„German Stories“ auf der Taipei International Book Exhibition 2019 „Die Daten müssen geschützt sein, damit man frei sein kann“
Unter dem Motto „German Stories“ präsentiert sich Deutschland auf der Taipei International Book Exhibition 2019. Auf Einladung der Frankfurter Buchmesse, des Goethe-Institut Taipei sowie des Deutschen Institut Taipei stellen 13 deutsche Autorinnen und Autoren ihre Werke im Tandem mit taiwanesischen Autoren vor. Der Bestsellerautor Marc-Uwe Kling sprach mit dem Journalisten und Buchautor Yu Li Lin über seine Zukunftssatire „Qualityland“.
Von Jan Küveler
Man kann ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass der Rundfunk Berlin-Brandenburg in Tapei nicht besonders ausgiebig gehört wird. Und es spricht auch wenig dafür, dass die Erzeugnisse der deutschen Kleinkunstszene im Handelsvolumen zwischen Deutschland und Taiwan eine erhebliche Rolle spielen. Trotzdem strömen die Besucherinnen und Besucher der Buchmesse im Tapei Convention Center in Scharen zum deutschen Stand, wo der Liedermacher, Kabarettist und Autor Marc-Uwe Kling über seinen aktuellen Roman spricht und am Ende eine dieser kleinen Känguru-Geschichten lesen wird, mit denen er eben da, im rbb und auf deutschen Kleinkunstbühnen, bekannt geworden ist.
Von Algorithmen bestimmt
Womöglich wirkt ein Effekt, den der sympathische Enddreißiger mit Zehn-Tage-Bart und blauer Schiebermütze in seinem Roman „Qualityland“ beschreibt: Dass wir schon beinahe in einer Welt leben, in der die Algorithmen und die von ihnen gesteuerten Konsumsysteme längst wissen, wer wir sind und was wir brauchen, bevor wir selbst je darauf kommen könnten. Nach diesem Prinzip hat Kling eine Welt entworfen, in der die Leute eine Art Nützlichkeitsscore zwischen 1 und 100 und in Folge die entsprechenden Produkte zugewiesen bekommen, egal ob es sich um Tiefkühlpizza oder den Lebenspartner handelt. Womöglich gibt es ein derartiges System in Taiwan schon, und wir haben es in Europa einfach noch nicht mitbekommen. Es ist jedenfalls erstaunlich voll, obwohl weder „Qualityland“ noch die Känguru-Trilogie bislang ins Chinesische übersetzt sind. Das Gespräch unter dem Titel „Von Menschmaschinen und Maschinenmenschen“ zwischen Kling und dem in Berlin lebenden Übersetzer Yu Li Lin ist geprägt von jenem gut gelaunten Fatalismus, der auch den aktuellen Roman auszeichnet. Kling berichtet von einer Wanderung auf den nahen Elefantenberg. Von dort hat man an schönen Tagen eine tolle Sicht auf die Stadt. Leider sei es kein schöner Tag gewesen. Da habe er gedacht, jemand müsse die App ClearSky entwickeln, die auf Knopfdruck die Wolken weichen lasse, zumindest im Display des Smartphones. Aber dann habe er eingesehen, dass diese Lösung sicher sofort wieder gegen die lauteren Interessen der Menschen eingesetzt werden würde: Der Entwickler würde Geld dafür verlangen und den Service zum Fernzugriff freigeben, sodass niemand mehr die Beschwernis auf sich nähme, den Elefantenberg zu besteigen. Alle säßen faul zu Hause und genössen die ClearSky-Aussicht. So gerinnt eine Utopie in Sekundenschnelle zur Dystopie.
Der schöne Schein trügt
Es geht in dem Gespräch viel um „Qualityland“, das in seinen zwei Editionen vorn auf dem kleinen Tisch steht, hell und dunkel. Die helle Ausgabe ist positiver, propagiert eine Weltsicht, in der alle Probleme durch Technologie lösbar sind, die „Silicon-Valley-Sicht“, so Kling. Die dunkle Ausgabe gebe sozusagen die „Donald-Trump-Fox-News“-Perspektive wieder, in der „immer die anderen schuld“ seien und überhaupt alles eine Katastrophe. Kling erzählt von den Folgen des Ratingsystems im Roman, das den Menschen in ein virtuelles Gefängnis stecke, das sich schnell als reales erweise. Wohne man beispielsweise in einer Gegend, in der andere Leute in der Vergangenheit ihre Kredite nicht bedient haben, bekäme man selbst keinen mehr, jedenfalls mit viel größerer Wahrscheinlichkeit als andere Leute, die in einer in den Augen des Ratingsystems besseren Gegend lebten. So spiele die tatsächliche Situation des Individuums keine Rolle, es gehe immer um das Hochrechnen auf eine Gruppe. Die Zugehörigkeiten zu solchen Gruppen entscheide die Maschine, nicht der Mensch. Darin, sagt Kling, liege die wahre Gefahr des kollektiven Teilens von Daten. Das sei der Trugschluss all jener, die sagen, sie hätten doch nichts zu verbergen. Sie würden ganz schnell Folgen zu spüren bekommen, die gar nicht aus ihrem eigenen, individuellen Verhalten erwachsen, sondern aus einer hochgerechneten Annahme über das ihnen zugewiesene Milieu. „Die Daten“, sagt Kling, „müssen geschützt sein, damit man frei sein kann.“