Portion of Libya
Jede Kamera ist verdächtig

Journalistin und Fotografin Heba Alshibani mit einem Besucher
Journalistin und Fotografin Heba Alshibani mit einem Besucher | Foto: Zayene Bechir

Oft ist die Berichterstattung über Libyen auf Milizen und illegale Migration beschränkt. Zehn junge libysche Fotografinnen und Fotografen haben sich zum Ziel gesetzt, ein vielfältigeres Bild ihres Heimatlands zu zeigen. Den Auftakt machte eine Ausstellung, die vom Goethe-Institut in Tunis organisiert wurde.

Ein Torbogen in der Altstadt von Tripolis, der in eine enge Gasse führt. Dahinter gräulich-braune Fassaden mit hellblauen Türen, von denen der Lack blättert. Ganz am Ende der Gasse ein älterer Mann in traditionellem Gewand, der in sein Haus eilt. Herunterhängende Stromleitungen verbinden Klimageräte und Laternen, deren gelbes Licht es nicht vermag, den Weg zu erleuchten. Der einzige Farbklecks auf dem Foto gehört zu den knallroten Fußballtrikots der beiden jungen Männer im Zentrum. „Libya“ steht auf dem T-Shirt des linksstehenden – er selbst ist gar kein Libyer, sondern einer von vielen Migrantinnen und Migranten, die in der Altstadt von Tripolis eine Bleibe gefunden haben.

Ein Besucher der Ausstellung „Portion of Libya“ vor Heba Alshibanis Fotos
Ein Besucher der Ausstellung „Portion of Libya“ vor Heba Alshibanis Fotos | Foto: Zayene Bechir

Fotografieren im Vorbeifahren

Aufgenommen hat das Bild, das Anfang August in der Galerie Le 15 in Tunis zu sehen war, die libysche Journalistin und Fotografin Heba Alshibani, eine von zehn Beiträgerinnen zu der Gruppenausstellung „Portion of Libya“. Für die Fotoaufnahmen reiste Heba das erste Mal seit mehreren Jahren aus ihrem Exil in Malta zurück in ihre libysche Heimat. Anfang Mai hatte sie an einem einwöchigen Einführungsworkshop in Tunis teilgenommen, geleitet vom deutsch-französischen Expertenduo Jens Ullrich und Samuel Gratacap.
 
Alle ausgestellten Fotos wären schnell entstanden, oft aus dem Auto heraus, erzählt die junge Frau bei einem Kaffee am Tag nach der Ausstellung. Sie hätte ihre ganze Familie mobilisiert – Mutter, Tochter, Cousinen, um möglichst unverdächtig durch die Altstadt von Tripolis zu schlendern und Bilder zu machen.

Der Künstler Osama Byala im Gespräch
Der Künstler Osama Byala im Gespräch | Foto: Zayene Bechir

Bevor die Stadt zum Leben erwacht

Sich offen mit einem Fotoapparat zu zeigen ist keine Selbstverständlichkeit in Libyen, das weiterhin von rivalisierenden Milizen kontrolliert wird. Jede Kamera ist verdächtig. Ahmed Buhayh, der sich in seiner Arbeit auf Türen und Fenster in der Altstadt von Tripolis fokussiert, berichtet, dass er der Sicherheit halber mit Vertretern verschiedener Milizen losgezogen wäre, die in der Altstadt das Sagen haben. Diese wiederum hätten sichergestellt, dass er auch wirklich nur Türen und Fenster fotografiert und nicht etwa Armut oder illegale Migration, wie es die ausländischen Pressefotografen normalerweise tun.
 
Haroon Alajnaf wiederum verließ das Haus sehr früh am Morgen, bevor die Stadt zum Leben erwacht, um Fotos zu schießen. Entsprechend menschenleer sind seine Aufnahmen eines Straßenzugs in der Küstenstadt Misrata. In den zerschossenen Gebäuden würde niemand mehr wohnen, die Cafés im Erdgeschoss wären tagsüber jedoch gut besucht, erzählt der Zwanzigjährige den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung.

Der Künstler Mohamed El-Bosifi im Gespräch mit einer Besucherin
Der Künstler Mohamed El-Bosifi im Gespräch mit einer Besucherin | Foto: Zayene Bechir

Vor verschlossenen Türen

Das Scout Theatre in Tripolis, das Ibrahim Mokthar fotografieren wollte, empfängt indes nur noch selten Publikum. Mehrmals stand der junge Fotograf vor verschlossenen Türen. Und als es ihm endlich gelang, ins Innere vorzudringen, war er von Dunkelheit umgeben. Stromausfälle stellten auch eine große Herausforderung während der Online-Coaching-Phase des Projekts dar. Ibrahim löste das Problem, indem er in der Ausstellung schließlich nicht nur Fotos zeigte, sondern auch Auszüge aus seinem Tagebuch, die verdeutlichen, wie schwierig es ist, sich in Libyen künstlerisch zu betätigen – und wie wichtig.


Judith Mirschberger leitet das Goethe-Institut Tunis.
 

 

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