Residenz Ludlow 38
Vor dem Gesetz
Vom Anwalt zum Kurator. Der diesjährige Gastkurator im Residenzprogramm MINI/Goethe-Institut Curatorial Residencies Ludlow 38 in New York spricht über seine kuratorische Praxis, den NSU-Prozess und seine Faszination für die Schnittpunkte von Kunst und Recht.
Avi Feldman arbeitete in Israel zwei Jahre lang als Anwalt, bevor er seiner künstlerischen Berufung folgte. Er gründete ein Videofestival in Israel und begann eine Promotion in Kuratorischer Praxis, die er gerade abgeschlossen hat. Seine Forschungen führten ihn dann nach Deutschland. Mit dem anerkannten Rave-Stipendium des ifa erforschte er die Videoarchive des Neuen Berliner Kunstvereins und blieb – zumindest in Teilzeit. Seitdem pendelt Feldman zwischen Deutschland und Tel Aviv, organisiert Workshops und Begegnungen zwischen Künstlern und Juristen, um die Schnittpunkte von Kunst und Recht zu untersuchen.
Kurator sein ist eine Frage der Verhandlung
Sie kuratieren das diesjährige Ludlow 38 Programm. Haben Sie eine bestimmte Herangehensweise an neue Orte?Kurator zu sein, ist immer eine Frage der Verhandlung, der Zusammenarbeit, und natürlich ist es auch eine Frage von Macht und Geld. Somit muss jedes Projekt eine Reihe sehr unterschiedlicher Fragen beantworten und deswegen ist jede Ausstellung anders. Etwas, das mich immer mehr interessiert, ist, einen Raum als einen Ort mit Erinnerungen und einer Ansammlung von Informationen zu verstehen, mit einem Gedächtnis und Spuren der Vergangenheit. Ich möchte den Raum der Ludlow 38 Galerie und seine Umgebung verstehen lernen – seine Lage, die mit ihm verbundenen Institutionen, wie das alles funktioniert. Ich möchte diese Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart verstehen lernen und interessiere mich dafür, wie ein Ort wie dieser hier sich über die Zeit entwickelt und wichtiger wird.
Was bedeutet die Ludlow 38 Residenz für Sie?
In vielerlei Hinsicht ist Ludlow 38 für mich eine Gelegenheit, die Projekte, an denen ich in den letzten zwei Jahren gearbeitet habe, zu erweitern und darüber hinauszugehen. Bei Ludlow 38 kann ich diese Vision einem breiteren Publikum zugänglich machen und in Beziehung zu Deutschland, den Vereinigten Staaten und Israel setzen. Das Residenzprogramm ermöglicht es mir, meinen Ideen weiter nachzugehen, die ich nunmehr unter dem Titel „Agency for Legal Imagination“ zusammenfasse. Diese Ideen kommen von theoretischen, eher akademischen Gedanken, aber die Frage ist jetzt: Wie kann ich sie in Ausstellungen, Veranstaltungen, Performances, Filmvorführungen und anderen Formaten umsetzen?
Die Schnittpunkte von Kunst und Recht
Woher kommt Ihre Faszination für die Schnittpunkte von Kunst und Recht?2010 kuratierte ich meine erste große Museumsausstellung. Als ich diese Ausstellung plante, ließ ich die juristische Dimension ganz außen vor. Aber als ich mich daran machte, den Text für den Katalog zu schreiben, zitierte ich auf einmal Beschlüsse des Obersten Gerichtshofs von Israel. Als ich mich für die Kunstwelt entschied, glaubte ich, alle juristischen Denkansätze und Theorien hinter mir gelassen zu haben und diese nicht mehr brauchen zu können. Aber dann fiel mir auf, dass einige Ressourcen, das Wissen und die Quellen aus der Juristerei meiner kuratorischen Praxis wirklich faszinierende Perspektiven eröffnen konnten. Da merkte ich, dass es etwas zwischen Kunst und Recht gibt, das näher erkundet und zuerst einmal benannt werden musste, um den faszinierenden Einfluss zu erkunden, den das Recht auf unsere künstlerische Arbeit hat und haben kann, und übrigens auch auf unser Alltagsleben.
Ihre erste Ausstellung bei Ludlow 38 „We Indict! Unraveling Structural Racism in Germany“ folgt auf einen fünftägigen Workshop namens „Tribunal – NSU-Komplex auflösen“, der sich mit dem NSU-Prozess in Deutschland aus der Sicht von Migranten beschäftigte. Warum wollten Sie dieses Projekt bei Ludlow 38 zeigen?
Als ich das Ludlow 38 Residenzstipendium bekam, wusste ich, dass ich mich in einer deutschen Institution vor allem auch mit drängenden deutschen Fragestellungen auseinandersetzen musste. Mehr über den NSU-Prozess zu erfahren, war verstörend für mich: Die Art, wie er in den Medien dargestellt wurde, wie den Opfern, die Migranten waren, keine Stimme gegeben und ihnen nicht zugehört wurde, wie sie nicht die Gelegenheit bekamen, ihre Gefühle und ihr Wissen zu teilen. Als jemand, der in Deutschland lebt, störte mich das immer mehr.
Inspiriert von Forensic Architecture
Als ich dann bei der letzten documenta ein Video von Forensic Architecture sah – die vom Tribunal eingeladen wurden, eine Gegenermittlung zu führen –, ist mir klargeworden, dass ich für meine erste Ausstellung bei Ludlow 38 mit ihnen in Kontakt treten musste. Ich habe Glück, Timo (Glatz) und Gesine (Schuett), mit denen ich diese Ausstellung gemeinsam kuratiere, schon seit langer Zeit zu kennen. Wir konnten uns Bilder von zahlreichen Demonstrationen, Reden, Performances und anderen Ereignissen aus der Zeit vor, während und nach dem Tribunal beschaffen. Diese werden alle bei Ludlow 38 in Form eines Gegenarchives zum ersten Mal in den USA ausgestellt. Im Gegensatz zu anderen Tribunalen der Vergangenheit war dieses nicht Anlass dafür, ein Ermittlungsverfahren zu fordern, sondern zu zeigen, dass das existierende Verfahren nicht funktioniert.Was möchten Sie bis Ende des Jahres bei Ludlow 38 erreicht haben?
Ich hoffe, dass wir bis zum Jahresende unser Publikum vergrößern und erweitern können. Ich hoffe, dass wir etwas dazu beigetragen haben werden oder einen Einfluss darauf ausüben konnten, wie Künstler, Kuratoren, Kulturinstitutionen, Rechtsexperten und Rechtswissenschaftler über das Verhältnis zwischen Kunst und Recht denken.