Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
Die wichtigste Währung

The French circus performer and choreographer Yoann Bourgeois at the opening of the Kultursymposium Weimar with a physical story about failure, hope and rediscovery of trust (in oneself).
Goethe-Institut / Victoria Tomaschko

Warum wir für Deutschland vertrauensvolle Beziehungen brauchen in der Welt—gerade in schwierigen Zeiten. Generalsekretär Johannes Ebert über die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.

Regen in Weimar. Unter den weißen Zeltdächern auf dem E-WerkGelände sitzen die über 400 Festivalteilnehmer- und teilnehmerinnen aus 50 Ländern eng gedrängt auf Bierbänken und wärmen sich mit frischer Ratatouille. Die Stimmung ist blendend. Zum vierten Mal findet im Mai das „Kultursymposium Weimar“ statt. Thema: „Eine Frage des Vertrauens“. Drei Tage lang geht es in Diskussionen, Performances, Installationen und Lesungen um die hohe Bedeutung von Vertrauen für das Zusammenleben der Menschen in unruhigen Zeiten. Unter den Gästen unter anderem der deutsche Philosoph Martin Hartmann, die brasilianische Sozialunternehmerin Flavia Macedo, die ehemalige lettische Innenministerin Marija Golubeva und die ägyptische Medien-Aktivistin Dina Aboughazala. Es sei beeindruckend gewesen, dass so viele Menschen aus so unterschiedlichen Disziplinen eine gemeinsame Sprache zu diesem Thema gefunden hätten, sagt Yu Nija, die in Japan über zwischenmenschliche Beziehungen forscht, beim Abschluss-Panel. Sie gehe mit einem Gefühl von Stärke und Zuversicht aus Weimar nach Hause. Die Britin Claire Yorke, die in Dänemark zum Thema Empathie und internationale Sicherheit arbeitet, ist sich beim Ausklang des Kultursymposiums Weimar 2023 sicher: „Wir müssen einander vertrauen, um die Herausforderungen der Zukunft zu lösen.“

„Im Austausch mit der Welt. Für Vielfalt, Verständigung und Vertrauen.“ Gemeinsam mit dem Slogan „Sprache, Kultur, Deutschland“ definiert dieser Wahlspruch das Koordinatensystem des Goethe-Instituts. Vertrauen zwischen Menschen und Gesellschaften weltweit, zu Deutschland und den Menschen dort herzustellen, das ist die Vision unserer weltweiten Arbeit. Gerade in Deutschlands Verhältnis nach außen ist Vertrauen von hoher Bedeutung: „Das Vertrauen unserer Partnerinnen und Partner in unser Land ist eine, vielleicht sogar die wichtigste Währung deutscher Außenpolitik“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock im Februar bei der Außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung.

Der Soziologe Niklas Luhmann sieht die Komplexität der Welt als ständige Überforderung für den Menschen. Vertrauen sei ein zentraler Mechanismus, um soziale Komplexität zu reduzieren und damit das Zusammenleben handhabbar zu machen. Vertrauen „erschließt durch Reduktion von Komplexität Handlungsmöglichkeiten, die ohne Vertrauen unwahrscheinlich und unattraktiv geblieben, also nicht zum Zuge gekommen wären“, schrieb Luhmann 2014 in seinem Buch „Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität“. Das gilt auch für die internationalen Beziehungen. Denn gerade hier hat die Komplexität in den vergangenen Jahren enorm zugenommen: Die Konkurrenz neuer globaler Akteure auf der Weltbühne mit eigenen Interessen und Werten wächst. Die Klimakrise wird immer bedrohlicher. Demokratische Systeme und Akteure geraten unter Druck. Desinformation tritt an die Stelle seriöser Berichterstattung. Gewaltsame Konflikte, wie jüngst im Sudan, nehmen zu und rücken näher. Gerade der Angriff Russlands auf die Ukraine wird als Zeitenwende erfahren, die Verunsicherung schafft und auch die inter-nationale Zusammenarbeit wesentlich beeinflusst.

