Blog #3
Woche 2 des Abenteuers: kleine Wunder
Nun ist also auch schon die zweite Woche um und ich bin völlig fasziniert und gebannt von meiner neuen Heimat. Auch diese Woche ist mir unglaublich viel Freundlichkeit entgegengebracht worden. In vielerlei Hinsicht.
Meine erste Unterrichtsstunde stand in dieser Woche an. Ich sollte eine siebte Klasse unterrichten, die etwas die Lust am Deutschlernen verloren hatte. Schluck. Das gesamte Wochenende habe ich mir den Kopf zerbrochen, was ich mit den Kindern machen könnte, deren Deutschkenntnisse noch in den Kinderschuhen stecken. Was interessiert Siebtklässler eigentlich? Meine Erfahrungen waren gleich null. Alle Kinder, die ich bisher unterrichtet hatte, waren höchstens 10! Ich verbrachte einige Tage mit meditativem Nachdenken und entschied mich dann, den Kindern ein deutsches Lied mitzubringen. Nur welches? Nach einigem Recherchieren, Lieder hören, Entscheiden und Umentscheiden, fiel meine Wahl auf das Lied „Die da“ von den Fantastischen 4. Am Donnerstag war es dann so weit und ich durfte mein Glück versuchen. Zu meinem Erstaunen lief alles reibungslos! Die Kinder arbeiteten begeistert mit, erkannten das Thema und die Botschaft des Liedes schnell und versuchten am Ende der Stunde die erste Strophe des Liedes zu rappen. Vor allem der letzte Teil sorgte bei mir und den Kindern für große Erheiterung. Denn auch für mich war der Text stellenweise viel zu kompliziert und schnell. Ich verließ den Raum voller Vorfreude auf die nächste Unterrichtsstunde und mit vielen Ideen, wie ich an diese Stunde anknüpfen könnte.
Aber damit war mein Tag noch nicht vorbei. Denn ich sollte mich am selben Abend noch auf dem Polizeirevier wiederfinden.
Nach dem Basteln lud mich meine Ansprechpartnerin, Frau Schluchtmann, zum Essen ein. Wir verließen das Goethe-Institut und liefen zu einem Restaurant im Zentrum. Während des Essens schaute ich auf mein Handy und stellte fest, dass mich eine mir unbekannte armenische Nummer immer wieder versucht hatte, anzurufen. Ich scheute mich davor, sie zurückzurufen, aber meine Begleiterin schlug vor, dass sie abheben würde, wenn die Nummer nochmal versuchen sollte, mich anzurufen. Drei Minuten später klingelte mein Telefon erneut, sie nahm ab und sprach die Person am anderen Ende der Leitung auf Russisch an. Nach einem kurzen Wortwechsel sagte sie zu mir: „Das ist ein Polizist. Er behauptet, dass er deinen Geldbeutel hat.“ Ich verneinte zuerst und dachte, dass das ein seltsamer Scherz sei. Doch als ich meinen Rucksack kontrollierte, musste ich erschrocken feststellen, dass mein Geldbeutel tatsächlich fehlte!
Ich teilte Frau Schluchtmann dies mit und sie fragte den Polizisten daraufhin wo wir hinkommen sollten, um den Geldbeutel abzuholen. Der Polizist hatte Schwierigkeiten den Ort auf Russisch zu beschrieben und bat uns ein Taxi zu nehmen, ihn dann erneut anzurufen und das Handy an den Taxifahrer weiter zu reichen. Gesagt, getan. Der Taxifahrer telefonierte einige Zeit mit dem Polizisten und fuhr dann los…allerdings schien er nicht so richtig verstanden zu haben, wohin er fahren sollte, denn er rief einen Freund an und fragte ihn, wie er zu dem Ort gelangen sollte, den der Polizist ihm beschrieben hatte. Nach einigem Herumgekurve und viel Telefonieren gelangten wir schließlich an unser Ziel. Die zentrale Polizeistation. Hier empfing uns ein junger Polizist und stellte uns einige Fragen zu meinem Geldbeutel. Wie sieht er aus? Was ist darin? Wie viel Geld hatten Sie dabei? Ich war mittlerweile schon völlig runter mit den Nerven und hoffte nur inständig, dass wenigstens meine Dokumente und Karten noch im Geldbeutel wären.
