Blog #9
Auf Wiedersehen-Blog
Auch wenn ich mittlerweile mit Eiskaffee und inmitten von vielen Sonnenstrahlen beim Vogelgezwitscher in Namibia sitze – was zugegeben ein ganz schönes Kontrastprogramm zu dem Winter in der Ukraine ist – bleibt noch eine Sache offen: so etwas wie ein Abschiedsblog. Gleich beim Schreiben fällt mir auf, dass mir das Wort Abschiedsblog eher unpassend erscheint, da zwar meine Zeit als SCHULWÄRTS!-Stipendiatin am Lyzeum an der Karazin-Universität nun vorbei ist, ich aber nicht endgültig Abschied genommen habe, und dies wohl auch nie werde. „Auf Wiedersehen-Blog“ ist wohl eher angebracht.
Kurz vor Ende meines Praktikums führte ich mit Diana, einer Schülerin der 10. Klasse, ein Interview, in welchem sie mich fragte, was ich denn in der Zeit in der Ukraine gelernt hätte und all solche Dinge. Das Interview war an sich einfach ein bisschen komisch. Ich saß da, nicht im schönsten Outfit (später bemerkte ich sogar, dass ich mein T-Shirt verkehrt herum anhatte), fühlte mich nicht besonders prima und meine Gedanken hingen mitunter beinah mehr an der darauf folgenden Tasse Kaffee (die ich mir zu holen gedachte), als im Hier und Jetzt. Ums kurz zu machen: Ich fühlte mich nicht so toll und war anschließend mit meinen Antworten eher unzufrieden.
„Das Beste ist der Feind des Guten.“
Womit wir aber gleich beim Thema wären. Ich bin von Haus aus eher etwas perfektionistisch veranlagt. Ich möchte, dass immer alles ganz toll ist und so. Dabei stelle ich allzu oft Ansprüche, die ich dann häufig doch nicht erfüllen kann. „Das Beste ist der Feind des Guten.“ Diesen Satz teilte mir Tatiana Chepurna mit, während wir zusammen mit Tatiana Borisovna beim Sushi essen saßen. Zwei Frauen, die ich nicht nur aufgrund ihrer Lebenserfahrung und -einstellung hoch schätze, sondern für noch so viel mehr (in diesem Moment beispielsweise für die Kunst mit Stäbchen in Zusammenwirkung mit Nigiri umzugehen).
Dieser Satz aber eben schwirrt mir seither immer im Kopf. Sie erzählte mir von einem Freund, der immer alles besser machen wollte und im Endeffekt vieles schlechter machte, als zuvor. Liebe Tatiana Chepurna und Tatiana Borisovna, an dieser Stelle nochmals vielen Dank für all Ihre Geschichten, die ich immer im Kopf und Herzen tragen werde, auch wenn nicht alle hier auf diesem Blog ihren Platz finden werden.
Es gibt so vieles, was mir in der Zeit in Charkiw bewusst geworden ist; beispielsweise, dass Humor immer gut ist, um mit verschiedensten Situationen umzugehen, Ehrlichkeit am längsten währt, die modernste Technik einen mitunter zum Verzweifeln bringen kann, dass sowieso ganz viel, was es so gibt, nicht unbedingt gebraucht wird, dass Mimik und Gestik derweilen mehr als 1000 Worte sagen können und dass gute Freunde, Familie und Gemeinschaft so unglaublich viel wert sind.
Ich kann hier nicht all das schreiben oder probieren zu erklären, was ich gelernt habe. Es war eine Menge! Und ich glaube, jeder wächst eben auf seine Art an seinen eigenen Erfahrungen. Aber dennoch vielleicht eine Sache, die mir selbst immer wieder auffiel:
Du kannst den Menschen nur vor den Kopf schauen.
Geschichten, die mir im Gedächtnis und im Herzen bleiben
Nicht vorschnell über einen anderen Menschen zu urteilen, empfand und empfinde ich eigentlich schon immer als sehr wichtig. Du weißt nie, warum ein Mensch so ist, wie er ist, warum er das macht, was er macht, bevor du nicht mit ihm gesprochen hast, bevor er dir nicht die Möglichkeit gegeben hat, einen Einblick in sein Leben zu gewinnen.
Ich bin in der Ukraine Taxi gefahren mit einem Mann, der eigentlich Lehramt studiert hatte, es sich aber nicht länger leisten konnte, als Lehrer zu arbeiten, da er als Taxifahrer mehr Geld verdient. Ich versuchte, mich mit einer Frau auf Englisch zu unterhalten. Sie entschuldigte sich immer wieder für ihr schlechtes Englisch. Schließlich sollte man – nach ihrer Aussage – erwarten können, dass man in der heutigen Zeit gut Englisch sprechen könne. Später stellte sich heraus, dass sie zwar einen Englischlehrer in der Schule gehabt hatte, dass dieser aber nie Englisch unterrichtet hat, weil er selbst kein Englisch konnte.
Manche Dinge führen für diesen Blog wohl zu weit. An dieser Stelle müssen, so denke ich, auch gar nicht mehr Worte stehen.
Es war eine wundervolle Zeit in der Ukraine. In Charkiw. An dem Lyzeum der Karazin-Universität. Ich bin unfassbar dankbar für jeden Menschen, den ich kennen lernen durfte, für all die tollen Erfahrungen, Gespräche und Momente. Danke an alle, die meine Zeit in Charkiw zu der gemacht haben, die sie war.
Ich mit Judith
| © Sabrina Bank