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Blog #4
Ein Streifzug durch das historische Suzhou

Neben der Arbeit an meiner Einsatzschule bleibt an den Wochenenden auch immer ausreichend Zeit Suzhou und dessen Umgebung zu erkunden. Die Stadt und ihre umliegenden Orte bestechen vor allem durch ihr reiches historisches Erbe, welches oftmals Jahrtausende zurückreicht. Bedeutend sind die sehenswerten Bauwerke vor allem auch deshalb, da sie nur wenig bis keine Veränderung oder Zerstörung erfahren haben und noch in ihrer alten Pracht bestaunt werden können. Die Erkundung der Altstadt Suzhous wird Fremden sehr einfach gemacht, denn die historischen Gebäude sind von allen Seiten durch Teile der alten Stadtmauer mit den Stadttoren abgegrenzt. Aus der Vogelperspektive ergibt sich dadurch eine rechteckige Form, die durch Kanäle auch heute noch deutlich aus dem Stadtplan hervortritt.

Die Begegnung im Teehaus der Beisi Pagode
Die Beisi Pagode, die den Leuten in Suzhou auch als  Bao’en Tempel oder Nord Pagode bekannt ist, ist der älteste buddhistische Tempel in Suzhou. Die Geschichte der Anlage, die auch heute noch bewundert werden kann, reicht 1700 Jahre zurück und versetzt damit Besucher*innen aus aller Welt ins Staunen. Aber auch in China ist die Pagode als eine der ersten im südlichen Teil des Landes von enormer kultureller und historischer Bedeutung. Der Tempel neben der Pagode wurde von Sun Quan einem Kaiser der Wu Dynastie, zum Andenken an seine Mutter gebaut. Die Anlage dient Buddhisten auch heute noch als eine Art Wallfahrtsort, weshalb nahezu immer viele betende Menschen anzutreffen sind.

Die Pagode, deren Grundriss einem Oktagon gleicht, erreicht mit ihren neun Stockwerken eine Höhe von 76 Metern. Ursprünglich war sie allerdings mit elf Stockwerken noch höher. Durch dreimaliges Umrunden der Pagode im Uhrzeigersinn können böse Geister den Gläubigen nichts mehr anhaben und die Fehler, die im Leben zuvor gemacht wurden, werden getilgt. Zusätzlich soll es den Geist von Zweifeln, Antriebslosigkeit, Hass sowie Täuschung befreien und somit den Weg für eine bessere Zukunft ebenen.

Direkt neben dem Tempel und der Pagode findet sich hinter einer Mauer ein klassischer chinesischer Garten mit einem Teich und einem kleinen Teehaus, das sich hinter vielen Bäumen zu verstecken scheint.

© Mario Hiemer
Frisch gebrühter Tee in herrlicher Atmosphäre: das Teehaus der Beisi Pagode

Diese Chance nutzen Svenja und ich direkt und bestellten uns dort auch einen Tee, um ihn in der wunderbaren Umgebung des Gartens genießen zu können. Das Teehaus scheint jedoch auch bei den Leuten aus Suzhou beliebt zu sein, denn es war nur noch ein Tisch für uns frei, den wir sogleich einnahmen. Es war eine schöne Atmosphäre so ganz entspannt die Idylle des Gartens genießen zu können. Der Tee wurde mit kleinen Snacks in Form von Crackern an unseren Tisch gebracht und die Dame setzte vor unseren Augen unmittelbar den ersten Aufguss an. Dieser darf aber nicht lange ziehen, denn er dient eher dem Spülen des Tees und dem Vorwärmen der Tassen. Trinkbar ist erst der zweite Aufguss, der gleich nach dem Vorgang angesetzt wird.  

Natürlich fielen wir den anderen Besucher*innen sofort auf, da wir es nicht lassen konnten, Fotos des Teehauses zu machen. Nach einer Weile kam ein Mönch vom Nebentisch auf uns zu und schenkte jedem von uns einen Mondkuchen und verschiedene Früchte, die zuvor noch auf seinem Tisch in einem Korb standen. In gebrochenem Englisch gab er uns zu verstehen, dass wir doch einmal die Früchte probieren sollten. Wir waren sehr überrascht von dieser netten Geste, bedankten uns und probierten sogleich die Früchte. Der Mönch verabschiedete sich sehr höflich und verließ daraufhin das Teehaus. Für uns war es ein tolles Erlebnis und wir waren glücklich, dass wir die uns gänzlich unbekannten Früchte probieren konnten. Nach unserem Besuch im Teehaus begaben wir uns wieder auf den Weg nach Hause. Mein erster Besuch in einem chinesischen Teehaus hat mich sehr von der entspannenden Wirkung überzeugt, die von derartigen Einrichtungen ausgeht. Was der Biergarten in Bayern für die bayerische Gemütlichkeit darstellt, ist in China offensichtlich das Teehaus für die chinesische Gemütlichkeit.