Nachdem wir alle Fragen zu seiner Zufriedenheit beantwortet hatten, zeigte er uns ein Foto meines Geldbeutels. Zu meinem Erstaunen war alles noch da! Mein gesamtes Bargeld, alle Karten und sogar die Kopie meines Reisepasses! Der Polizist erklärte uns, dass er die Taschendiebe kurz nach der Tat erwischt und mein Portemonnaie bei ihnen gefunden hätte. Darin hätte er meine Ausweise und eine Karte des örtlichen Telefonanbieters gefunden, auf dem meine armenische Handynummer notiert war. So konnte er mich sofort kontaktieren und hatte tatsächlich beinahe eine halbe Stunde lang versucht mich zu erreichen, ehe Frau Schluchtmann abgehoben hatte. Meine Erleichterung und Dankbarkeit waren grenzenlos. Warscheinlich hatte dieser eine Abend meine Glückvorräte für den Rest des Jahres aufgebraucht! Nun folgte noch ein kleiner Papierkrieg und anschließend wurde mir mein Geldbeutel ausgehändigt. Vollständig und unbeschadet.
Nach diesem ereignisreichen Tag brauchte ich etwas Zeit, um mich von dem Schreck zu erholen. Glücklicherweise hatte ich ja das Wochenende vor mir. Doch hier wartete schon die nächste Überraschung. Die Schwägerin meiner Gastmutter, die ebenfalls an meiner Schule arbeitet, lud mich zur Taufe ihrer Nichte am Sonntag ein. Ich war sehr gerührt über die Einladung und sagte zu. Sonntagnachmittag fuhr ich also mit meinen Gastmüttern, ihrer Schwägerin und deren Ehemann zu der Kirche, in der die Taufe stattfinden sollte. Dort begrüßte mich die gesamte Familie und versuchte sich mit mir auf Armenisch zu unterhalten. Ich sagte immer wieder meinen Lieblingssatz auf: „Jes xosum em mi pokr hayeren“ (Ich spreche nur ein bisschen Armenisch) und erntete dafür ein wenig Gelächter und verständnisvolles Nicken.
Die Taufzeremonie war sehr kurz und verlief anders als die protestantischen Taufen, die ich bisher gesehen habe. Die Taufgemeinde bestand nur aus den anwesenden Familienmitgliedern und Freunden und versammelte sich um das Taufbecken. Nach einem Gruß gen Altar und einem Gruß gen Ausgangstür begann die eigentliche Zeremonie, die jedoch nur ungefähr 20 Minuten dauerte. Das Kind wurde auf Grund der Kälte in der Kirche nicht ins Taufbecken gesetzt, um vollständig gewaschen zu werden, sondern wurde lediglich an einigen wichtigen Stellen gesalbt.
Im Anschluss an die Zeremonie fuhren alle zu einem Restaurant, in dem ein separater Saal gemietet worden war. Hier waren fünf Tische fürstlich gedeckt, einige große Lautsprecher mit DJ-Pult aufgebaut und ein Geschenketisch hergerichtet worden. Bei der Sitzordnung gaben sich alle Anwesenden größte Mühe mir einen Sitznachbarn zuzuweisen, der ein wenig Englisch oder Französisch sprechen konnte. Wir nahmen Platz und begannen um halb fünf ein Festmahl, das bis halb zehn andauern sollte. Unterbrochen wurde es immer wieder kurz vom „tamada“, der den Abend moderierte. Er stellte zu Beginn die Taufeltern, das Taufkind und die Taufpaten vor und erwähnte zu meinem Erstaunen auch mich namentlich.
Auch den Rest des Abends wurde ich immer wieder erwähnt oder in verschiedene Aktivitäten eingebunden. Ich lernte armenische Tänze und den allgemeinen armenischen Tanzstil kennen, spielte verschiedene Spiele mit und lernte, dass man beim Anstoßen besser nur am Glas nippte, um nicht beim nächsten Trinkspruch (der nie lange auf sich warten ließ) wieder ein volles Glas vor sich zu haben. Der Abend war laut und bunt und voller Freude und Ausgelassenheit. Ich wurde herzlich in die Familie und die Gemeinschaft aufgenommen und man versprach mir, bald einen armenischen Ehemann für mich zu finden.
Mit diesem Versprechen endete meine zweite wunderbare Woche des Abenteuers. Ich bin gespannt was mich in den kommenden Tagen erwartet…