Blogartikel 3
Deutsch lehren und lernen an der ZSO3
BEOBACHTUNG IM FREMDSPRACHENUNTERRICHT
Im ersten Monat meines Besuchs an der Zespół Szkół Ogólnokształcących nr 3 im. Jana Pawła II w Rudzie Śląskiej (einfacher: ZSO3) hat der Unterricht nur unregelmäßig stattgefunden und war unterbrochen von den Osterferien, kirchlichen Feierlichkeiten, den Gymnasialprüfungen (mittlerer Schulabschluss) und dem Abgang der Abiturienten (Hochschulreife). Trotzdem war ich, wenn es Unterricht gab, eingebunden in die Gestaltung des Deutschunterrichts oder habe hospitiert. Deutsch ist hier für alle Lernende die zweite Fremdsprache und ihre Leistungen sind selbst in einer Jahrgangsstufe sehr heterogen.Vor allem das Sprechen fällt vielen sehr schwer, das mag mit Scham aber auch mit dem Fehlen von echten Sprechanlässe zu tun haben. Der Fremdsprachenunterricht konzentriert sich nach meinen Beobachtungen eher auf Grammatik und Hörverstehen als auf die mündliche Sprachproduktion. Um die Schülerinnen und Schüler also mehr zum Sprechen zu bewegen, habe ich deshalb versucht, meine Unterrichtseinheiten kommunikativ, handlungsorientiert und spielerisch aufzubauen.
Wir planen eine Reise in die schönste Stadt der Welt
In der Einheit zu Hamburg lernten die Schülerinnen und Schülern verschiedene Sehenswürdigkeiten kennen und planten einen eigenen Sightseeing-Trip in meine Heimatstadt. Mir fiel es sehr leicht, sie zu motivieren, da ich viel über diese Stadt weiß, gerne dort lebe und es mir einfach Spaß macht, andere von der Stadt zu begeistern. Die Klassen sprach ich auch durch das vielfältige Material an, das ich für diese Aufgabe herausgesucht hatte (Imagefilm Hamburg, große Bilder der Sehenswürdigkeiten, Stadtpläne, Werbeflyer von Attraktionen). Die Aufgabe, den eigenen Wochenendausflug zu planen, war relativ offen gehalten, so konnte jeder/ jede nach den eigenen Fähigkeiten vorgehen, was sich zum Beispiel in der Detailliertheit der Wochenend-Trips zeigte: Manche schrieben hier ganze Sätze in eigenen Worten, andere notierten nur Stichpunkte oder übernahmen die Sprache der Prospekte.Es zeigte sich, dass die Texte, die ich selbst zu den Sehenswürdigkeiten aufgearbeitet hatte, für manche Lerngruppen ein zu hohes Sprachniveau hatten, nur die Abiturienten konnten mit ihnen viel anfangen. In Zukunft sollte ich noch mehr darauf achten, dass alle Niveaustufen in der Klasse angemessen angesprochen werden und die Lernenden alle Hilfsmittel erhalten, um die Texte zu verstehen und nicht durch zu komplizierte Formulierungen frustriert werden. Außerdem möchte ich vielfältigere Sozialformen nutzen, denn ich denke, ich selbst habe oft zu viel Redeanteil an den Stunden. Damit sich die Schülerinnen und Schülern angstfrei äußern können, sollte ich ihnen öfter Zeit geben, die Fragen allein oder mit einem Partner zu klären, bevor wir frei im Plenum sprechen (Mehr: Think – Pair – Share).
Spielerallye zum Thema Essen und Lebensmittel
Für eine erste Klasse des Gymnasiums, eine Lerngruppe, die gerade erst mit dem Deutschlernen begonnen hat, entwarf ich zwei Stunden zum Thema „Essen“. Die Lernenden hatten schon den Wortschatz erarbeitet und ich wollte diesen mit ihnen nun spielerisch vertiefen. Eine Spielerallye erschien mir geeignet, da die Schülerinnen und Schüler im Alter von 13-14 Jahren auf mich sehr bewegungs- und spielfreudig wirkten. Die Gruppe wurde also mit Losen in drei Teams unterteilt, die verschiedene Spiele im Wettkampf bestreiten sollten. In einer Punktetabelle wurden an der Tafel die Punkte gesammelt.Bei der „Wörtersuche“ sollten die Schülerinnen und Schüler in einer vorgegebenen Zeit von sechs Minuten so viele Wörter wie möglich, die auf Karten im Raum verteilt und versteckt waren, finden. Wie bei einem Laufdiktat mussten sie sich die Wörter merken und dann an ihrem Teamtisch auf einen Zettel schreiben. Doppelte oder falsch geschriebene Wörter wurden nicht gezählt.
Beim zweiten Spiel „Kartensuche“ musste dann jedes Team die im Raum verteilten Karten seiner Farbe (24 Stück pro Team in rot, grün oder blau) so schnell wie möglich finden, wobei die Zeit gestoppt wurde. Zuletzt wurde parallel an fünf Tischen mit den gesammelten Karten „Memory“ gespielt. Hierbei spielte immer eine Person aus jedem Team gegen Spieler aus anderen Teams.
Die Spielerallye verlief aus meinen Augen wie geschmiert: Die Lernenden hatten offensichtlich Spaß, hechteten teilweise durch das Klassenzimmer auf der Suche nach Wörtern, und waren dabei ganz ins Spielen vertieft. Sie genossen den Wettbewerb, aber es brach kein Streit aus und der Sieger wurde anerkannt. Nach der so erfolgreichen Stunde, hoffte ich natürlich, ihre Motivation geweckt zu haben.
