Blog #3
Sabrina, stop learning Ukrainian. Learn Russian.
Auf geht’s! Die letzte Woche war ein Gefühls-auf-und-ab. Nachdem die von Sara organisierte, für mich absolut überraschende Überraschungsparty, mir Tränen und Lachen ins Gesicht zauberte und auch sonst die letzten Tage von dem „Was-hast-du-nur-für-ein-Glück-mit-so-unfassbar-tollen-Freunden“-Gefühl geprägt waren, saß ich nun mit Joana und Judith in deren Auto auf dem Weg zum Flughafen. Ich schrieb noch schnell dem Hostel eine Mail, ob sie mir bitte ein Taxi zum Flughafen schicken könnten und wollte dann einfach nur noch die Minuten mit Joana und Judith ganz bewusst wahrnehmen. Das klappte eher so semi gut. Meine Gedanken schweiften ständig ab:
„Jetzt wird es also ernst. Du stehst hier mit deinem Kuscheltier auf den Rucksack gebunden und einem auseinanderfallenden Bagel, den du essen sollst, weil du „sonst Bauchschmerzen kriegst, wenn du nichts Richtiges mehr isst“ und wirst gleich in dieses ukrainische Flugzeug steigen und bis nach Kiew fliegen.“
In diesem Moment dachte ich an die vielen – wie ich bis dato noch dachte vermutlich – hilfreichen Tipps, die ich vor der Reise bekommen hatte. In diesem Moment. So 45 Minuten vor Abflug. Nun gut, im Umsetzen von Tipps bin ich kein Experte. Aber es sollte sich herausstellen, dass dies am Ende auch nur halb so schlimm ist.
Also zurück zum Geschehen. Es gab noch ein paar Tränen und ich machte Bekanntschaft mit einem Ehepaar, das auf dem Weg nach Istanbul war und nicht so ganz nachvollziehen konnte, warum ich in die Ukraine fliegen wolle. Damit hatte ich ja nun Erfahrungen. Sie waren nicht die Ersten und sollten nicht die Letzten sein. Im Flugzeug stieg die Aufregung. Die Zeit verging – was ein schlechter Witz – „wie im Flug“.
“I will stay in Kiev.” – “Yes, but what stop is next?”
Ich las ukrainische Literatur und schaute gespannt aus dem Fenster. Es gab ein bisschen Aufregung, weil wir zu spät dran waren. Die Flugbegleiter gingen umher und fragten die Passagiere, welche Anschlussflüge sie von Kiew benötigten. Fast jeder antwortete, die Flugbegleiterin notierte. Dann stoppte sie bei mir:
“What’s next?“
“No. Sorry. I will be in Kiev.“
“Yes. Of course. But what’s next?“
Der Passagier neben mir übersetzte ihr Englisch ins Englische:
“She wants to know, which flight do you need, when we will arrive in Kiev.“
“Yes. Thank you. But I stay in Kiev. I don’t have a next flight.“
Die Überraschung war nicht nur bei der ganzen Reihe, sondern auch bei mir groß. Daran, dass meine Freunde, Familie und alle diese wunderbaren Menschen ihre Sorge äußerten, hatte ich mich gewöhnt. Dass sich nun jedoch auch in den Gesichtern dieser fremden Menschen, die vielleicht gerade auf dem Weg in die Türkei waren (was ja jetzt momentan auch nicht so das Reiseland ist, wenn man die politische Situation betrachtet) eine deutliche Überraschung, ja fast schon ein Missverstehen spiegelt, verblüfft mich.
Was ist denn nur los? Ist es denn wirklich so ungewöhnlich, das größte Land Europas mit einer so spannenden Geschichte zu besuchen? Ein Land, über welches natürlich gerade aufgrund der besonderen politischen Situation in den Nachrichten berichtet wird. Aber auch ein sehr schönes Land. Ein Land mit vielen tollen Städten wie Lemberg, Odessa, Kiew, Nipro, Czernowitz oder Charkiw. Ein Land am Schwarzen Meer. Ein Land mit großem Gebirge: den Karpaten. Ein Land zwischen Europa und Russland. Ein Land, über dessen Kultur ich selbst bis dato so wenig weiß.
