Blogeintrag 1
„You are soooo tall...“
„You are sooo tall“ – meine erste Schulwoche
Seit einer Woche bin ich nun in Zhuzhou, Hunan, um hier in den kommenden drei Monaten als Praktikantin die Deutschlehrerin an der Zhuzhou Foreign Language Shifeng School zu unterstützen. Nach einer knapp dreiwöchigen Chinareise vor zwei Jahren war ich von diesem Land so fasziniert und beeindruckt, dass ich auf jeden Fall wiederkommen und mehr kennenlernen wollte. Vielleicht war die Zeit damals zu kurz, um den Kulturschock ganz zu überwinden und ich habe nun das Gefühl, dieses noch nachholen zu müssen. Auf verrückten (und lebensgefährlichen) Verkehr, lautes Hupen (allgemein Lärm), geräuschvolles auf den Boden Rotzen, lange Wege und schlechte Luft bin ich zumindest vorbereitet. Aber wer weiß, was da noch kommt – trotzdem freue ich mich sehr darauf, das Land und seine Menschen noch ein bisschen länger erleben zu dürfen. Auf diesem Blog werde ich versuchen, ein paar Einblicke in meinen Alltag hier zu geben.
An der Zhuzhou Foreign Language Shifeng School werden die Klassen 1-6 (Grundschule) und 7-9 (Mittelschule) unterrichtet. Die Schüler lernen hier ab der ersten Klasse Englisch, im siebten Schuljahr haben sie zudem ein Jahr lang Deutschunterricht. Meine Betreuerin Hui ist die einzige Deutschlehrerin an der Schule. Sie unterrichtet je eine Stunde Deutsch (45min) in allen siebten Klassen – neun insgesamt – wobei zwei Klassen zwei Stunden Deutsch in der Woche haben, sodass sie insgesamt auf 11 Stunden in der Woche kommt. Dies bedeutet aber auch, dass sie neun mal mehr oder weniger die selbe Stunde unterrichtet, etwas, dass sie selbst als ein „ein bisschen langweilig“ empfindet. Zudem unterrichten hier alle Lehrer nur ein Fach – auch das verspricht nicht unbedingt Abwechslung. Die meisten Schüler wohnen auf dem Schulgelände und kommen sowohl aus Zhuzhou als auch aus umliegenden Städten. Der Tagesplan (nicht nur der Stundenplan, auch alle anderen Aktivitäten sind durchgeplant) fängt um 6.30 Uhr mit dem Aufstehen an und endet um 21.50 Uhr mit der Nachtruhe. Dazwischen verteilen sich insgesamt 8 Schulstunden, alle Mahlzeiten, Lesezeiten, Gymnastikeinheiten und Mittagsschlaf (wobei die Schüler diesen im Sommer wohl nicht mehr machen müssen. Im Lehrerzimmer ist er aber ein hohes Gut. Dafür gibt es extra ausklappbare Liegen.). Zudem können die Schüler verschiedenen Aktivitäten (Kunst, Kampfsport, Kultur) in diversen Klubs nachgehen. Wann das genau stattfindet und ob das für die gesamte Mittelschule gilt, habe ich aber noch nicht herausgefunden.
