Mina-Festival Beirut
Just Artists – einfach Künstler
Das Mina-Festival in Beirut thematisierte Vorurteile gegen syrische Künstler im Libanon wie in Deutschland. Es zeigte, dass die Freiheit der Kunst genauso wichtig ist wie die Anerkennung derer, die sie betreiben.
Beirut ist die Stadt der fünfreihigen Autoschlangen auf dreispurigen Straßen. Eine Stadt, in der Ruinen mit Einschusslöchern direkt neben turmhohen Bürobauten stehen. Eine Küstenstadt ohne Zugang zum Meer – alles privatisiert oder verbaut. Die Stadt, die im Advent Weihnachtsbaumattrappen vor den Moscheen aufbaut. Und eine Stadt der Frauen. Zumindest im Kulturbereich. Es sind Frauen, die Institutionen leiten wie das Beirut Art Center, das Kunsthaus Ashkal Alwan oder das Kulturzentrum Dar El-Nimer. Es sind Frauen, die in Diskussionen das entschiedenste Wort führen und in gleicher Zahl wie Männer auf Podien sitzen und natürlich Kunst machen. Was auch daran liegen mag, dass das Kulturelle in einem Land ohne staatliches Kunstmuseum, ohne staatlich finanziertes Theater und mit nur minimalem Kulturetat gesellschaftlich nicht so hoch bewertet wird. Tatsächlich wird das libanesische Kulturleben von den Künstlern selbst sowie privaten lokalen Organisationen in Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen getragen. Jegliches Geld muss eigens beschafft werden.
Hilfe von allen Seiten
Auch das Mina-Festival für syrische Kunst und Kultur (Mina heißt Hafen), das am ersten Dezemberwochenende in Beirut stattfand, wäre ohne britische, US-amerikanische, norwegische, französische, Schweizer und mehrfache deutsche Unterstützung nicht zustande gekommen. Außer dem mitveranstaltenden Goethe-Institut waren auch die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung daran beteiligt, dass hier an vier Tagen rund 30 syrische Künstlerinnen und Künstler, die mittlerweile in zehn verschiedene Länder verstreut sind, Ergebnisse ihrer künstlerischen Arbeiten präsentieren und ihre Arbeitsbedingungen diskutieren konnten. Partnerin des Goethe-Instituts, das syrische Künstler seit 2014 mit dem „Laboratory of Arts“-Programm fördert, ist dabei die Initiative Ettijahat (Richtung), die 2012 in Damaskus gegründet wurde und nun seit zwei Jahren von Beirut aus operiert.Nur als Müllmänner willkommen
Der Libanon ist die erste Anlaufstation für Syrer, die ihr Land verlassen müssen. Etwa 1,5 Millionen sind bereits hier und machen mit den etwa 500 000 Palästinensern ein Drittel der libanesischen Bevölkerung aus. Dass unter diesen Leuten auch Künstler sein könnten, sei der libanesischen Regierung allerdings nicht verständlich zu machen, wurde auf einem Netzwerktreffen am Rande des Festivals im Kulturzentrum Dar El-Nimer heftig beklagt. Eine Arbeitserlaubnis bekämen Syrer nur als Müllmänner oder Bauarbeiter. Als Maler oder Schauspielerin seien sie indessen nicht willkommen, sagte Christine Thome, die Leiterin von Ashkal Alwan. Und der Filmemacher Saeed Al Batal sprach sogar von einem „Faschismus“ der libanesischen Regierung gegen Syrer.Künstlervisa für Prostituierte
Welche Rolle dabei die jahrzehntelange Stationierung syrischer Truppen im Libanon spielen könnte, wurde in dieser Runde nicht diskutiert. Dafür ergänzte die Juristin Nayla Ja’ja’, dass es zwar in der Tat „Künstlervisa“ gäbe, aber auf diesem Ticket ausschließlich Prostituierte ins Land gebracht würden. „Es muss eine Kategorie von Kunst jenseits der Unterhaltung gesetzlich anerkannt werden“, forderte sie. Ein weiterer Filmemacher nahm die libanesische Regierung indessen in Schutz: „Anders als die Deutschen lassen sie uns immerhin ins Land.“Am Ende verständigten sich die Anwesenden auf eine regelrechte Agenda: Man wolle ein Eingreifnetzwerk für Notfälle bilden, Beispiele von systematischem Rassismus publik machen, die internationalen Geldgeber bitten, Druck auf die Regierung auszuüben, damit Künstlerinnen und Künstlern Arbeitsgenehmigungen erteilt würden, und lehne es ab, sich in „syrische Künstler“ und „libanesische Künstler“ unterteilen zu lassen. „Just artists“ – einfach Künstler.