Die Dinghui Tempel Straße
Der Name verrät bereits, dass sich in eben jener Straße der buddhistische Dinghui Tempel finden lässt. Gebaut wurde dieser während der ersten Jahrzehnte der Song Dynastie, die von 960 bis in das Jahr 1279 andauerte und anschließend von der Yuan Dynastie abgelöst wurde. Die schmale Straße liegt etwas abseits des geschäftigen Treibens der Stadt und wenn das kleine Tor der Tempelanlage erst einmal durchschritten ist, so entfaltet sich ein wahrer Ruhepol, welchen auch die Gläubigen für ihr Gebet zu schätzen wissen. Vor dem Hauptgebäude, in welchem zahlreiche Buddha Statuen untergebracht sind, verkaufen Frauen die lotusförmigen Opferkerzen, die von Besucher*innen des Tempels für ein paar Jiao erworben werden können.

Touristen sind in den Tempelanlagen meist willkommen, doch wird stets darum gebeten, sich innerhalb der Anlagen respektvoll zu verhalten. Fotos können beispielsweise geschossen werden, wenn Altäre nicht benutzt werden oder keine Zeremonie stattfindet. In diesem Zusammenhang gilt es auch darauf hinzuweisen, dass die Altäre buddhistischer Tempel meist auch eine kostbar verzierte Rückseite haben und diese in den überwiegenden Fällen nur selten  für das Gebet genutzt wird. Leider kann jedoch auch oft beobachtet werden, dass einigen Menschen ein gutes Motiv für das Fotoalbum wichtiger ist, als das persönliche Gebet der Gläubigen. So kommt es vor allem in den bekannten Tempeln nicht selten vor, dass Touristen auf der Suche nach der perfekten Perspektive zwischen den Gläubigen hindurchwaten.
  • In Reih und Glied stehen unzählige Opferkerzen in Form einer Lotusblüte © Mario Hiemer
    In Reih und Glied stehen unzählige Opferkerzen in Form einer Lotusblüte
  • Auch die Rückseite des Hauptaltares ist durchaus ein Foto wert © Mario Hiemer
    Auch die Rückseite des Hauptaltares ist durchaus ein Foto wert
Betritt man wieder die Straße, so finden sich ein paar Schritte entfernt vom Dinghui Tempel  die Zwillingstürme und die Überreste des Arhat Tempels. Warum das Hauptgebäude des Ensembles heute nur noch in Teilen existiert, konnte ich bei meinem Besuch nicht in Erfahrung bringen. Allerdings informierte eine Tafel darüber, dass die beiden Turmpagoden zusammen mit dem Tempel an ein Schreibset erinnern sollten. Die beiden Türme stellten ursprünglich die Schreibutensilien und der Tempel die Schreibunterlage dar. Das Areal beherbergt auch eine Ausstellung mit Steinmetzarbeiten verschiedener Dynastien, die aus zerstörten Tempeln aus der Umgebung zusammengetragen wurden.
Nur noch die Sockel der Säulen des einstigen Arhat Tempels sind noch heute zu sehen
© Mario Hiemer
Nur noch die Sockel der Säulen des einstigen Arhat Tempels sind noch heute zu sehen

Gleich neben den Zwillingstürmen befindet sich das Wu Zuoren Art Museum, in welchem Kunst des 19. Jahrhunderts ausgestellt ist und Besucher*innen keinen Eintritt bezahlen müssen. Besonders der Innenhof mit einem kleinen Fischbecken lädt zu einer Pause ein, bei welcher der Blick auf die benachbarten Zwillingspagoden genossen werden kann. Nicht weit von der Dinghui Tempel Straße befinden sich überdies auch sehr viele Geschäfte, die bei den Leuten Suzhous für exquisite Produkte aus Jade und Seide bekannt sind.
  
Das historische Ensemble rund um die Pingjiang Straße
Eines der Stadttore ist das sogenannte Loumen Tor, welches ich in der Abenddämmerung aufsuchte, um den herrlichen Blick über die Stadt zu genießen.  Nach meinem Streifzug durch die Gassen Suzhous konnte ich beobachten, wie die Sonne langsam in dem Häusermeer versank und schließlich gänzlich am Horizont verschwand.

