Blog #5
Stippvisite in Hangzhou
Um auch andere Ecken Chinas kennenzulernen, besuchte ich vergangenes Wochenende die Stadt Hangzhou, welche von Suzhou mit dem Zug innerhalb von drei Stunden erreicht werden kann. Die Hauptstadt der Provinz Zhejiang steht nicht nur bei Reisenden aus dem Ausland sondern auch bei den Chines*innen selbst für einen Kurztrip hoch im Kurs.
Zugfahrkarten in China
Beim Buchen der Tickets vertraute ich diesmal auf eine App, mit der Zugtickets im Voraus reserviert werden können. In China gibt es für derartige Langstrecken eine ganze Palette unterschiedlicher Fahrkartenkategorien, die je nach Preis mehr oder weniger Komfort bieten. Vor der Auswahl sollte sich daher zunächst die Frage gestellt werden, auf welche Art und Weise man denn gerne im Zug reisen möchte. Von einem sehr bequemen Bett mit viel Raum für Gepäck bis hin zu einem Stehplatz in einem bereits vollen Zugabteil ist hier alles dabei.
Sind alle nötigen Informationen gefunden, so kann der passende Zug ausgewählt werden. Die Ballungszentren entlang der Ostküste sind mit gleich mehreren Direktverbindungen pro Tag mit Hochgeschwindigkeitszügen verbunden und es ist daher relativ bequem sich an das Reisen mit dem Zug zu gewöhnen. Ist die richtige Fahrkarte dann gefunden und gebucht, so muss man dennoch etwas früher zum Bahnhof, denn die Fahrkarten für Ausländer*innen müssen nach wie vor am Schalter gegen Vorlage des Reisepasses abgeholt werden. Letzter Schritt ist in China meist mit längeren Wartezeiten verbunden, denn Reisen mit dem Zug ist hier sehr beliebt. Egal wie weit die Distanzen sind: Chines*innen greifen sehr gerne, wenn nicht gar ausschließlich, auf den Zug als Mittel der Fortbewegung zurück.
Lange Schlangen in der Schalterhalle sind ein ganz normaler Anblick
| © Mario Hiemer
Das Gute an den Ticketpreisen ist, dass sie sich kaum oder nicht verteuern, wenn nur noch wenige verfügbar sind, sondern immer denselben Preis haben. Preisfindung durch Angebot und Nachfrage scheinen damit nicht für Zugfahrkarten zu gelten. In China sind Reisende allerdings mit einer ganz anderen Problematik konfrontiert: den chinesischen Feiertagen. Fällt der Reisezeitraum auf einen offiziellen Feiertag, so sollten Fahrkarten bereits Wochen, wenn nicht gar Monate im Voraus gebucht werden, da sonst die Gefahr besteht, dass sämtliche Züge ausgebucht sind. Bei meinem Wochenendtrip war das aber nicht der Fall, sodass ich auch noch spontan buchen konnte.
Das A und O des Reisens: ausreichend Proviant
Nach dem Unterricht am Freitag machte ich mich unmittelbar auf den Weg nach Hangzhou. In der Wartehalle des Bahnhofs in Suzhou ist mir dann gleich aufgefallen, dass viele Reisende Plastiktüten mit allerlei Snacks und Getränken mit sich führen. Die Snacks reichen dabei von Gebäck, Keksen und Obst bis hin zu Instantsuppen. Letztere sind vor allem praktisch, denn an den Bahnhöfen gibt es neben dem kostenlosen warmen Trinkwasser immer auch Automaten, welche die Reisenden ohne Gebühr mit kochendem Wasser versorgen. Viele der Wartenden verkürzen sich die Zeit deshalb mit einer Suppe oder einem frisch gebrühten Tee. In den Zügen selbst gibt es ebenfalls immer Automaten, an welchen kochendes Wasser kostenlos zur Verfügung gestellt wird, weshalb auch während der Zugfahrt die eine oder andere Instant-Suppe zubereitet wird.