Das Label "syrischer Flüchtling"
Auch in einer öffentlichen Diskussion im Goethe-Institut am folgenden Tag, im gerade neu eröffneten und adrett in Goethe-Grün gehaltenen Gebäude im Stadtteil Gemmayzeh, war die Stigmatisierung syrischer Künstler ein wichtiges Thema. Die Bühnenbildnerin Bissane Al-Charif, der Grafikkünstler Mouneer Al-Sharani, Laila Hourai von der Ford-Foundation, David Codling vom British Council und der Generalsekretär des Goethe-Instituts und Islamwissenschaftler Johannes Ebert saßen auf dem Podium, Helena Nassif, die neue Direktorin des Netzwerks Al Mawred Al Thaqafy moderierte. „Nur mit dem Label syrische Flüchtlinge zu sein, werden wir in Europa gefördert“, konstatierte Bissane Al-Charif, die mit französischem Pass in Paris lebt, einigermaßen bitter. Eine Klage, die auch in Berlin schon laut wurde, etwa in Mohammad Al-Attars Theaterstück „Iphigenie“, das im Oktober in der Volksbühne zu sehen war.Die Flucht kreativ verarbeiten
Gleichzeitig beschäftigten sich ausnahmslos alle künstlerischen Arbeiten, die in Beirut gezeigt wurden, aber tatsächlich mit dem Thema der Flucht, des Geflüchtetseins oder dem Krieg in Syrien. Hiba Alansari etwa, die in München und Berlin lebt, arrangierte eine Installation und Performance um ein in den Trümmern einer nordsyrischen Stadt gefundenes Mathematikbuch („Math Book“). Der Filmemacher Orwa Al Mokdad dokumentierte den Zusammenbruch des Widerstands von Bürgermilizionären an der nordsyrischen Front („300 Miles“). Die Schriftstellerin Rasha Omran las einen Text über die Frage, warum sie sich nicht in der Lage fühlt, ihr Kairoer Exil zu verlassen. Und so weiter.Geflüchtete kommen nicht aus dem Nichts
Bezüglich der Wahrnehmung syrischer Künstler und Künstlerinnen in Europa fand Laila Hourai im Goethe-Institut deutliche Worte: „Flüchtlinge werden dort angesehen, als kämen sie aus dem Nichts. Aber sie haben einen Hintergrund, auch wenn man ihn in diesen Ländern nicht kennt. Es gibt Drama und Bildende Kunst in Syrien. Sie haben eine künstlerische und kulturelle Geschichte.“ Was tun? Am besten die Künstler dort unterstützen, wo sie noch halbwegs zu Hause sind: im Libanon zum Beispiel. Im Goethe-Institut meldete sich ein Besucher zu Wort und sagte: „Es gibt noch ein paar letzte Künstler in Syrien, es gibt all die vielen im Ausland und die dazwischen: in Beirut. Und ich will hier auf keinen Fall weg. Wenn ich nicht mehr in den Libanon zurückkommen könnte, würde ich meine Heimat ein zweites Mal verlieren.“In der Praxis sind westlichen Institutionen bei der Förderung von Kunst und Kultur im Ausland jedoch enge Grenzen gesetzt. „Für humanitäre Hilfe gibt es jede Menge Geld“, sagte Laila Hourai. „Aber Kunst und Kultur sind ebenso wichtig. Man glaubt es kaum, aber in den Flüchtlingslagern entsteht eine eigene künstlerische Sprache. In die sollte man investieren!“
Ideen aus Boxen
Und das von Anfang an. Beispielsweise mit den „Ideas Boxes“ des Goethe-Instituts, die seit einem Jahr, wenn auch erst in kleiner Zahl, in der Türkei, im Irak, in Jordanien und im Libanon eingesetzt werden können: multifunktionelle Boxen, die mit Büchern, Spielen, Mal-Utensilien, aber auch iPads und Computern gefüllt sind, um Kindern und Jugendlichen unter den Flüchtlingen kreative Angebote zu machen und Medienkompetenz zu vermitteln. In Choueifat, einer Stadt südöstlich von Beirut, in der zahlreiche syrische Flüchtlingsfamilien leben, sind einige der Boxen in einer Tagesbetreuung von syrischen Kindern durch die italienische Hilfsorganisation Intersos deponiert worden – begleitet durch die Vermittlungsarbeit von Künstlerinnen wie Stine Jacobsen aus Berlin.Sie erfand beispielsweise ein Spiel, bei dem Fünf- bis Achtjährige einander als lebende Kameras durch die Gegend schieben und entscheiden, wann der andere die Augen öffnen und etwas sehen darf. Verbunden damit waren Gespräche über die Frage, wer das Recht am Bild eines Menschen hat und Ermutigungen, dieses ruhig auch zu verweigern.
Die Kinder aus Choueifat
Am Samstagmittag eröffnete im Goethe-Institut eine Ausstellung mit Fotos, Objekten und Stop-Motion-Filmen, die die Kinder aus Choueifat gemacht haben. Die jungen Künstler waren sichtbar stolz, ein Junge schob sich mit einem Pappmaché-Objekt vor jedes auch nur beiläufig erhobene Handy und strahlte rückhaltlos, ein anderer dokumentierte das Geschehen sehr ernst selbst mit einer Spiegelreflex-Kamera.„Vielleicht sollten wir“, würde später am Tag, in der Podiumsdiskussion im Veranstaltungssaal, der Brite David Codling sagen, „alle Politiker und Stiftungschefs für vier Wochen an einen Ort bringen, an dem sie keine Musik hören, kein Buch lesen und keinen Film sehen können. Und danach fragen wir sie einfach noch einmal, für wie wichtig sie die Förderung von Kunst und Kultur im politisch gefährdeten Ausland halten.“