Doppelinszenierung „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz in Porto Alegre
Theater als Anleitung für die Wirklichkeit

Titelbilder der beiden Inszenierungen
Titelbilder der beiden Inszenierungen | Fotocollage: Cordula Flegel/Foto: Gerson de Oliviera, Pedro Mendes

Erstmals wird „Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz in Brasilien zweifach inszeniert: Anlässlich des Theaterfestivals Palco Giratório 2017 bringen die Regisseure Camilo de Lelis und Alexandre Dill jeweils ihre Interpretation des Stücks auf die Bühne – ein Novum für Brasilien.

„Die Lächerliche Finsternis“ stellt unsere Unfähigkeit aus, diejenigen zu akzeptieren, die nicht nach westlichen Standards leben. „Die Hölle sind die anderen, die wir nicht kennen“ (Sartre). Ist das Problem lösbar und kann das Theater dazu beitragen?

Wolfram Lotz: Ich glaube ja. Aber ich schätze, es ist nicht hilfreich zu denken, es ginge darum, dass man die anderen nur verstehen muss. Gerade wenn man auf das Verstehen als Lösung der Probleme setzt, auf die Betonung der Gemeinsamkeit, dann erzeugt man ein erhöht gewalttätiges Verhältnis zu diesen tatsächlich „fremden“ Dingen. Das, was nicht durch Verstehen in irgendeine Form von Gemeinsamkeit aufgelöst werden kann, muss dann umso härter bekämpft werden. Ich glaube, diese Problematik ist sehr unterschätzt.
Es geht meiner Meinung nach – und darauf weist auch das Stück auf literarische Weise hin – eben genau darum, besser mit dem umgehen zu lernen, was für einen selbst in der Dunkelheit verbleibt, was eben nicht angeeignet werden kann durch das Verstehen. Diese Dunkelheit muss man zugestehen. In „Die Lächerliche Finsternis“ wird dieses Thema von der großen globalen Ebene bis ins konkret Zwischenmenschliche durchgespielt, und zuletzt geht es auch um das Verhältnis zu sich selbst– man ist sich ja selbst immer wieder auch „fremd“.
Das habe ich versucht, in meinem Stück zu zeigen. Ob es am Ende etwas bringt, weiß ich nicht, aber ich hoffe es.
 
Ausgangspunkt für „Die Lächerliche Finsternis“ war der Prozess gegen zehn somalische Piraten in Hamburg im Jahr 2010. Es war der erste derartige Prozess in 400 Jahren. Nähert sich die Realität immer mehr der Fiktion an?

Lotz: Realität und Fiktion waren sich zu allen Zeiten immer wieder sehr nah. Viel wesentlicher erscheint mir, dass so ein Prozess insofern absurd ist, weil ein Gericht, um zu verurteilen, vorgeben muss, den zu Verurteilenden zu verstehen.

Sehen Sie sich die Inszenierungen oder zumindest die Videoaufzeichnungen der Inszenierungen an?

Lotz: Ja, grundsätzlich immer, wenn es mir möglich ist. Denn ich verstehe das Theater als ein künstlerisches Gespräch. Das Theater antwortet mit der Inszenierung auf meinen Text, und wenn ich die Form des Gesprächs ernst nehme, dann muss ich mir auch die Antworten anhören! Ganz gleich, ob ich die Antworten erwartet habe oder ob sie mir gefallen.
 
„Die Lächerliche Finsternis“ ist eigentlich ein Hörspiel. Das theatrale Potenzial des Textes ist aber offensichtlich. Welche Freiheit räumen Sie Regisseuren ein, wenn sie ein Stück von Ihnen inszenieren? Gibt es Grenzen?

Lotz: Nein, es gibt für mich da keine Grenzen. Ich verstehe das Theater als gesellschaftlichen Ort, und ich möchte, dass dort so gehandelt wird, wie in der Gesellschaft, die ich mir vorstelle, denn davon lebt ja die Kunst. Wenn eine Schauspielerin sich entscheidet, einen Monolog aus meinem Stück nicht zu sprechen, weil sie ihn vielleicht ganz falsch findet, und stattdessen einen eigenen spricht, dann ist das viel mehr im Sinne meiner Stücke. Eine schlechte Inszenierung ist es für mich nur dann, wenn ich merke, dass sich die Beteiligten nicht wirklich mit dem Text auseinandergesetzt haben.

In Ihrem Text „Rede zum unmöglichen Theater” sagen Sie: “Das Theater ist der Ort, wo Wirklichkeit und Fiktion aufeinandertreffen, es ist also der Ort, wo beides seine Fassung verliert in einer heiligen Kollision.“ Ist es das, was dem Theater ermöglicht, das angeblich Unmögliche möglich zu machen?

Lotz: Ein Theaterstück ist eine Art Anleitung für die Wirklichkeit. Ich versuche in meinen Stücken, dieses Verhältnis ernst zu nehmen. Das geht eben auch so weit, dass in den Regieanweisungen, unmögliche Dinge gefordert werden können. In der Forderung nach dem Unmöglichen zeigen sich ja die Zwänge und Begrenzungen (egal ob physikalische oder gesellschaftliche) nochmal auf besondere Weise, und indem man es immer wieder formuliert und einfordert, entsteht eine Sehnsucht, die die Zukunft überhaupt erst möglich macht – nur so entsteht ja ein Möglichkeitsraum. 

Das Interview führten die Journalisten und Theaterkritiker von AGORA Crítica Teatral.

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