Die Schüler
Wie schon in vielen SCHULWÄRTS!-Blogeinträgen über die ersten Unterrichtsbesuche in China berichtet, wurde auch ich von staunenden und begeisterten Kindern empfangen. Am ersten Tag wurde ich bereits auf dem Weg ins Lehrerzimmer der siebten Klassen von „Wow“- und „Hello“- (vereinzelt auch „Guten Tag“)-Rufen begleitet. Schnell hatte sich eine Traube um mich gebildet und ich wurde von Hui ins Lehrerzimmer gerettet. Insbesondere zu Beginn der Woche gab es jedes Mal die gleiche Reaktion, sobald ich ein Klassenzimmer betrat: lautes Aufschreien, Klatschen oder andere Begeisterungsausdrücke. Die Klassen haben alle zwischen 40 und 50 Schüler, dementsprechend laut wurde es auch. Das war natürlich etwas befremdlich, wird aber sicher in der zweiten Stunde schon anders aussehen. Ansonsten sind die Schüler „klassische“ Siebtklässler: sie albern herum, sind neugierig und nicht immer ganz bei der Sache. Neben der Tatsache, dass ich Deutsche bin, ist meine Größe (1,85m) natürlich Gesprächsthema Nummer eins (mehrfach festgestellt: „You are soooo tall“) und die Schüler und Schülerinnen springen neben mir hoch oder fragen mich, was ich denn gegessen habe, dass ich so groß geworden bin. Da die Schüler schon früh Englisch lernen, werden die meisten Fragen nach dem Unterricht auf Englisch an mich gerichtet, wobei das Sprachniveau erstaunlich stark variiert. Dennoch ist es natürlich praktisch, dass ich so wenigstens ein bisschen mit ihnen kommunizieren kann, da ihr Deutsch noch auf absolutem Anfängerniveau ist und ich im Unterricht weiterhin auf Huis Übersetzungen angewiesen sein werde.
Blick in das Klassenzimmer | © Paula Keller
Der Unterricht
Im Unterricht diese Woche stand natürlich erstmal das Kennenlernen auf dem Programm. Ich habe mich anhand einer PowerPoint kurz vorgestellt und ein bisschen von mir und Hamburg erzählt. Anschließend konnten die Schüler Fragen stellen und sollten sich dann selbst vorstellen. Dafür sprach ich einzelne Schüler an und es entstand ein einfaches Frage-Antwort-Spiel aus „Wie heißt du?“, „Woher kommst du?“ und „Wo wohnst du?“. Wenig später wurde dann auch noch die Frage „Was magst du?“ wiederholt und abgefragt und eine neue Frage („Wie alt bist du?“) eingeführt. Dabei ist vor allem die Aussprache schwierig für die Schüler, sodass ich auf Huis Bitte hin viele Wörter mehrfach vorsage und die gesamte Klasse sie wiederholt. Da Hui das Wochenende vor meiner Ankunft bei einer Fortbildung des Goethe-Instituts war, hat sie gleich ein paar neue Anregungen eingebracht, wie ein Vier-Ecken-Blatt, auf das die Schüler in die Mitte ihren Namen schreiben und in die Ecken die Antworten auf die eben genannten Fragen. Einige Schülerinnen und Schüler haben sich dann mit Zettel bewaffnet vor der Klasse gestellt, sich vorgestellt und wurden anschließend mit einem Gummibärchen belohnt. Zum Glück habe ich vier Tüten Haribo mitgebracht. Lakritz kam bei Hui nicht so gut an, es erinnerte sie an traditionelle chinesische Medizin, aber die Schüler betrachteten es als Mutprobe, eine Katjes-Katze zu essen. Ich war überrascht, wie viele Freiwillige es für das Vorstellen vor der Klasse gab, auch bevor die Belohnung vorgestellt wurde. Unangenehm fand ich zu Beginn der Woche die Kälte, sowohl im Klassenzimmer als auch in meiner Wohnung. Im Lehrerzimmer lief immerhin noch eine Klimaanlage zum Heizen, ansonsten gab es viele offene Türen und (wie üblich im Süden von China) keine Heizungen. Deshalb liefen alle in Wintermänteln herum, auch im Unterricht. Die Schüler trugen ihre dicken Jacken noch unter der Schuluniform. Mitte der Woche ist das Wetter aber deutlich besser geworden (von 12 auf 25 Grad) und ich kann ohne vier Schichten Klamotten unter der Jacke vor der Klasse stehen. Für die nächste Woche plane ich eine Einheit zu Ostern – mal sehen, wie das so klappt. Und vielleicht lassen sich in der Metro noch ein paar Schokoeier auftreiben.