Im Anschluss erkundete ich die Pingjiang Straße, welche direkt neben einem Kanal verläuft und in der viele Bars, Restaurants und natürlich auch Geschäfte mit mehr oder weniger nützlichen Dingen zu finden sind. Die Straße ist vor allem für die Handwerkskunst bekannt, deren Produkte noch heute in zahlreichen Läden bewundert werden können. Neben der Kunst der Kalligrafie finden sich auch edle Boutiquen, welche handgemachte Seidengewänder zum Kauf anbieten. Ein besonderes ästhetisches Vergnügen sind aber auch die doppelseitig von Hand bestickten Seidenfächer, für deren Preise es keine Grenzen zu geben scheint. Hier und da kann sogar ein Blick hinter die Kulissen geworfen und beobachtet werden, wie die filigranen Meisterwerke der Stickkunst entstehen. Verkäufer*innen laden oftmals sogar ein, sich die Produktion näher anzusehen, da sie das als Qualitätsgarantie verstehen. Weitere Besonderheit der Straße, sind die kleinen Theater und Bühnen, die meist in Bars integriert sind und auf denen Sänger*innen oft auch in historischen Gewändern traditionelle Stücke zum Besten geben.
  • Schön beleuchtet ist auch der Kanal der Pingjiang Straße © Mario Hiemer
    Schön beleuchtet ist auch der Kanal der Pingjiang Straße
  • Trauerweiden findet man nahezu an allen Gewässern in China © Mario Hiemer
    Trauerweiden findet man nahezu an allen Gewässern in China
Reizvoll ist die Stimmung in der Straße vor allem nach Sonnenuntergang, denn hier sind die alten Gebäude durch die Papierlampions in mysteriöses Licht getaucht. Aber nicht nur die Gebäude hüllen sich in einen Schein des  Kunstlichts, sondern auch der kleine Kanal mit zahlreichen Brücken wird abends beleuchtet, und avanciert damit zum beliebten Fotomotiv. Natürlich tragen dazu auch die rund 18 kleinen Steinbrücken bei, welche die Pingjiang Straße mit den Querstraßen verbinden. Obwohl die ganze Altstadt Suzhous von Kanälen durchzogen ist, findet sich in diesem Teil die höchste Dichte an Brücken.

Das Venedig des Ostens: die Wasserstadt Tongli
Der Sonntag war ganz der Wasserstadt Tongli gewidmet, welche auch den Namen Venedig des Ostens trägt. Selbige kann von Suzhou mit der U-Bahn erreicht werden und ist bei vielen Touristen sehr beliebt. So gibt es beispielsweise auch Direktbusse für Touristen aus den umliegenden Städten und sogar von Shanghai. Svenja und ich nahmen die U-Bahn, die unseren Stadtteil mit Tongli verbindet und waren überrascht, dass die Fahrt am Ende doch nahezu zwei Stunden beanspruchte. Interessant ist auch, dass die Haltestelle in Tongli nicht etwa im Stadtzentrum ist, sondern mitten im Nirgendwo. Geschäftstüchtige Chinesinnen und Chinesen stehen allerdings bereits am Ausgang der U-Bahn bereit und bieten den Touristen für ein paar Yuan einen Shuttleservice in das Zentrum der Stadt an. Um unsere Reisekasse zu schonen, teilten wir uns eines dieser dreirädrigen Minivehikel mit einem Pärchen aus Italien und begaben uns auf den Weg in Richtung des historischen Zentrums.

In der Stadt angekommen waren wir zunächst etwas verwirrt, denn um die Altstadt  besuchen zu können, müssen Touristen ein Ticket kaufen. Im ersten Moment war ich mir nicht ganz sicher, ob ich nun eine richtige Stadt oder einen Freizeitpark besuche. Jedoch sind in dem Ticket auch die Eintritte für die historischen Gebäude, Tempel und Gärten inkludiert, weshalb es durchaus sinnhaft ist, für die Vielzahl der Attraktionen ein umfassendes Ticket zu verkaufen.

