das goethe: Ausgabe 1/2019
Blinde Flecken und Doppelmoral

Die aktuelle Ausgabe von „das goethe" behandelt das Thema „Kulturen der Gleichberechtigung“
Die aktuelle Ausgabe von „das goethe" behandelt das Thema „Kulturen der Gleichberechtigung“ | Angepasste Grafik: Ludwig Nachtmann

Am 13. Juni erscheint die neue Ausgabe von „das goethe“ mit dem Thema „Kulturen der Gleichberechtigung“. Vorab lesen Sie hier, wie die aus Ägypten stammende Anthropologin Dina Makram-Ebeid die Feminismusdebatten nördlich und südlich des Mittelmeeres beschreibt – und dabei die Verantwortung des „Nordens“ an der Armut im „Süden“ hervorhebt.

Von Dina Makram-Ebeid

Im Sommer 2017 sprach ich im Goethe-Institut Kairo über feministische Kulturen in Europa und Ländern südlich des Mittelmeeres. Der Workshop diente der Vorbereitung des „Tashweesh“-Festivals Ende 2018. Ich muss gestehen, dass ich mich damit zunächst schwertat. Denn einerseits engagiert sich das Goethe-Institut seit vielen Jahren für das gesellschaftliche und kulturelle Leben in Ägypten. Andererseits fragte ich mich aber auch, ob sich hier nicht wieder ein Kulturinstitut aus europäischer Sicht des Themas Gleichberechtigung im Nahen Osten und Nordafrika annimmt.
 
Als Akademikerin hatte ich aus der Geschichte gelernt, dass das ständige Bemühen um die Befreiung der Frau und die Fetischisierung von Geschlechterverhältnissen allzu oft einer typisch hegemonialen und kolonialen Haltung entspringt. Durch den Fokus auf arabische und muslimische Subjekte und insbesondere Frauen als Symbol derjenigen, die „gerettet“ werden müssen, werden nicht selten problematische soziopolitische Praktiken in den Hintergrund gedrängt.

Feminismus als Form des Überlebens

Um mich an diesen Debatten beteiligen zu können, musste ich mir zunächst darüber im Klaren sein, was Feminismus eigentlich für mich selber bedeutet. Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir meine Ambivalenz gegenüber der Workshop-Einladung: Feminismus ist zum einen eine Form des Überlebens; zum anderen bedingt er auch eine Störung gegenwärtig bestehender Strukturen. Die Welt ist voller Ungerechtigkeiten, nicht nur für Frauen. Auch Menschen mit geringem Einkommen, „nichtkonformer“ Genderidentität, „People of Colour“ und viele andere leiden unter Benachteiligung. Hinzu kommt die ungerechte Ausbeutung von Ökosystemen und Rohstoffen.

Zwischen Spielverderberin und Regelbrecherin 

Stattdessen würde ich sagen, dass ich als Feministin danach strebe, irgendwo zwischen dem zu liegen, was die Wissenschaftlerin und Autorin Sara Ahmed als „feminist killjoy“ bezeichnet – zwischen einer „Spielverderberin“, die ständig unbequeme Fragen stellt, die sonst gerne unter den Teppich gekehrt werden – und jener „bad feminist“ der US-Autorin Roxane Gay, die sich den allzu starren Regelwerken nicht unterwerfen will. Damit kritisiert sie diesen „essentiellen Feminismus“, der uns sagt, dass es unabhängig von unserer eigenen Individualität, Komplexität, Fragilität und unseren Lebensumständen eine klare Abgrenzung von richtigen und falschen Strategien gebe.
 
Ich meine: Wie sollen wir die Rechte der Frauen und deren Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit bewerten, wenn wir nicht anerkennen, dass wir im Süden den höchsten Preis für den Klimawandel zahlen und ein Leben unter freiem Himmel in den meisten Monaten des Jahres physisch fast unmöglich ist? Ist denn nicht klar, dass es in Ägypten immer heißer und unwirtlicher wird, weil der globale Norden die meisten Ressourcen unseres Planeten verbraucht? Immer mehr internationale Konzerne drängen auf unsere Märkte und prägen das Bild unserer Städte.

Wir müssen unsere Feminismen ständig hinterfragen

„Klimagerechtigkeit“ ist nur ein Beispiel, bei dem es noch viele Potenziale für neue Agenden und Allianzen gibt. An vielen anderen Stellen kann an die Erfolge angeknüpft werden, die nördlich und südlich des Mittelmeeres bereits erreicht wurden: beim Kampf um körperliche Unversehrtheit, um sexuelle Selbstbestimmung und um die Sichtbarmachung unbezahlter Arbeit. Je stärker wir dabei globale Ungleichheiten und das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen berücksichtigen, desto relevanter werden unsere Feminismen. Vielleicht schaffen wir das, indem wir Sprachen und Denkmuster suchen, mit denen wir Möglichkeiten schaffen, anstatt sie auszuschließen; die uns helfen, die Ambivalenzen, die verpassten Konversationen, die Mehrdeutigkeiten und die Zerbrechlichkeiten in den Blick zu nehmen.
 
Die Geschichte meiner eigenen Überlegungen, wie ich zu einem Workshop zu Feminismus bei einem europäischen Kulturinstitut beitragen kann, zeigt, dass diese Zwiespältigkeit, dieses Unbehagen tatsächlich sehr fruchtbar sein können. Wir müssen unsere Feminismen ständig hinterfragen und durchrütteln –„queeren“ –, und zwar nicht nur, indem wir LGBTQI-Rechte berücksichtigen, sondern auch, indem wir immer wieder unsere Agenden infrage stellen, sie zu einer Art Quälgeist machen, zu einer Quelle der Störung und Destabilisierung der gegenwärtigen Ordnung der Dinge. Nicht zuletzt, damit Feminismus das bleibt, was er für viele von uns ist: eine Form des Überlebens.
 
Es handelt sich bei dem Artikel um eine gekürzte Fassung. Die vollständige Version des Essays können Sie in „das goethe" lesen.

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