnommen, in dem er eine fiktive Stadt beschreibt. Entlang von sieben Achsen werden Phänomene der Gegenwart und Geschichte Mexikos kritisch betrachtet und in den Kontext gegenwärtiger gesellschaftlicher Herausforderungen gestellt. Die Ergebnisse und Prozesse von sieben Mobilitäts-Interventionen deutscher und mexikanischer Künstlerinnen und Künstler werden seit März in der Abschlussausstellung des Projekts gezeigt. Neben ihnen werden Kunstwerke von sieben deutschen und mexikanischen Künstlern gezeigt, die nicht im Kontext der Ausstellung entstanden sind, aber von den Kuratoren in den künstlerischen Diskurs des Projektes mitaufgenommen wurden. In der Publikation „Mexibility, Estamos en la ciudad, no podemos salir de ella“ (Mexiko-Stadt 2017) treffen Interventionen, Künstlerpositionen sowie Texte von Wissenschaftlern, Kuratoren und Philosophen zusammen und werfen interdisziplinär einen Blick auf das Phänomen Mobilität.
I. Geschichte der Mobilität
Ab 1500 v. Chr. war Mesoamerika eine Welt im Kleinen, in der man sich zu Fuß fortbewegte – das Reiten von Tieren oder die Nutzung anderer Transportmittel war nicht notwendig – über tausende von Kilometern hinweg, über Berge und durch Täler; physisch, nicht nur durch indirekte Kontakte. Ja, das vorkolumbianische Mesoamerika war eine weitgehend von Mobilität geprägte Welt.Interview: Friedrich von Borries, Kurator von Mexibility, mit Viola König, Leiterin des Ethnologischen Museums Berlin
II. Städtische Mobilitätslandschaften
„Turtur“ ist das Wort, das Mobilität in Mexiko City am anschaulichsten beschreibt. Diejenigen, die in der Stadt leben, sind täglich ca. vier Stunden damit beschäftigt, sich in ihr fortzubewegen. Das bedeutet, dass 2.000.000 Menschen – jeder zweite Mexikaner – einen ganzen Monat des Jahres damit beschäftigt sind, sich in der Hauptstadt fortzubewegen.Mariana Gándara: Mexico City Drift Club, or How to Recover Your Sight in a Few Easy Steps
III. Ökonomische Mobilität im Kontext von Neoliberalismus und Globalisierung
Mexikos soziale, produktive und politische Strukturen haben sich durch soziale Mobilität in Ton und Rhythmus gewandelt. Dieser Wandel beinhaltet – neben sozialkapitalistischem Fortschritt, Bildung, Lebenserwartung, Gesundheitsvorsorge, sozialen, bürgerlichen und ökonomischen Rechten – auch staatlich angetriebene Urbanisierung und Industrialisierung.Eine Entwicklung, die anders als in anderen Schwellenländern, durch den Reichtum des Landes und die Größe und Dynamik seines Binnenmarktes möglich ist.
Alicia Puyana, Mexico: The Strength of a Nation That Never Ceases to Surprise
IV. Social Mobility in einem Schwellenland
Die negative Entwicklung der Wohnbedingungen für eine Mehrheit der mexikanischen Bevölkerung ist ein wichtiger Faktor des Familienwohlstandes. In Kombination mit anderen sozialen Faktoren erklärt er die mangelnde soziale Mobilität Mexikos in den vergangenen Jahrzehnten.Martha Schteingart, Social Housing Policies in Mexico, Essay
V. Mobilisierung, Kriminalität und Sicherheit
Christoph Faulhaber brachte einen kritischen Diskurs über Mexikos gegenwärtige Lage ins Rollen und experimentierte gleichzeitig plastisch und ästhetisch mit der gegenseitigen Konfrontation von Sprache, Technik und Materialien: das Polizeiauto als Symbol, Skulptur oder Denkmal für Korruption und Kriminalität, die Presse und deren Diskurse über die Alltagsrealitäten [Mexikos] als organischer Körper, der sich allmählich zersetzt sowie schließlich die Überführung des eindringlichsten Symbols nationaler Identität (der mexikanischen Flagge) in das kategorische Wort: SCHEISSE (MIERDA).Victor Palacios, Mexicanization: The Work of Art as a Sovereign Reproduction of Punishment
VI. Mobilität und Ökologie
In Bezug auf die Handelsbeziehungen zwischen Mexiko und Deutschland ist seit den 1960-er Jahren bekannt, dass große Automobilfabriken in Mexiko existieren. Daraus resultierend behandelten unsere ersten Gespräche den Emissionsskandal bei Volkswagen und das nicht weniger bekannte Programm von Hoy No Circula zur Minderung der Luftverschmutzung in Mexiko City, aber resultierten primär im Thema Mobilität als Bedürfnis für groß angelegte Urbanisierungsprojekte im Tal von Mexiko.Paola Santoscoy, In Spite of It All
VII. Post-individuelle Mobilität
Mich interessiert, wie man wegkommt von der Idee, dass wir Individuen sind, wie man wegkommt von der Vorstellung, dass wir Einzelne Entscheidungen treffen können. Wir leben in einer Gesellschaft, die von Algorithmen und hochkomplexen Systemen strukturiert ist. Wir können allerhöchstens mitspielen, aber nicht wirklich mitentscheiden.Probebohrungen machen und Wunden offenlegen. Ein Nachgespräch mit Armen Avanessian
Alle Texte sind der Publikation „Über Zeit, Raum und Bewegung als Prinzip in Mesoamerica“ entnommen.