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Auf ins Reich der Mitte!
Da ich es kaum erwarten konnte, China endlich mit meinen eigenen Augen zu sehen, reiste ich schon zehn Tage vor dem eigentlichen Praktikumsbeginn nach Shanghai. Um einen Kulturschock vorzubeugen, nutzte ich die Zeit vor meinem Abflug mich auf mein Gastland und dessen Kultur vorzubereiten. Geholfen haben mir dabei Bücher über das Land im Allgemeinen und meinen Einsatzort Suzhou im Besonderen. Aufschlussreich war diese Lektüre nicht nur deshalb, um etwas über Land und Leute Chinas zu erfahren, sondern auch, da die verschiedenen Zusammenhänge auch vor dem Hintergrund der eigenen Kultur betrachtet werden können.
Mit Elisenlebkuchen, Präsenten für die Schülerinnen und Schüler und einem Konvolut unterschiedlichster Unterrichtsideen im Gepäck, machte ich mich auf den 12-Stündigen Weg von München nach Shanghai. Es war noch dunkel, als die Maschine den chinesischen Luftraum erreichte und erst als ich das Flugzeug verließ, ging langsam die Sonne auf.
Ankunft in der Morgendämmerung in Shanghai
| © Mario Hiemer
Als ich zur Visakontrolle kam und dem Beamten in Uniform meine Papiere und das Einladungsschreiben der Schule übergab, warf ich einen Blick auf die große chinesische Flagge an der Wand, welche die Ankommenden auf der anderen Seite der Passkontrolle willkommen heißt. Ich war dankbar, dass mir die Möglichkeit eingeräumt wurde, mich für vier Monate in China aufzuhalten und zu wissen, dass eben jenes Land mein Gastgeber sein wird. Mit dem Transrapid ging es innerhalb von acht Minuten vom Flughafen direkt in das Zentrum Shanghais. Mit einer Geschwindigkeit von 300 km/h konnte ich bereits einen ersten Eindruck des Landes im Vorbeirauschen gewinnen. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und im Dunst des Morgens waren die Häuser und Wolkenkratzer der einwohnerstärksten Stadt Chinas bereits zu erkennen.
In nur 8 Minuten vom Flughafen direkt ins Zentrum: der Maglev Train
| © Mario Hiemer
Mit oder ohne Bargeld?
Während der ersten Tage in Shanghai ist mir der bargeldlose Zahlungsverkehr aufgefallen, der vor allem in den städtischen Gebieten Chinas omnipräsent ist. Vor allem das Bezahlen via QR-Code hat sich in den Städten Chinas durchgesetzt und wird von Supermärkten, Restaurants und sogar den kleinsten Streetfood-Ständen erfolgreich umgesetzt. Die meisten Apps, die hierbei zum Einsatz kommen sind mit dem chinesischen Bankkonto des jeweiligen Nutzers beziehungsweise der jeweiligen Nutzerin verknüpft, was wiederum zur Folge hat, das Reisende aus anderen Ländern vom bargeldlosen Bezahlen via App meist außen vor bleiben. So griff auch ich auf die eher altmodische Variante der Barzahlung zurück, was sich in China jedoch sehr einfach gestaltet, da die Anzahl unterschiedlicher Schein- und Münzsorten überschaubar ist.
Bauchfrei steht mir nicht!
Ein ganz anderes Phänomen, welches ich beobachten konnte, war dem Umstand geschuldet, dass das Thermometer in den ersten Tagen nahezu nie unter 30 °C sank und obendrein die Luftfeuchtigkeit permanent sehr hoch war. Es war interessant zu sehen, welche Strategien die Bewohner und Bewohnerinnen Shanghais anwenden, um in eben jener Situation etwas Abkühlung zu erhalten. Frauen wählten hier die elegante Methode des Fächers und kombinierten diesen meist mit Sonnenschirm, was zumindest etwas Pause von der Hitze versprach. Eine andere Strategie, welche ausschließlich von Männern zum Einsatz kam, war das Nachobenkrempeln des Shirts, sodass der Bauch gänzlich unbedeckt ist. Die nackten Bäuche waren damit ein fester Bestandteil des Stadtbildes, wobei angemerkt werden muss, dass diese Herangehensweise für viele jüngere, hippe Einwohner*innen Shanghais nicht in Frage kam. Sie ziehen es vor, die Nacht zum Tag zu machen, denn dann sind die Temperaturen weitaus angenehmer. Zentrale Plätze wie beispielsweise der Bund sind bei tagsüber nahezu ausgestorben oder werden nur vereinzelt von kleinen Touristengruppen besucht und verwandeln sich erst während der Abendstunden zu Zentren des pulsierenden Lebens.
