Tanzkongress 2019
Was brauchen wir, um uns zu sammeln?
Fürsorge, Gerechtigkeit oder Empathie: Was brauchen wir, um uns zu sammeln? Der Tanzkongress Dresden und die vorhergehenden Tanz Salons des Goethe-Instituts haben den Tanz mit Fragen der Begegnung auf neue Weise verknüpft. Für „Goethe aktuell“ fasst die finnische Choreografin Maija Hirvanen ihre persönlichen Eindrücke zusammen.
Von Maija Hirvanen
Wir waren unzählige Teilnehmer*innen: Einige von uns kannten sich, andere nicht. Wieder andere sind Teil eines westlichen Tanzkanons und andere nicht. Wir kamen von verschiedenen Kontinenten und Generationen. Wir waren alle eingeladen, frei zu sein, Vorschläge zu machen, neue Weg zu gehen.
Es ist schwer, den Tanzkongress 2019 zu definieren: War es ein Neuanfang? Ein Kosmos, der alle bestehenden Gedanken und Ideen in kürzester Zeit verbessern wollte? Oder eine Bewegung, der effizienten Welt eine Injektion von Chaoslogik verabreichen zu können, um eine Plattform außerhalb der gewohnten Gesellschaft zu bieten? Sicher ist, dass es ein Kongressmodell war, bei dem niemand den ganzen Tag auf Stühlen saß. Die Facetten der Geschichte, von den modernistischen Ansichten des frühen Hellerau bis zur Summerhill School-Tradition, in der die Schüler*innen selbst über ihre Zeit entscheiden durften, waren in den Rissen der Wände allgegenwärtig.
Gegen die schnelle Zeit
Viele Anliegen der Künstler*innen in Helsinki standen wenige Monate später während des Tanzkongresses auch in Hellerau zur Diskussion: Fürsorge, Gerechtigkeit, Empathie, Ökologie. Dadurch, dass unsere Zeit zu schnell und meist anstrengend ist, drängt sich immer mehr die Frage auf, für was und für wen wir uns eigentlich interessieren und Zeit nehmen wollen. Selbstfürsorge oder die Betreuung der Familie und Nächsten führt unsere Politik nicht dazu, lebendigere Gesellschaften zu fördern. Für mich basiert eine spannende Utopie auf der Erweiterung unserer empathischen Fähigkeit gegenüber Menschen, Wesen und Umgebungen, die uns nicht ähnlich oder vertraut sind.Das Konzept des Mitteilens
Wenn ein Freiraum deklariert wird, ist er eigentlich gar nicht mehr so frei. Er ist für einige freier als für andere. Offener ist er für diejenigen, die besser wissen, wie damit umgegangen werden muss. Das gilt gerade für alle großen Versammlungen von Menschen. Vielleicht sind Freiheit und Offenheit nicht der richtige Weg, um den Tanzkongress 2019 zu verstehen. Daher werde ich „mitteilen“ als Konzeptidee beschreiben, die mir bei der Eröffnung der Veranstaltung präsentiert wurde. Ich finde das Konzept des Mitteilens entscheidend und kompliziert zugleich.Momente des Austauschs zwischen den Sitzungen sind sinnvoll, so wie es auch während informellen Programmpunkten geschieht. Dabei bietet das „Nicht-Verstehen“ immer wieder (verpasste oder genutzte) Gelegenheiten, um innezuhalten, genauer zuzuhören und sich mitzuteilen. Kulturelle Macht wirkt durch Sprache. Viele von uns hangelten sich von verschiedenen Ebenen des gebrochenen Englischs hin und her. Die gebrochene Sprache entwickelte dadurch ein Potential, um die Kommunikationsbereitschaft außerhalb linguistischer Verfeinerungen zu ermöglichen. Aber die Übersetzung, nicht nur von Wörtern, sondern von ganzen kulturellen Konzepten, ist ebenso wichtig wie fordernd. Der Akt der Übersetzung verändert unsere Beziehungen. Wir sollten uns die Zeit zum Mitteilen nehmen und fragen, auf welche Weise wir mit anderen teilen wollen. Nur so können wir uns auch wieder in Ruhe sammeln. Die Antworten sind unterschiedlich, aber die Arbeit mit der Frage bleibt.