Ich war dann aber in der nächsten Stunde doch ernüchtert, als mir bei der Einführung von Mengenangaben („Ich kaufe ein Kilo Bananen.“) doch eine sehr müde und desinteressierte Truppe begegnete. Vielleicht war mein Auftritt mit Einkaufstasche und Einkaufswaren für die SuS dann doch nicht mehr altersgemäß. Ich bin mir nicht ganz sicher, woran es lag, dass der Funke in dieser Stunde nicht übersprang. Die Spielerallye würde ich auf jeden Fall wieder genauso machen und die gebastelten Memory-Karten lassen sich sicherlich noch vielfältig einsetzen. Zum Beispiel bei der Erarbeitung eigener Einkaufsdialoge in der nächsten Stunde.
RAUM 227 – DEUTSCH HAT KLASSE!
Anders als in Deutschland haben an meiner Schule die einzelnen Schulklassen keinen eigenen Klassenraum, in dem wenn möglich der meiste Unterricht abgehalten wird und in dem jeder Schüler und jede Schülerin seinen/ihren eigenen Platz hat sowie einen Ablageplatz für Materialien. Stattdessen wechseln die Schülerinnen und Schüler fast jede Stunde den Raum und kommen in die Fachräume geströmt.
Jeder Raum erfüllt also eine ganz bestimmte Funktion als Fachraum. Der Deutschraum Nr. 227 wurde im letzten Jahr im Wettbewerb „Deutsch hat Klasse/ Niemiecki ma klasę“ umgestaltet. Eine 2. Klasse des Lyzeums nahm an der vom Goethe-Institut veranstalteten Ausschreibung teil und gewann sogar den ersten Platz! (Auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=y-QL8dQkw8g) An den Wänden sind viele nützliche Lernplakate angebracht, die während des Unterrichts genutzt werden können, die Gestaltung ist bunt und die Sitzordnung eignet sich sowohl für Plenumsgespräche als auch für die Zusammenarbeit in Gruppen. Die neuen Stühle sind die bequemsten in der ganzen Schule und es gibt sogar Decken und Sitzkissen, damit sich das Lernen ab und zu auf den Boden verlagern kann.
Angestoßen von dem Projekt in der Deutschklasse und von der federführenden Deutschlehrerin wurden darauffolgend an der ZSO3 verschiedene Lern- und Aufenthaltsräume umgestaltet. So sind bisher ein Schüler-Leseraum, ein Französischraum, mehrere Aufenthaltsräume oder „Chillecken“, sowie ein Eltern-Lehrer-Zimmer neu gestaltet worden. Die neue Wandgestaltungen, neue Möbel und Pflanzen tragen zu einer hohen Aufenthaltsqualität der Räume bei, die besonders wichtig ist, da sich die Schülerinnen und Schüler in allen Pausen im Inneren der Schule aufhalten.
Der persönliche Bezug zu den Räumen, der entsteht, wenn die Schülerinnen und Schüler selbst in die Planung und Umsetzung der Raumgestaltung einbezogen werden, kann zu einer höheren Identifikation mit den Räumlichkeiten und der Schule an sich führen. In den Pausen herrscht eine angenehme Atmosphäre, da sich die Jugendlichen wohl fühlen. Ich finde es toll, dass durch das initiale Projekt so viele Steine ins Rollen gekommen sind und sich immer mehr Lehrkräfte und Lernenden mitverantwortlich fühlen, für den Raum, den sie gemeinsam zum Leben und Lernen nutzen.
Vom Ausnahmezustand zum Alltag
Trotz den vielen Unterbrechungen des Schulalltags und meinen eigenen Reisen merke ich jetzt, nach vier Wochen Aufenthalt, dass eine Gewöhnung an meine neue Umwelt eingetreten ist. Ich kenne die Buszeiten; starre auf der Fahrt zur Schule nicht mehr wie gebannt aus dem Fenster, um alles aufzusaugen; weiß, wo ich das beste Gemüse und die besten Brötchen bekomme; habe mich schon an die Sonntagsöffnungszeiten und an den Rußgeruch in der Luft gewöhnt; und bin lange nicht mehr so nervös, wenn ich morgens in die Schule komme. Auch die LehrerInnen im Lehrerzimmer sind nicht mehr verwundert, wenn ich sie morgens mit einem „Cześć!“ begrüße.Die anfängliche Neugierde der Schülerinnen und Schüler mag etwas verflogen sein, sie sind mir gegenüber aber immer noch freundlich. Im Unterricht zeigt sich mir jetzt jedoch an der ein oder anderen Stelle ein sehr gelangweiltes oder desinteressiertes Gesicht und mir fallen laute Störer und unaufmerksame Quasselstrippen auf. Der anfängliche Ausnahmezustand hat sich also für mich und für die Lernenden wieder in Alltag verwandelt, was mir eigentlich gut gefällt, denn ich bin nicht mehr so erschöpft von all den neuen Eindrücken des Schultages und kann das, was mir begegnet, besser verstehen und einordnen, und mich besser auf meine Aufgaben konzentrieren.
Auch gibt mir das die Möglichkeit, mir in der Freizeit Beschäftigungen zu suchen und den Einladungen von Kolleginnen zu folgen. So war ich zum Beispiel schon im Fitnesszentrum, in einer Kunstausstellung eines schlesischen Künstlers oder einfach nur mal Kaffeetrinken im süßesten Café von Ruda Slaska.