Auch an anderen Bahnhöfen konnte ich immer wieder den Eindruck gewinnen, dass eine ausreichende Versorgung mit Proviant den Leuten hier sehr wichtig sein muss, da sie oftmals Unmengen an Snacks dabei hatten. Obwohl auch in den Bahnhöfen mehrere Imbissbuden und Restaurants kulinarische Köstlichkeiten anbieten, kaufen die Leute hier bereits vor dem Betreten des Bahnhofs ausreichend Proviant für die Fahrt. Hier spielt sicherlich auch ein ökonomischer Gedanke eine tragende Rolle, denn auch in China liegen die Preise für Essen an Bahnhöfen etwas über dem Durchschnitt. Findige Chinesen und Chinesinnen sorgen deshalb vor.
Die Reise nach Hangzhou
Im Vergleich zu Deutschland scheint Zugfahren in China viel strukturierter und akkurater zu sein. Die Tickets, welche bereits Wochen im Voraus gebucht werden können weisen so beispielsweise schon das Gate zum Einchecken und die jeweilige Nummer des Bahnsteigs aus. Kurzfristige Änderungen oder Bahngleiswechsel sind hier nicht zu finden. Zudem ist es interessant zu sehen, dass die Züge nahezu immer auf die Minute genau ihren jeweiligen Zielbahnhof erreichen.
Beim Einsteigen in den Zug muss in China niemand drängeln, denn alle Plätze – ausgenommen natürlich die Stehplätze – sind auf den jeweiligen Namen des Reisenden bzw. der Reisenden reserviert. Vor jedem Wagon stehen überdies Anweiser*innen, die nochmals kontrollieren, ob der entsprechende Platz auch ihrem Wagon ist.
Die Zugfahrt an sich war ganz angenehm, wobei ich als Ausländer in der billigsten Sitzklasse durchaus die Aufmerksamkeit auf mich zog. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Tatsache, dass ich nicht mit einem der Schnellzüge, sondern mit einem Bummelzug gefahren bin. Während der Fahrt wurden unzählige Male auch Snacks zum Kauf angeboten. Es fiel mir auf, dass neben ein paar Snacks auf getrocknetem Fleisch überwiegend frisches bereits mundgerecht geschnittenes Obst angeboten wurde. Auch in den Straßen Hangzhous und anderer Städte sah ich oft Personen mit großen Bechern, die bis zum Rand mit Obst und Früchten gefüllt waren. Es ist interessant zu sehen, dass so viele Leute in China offensichtlich einen gesunden Snack bevorzugen.
Der Westsee bei Nacht
Gegen Abend erreichte mein Zug den Hauptbahnhof in Hangzhou und ich fuhr sogleich zu meiner Unterkunft, die sehr zentral neben dem Westsee lag. Selbiger ist aber nicht nur irgendein Gewässer in Hangzhou, sondern die Sehenswürdigkeit schlechthin. Im ganzen Land kennt man den Westsee, der unter anderem auch auf der Ein-Yuan-Note abgebildet ist. Diese ist jedoch sehr selten, da für einen Yuan eigentlich Münzen verwendet werden. Leute, die nach Hangzhou reisen haben jedoch immer auch jene Note in ihrem Gepäck, um sich damit vor dem See abzulichten. Daraus lässt sich erkennen, das Hangzhou unweigerlich mit dem Westsee verbunden ist und jeder Besuch in der Stadt nicht ohne einen Abstecher zu eben jenem See auskommt.
Gänzlich in das Dunkel der Nacht gehüllt: der Westsee
| © Mario Hiemer
Nach dem Einchecken unternahm ich einen Spaziergang entlang des Ufers und war bereits nach den ersten Schritten begeistert von der ruhigen und idyllischen Atmosphäre. Der dunkle See, auf dem sich nur das Mondlicht spiegelte und die Trauerweiden, die das Ufer säumen und sich langsam im Wind wiegen schaffen trotz der vielen Besuchenden eine nahezu magische Atmosphäre. Es verwundert daher nicht, dass das Motiv des Westsees auch in vielen chinesischen Gedichten und anderer Literatur der vergangenen Jahrhunderte festgehalten worden ist. Dadurch, dass eben jenes Motiv immer wieder Eingang in die klassische Literatur fand, steigerte sich die Popularität des Sees immer mehr.