In dieser Weltlage ist es wichtig, dass Verteidigungsbereitschaft und Energiesicherheit hergestellt werden. Die zunehmende Komplexität in den internationalen Beziehungen erfordert jedoch auch ein verstärktes Engagement, um das Vertrauen zu Deutschland in der Welt zu stärken. Es geht darum, das Beziehungsgeflecht zwischen Menschen und Gesellschaften, das auch auf die politische Ebene zurückwirkt, zu festigen. Gerade hier sind die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und ihreMittlerorganisationen gefragt. „Ihr Engagement ist gefordert wie nie zuvor, weil Kulturpolitik auch ganz klar Sicherheitspolitik ist. Wenn wir die Freiheit von Kultur, Wissenschaft und Medien fördern, dann stärken wir damit auch die Freiheit der Menschen“, sagte Annalena Baerbock vor dem Deutschen Bundestag anlässlich der Beratung über den Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Der Koalitionsvertrag, der noch vor der Russlandkrise unterzeichnet wurde, schreibt eine Stärkung ihrer Akteure fest. Das ist jetzt noch wichtiger geworden, wenn auch angesichts engerer finanzieller Spielräume die Frage nach Prioritäten neu gestellt wird und eine Budgetabsenkung im Berichtsjahr gegenüber dem Vorjahr den Handlungsspielraum der Goethe-Institute eingeschränkt hat.

Vertrauen schaffen, aber wie? „Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit schaffen sich nicht von selbst, wenn sie benötigt werden. So freundlich sind sie nicht, wir müssen sie schon selbst durch unsere Praktiken ins Leben rufen“, schreibt der Philosoph Martin Hartmann 2022 in seinem Buch „Vertrauen – Die unsichtbare Macht“. Das hat jedoch auf internationaler Ebene nichts mit „Nation Branding“ oder anderen Marketingtechniken zu tun. Denn Vertrauen in den internationalen gesellschaftlichen Beziehungen baut sich langsam auf und wird immer wieder hinterfragt. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit müssen dauerhaft gegeben sein und sich immer wieder neu beweisen.

Dabei beginnen wir in der internationalen Vertrauensbildung nicht bei null. Im Gegenteil: Gerade durch ihre Auswärtige Kulturund Bildungspolitik ist die deutsche Gesellschaft seit vielen Jahren mit Menschen auf der ganzen Welt verbunden. Ihre Mittlerorganisationen haben in Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten weit reichende Netzwerke des Vertrauens aufgebaut. Sie sind weltweit angesehen und genießen durch ihre im Rahmen der deutschen Außenpolitik eigenständige Arbeit eine hohe Glaubwürdigkeit. Auf sie kann Deutschland gerade auch in Zeiten der Krise setzen.

Ihre Netzwerke, wie beispielsweise das Goethe-Institut mit 158 Häusern in fast 100 Ländern, sind für Kultur- und Bildungsinstitutionen vor Ort seit Jahrzehnten verlässliche Partner—in guten wie in schlechten Zeiten. Das Goethe-Institut in Athen feierte im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag; das Goethe-Institut in Lissabon wurde 60 Jahr alt. In beiden Ländern erinnert man sich noch heute an die Bedeutung der Goethe-Institute als Freiraum in den diktatorischen Phasen der 60er- und 70er-Jahre. Solche Beispiele gibt es viele. Wenn die Räume für offene Meinungsäußerung und Kreativität enger werden, wächst die Bedeutung der Goethe-Institute. Denn dort kann man frei diskutieren, dort lassen sich Perspektiven erweitern. Das ist heute aktueller denn je und für Menschen, die weltweit für freiheitliche Werte stehen, ein wichtiger vertrauensbildender Faktor. Gerade die globale Präsenz dieses Netzwerks ist angesichts der zunehmenden Krisen, die an unvorhergesehenen Orten entstehen, eine wertvolle Ressource für die Reaktionsfähigkeit der deutschen Außenpolitik.

Ebenso wichtig ist, sich in lebensbedrohlichen Situationen als verlässlicher Partner zu beweisen: Die Hilfe für die Ukraine ist ein gutes Beispiel: 17.000 nahezu kostenfreie Sprachkursteilnahmen hat das Goethe-Institut zur Verfügung gestellt. Soforthilfestipendien, die gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes vergeben wurden, unterstützen ukrainische Künstlerinnen und Künstler. Ein Solidaritätsfonds ermöglichte es Kulturinstitutionen, auch in dieser Kriegszeit weiterzuarbeiten. Das Programm „GoetheInstitut im Exil“ in Berlin startete mit einem Ukraine-Schwerpunkt. Über 600 deutsche Bibliotheken erhielten einen Bücherkoffer mit ukrainischer Literatur für Kinder, die ihr Land verlassen mussten. Das Auswärtige Amt stellte für diese und weitere Ukraine-Programme zusätzliche Mittel zur Verfügung. Auch die Europäische Union unterstützte. Jetzt ist es vonnöten, diese Programme fortzusetzen und für einen kommenden Wiederaufbau auszuweiten. Denn die ukrainische Kultur- und Bildungsszene ist für die Zukunft besonders wichtig, weil sie, eng mit der ukrainischen Gesellschaft vernetzt, die Modernisierung des Landes vorantreibt und sich zu Europa bekennt. Unsere ukrainischen Partner setzen großes Vertrauen in Deutschland.

