Nachruf
Helmut Kohl glaubte an die kulturelle Dimension Europas
Mit dem Tod des Altkanzlers Helmut Kohl verliert das Goethe-Institut einen Freund und Förderer. In vielfacher Hinsicht war die Ära Kohl auch richtungsweisend für die Arbeit des Goethe-Instituts, besonders in den Jahren nach der Wende.
Eine der wichtigsten gemeinsamen Wegmarken ist die Ernennung von Hilmar Hoffmann zum Präsidenten des Goethe-Instituts im Jahr 1993. Das Goethe-Institut unterhielt damals 135 Einrichtungen in 75 Ländern. Erstaunlich mag anmuten, dass Kohl mit dem vormaligen Frankfurter Kulturdezernenten ausgerechnet einen SPD-Mann auswählte. Wie Hoffmann sich in einem Interview mit der „Frankfurter Neuen Presse“ erinnerte, spielten parteilpolitische Gräben im Miteinander keine Rolle, zumal er den Kanzler schnell mit Hölderlin zu beeindrucken wusste: „Während eines Fluges nach Südafrika rezitierte ich einige Verse“. Der Historiker Kohl habe über den „gebildeten Sozi“ gestaunt.
Während der fast zehnjährigen Amtszeit Hoffmanns wurden zwölf neue Goethe-Institute eröffnet, unter anderem an so politisch bedeutsamen Orten wie Ramallah, Hanoi, Peking, Dresden und Weimar. Anlässlich des 60. Geburtstags des Goethe-Instituts nannte Hoffmann auf die Frage, welches sein glücklichster beruflicher Moment gewesen sei, unter anderem „ein kurzes, von Helmut Kohl vermitteltes Gespräch mit Nelson Mandela über die Etablierung eines Goethe-Instituts in Johannesburg“.
Der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert, begegnete Helmut Kohl zum ersten Mal im Jahr 1995: „Damals hat er den 750 000. Studenten des Goethe-Instituts in Mannheim begrüßt. In seiner beeindruckenden Rede ging es damals um Dialog, kulturelle Zusammenarbeit, Vertrauenswürdigkeit und die Notwendigkeit, dass auch wir Deutsche von anderen lernen. Viele dieser Begriffe sind für uns weiterhin von hoher Aktualität - gerade in diesen turbulenten europäischen Zeiten, die uns auch vor Augen führen, wie groß der Beitrag des Europäers Helmut Kohl zu einem geeinten Europa war.“
„Er war ein Bücherliebhaber“
1996 eröffnete der Kanzler das Goethe-Institut in Weimar. Ein in mehrfacher Hinsicht historischer Moment. Schließlich war es das erste Institut in den neuen Ländern – an der prägenden Wirkungsstätte des Namensgebers. „Mit dem Weimarer Goethe-Institut hat die Initiative, der Bedeutung der Klassik und des kulturellen Erbes für die Gegenwart mehr Aufmerksamkeit zu widmen, Gestalt angenommen“, sagte Kohl in seiner Festrede. „Dieses Beispiel sollte Schule machen“. Schließlich habe Deutschland gegenüber seinen Partnern in aller Welt auch eine Bringschuld: „Zu einem realistischen Deutschlandbild gehört auch für einen Franzosen, einen Briten, einen Italiener die Präsenz von Beethoven und Brahms, Lessing und Heine, Schiller und Goethe“. Ganz im Sinne des Goethe-Instituts beschwor Kohl die „kulturelle Dimension der europäischen Einigung“.Der gegenwärtige Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, erinnert sich ebenfalls an einen besonderen Moment mit dem Kanzler in seiner Zeit als Nationalbibliothekar: „Ich konnte mit Helmut Kohl den Neubau der Deutschen Bibliothek Frankfurt 1997 einweihen. Er war ein solcher Bücherliebhaber, dass wir durch das anregende Stöbern in den Bücherregalen fast den ganzen Festakt gefährdet hätten. Dabei haben wir eine gemeinsame Idee für eine Europäische Bibliothek entwickelt bei der der jeweilige Literaturkanon der EU-Länder in jede europäische Sprache übersetzt werden und diese Bibliothek in jedem EU-Land verfügbar gemacht werden sollte. Helmut Kohl glaubte an die Kraft der Literatur. Das wäre auch ein Programm für das Goethe-Institut und die europäischen Verlage“.