Dass die weite Anreise und der Ticketkauf allerdings mehr als lohnenswert war, begriff ich spätestens nachdem wir die Brücke überquert und das Tor zur Altstadt durchschritten hatten. Für einen Augenblick schien es, als wäre die Zeit um ein paar Jahrhunderte zurückgedreht worden. Auf dem Plan, den Svenja und ich zur Eintrittskarte erhielten, mussten wir uns zunächst einen Überblick verschaffen, welche Sehenswürdigkeiten wir denn auch wirklich sehen wollten. Die schiere Anzahl an unterschiedlichen historischen Gebäuden war sehr beeindruckend. Neben luxuriösen Wohnhäusern gab es auch Theater, Schulen und Gärten, welche allesamt eines gemeinsam hatten: Sie sind noch heute in dem Zustand zu sehen, wie sie es auch schon vor Jahrhunderten waren. Ausgenommen von Restaurierungsarbeiten, die bei derartigen Gebäuden für den Erhalt notwendig sind, wurde an der Bausubstanz nichts geändert. Nachdem wir uns einen Überblick verschafft hatten, begaben wir uns auf die Tour durch Tongli, welche den ganzen Tag andauern sollte.
  • Langsam rudern die Boote durch die verzweigten Kanäle Tonglis © Mario Hiemer
    Langsam rudern die Boote durch die verzweigten Kanäle Tonglis
  • Beliebt sind die Ruderboote vor allem bei den Besucher*innen © Mario Hiemer
    Beliebt sind die Ruderboote vor allem bei den Besucher*innen
Identitätsstiftendes Merkmal Tonglis sind die zahlreichen kleinen Kanäle, die ursprünglich zum Warentransport angelegt wurden und heute perfekte Motive für Postkarten sind. Sie winden sich an einigen Stellen eng um die Häuser und Plätze und werden an anderen Stellen zu auslandenden Gewässern, auf denen sich die Bäume und Häuser der Stadt spiegeln. Aufgrund der zahlreichen Kanäle gibt es natürlich auch jede Menge Brücken, die die Ufer miteinander verbinden und von denen ein herrlicher Blick auf die vorbeiziehenden Boote genossen werden kann.

Wir besuchten überdies auch zahlreiche historische Wohnhäuser gut betuchter Familien, sahen Privatgärten und spazierten durch enge Gassen, an deren Ende meist eine neue Sehenswürdigkeit warten sollte. In vielen der historischen Gebäude waren auch Gegenstände aus Seide und Porzellan ausgestellt, die in die Epoche des jeweiligen Gebäudes passten. Die Gärten und Innenhöfe der  großen Wohnanlagen reicher Familien, boten ideale Möglichkeit für kurze Zwischenpausen. Trotz der vielen Besucher*innen konnte ein Gespür dafür entwickelt werden, wie die Menschen hier vor Jahrhunderten lebten und ihren Wohlstand durch den Handel mit wertvollen Gütern sicherten.
Ein entrückter Moment der Ruhe in einem der historischen Wohnhäuser
© Mario Hiemer
Ein entrückter Moment der Ruhe in einem der historischen Wohnhäuser

Nach einer Weile wurde mir klar, dass die prachtvollen Wohnhäuser einem immer ähnlichen Grundaufbau folgten: Die Anlagen sind immer stufenweise aufgebaut, wobei die einzelnen Gebäude nacheinander angeordnet sind.  Die Innenhöfe dienen dabei als Verbindungen und spenden gleichzeitig ein wenig Schatten. Die Anzahl der hintereinander folgenden Bauten, welche zwischen 4 und 7 schwankt,  richtet sich natürlich nach dem Wohlstand der jeweiligen Familie. Der Eingangsbereich ist wie in den Gärten auch durch einen Sichtschutz abgeschirmt, sodass das Innere der ersten Halle von außen geschützt ist.

Selbige diente meist als Empfangsraum für Gäste, wobei reiche Familien auch zwei Empfangsräume hatten und die besseren Gäste in den zweiten Empfangsraum geführt wurden. Im Anschluss folgt meist ein Teeraum, der auch zur Konversation genutzt wurde. Diese erste Einheit, welche zum Großteil dem Empfang der Gäste diente, wird meist gefolgt von den Gebäuden, die der Familie Wohnraum boten. Vom Wohntrakt der Familie lassen sich auch die prächtigen Privatgärten erreichen, welche den Familienmitgliedern als Oasen der Ruhe und Entspannung dienten.

Blick in einen der Gärten, der auch Teil des UNESCO Welterbes ist Blick in einen der Gärten, der auch Teil des UNESCO Welterbes ist | © Mario Hiemer Die zahlreichen Innenhöfe, welche die unterschiedlichen Gebäude miteinander verbinden bieten ideale intime Räume, in welchen entspannt werden kann. Zudem spenden sie aufgrund der Höhe umliegender Gebäude meist auch Schatten und versorgen die Wohngebäude so auch mit etwas kühler Luft. Der hintere letzte Trakt der Wohnhäuser enthält die Nutzgebäude, die der Vorratshaltung dienten und der Dienerschaft Unterkunft boten.

Immer wieder fragte ich mich, mit welchem Wort man Tongli und die Masse an historischer Bausubstanz am besten beschreiben könnte. Am Ende des Tages musste ich sagen, dass es auf mich wie ein großes Freilichtmuseum wirkte.

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