„Carola Neher – Schicksal einer deutschen Schauspielerin“
Tod im Exil

Carola Neher als Polly Peachum in G. W. Pabsts Adaption von Brechts Dreigroschenoper (1931)
Carola Neher als Polly Peachum in G. W. Pabsts Adaption von Brechts Dreigroschenoper (1931) | Foto: Michail Konchits/Memorial

Eine deutsche Emigrantin zwischen zwei ideologischen Extremen. Seit Dezember ist die Ausstellung „Carola Neher – Schicksal einer deutschen Schauspielerin“ in der Moskauer Niederlassung der internationalen Menschenrechtsorganisation Memorial zu sehen. Die vom Goethe-Institut Moskau unterstützte Schau beleuchtet sowohl die Licht- als auch die Schattenseiten des Lebens einer der herausragensten Bühnenschauspielerinnen der Weimarer Republik.

Anfang der 1920er-Jahre reißt eine junge Münchnerin aus bürgerlicher Familie von zu Hause aus und kündigt die sichere Anstellung bei einer Bank, um in nur wenigen Jahren zu einer der prominentesten Schauspielerinnen der Weimarer Republik aufzusteigen. Während ihrer gerade einmal zehn Jahre dauernden Laufbahn interpretiert sie eine Vielzahl von Rollen, wird zur Lieblingsdarstellerin Bertolt Brechts und erobert Europas Bühnen im Sturm. Ihr Konterfei ziert sowohl die Titelseiten von Modejournalen als auch Zigarettenbilder. Carola Neher boxt, fährt Auto, besteigt den Berliner Funkturm und symbolisiert somit ein neues, unabhängiges, gleichberechtigtes Selbstverständnis als Frau.

Kuratorin und Leiterin von Memorial International Irina Scherbakowa eröffnet die Ausstellung
Kuratorin und Leiterin von Memorial International Irina Scherbakowa eröffnet die Ausstellung | Foto: Michail Konchits/Memorial

Bühnenstar der 1920er-Jahre

Der erste, ganz in weiß gehaltene Ausstellungsbereich zeigt Fotografien, Zeitungsausschnitte und biografische Materialien, die Nehers Jugendjahre sowie ihren rasanten Aufstieg zum gefeierten Bühnenstar in den 1920er-Jahren veranschaulichen. Auch G. W. Pabsts Adaption von Brechts Dreigroschenoper (1931) mit ihr in der Rolle der Polly Peachum ist hier zu sehen. Doch dann werden Wände und Boden schwarz: Carola Nehers Leben ändert sich schlagartig, als die überzeugte Marxistin sich in den rumänischen Kommunisten Anatol Becker verliebt und mit ihm nach Moskau übersiedelt. Die Sowjetunion gilt vielen westlichen Linken damals als letztes Bollwerk des Kommunismus. Doch die romantischen Erwartungen werden enttäuscht: Auch in Moskau werden die Lebensmittel rationiert, überall im Land herrscht Hunger, allein die Nomenklatura kann sich ein „normales“ Leben leisten. 1934 unterschreibt Neher gemeinsam mit Schriftstellern wie Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann ein Manifest gegen die Übernahme des Saargebiets durch Hitlerdeutschland. Wie allen übrigen Unterzeichnern wird ihr daraufhin die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Da sie keinen sowjetischen Pass besitzt, hängt Carola Neher plötzlich in der Luft.

Die Ausstellung zeigt nicht nur Bilder der Schauspielerin, sondern auch Tonaufnahmen aus dem privaten Archiv von Nehers Sohn Georg Becker
Die Ausstellung zeigt nicht nur Bilder der Schauspielerin, sondern auch Tonaufnahmen aus dem privaten Archiv von Nehers Sohn Georg Becker | Foto: Michail Konchits/Memorial

Verhaftung im Exil

Verzweifelt sucht Neher nach Engagements, hält sich mit Konzerten und Radiosendungen für die deutsche Diaspora über Wasser. 1936 wird sie gemeinsam mit Anatol Becker wegen Verdachts auf trotzkistische Verschwörung inhaftiert; nur wenig später läutet der erste Moskauer Schauprozess die Säuberungen des Großen Terrors ein. 1937 wird Anatol Becker erschossen, Neher zu zehn Jahren Haft verurteilt. Am 26. Juni 1942 stirbt sie im Durchgangsgefängnis Sol-Ilezk im Südural am Fleckfieber. Bis zuletzt hält sie sich mit Gymnastik fit, rezitiert Gedichte und schreibt Briefe auf Zeitungspapier. Vor allem forscht sie nach dem Schicksal ihres 1934 geborenen Sohnes Georg.

Ineinandergreifen von privater und öffentlicher Geschichte

Dass die Lebensgeschichte des Repressionsopfers Carola Neher heute so gut bekannt ist, ist zu großen Teilen dem Engagement ihres Sohnes zu verdanken. Georg Becker, der in einem sowjetischen Kinderheim aufwuchs, erfuhr erst nach Stalins Tod von der Identität seiner Eltern. 1959 erhielt er eine Rehabilitierungsbescheinigung für seine Mutter. Dank der Unterstützung durch Lew Kopelew, Heinrich Böll sowie weitere deutsche Persönlichkeiten aus Politik und Kultur konnte er in den 1970er-Jahren nach Westdeutschland ausreisen. Mehr als dreißig Jahre lang sammelte er jegliche Informationen über seine Eltern und die Menschen in ihrer Umgebung. Den Besuchern der Carola-Neher-Ausstellung ermöglicht diese Fülle an Materialien eine Reise von der Blütezeit der Weimarer Republik in die Zellen der sowjetischen Straflager.

Neben Ausschnitten aus deutschen und sowjetischen Zeitungen der 1920er- und 1930er-Jahre finden sich in der Ausstellung auch Briefe und Gedichte von Bertolt Brecht. Das Ineinandergreifen von privater und öffentlicher Geschichte wird so für das Publikum unmittelbar erfahrbar. Von Carola Nehers letzten Tagen wissen am Ende der Ausstellung dagegen nur noch offizielle Dokumente zu „berichten“.

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