Das Tempelkloster Lingyin Sin und der Berg Feilai Feng
Am zweiten Tag verabredete ich mich mit Robert, dem SCHULWÄRTS!-Praktikanten in Hangzhou und wir erkundeten das Tempelkloster Lingyn Si. Selbiges geht auf einen indischen Mönch zurück, der den Feilai Feng sah und sich sofort an seine Heimat erinnert fühlte. Er glaubte, die Umgebung müsse aus Indien hergeflogen sein und gründete in dem Tal, das an der einen Seite durch eben jenen Berg begrenzt wird, das buddhistische Kloster.
Der Ort des Klosters lässt sich von der Stadtmitte ideal mit dem Bus erreichen. Das Gebiet um die Anlage herum ist eine Art Naturschutzgebiet, weshalb auch hierfür eine Eintrittskarte gekauft werden muss. Nach den ersten Schritten fällt der Blick der Besuchenden bereits auf Buddhabildnisse, die vor Jahrhunderten in den blanken Fels des Feilai Feng gehauen wurden. Die Nischen lassen sich von dem verschlungenen Wege- und Treppensystem, das der felsigen Oberfläche des Berges abgerungen wurde, ideal bewundern.
Es gibt allerdings auch kleinere Höhlen, deren Innenräume ebenso reich ausgeschmückt sind. Um eben jene geheimnisvollen Orte zu erreichen, müssen nicht selten kleinere Bachläufe oder Gräben überwunden werden. Doch die Anstrengungen zahlen sich am Ende aus und es verwundert nicht, dass auch dieser Ort von der UNESCO zum Weltkulturerbe gezählt wird.
Nachdem wir die unzähligen Stufen des Feilai Feng bezwungen hatten, kauften wir ein Ticket für das Tempelkloster Lingyin Sin. Selbiges besteht aus einer schier endlosen Zahl kleinerer und größerer Gebäude, die sich alle eng an den Fels des Berges schmiegen. Der Umfang der kompletten Anlage lässt sich auf den ersten Blick nicht erkennen, da die Gebäude der Tempelanlagen meist hintereinander gereiht sind und so der Blick auf das folgende Bauwerk erst durch Verlassen des davorliegenden freigegeben wird.
Besonders hervorzuheben gilt es allerdings zwei Gebäude: Das erste ist der Haupttempel, welcher eine circa 20 Meter hohe hölzerne Buddhastatue beherbergt und außen von zwei Steinpagoden aus der Zeit um 969 flankiert wird. Neben dem vergoldeten Buddha finden sich zu beiden Seiten auch die Statuen der 20 Schutzgötter des Buddhismus sowie die erleuchteten Schüler Buddhas. In Sichtweite des Haupttempels befindet sich auch die gewaltige hakenkreuzförmige Halle der 500 Luohan, in welcher die Statuen heiliger Mönche bestaunt werden können.
Neben all dieser Schönheit, welche einerseits natürlich gegeben und andererseits von Menschenhand geschaffen wurde, muss jedoch auch angemerkt werden, dass das Tempelkloster und dessen Umgebung ein sehr beliebtes Ausflugsziel ist. Leider hat das auch zur Folge, dass die Wege und Gebäude mit sehr vielen Menschen gefüllt sind. Je mehr Treppen man allerdings hinter sich gelassen hat, desto weniger Leute sind an den jeweiligen Orten anzutreffen.
Teil der Klosteranlage ist auch ein Teehaus und der Tee wächst direkt vor der Tür
| © Mario Hiemer
Gegen Abend erkundete ich noch die Innenstadt Hangzhous und stieß per Zufall auf einen großen Markt, auf dem allerlei Waren und Dienstleistungen angeboten wurden. Das turbulente Treiben und die unterschiedlichen Gerüche hätten mich vor ein paar Wochen sicherlich noch etwas an den Rand der Überforderung gebracht, doch ich musste feststellen, dass sich im Lauf der Zeit ein Gefühl der Gewohnheit breitmacht. Interessiert an den unzähligen Ständen ließ ich mich von dem bunten Geschehen des Marktes treiben, ehe ich mich wahnsinnig müde aber dennoch beseelt von den wunderbaren Eindrücken zurück auf den Weg in meine Unterkunft machte.
