Kunst jenseits der Kunst
Wolkenkratzer und Graffiti
In Brasilien wird darüber gestritten, wem die Kunst gehört. Anfang April haben drei Kunsthistoriker gemeinsam mit dem Goethe-Institut Porto Alegre ein Symposion ins Leben gerufen, das parallel zur 11. Biennale stattfand und nach Antworten suchte.
Wäre das schöne Porto Alegre in Deutschland, würde man es mit seinen anderthalb Millionen Einwohnern eine Großstadt nennen. In Brasilien aber, in dessen Süden es liegt, wird es als überschaubar empfunden. São Paulo und Umland haben fast zweiundzwanzig Millionen Einwohner. Rio de Janeiro mehr als elf Millionen.
Bruna Fetter, Kunsthistorikerin aus Porto Alegre, hat klare Vorstellungen davon, wie es besser laufen könnte in ihrer Stadt. Nachdem sie vor einigen Jahren einen ganzen Abend lang mit einer Freundin über die Politik geschimpft hatte, beschlossen die beiden, zu verändern, was sie ändern können. Mikropolitik. Fetters Vision klingt zunächst bescheiden: „Ich wünsche mir, dass mehr Menschen bei uns ins Museum gehen.“ Wir seien nicht in Europa, sagt Fetter, wo das selbstverständlich sei. Sie spricht fließend Englisch und Deutsch. Als sie vor zehn Jahren zum Produktionsteam der 6. Biennale gehörte, das auch das Bildungsprogramm organisierte, seien die Kinder mit ihren Lehrern in Bussen gekommen. Am Wochenende brachten die Kinder dann ihre Eltern mit. Die Biennale wurde zu einer Bildungseinrichtung, von denen es in Brasilien zu wenige gibt. „Die Biennale kann Öffentlichkeit herstellen“, so Fetter.
Eine alternative Biennale
Mit ihrer Meinung ist sie nicht alleine. Zusammen mit zwei Kollegen von der Universität, der Professorin Maria Amélia Bulhões und dem Doktoranden Nei Vargas da Rosa, hat sie einen Gegenentwurf für die Biennale bei deren Beirat eingereicht. Im Zentrum dieser alternativen Biennale sollte die Bildungsidee stehen. Ein Beiratsmitglied unterstützte den Vorschlag, der Rest lehnte ab. Für Experimente war man in der Leitung auch deshalb nicht offen, weil es 2016 zu einem Skandal gekommen war. Man hatte sich nach dem Riesenspektakel gesehnt und die größte Biennale in der Geschichte der Stadt geplant. Am Ende blieb ein Millionendefizit und die Beschwerden vieler Künstler, deren Werke bestellt und nie abgeholt wurden. Nun empfinden viele die diesjährige Ausgabe wieder als einen Fremdkörper. Mit internationalen Künstlern und wenig Anbindung an die Stadt.Was den Fall Porto Alegre besonders macht, ist nicht, dass es Kritik an der Biennale gibt. Sondern dass diese sich ein Forum gesucht hat. Der Erfolg davon, die Debatte in die Öffentlichkeit zu tragen, überrascht dann aber doch: Zusammen mit Marina Ludemann vom Goethe-Institut in Porto Alegre riefen die drei Kunsthistoriker ein Symposion ins Leben, das parallel zur Eröffnung der Biennale im April stattfand. „Kunst jenseits der Kunst“ lautete der Titel, und der Zulauf war groß. Die Beiträger kamen von siebzehn Universitäten, vor allem aus Brasilien und Portugal. Mehr als hundert Zuhörer schrieben sich ein, in einer Stadt, in der die meisten tagsüber anderes zu tun haben, als Konferenzen zu besuchen, und abends nicht mehr gerne auf die Straße gehen.
Wem gehört die Kunst?
„Wer entscheidet, was Kunst ist?“, fragt Maria Amélia Bulhões auf der Tagung und meint die Frage sehr ernst. Als wenige Tage nach der Konferenz die renommierte Kunstmesse SP-Arte in São Paulo stattfindet, kann man auch Nei Vargas da Rosa mit einem Stapel Umfrageformulare treffen, die er an die Händler und Galeristen verteilt. „Befördert der Kunstmarkt die Sammeltätigkeit in Brasilien?“ Seine Doktorarbeit schreibt er über Inhotim, das berühmte Freilichtmuseum und Zentrum für Gegenwartskunst, um das sich gerade die gesamte Kunstwelt Sorgen macht.Kurzum: In Brasilien wird gerade darüber gestritten, wem die Kunst gehört. Der Mittelschicht? Der Oberschicht, den Banken und Investoren? Besteht überhaupt noch Hoffnung, dass Kunsteinrichtungen auch Armen eine Öffentlichkeit bieten können?
Die drei Kunsthistoriker aus Porto Alegre jedenfalls wollen sich nicht mehr damit abfinden, die Kunstwelt wie einen Zauberzylinder anzustarren und die Kaninchen zu bestaunen, die daraus hervorgeholt werden. Das Fach muss mehr leisten. Hinter die Kulissen schauen. Tricks verstehen. Doppelte Böden finden. Selbst auf die Bühne gehen. Unterstützung kommt von vielen Seiten, zum Beispiel der Galerie Mamute. Warum gibt eine Galerie Geld für eine öffentliche Konferenz? „Weil ich es großartig finde“, antwortet die Gründerin Niura Borges. In ihre Räume lädt sie Studenten ein, um ihre Arbeiten vorzustellen. Dann wird diskutiert.
„Wolkenkratzer und Graffiti“ von Julia Voss erschien am 22.04.2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Dies ist eine gekürzte Fassung.
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