In jedem Fall ein sehr spannendes Land, was ich unbedingt kennen lernen möchte. Und jetzt auch werde.
Ankunft in Kiew
Wir landeten. Alle Passagiere hetzten aus dem Flugzeug. Ich betrat – etwas vorsichtig – kalten und windigen ukrainischen Boden. „Wird schon!“ Ich machte mich mit dem Koffer auf den Weg zur Wechselstube. Denkt daran, immer schon vorher ein bisschen Geld zu wechseln...bei mir klappte es auch so ganz gut.
Und dann rannte da durch den Flughafen ein Junge mit Tablet-PC und wand all den anderen Menschen einen schwarzen Bildschirm zu (die neue Technik bringt viele Vorteile, in diesem Fall hätte uns aber vielleicht ein einfaches Schild mit meinem Namen den Start etwas erleichtert). Nachdem dann nicht nur jeder der Flughafengäste, sondern auch der Taxifahrer selbst bemerkte, dass sein Tablet sich auf „Verriegelung“ geschaltet hatte, fanden wir uns und es sollte weiter gehen.
Lerne ein paar Worte in der Landessprache
„I don’t speak Ukrainian. I’m so sorry.“ Es war mir so unfassbar unangenehm. Ich hatte es noch im Flugzeug probiert (eh schon viel zu spät, wenn wir mal ganz ehrlich sind), aber die Aufregung war zu groß. Ich konnte mir kein Wort mehr merken. „Dieses Ukrainisch ist jetzt auch nicht so die einfachste Sprache,“ dachte ich mir, schlug den Sprachteil des Reiseführers wieder zu und beschäftigte mich mit dem Geschichtlichen.
„No Problem. I can speak a little bit English.“
Nach diesem Satz prasselte es nur so aus mir heraus. Ich erzählte ihm alles. Wie aufgeregt und froh ich sei, jetzt hier zu sein und vieles mehr. Er lachte. Gott sei Dank! Hätte ja auch sein können, dass ich ihm damit dolle auf die Nerven falle.
Du solltest nicht unbedingt auf Russisch mit den Menschen dort sprechen, hieß es im Vorfeld.
Ich wollte unbedingt Ukrainisch lernen. Mein erstes Wort sollte „Hallo“ werden. Ich konnte das auf Russisch. Und ich konnte auch auf Russisch sagen, wie ich heiße und fragen, wie der andere heißt (zwar schlecht ausgesprochen, aber immerhin mehr als auf Ukrainisch). Also übersetzte Igor fleißig. Und Igor übersetzte fleißig immer in zwei Sprachen. Und Igor übersetze immer zuerst ins Russische und dann ins Ukrainische. „Ach dahin mit diesen Tipps“, dachte ich mir und plauderte auf Russisch über meinen Namen (und das war’s dann auch schon). Igor freute sich und es war der Beginn unserer Taxifreundschaft.
Ich erzählte Igor, dass ich dachte, ich solle vielleicht besser Ukrainisch als Russisch sprechen. Igor machte deutlich, dass er das für Quatsch hielt: “Sabrina, stop learning Ukrainian. Learn Russian. It’s better and easier to learn.“ Na gut. Das mit dem „easier“ glaubte ich noch nicht so ganz. Verwundert war ich jetzt aber schon etwas. Und das merkte auch Igor. Schließlich erklärte er mir ein bisschen, wie er die ganze Sache sehe. Er sprach davon, dass die Ukrainer im Herzen mit den Russen doch eins seien, und sich nur die Politik nicht so ganz einig werden könne.
