Woche 6
Hoch hinaus
In Xi’an angekommen, atmeten meine Mitpraktikantin Nele und ich zunächst einmal tief ein und aus und erfreuten uns über einen Luftqualitätsindex von 30 (ganz nebenbei: in Peking lag der Index bei etwa 280). Das ungemütliche, kalte und regnerische Wetter spielte zunächst eine Nebenrolle.
Dancing in the rain
Auch der Montag startete leider regnerisch und viel zu kalt. Eigentlich wollten Nele und ich die Stadt mit dem Fahrrad erkunden, doch den Plan schmissen wir, nach einem enttäuschten Blick aus dem Fenster, kurzerhand über Bord. Ich zeigte ihr also meine Schule, bevor wir uns mit der Metro Richtung Stadtzentrum bewegten. Durch den Regen liefen wir, am Glocken- und Trommelturm vorbei, durch das muslimische Viertel, das auf jeden Fall einen Rundgang wert ist. Zu jeder Tages- und Nachtzeit ist das Viertel belebt. An jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken und damit meine ich nicht nur die unzähligen Garküchen und kleinen Lädchen der Hui-Chinesen. Nass vom Regen und durchgefroren wärmten wir uns bei einem McCafé auf und schmiedeten Pläne für den morgigen Tag. Wir wollten den Hua Shan besteigen. Meine französische Nachbarin erzählte uns kurz zuvor, dass auf dem Hua Shan bereits Schnee liegt, aber wenn nicht jetzt, wann dann? Wir nähern uns dem Winter in großen Schritten. Wir hatten uns entschieden: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Also los!
Ausflug zum Hua Shan
Wenn man den Hua Shan googelt, dann springen einem Schlagzeilen wie „Deadliest Hike in the World“ oder „World’s Most Dangerous Hiking Trail on Mount Huashan“ ins Auge. Wir wollten uns, ungeachtet der Wetterlage, selbst davon überzeugen. Der Hua Shan gehört zu den insgesamt fünf heiligen Bergen in China, dessen Wanderweg im China unter dem Namen „Die Treppe zum Himmel“ bekannt ist. Der Wecker klingelte früh, um so den Tag bestmöglich ausnutzen zu können. Wir warfen uns in mehrere Lagen Funktionskleidung und zogen unsere Wanderschuhe an, um – falls man der Wettervorhersage trauen kann – für alles gewappnet zu sein. Mit reichlich Proviant im Rucksack machten wir uns auf dem Weg zum Nordbahnhof. Dort angekommen ging alles ganz schnell (inzwischen sind wir wirkliche Profis, was das Zugfahren anbelangt) und fragten nach der nächsten Zugverbindung nach Huashanbei. Kurze Zeit später brachte uns der Hochgeschwindigkeitszug innerhalb von 30 Minuten in die etwa 120 Kilometer entfernte Ortschaft. Unsere genaue Route planten wir zuvor nicht, denn wir wollten spontan entscheiden. Wenn uns China bisher eines exzellent lehrte, dann das: Hast du einen Plan, wird sicherlich alles anders kommen, als du denkst. Aus dem Zug ausgestiegen, trafen wir auf zwei sehr fröhliche chinesische Studentinnen, die uns bereits im Zug aufgrund ihrer quirligen und bunten Art auffielen. Sie sprachen uns in einem relativ guten Englisch an und es war direkt klar, dass wir den Tag gemeinsam verbringen würden. Das kam uns sehr gelegen, denn selbst an Touristen-Hotspots kann man nicht davon ausgehen, auf englischsprachige Mitarbeiter zu treffen. Ahnungslos folgten wir den Chinesinnen, die sich kurzfristig noch eine Art „Ausrüstung“ (Plastikschuhe, Regencape und Spikes) an einem der Straßenstände kauften. Ich fragte mich sowieso schon, wie sie mit einer dünnen Regenjacke und Absatzschuhen den Berg erklimmen wollten. Ich verwarf den Gedanken jedoch schnell, als ich mir vor Augen führte, dass ich mich ja in China befinde… Nele und ich entschieden uns noch für Handschuhe, die sich später als sehr hilfreich herausstellten.
Unsere treuen Wegbegleiterinnen
| © Charlene Hennecke
„Stets findet Überraschung statt, da, wo man’s nicht erwartet hat…“
… sagte Wilhelm Busch einst. Zu unserer Überraschung hatten die Studentinnen spontan einen privaten Fahrer organisiert, der uns zu einem der Aufstiegspunkte bringen sollte. Ein bisschen mulmig zumute war uns, da wir die laute und aggressiv klingende Stimme des Fahrers nicht so recht deuten konnten.
In der Seilbahn Richtung Westpeak
| © Charlene Hennecke
Letztlich brachte er uns aber sicher zum Eingang einer der Aufstiegspunkte. Wir waren erstaunt über das für chinesische Verhältnisse leere Gelände und bereuten unsere Entscheidung bis hierhin nicht. Den Chinesinnen sei Dank saßen wir schon kurze Zeit später in einem Bus, der uns zu einer Seilbahn bringen sollte. Wir kamen aus dem Staunen gar nicht heraus. Wir erfreuten uns über die wunderschöne Natur und die Schneeflocken, die vom Himmel fielen. Die Aussicht aus der Seilbahn war unglaublich, bis wir aufgrund des Schnees nichts mehr erkennen konnten. China hat so viel mehr zu bieten, als nur Wolkenkratzer und Tempel.
Die Temperaturunterschiede im Vergleich zu Xi’an waren schon spürbar, Sorge bereiteten uns jedoch eher die eingeschneiten Stufen, die eigentlich unseren Wanderweg darstellten. Vorsichtig tapsten wir den Studentinnen auf dem Weg zum Westpeak hinterher, die sich in ihren eigentlich wetteruntauglichen Outfits besser machten, als anfänglich gedacht. Wir genossen das atemberaubende Panorama auf unserem Rundweg und erfreuten uns zwischendurch immer wieder an der Schneelandschaft.
Glücklich am Southpeak | © Charlene Hennecke Stolz kamen wir am Southpeak an und schossen, wie es in China eben üblich ist, einige Fotos, bevor wir uns auf den Weg zur Seilbahn am Northpeak machten. Der Ausflug zum Hua Shan war für mich ein absoluter Erfolg und eine willkommene Abwechslung zu der teilweise wuseligen und überfüllten Stadt!
Glücklich am Southpeak | © Charlene Hennecke Wenn man in Xi’an ist, sollte man unbedingt …
… die Stadt bei Nacht bestaunen. Wir kamen spät zurück, doch ich wollte Nele unbedingt die Stadt, insbesondere die Stadtmauer, bei Nacht zeigen. Meiner Meinung nach ist Xi’an beleuchtet noch so viel schöner, als tagsüber. Deswegen gab es keine Ausrede und ich führte Nele entlang der Stadtmauer in meine Lieblingsbar am Southgate: Das Park Qin. Unglücklicherweise mussten wir die ganze Nacht dort verbringen, weil ich uns im Eifer des Gefechts aussperrte. Das ist aber eine andere Geschichte, die wir im Ordner „Erfahrungen“ abheften. Nele, danke für deinen Besuch, es war mir eine Ehre!
Die Stadtmauer Xi'ans - Southgate | © Charlene Hennecke