66 Jahre Goethe
Wenn sich die Welt noch schneller dreht
Das Goethe-Institut hat Geburtstag. Es ist kein runder, und Schnapszahlen werden ohnehin völlig überschätzt. Doch dieses Jubiläum besonders zu würdigen, daran führt schlicht kein Weg vorbei. Nicht nur wegen Lida.
An einem Tag wie heute – genauer gesagt: an dem Tag, an dem das Goethe-Institut 66 Jahre alt wird – muss auch mal ein kurzer Blick zurück gestattet sein: zum Beispiel auf eine idyllische Bergwiese in den Alpen in den Fünfzigerjahren. Um die Ecke biegt jedoch nicht der Förster vom Silberwald, sondern eine Gruppe von Wanderern aus aller Herren Länder. Sie stürzt auf einen alten Mann mit Trachtenhut und Pfeife zu. Eine junge Iranerin fragt: „Verzeihen Sie, wie weit ist es bis zum nächsten Ort?“ Die Antwort: „So oanahoib Stund.“ Die Frau scheint verwirrt. „Wie bitte?“ Ein Mann im karierten Hemd mischt sich ein und erklärt: „Dialekt. Er meint: Eine und eine halbe Stunde. Oder eineinhalb Stunden.“ Der alte Mann protestiert: „Des hob’ i ja gsogt.“
Es ist eine Szene aus dem Kurzfilm Lida lernt Deutsch des jungen Edgar Reitz. Reitz, der später unter anderem durch seine Familiensaga Heimat berühmt wurde, hatte damals den Auftrag, mit einem Werbefilm internationale Studenten für Sprachkurse des Goethe-Instituts zu begeistern.
Diese hatten damals gerade erst begonnen. In der Bundesrepublik wurden die ersten Sprachkurse 1953 gestartet, im oberbayerischen Bad Reichenhall. Noch Ende der Sechzigerjahre lagen die Institutsorte vor allem in landschaftlich ausgeprägten Städtchen und Dörfern. Auf dem Land, so die damalige Vorstellung, könne man ruhig und ungestört lernen. Etagen-WCs und die damals nur einmal pro Woche übliche Dusche sorgten bei den Schülern aus gutem Haus – andere hätten sich einen Aufenthalt in Deutschland gar nicht leisten können – jedoch mitunter für Verwunderung.
Von Bad Reichenhall bis Nowosibirsk
In Bad Reichenhall gibt es heute kein Goethe-Institut mehr, dafür an 159 anderen Orten. In 98 Ländern. Von San Francisco bis Nowosibirsk, von Helsinki bis Wellington. Über 200.000 Menschen nahmen 2016/2017 an einem Sprachkurs des Goethe-Instituts teil. 3.300 Menschen arbeiten heute für die Einrichtung. Und längst ist „Goethe“ genauso sehr Kultur- wie Sprachinstitut. 5.000 Kulturprojekte stellte es 2016/2017 auf die Beine.Entsprechend stolz ist man beim Goethe-Institut auf die bisherige Bilanz. „66 Jahre Goethe-Institut, das sind 66 Jahre Kulturvermittlung im Ausland, internationaler Dialog und die Öffnung von Freiräumen zum Denken und Diskutieren“, resümiert etwa Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident des Instituts. „Ich wünsche dem Goethe-Institut, dass es seine Aufgabe als weltweit anerkannter Kulturbotschafter, Sprachvermittler und Brückenbauer ausbauen kann und als Garant für Meinungsfreiheit wirkt – vor allem in den aktuell schwierigen Zeiten, in denen Dialog und Kooperation wichtiger sind denn je.“
Und so sieht es auch Generalsekretär Johannes Ebert: „Die Welt ist in Bewegung, und das Goethe-Institut ist mitten drin. Das kann man für jedes einzelne der vergangenen 66 Jahre sagen. Gerade heute – so hat man das Gefühl – dreht sich die Welt besonders schnell: Die Anforderungen an Kultur und Bildung als Plattformen der Verständigung und Felder des globalen Austauschs steigen. Zum Glück ist das Goethe-Institut mit 66 Jahren keine alte Dame – im Gegenteil. Und wenn doch? Dann gilt Udo Jürgens’ Liedzeile: ,Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss. Mit 66 ist noch lange nicht Schluss.‘“
Strauß konnte nicht lachen
Doch auch die junge Dame hat in ihrer Geschichte schon einige Wandlungen vollzogen. Anfangs geht es vor allem noch darum, das von den Nazis stark beschädigte Deutschland-Bild in der Welt zu erneuern und die Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft zu unterstützen. In der Ära Brandt wird die Auswärtige Kulturpolitik neu ausgerichtet. Als „dritte Säule“ neben der klassischen Diplomatie und der Außenwirtschaftspolitik kommt ihr nun eine besondere Wertschätzung zu.Die Arbeit wird kritischer, gesellschaftspolitischer. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs rückt Osteuropa in den Fokus, spätestens seit dem 11. September auch der interkulturelle Dialog. „Der Dialog der Kulturen ist ein unverzichtbarer Bestandteil europäischer und globaler Friedenspolitik“, befand einmal der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher. „Das kann heute, wo die These vom angeblich unausweichlichen ,Zusammenstoß der Kulturen’ in aller Munde ist, nicht genug betont werden.“
Dabei agierte das Goethe-Institut von Anfang an eigenverantwortlich und regierungsunabhängig – was mitunter auch seinen Preis hatte. Dazu gehörten auch Skandale – oder das, was man zu ihrer Zeit dafür hielt. Zum Beispiel als das Goethe-Institut 1974 in London eine Ausstellung von Klaus Staeck mit provokanten Plakaten zu Franz Josef Strauß organisierte. Der war wenig erbaut darüber. Doch das Goethe-Institut ging vor der Macht nicht in die Knie.
Eine Prognose, wie die nächsten Jahrzehnte des Goethe-Instituts aussehen werden, wäre anmaßend. Aber in einem ist sich Präsident Lehmann sicher: „Nur was sich ändert, bleibt.“
-db-