Wenn Vertrauen entstehen soll, geht es nicht darum, auf Biegen und Brechen eigene Interessen durchzusetzen, sondern gemeinsam Lösungen zu finden und gegenseitige Unterstützung zu leisten. Die Grundlage dafür, die wir in unserer dialogischen Arbeit anstreben, sind Respekt für das Gegenüber und aktives Zuhören. Es geht darum zu erfassen, was Kultur- und Bildungspartner von Deutschland in ihrer jeweiligen Situation benötigen, welche Themen für sie relevant sind und welchen Beitrag die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik dazu leisten kann. Unzählige bilaterale und mulitlaterale Kultur-Kooperationen mit deutscher Beteiligung zeugen vom Erfolg dieses dialogischen Ansatzes. Einige davon lernen Sie in diesem Jahrbuch kennen.

Vertrauen entsteht zwischen Menschen und strahlt in Gesellschaften aus. Deshalb geht es nicht nur um die Qualität von Beziehungen, sondern auch um deren Quantität. Je mehr Menschen mit unserem Land in Kontakt treten, desto eher besteht die Chance, eine—hoffentlich vertrauensvolle—Beziehung zu entwickeln. 15 Millionen Menschen, die weltweit Deutsch lernen, 170.000 Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer, tausende von potenziellen Fachkräften, die sich mit unseren Vorintegrationsmaßnahmen oder in unseren Sprachkursen auf Deutschland vorbereiten, die über fünf Millionen Besucherinnen und Besucher bei unseren Kulturveranstaltungen – das sind in diesem Zusammenhang wichtige Zielgruppen. Deshalb muss es auch darum gehen, die Zahl dieser Kontakte in Zukunft weiter zu erhöhen. Ein wichtiger Beitrag dazu ist das Programm „Culture Moves Europe“, das vom Goethe-Institut im Auftrag der EU durchgeführt wird: 6.000 europäische Künstlerinnen und Künstler sollen die Möglichkeit erhalten, in Europa zu reisen und zu recherchieren. Ein wichtiges Programm zur Vernetzung der europäischen Kulturszene über Grenzen hinweg und zum europäischen Zusammenhalt, der auch für Deutschland eine hohe politische Priorität hat.

Gerade die großen Themen unserer Zeit eignen sich für Kooperationen und Projekte mit hoher Reichweite: eine ökologische Pop-up-Lounge, die in Bangkok für Umweltfragen sensibilisiert, die Konferenz „Frequenzen. Feminismen global“, die im vergangenen Jahr rund 80 Akteurinnen aus weltweiten Initiativen zum Thema Gleichberechtigung in Berlin zusammenbrachte, „Diverse As We Are“, das erste internationale Festival für inklusive Kultur in China – wir erleben vor Ort, dass gerade bei diesen Themen ein großer Wunsch nach Zusammenarbeit mit Deutschland besteht. Sie stehen im Einklang mit der Klimaaußenpolitik und der feministischen Außenpolitik der Bundesregierung. Hier liegt ein großes Potenzial, Kooperationen und Austausch auf internationaler Ebene deutlich auszuweiten.

Die Vertrauensbeziehungen, die die Mittlerorganisationen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in der ganzen Welt aufgebaut haben, sind ein wichtiges Fundament der deutschen Außenpolitik. Auch bei der Kooperation mit Partnern, die für Deutschland schwierig und doch im globalen Gefüge unverzichtbar sind, sind sie tragfähig und resilient. Unzählige Begegnungen und intensiver Austausch haben diese filigranen Vertrauensnetze über Jahrzehnte gewebt und gefestigt. Um ihre Wirksamkeit voll zu entfalten, brauchen sie gerade in Krisenzeiten Pflege, großes Engagement und ausreichende Ressourcen. Denn, so Bundesaußenministerin Baerbock in ihrer Rede bei der HeinrichBöll-Stiftung: „Dieses Vertrauen ist eben nicht selbstverständlich. Wir müssen es uns immer wieder neu erarbeiten.“

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