Welt / Bühne
Im Paradies der Dramaturgen
Fünf junge Autoren und Autorinnen aus verschiedenen Kontinenten sind für eine gesamte Spielzeit zusammengekommen und haben gemeinsam Stücke entwickelt. Sie erzählen vom Sich-Öffnen, Sich-Verschließen, von den Unterschieden und den Zwischenräumen, die eine Begegnung erst ermöglichen. Diesen Sommer werden alle Werke, die durch Unterstützung des Goethe-Instituts ins Deutsche übersetzt wurden, im Münchner Marstall uraufgeführt.
Was passiert, wenn man Autorinnen und Autoren von verschiedenen Erdteilen miteinander ins Gespräch bringt? Wie reagieren diese fünf Menschen, alle im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, aufeinander? Und welche Perspektive auf die Gegenwart puzzelt sich da zusammen, aus den unterschiedlichen Sichtweisen von Susanna Fournier aus Kanada, Zainabu Jallo aus Nigeria, Maria Milisavljević aus Deutschland, Santiago Sanguinetti aus Uruguay und Pat To Yan aus Hongkong?
Die Chemie stimmt
„Das Ganze gleicht einem chemischen Experiment“, sagt Sebastian Huber, Chefdramaturg am Münchner Residenztheater. „Anfangs waren wir uns gar nicht sicher: Kommt es überhaupt zu einer Reaktion? Oder sind die Unterschiede womöglich zu groß?“ Ein Auftakt-Workshop im November 2017 beseitigte alle Zweifel. Schnell erwies sich: Die Chemie stimmt. Die Dramatikerinnen und Dramatiker waren mit Stückskizzen und ersten Entwürfen angereist. Im Austausch darüber zeichneten sich rasch Gemeinsamkeiten ab.„Drinnen oder draußen? Wir und das Fremde!“, das seien die Gegensätze, an denen er und seine Kolleginnen und Kollegen sich abarbeiteten, erklärt Pat To Yan. Wobei das Thema, je nach Herkunft, unterschiedliche Dringlichkeit hat. In Hongkong etwa kämpft Pat To Yan mit der Zensur, die seiner Entfaltung enge Grenzen setzt. Kein Wunder also, dass er sich am Münchner Residenztheater so fühlt, als wäre er im Paradies der Dramaturgen. Die Nigerianerin Zainabu Jallo bringt ein sehr konkretes Bild von der Not mit, die Menschen dazu bewegt, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um Grenzen zu überwinden. Dass sich Grenzen als verbindendes Thema herausstellten, ist natürlich nicht ohne Ironie und erzählt viel über unsere Gegenwart. Im Arbeitsprozess bildete diese bittere Erkenntnis freilich eine tragfähige Basis, auf der sich gemeinsam aufbauen ließ.
Bis März 2018 hatten die Autoren und Autorinnen Zeit, ihre Texte auszuarbeiten. Das Goethe-Institut sorgte für die Übersetzungen ins Deutsche. Dann stießen die Regie-Teams dazu, um die Stücke mit dem Ensemble des Residenztheaters einzustudieren. Gemeinsam wurde noch einmal an Dramaturgie und Dialogen gefeilt. Im Frühsommer schließlich starteten die Proben.
Kriege, Krisen, Endzeitstimmung
Pat To Yans „Bis ans Ende ihrer Tage“ etwa erzählt von einem Geschwisterpaar, das nach einer nicht näher definierten Katastrophe durch eine Sperrzone irrt. Susanna Fournier hat den Antigone-Mythos überschrieben und Maria Milisavljević mit „Auf ewig unser Gestern“ eine Stimmensinfonie komponiert, in der die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Heimkehrern und Heimatsuchern verschwimmen.Zusammengenommen ergibt das ein reichlich düsteres Bild dieser Welt: Kriege, Krisen, Endzeitstimmung. „Klar ist das ungemütlich für die Zuschauer“, findet Zainabu Jallo, aber das Nachdenken über den Zustand der Welt sei nun mal die Voraussetzung dafür, etwas daran zu ändern. „Und“, ergänzt Maria Milisavljević, „wir schreiben über das Ende hinaus!“ Theater könne die Welt nicht verändern, „aber es kann Ideen Raum geben, die die Realität erstickt.“
In der Begegnung mit solchen Ideen öffnet das Theater einen utopischen Raum. Real und konkret ermöglicht es aber auch die Begegnung von Menschen. Für das Projekt „Welt / Bühne“ gilt das in besonderem Maße: Erst versammelte es Theatermacher aus aller Welt in München. Nun gehen die mit dem Publikum vor Ort eine neue Gemengelage ein. Das Experiment geht weiter. Welche Energien setzt dieser Begegnungsprozess frei? Ausgang offen.