Gegensätze ziehen sich bekanntlich an - so auch in Shanghai. Die Stadt verbindet den Eindruck einer Stadt, die sich vor allem durch ihre Gegensätze auszeichnet. So besticht der supermoderne Stadtteil Pudong durch seine Bürotürme und Luxusshoppingcenter aus Stahl und Glas, wohingegen auf der anderen Seite des Huangpu die alten Kolonialbauten, Tempel und Schreine die turbulente und lange Geschichte der Stadt repräsentieren. Ein weiterer Kontrast lässt sich in den Oasen der Ruhe wie beispielsweise dem Jadebuddhatempel dem Tempel der Weißen Wolken und natürlich dem Yu Yuan Garten erkennen, die mitten in den quirligen und lauten Alltag der Stadt eingebettet sind. Weiterhin zeigen eben genannte Bauwerke, den Gegensatz zwischen dem Bewahren des Alten und der Offenheit Shanghais für Neues. Hierbei sei jedoch angemerkt, dass beide Seiten nicht immer ideal in Einklang gebracht werden. Blickt man beispielsweise über die Dächer der noch erhaltenen kleinen, alten Gebäude und Gassen, so lassen sich in der Ferne bereits die Wohntürme und Stahlgebäude erkennen, die wie es scheint, immer näher kommen und die alte Bausubstanz immer mehr zurückdrängen.
Jedoch hat nicht alles, was alt aussieht auch wirklich schon einige Jahre auf dem Buckel. Der Bezirk um den Yu Yuan Garten, welche im Stil der Qing-Dynastie gebaut wurde ist in Wahrheit bei Weitem jünger. Er ähnelt mehr einer touristischen Attraktion und beherbergt jede Menge Läden, bei denen mehr oder weniger nützliche Dinge erstanden werden können. Dennoch lässt sich hier hautnah ein Eindruck des historischen Erbes Chinas gewinnen und die kleinen Cafés, die sich ebenso hier finden lassen, laden hier und dort zum Verweilen ein.
In vier intensiven aber gleichzeitig auch wunderbaren Tagen in Shanghai konnte ich schon jede Menge Kurioses aber deshalb nicht weniger Interessantes über die chinesische Kultur erfahren. Nun war es Zeit für mich, ins benachbarte Suzhou zu reisen, das mein zukünftiger Einsatzort werden sollte.
Mit dem Schnellzug nach Suzhou
Der Ticketkauf für den Zug von Shanghai nach Suzhou war nicht ganz einfach, denn chinesische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen können einfach mit ihrem Personalausweis am Automaten ein Zugticket lösen. Reisende auf anderen Ländern müssen hingegen am Schalter ein Ticket kaufen, denn auch die Daten ihres Reisepasses wollen adäquat erfasst sein. Ich begab mich deshalb auf die Suche nach dem Ticketschalter, der nicht wie vermutet im zentralen Bahnhofsgebäude untergebracht ist, sondern nur durch eine Unterführung erreicht werden kann. Nachdem ich das Gebäude gefunden hatte, reihte ich mich in die Schlange der Reisenden in der Schalterhalle ein und übersetzte während der Wartezeit die nötigen Informationen. Allgemein lässt sich hierbei anmerken, dass ein Übersetzungstool, welches im Idealfall auch offline arbeitet, in China meist unverzichtbar ist.
Nach nur wenigen Minuten am Schalter war ich stolzer Besitzer eines gültigen Fahrscheins für den Schnellzug, der mich innerhalb von nur 25 Minuten nach Suzhou bringen sollte. Eiligen Schrittes ging ich zurück zum Bahnhof und reihte mich dort in die Schlange zur Sicherheitskontrolle ein. An Fernverkehrs- und U-Bahnhöfen in Shanghai werden derartige Kontrollen, die denen an Flughäfen gleichen, immer durchgeführt. Nachdem auch dieser Schritt getan war, wartete ich auf dem Bahnsteig auf meinen Zug.