„bauhaus imaginista“ in Lagos Eine Art tropische Moderne
Auf dem Symposium „Decolonizing the Campus“ in Lagos setzen sich im Rahmen von „bauhaus imaginista“ zahlreiche Architektinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland kritisch mit der Gestaltungslehre und den Universitätsbauten in den Anfangs- und Übergangsjahren der nigerianischen Unabhängigkeit auseinander. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Obafemi Awolowo University in Nigeria, die 1961 aus Protest gegen die britische Bildungspolitik am Ende der Kolonialherrschaft gegründet wurde.
Größer könnte der Kontrast kaum sein zwischen Lagos und dem Uni-Campus in Ife, vier Busstunden voneinander entfernt. Während das überquellende, aber auch äußerst lebendige Lagos mit seinen 18 Millionen Einwohnern und seiner kaputten Infrastruktur als eine der härtesten Städte des Kontinents gilt, ist die Uni im Grünen eine Oase: ruhig, mit zahlreichen Rückzugsräumen und viel Platz zum Studieren. 35.000 Studentinnen und Studenten aus fast allen Disziplinen sind hier eingeschrieben, natürlich auch im Bereich Architektur - es ist die erste vollständige Fakultät dieser Art nach der Unabhängigkeit Nigerias in den 60er Jahren. Zu Beginn unterrichteten hier vor allem Europäer, inzwischen sind die Lehrkräfte „all black“, wie Ife-Professorin Dolapo Amole auf dem Symposium in Lagos betonte. Vielleicht wurde an dieser Stelle auch der Titel der Veranstaltung „Decolonizing the Campus“ klarer.
Ein Symbol der Unabhängigkeit
Eins ist sicher: Dieser Campus der Universität von Ife ist auch ein Projekt der Selbstbehauptung, ein Symbol der Unabhängigkeit, ein Zeichen der Befreiung von der Kolonialzeit. Auch wenn man einwenden könnte, dass doch ausgerechnet ein westlicher Architekt diesen Campus baute, so wird der Israeli Arieh Sharon keineswegs als Fremder betrachtet. Man sah ihn schon damals als Vertreter eines Landes, das sich während der Mandatszeit selbst Unabhängigkeit von den Briten erkämpfte. Zudem war Sharon einer der wichtigsten Architekten des Landes, der dutzende Städte und hunderte Dörfer nach der Staatsgründung Israels projektierte und sich im Aufbau völlig neuer Strukturen bestens auskannte. Gelernt hatte Sharon sein Handwerk im späten Bauhaus Ende der 20er Jahre in Dessau bei Hannes Meyer. Und das war nicht mehr der ästhetische, feingliedrige Stil der frühen Bauhaus-Jahre, sondern das war „industriell: raumgreifend, systematisch, funktionell“, wie der israelische Architekt Zvi Efrat auf dem Symposium betonte. Sharon ließ die Moderne in den Tropen zu ihrem Recht kommen - mehretagige Betonstrukturen, Brücken, Plätze, Auditorien.
Bauen in den Tropen
Eine Art tropische Moderne, die der Bauhaus-Schüler hier in 20 Jahren Bauzeit als sein Lebenswerk errichtet hat. Größte Herausforderung für das Bauen in den Tropen: das Wetter - feucht und heiß, die Sonne erbarmungslos. Man müsste theoretisch ein Kraftwerk betreiben, um auf einem solch großen Campus eine künstliche Klimatisierung hinzubekommen. Darauf hat Sharon allerdings verzichtet. Der Großteil der Seminarräume und Vorlesungssäle hat keine Fenster. Gekühlt wird durch einen Schornsteineffekt: In der Mitte haben viele Gebäude ein langgezogenes, offenes Atrium, das Erdgeschoss wiederum ist meist offen, sodass ein natürlicher Luftzug entsteht, der sich im Gebäude abkühlt und ein Studieren in den Tropen erst möglich macht. Zweite Herausforderung neben der heißen Luft: die Sonne. Dafür hat Sharon einfach die Gebäude nach oben breiter werden lassen, sodass die oberen die unteren Etagen verschatten. Sharon hat das Bauen in den Tropen perfektioniert. Die südafrikanische Architektin Hannah le Roux hob hervor, wie er es verstand, Gebäude nicht als künstliche Konstrukte anzusehen, sondern als „zweite Haut“. Wer sich auf dem Campus bewegt, wird sehen: Er funktioniert! Keine Moderne-Müdigkeit wie so oft im Westen, sondern natürliche Nutzung, auch wenn die Campus-Bauten hier und da einer Auffrischung bedürfen. Die Moderne altert leider nicht so schön. Beim Besuch auf dem Campus haben deutsche und nigerianische Vertreter vereinbart, eine Initiative zu starten, um diesen Ort auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes zu bringen.
Tiefgreifende Recherchen
Mit Nigeria ist die Jubiläums-Bauhaus-Karawane an einen der außergewöhnlichsten Orte gereist, an dem das Bauhaus seine Spuren hinterließ. Und das Schöne auch hier wie in Japan, in Brasilien und Marokko: das „bauhaus imaginista“-Projekt hat nichts mit westlicher Export-Förderung einer legendären Design-Schule zu tun, sondern es leistet langwierige Recherchen vor Ort: tief eingebunden in die örtlichen Strukturen, neugierig auf das, was im jeweiligen Land Bauhaus bedeutet, aber eben auch ein Sammeln von alldem, was auf das Bauhaus zurückgewirkt hat. Nicht zuletzt ist es auch ein Herausstellen der politischen Dimension des Bauhauses, was automatisch ein Abrücken von einer rein europäischen Perspektive einschließt.