Das Foto mit dem Geldschein
Der dritte Tag begann mit einem Muss für jeden Besucher Hangzhous: eine Bootsfahrt auf dem Westsee. Bei dieser Gelegenheit kann auch die Insel Xiao Yingzhou besucht werden, auf der neben kleinen Pagoden auch zahlreiche Lotos- und Seerosenteiche bestaunt werden können. Die Insel wird jedoch weniger wegen der kunstvoll angelegten Gartenlandschaft angesteuert, sondern vielmehr deshalb, da an ihrer Südseite die Steinlaternen aus dem Westsee ragen, die auch auf dem Geldschein abgebildet sind. Natürlich ist man an dieser Stelle nicht alleine, sondern umgeben von einer Schar an Tourist*innen, die freundlich lächelnd eine Ein-Yuan-Note in die Kamera halten. Als Ausländer ist man hier meist alleine, denn vor allem Besucher*innen aus China lieben den Witz mit dem Geldschein.
Das obligatorische Geldschein-Foto
| © Mario Hiemer
Nachdem auch ich die Insel erkundet und dabei mein obligatorisches Foto Hangzhous geschossen hatte, nahm ich die Fähre und fuhr an das andere Ufer des Westsees zur Lei Feng Pagode. Diese ist in China vor allem deshalb bekannt, da die Geschichte der weißen Schlange mit ihrer Entstehung verknüpft ist. Der Legende nach wurde die Pagode gebaut, um eine schöne Frau in Gestalt einer weißen Schlange einzusperren. Die Schlange wurde natürlich befreit und verwandelte sich wieder in die wunderschöne Frau zurück.
Quelle der Inspiration für Kunst und Literatur ist immer wieder der Westsee
| © Mario Hiemer
Die Pagode, die heute zu sehen ist, wurde allerdings Mitte des 20. Jahrhunderts errichtet. Das Original stürzte 1924 ein und es herrschte lange Zeit Uneinigkeit ob und wie das Gebäude wieder errichtet werden sollte. Da das gesamte Ensemble der Pagode in Zusammenhang mit dem Westsee ein wichtiges Motiv in der chinesischen Literatur darstellt, entschloss sich die Regierung, die Pagode zu rekonstruieren. Es ist durchaus interessant, was hier unter dem Wort Rekonstruktion verstanden wurde, denn der Turm ist wahrlich etwas sehr modern geworden. Beispielsweise wurde auch der Treppenaufgang zur Pagode mit einer Rolltreppe ausgestattet, die nicht wie einst die Steintreppe einen romantischen Charme versprüht, sondern eher Erinnerungen an ein Kaufhaus weckt. Weiter geht es dann in der Pagode selbst, denn diese ist nur von außen ein vermeintlich altes hölzernes Gebäude. Innen hingegen fällt der Blick sofort auf den Stahlbeton und den modernen gläsernen Aufzug, welcher die Besucherinnen und Besucher ganz bequem in die oberste Etage befördert. Insgesamt wirkt das Ensemble aus modernen und rekonstruierten historischen Elementen weniger harmonisch. Nichtsdestotrotz ist der Ausblick, der von dem obersten Stockwerk genossen werden kann, unbezahlbar. Neben dem Westsee können auch die umliegenden Berge mit ihren Tempeln und Pagode bewundert werden und in der Ferne lässt sich auch die Skyline Hangzhous erkennen.
Panoramaausblick von der Lei Feng Pagode
| © Mario Hiemer
Mit diesem Bild vor Augen neigte sich mein Ausflug nach Hangzhou dann auch dem Ende zu. Gegen Abend setzte ich mich an das Ufer des Westsees und genoss den Anblick der untergehenden Sonne.
Gelungener Abschluss des Kurztrips nach Hangzhou
| © Mario Hiemer
Jetzt, da ich im Zug zurück nach Suzhou sitze und die Landschaft an mir vorbeiziehen sehe, bin ich sehr dankbar, dass an diesem tollen Programm teilnehmen darf und freue mich schon auf die nächsten Abenteuer, die mich im Reich der Mitte erwarten werden.