Und er erklärte ein bisschen über die Geschichte. Und da schloss ich mich an und erzählte das, was ich über die Geschichte zuvor nun so gelesen hatte. Und das freute Igor sehr. Mein Interesse an der Geschichte zeige ihm, dass ich wirklich interessiert an der Ukraine sei und er packte aus und prasselte nun auf mich ein. Ich bekam erste Essensempfehlungen und Hinweise, was ich unbedingt sehen müsse. Ganz bald verstand ich, dass Kiew – natürlich! – „die schönste Stadt der Welt“ sei. Igor ist hier geboren und wird auch hier sterben. Ich lauschte ihm gespannt. Und schaute ebenso gespannt auf die Straßen.
Mit dem Taxi durch das nächtliche Kiew
Igor schaute entspannt auf die Uhr. Er knirschte kurz mit den Zähnen, erklärte mir, dass er sich noch etwas Zeit nehme und mir Kiew mit dem Taxi bei Nacht zeigen würde, wenn ich wollte. Was für eine Frage?! Also fuhren wir mit dem Taxi bei Nacht durch Kiew. Diese wunderschöne Stadt, die auch mich gleich faszinierte. Durch den Dnepr, dem drittgrößten Fluss in Europa, wird Kiew geteilt. Ich wurde alsbald in den Bann dieser Metropole gerissen.
Die Ukrainer sind zu Beginn eventuell alle etwas kühl und unfreundlich. Daran muss man sich gewöhnen, hieß es im Vorfeld.
Am nächsten Morgen schrieben sie mir den Weg zur Metro auf. Den ich natürlich dennoch nicht fand. Auf der Straße halfen mir eine Mutter und Tochter. Doch da ihr Englisch nicht das Beste war und mein Russisch von Igor nicht ausreichte um zu verstehen, wo ich hin müsste, hatten wir ein kleines Problem, was kein Problem sein sollte. Die beiden gingen mit mir einen Fußweg von fast 10 Minuten und brachten mich zurück zur Metro, wo sie gerade her kamen.
Ich hatte bis dato drei wirkliche Kontakte zu den Menschen hier gehabt. Und wurde drei Mal von einer Freundlichkeit überwältigt, die meine ersten Eindrücke in diesem mir so fremden Land ganz wunderbar machten. In den kommenden Tagen durfte ich an einem sehr spannenden Seminar teilnehmen, über welches ich an dieser Stelle bereits berichtete.
Auf dem Majdan
Nach dem Seminar am Samstag machte ich mich mit Benjamin und Rebekka noch auf den Weg zu einigen Sehenswürdigkeiten. Wir besuchten das Goldene Tor, fuhren zum Majdan und gingen in Podil (einem wie ich finde sehr schönem Viertel) etwas essen. Auf dem Majdan war eine – es lässt sich kein richtiges Wort dafür finden – „interessante“ Stimmung. Dort sahen wir auf großen Leinwandporträts Soldaten und Soldatinnen mit Gewehren. Ein Junge verkaufte Armbänder in den Landesfarben, mit dessen Erlös ein Krankenhaus für Opfer des Krieges unterstützt werden sollte, wenn ich das richtig verstand.
Ein paar Meter weiter gab es lustige Attraktionen mit hängenden Leitern, die man versuchen konnte hoch zu klettern und ein bisschen Musik mit Menschen, die dazu tanzten. Die gesamte Straße wurde von Lautsprechern beschallt. Was gesprochen wurde, konnte ich leider nicht verstehen. Es war alles in allem etwas – sagen wir – konfus.
Auf dem Majdan | © Sabrina Bank Am nächsten Morgen ging ich wie geplant am Ufer des Dnepr joggen und lies mich zum Abschied, bevor es mit dem Zug weiter nach Charkiw gehen sollte, von einem Sonnenaufgang über Kiew verzaubern.
Und zum Abschied noch ein kleiner Tipp von mir: „Sei einfach du selbst.“