Blogeintrag 8
90 Tage China: Woche 8
Die liebe Liebe
Chinesische Hochzeit, die erste: Meine Kollegin Ting Ting und ich | © Theresa Metzler Sie haben sich in der Uni kennen gelernt. Er war sofort hin und weg von ihr, sie hingegen hat ein Weilchen gebraucht, bis sie sich auf ein Date eingelassen hat. Doch schließlich haben sie sich ineinander verliebt. Die Eltern der beiden kennen sich schon lange und verstehen sich gut. Schon seit sieben Jahren sind die beiden ein Paar, sie lieben sich wirklich sehr. Nun sind sie beide Ende zwanzig und es wird wirklich langsam Zeit, den nächsten Schritt zu gehen.Es ist ihre Liebesgeschichte, die von einem Moderator im Anzug erzählt wird, ein Beamer bespielt währenddessen die Leinwand auf der Bühne mit Hochzeitsbildern. Lana Del Reys zart-soulige Stimme ertönt im Hintergrund durch die Lautsprecher. Die Braut, von ihrem Vater geleitet, und der Bräutigam gehen nach jedem erzählten Abschnitt einen Schritt aufeinander zu, bis sie schließlich voreinander stehen. Der Vater gibt seine Tochter frei, das Liebespaar umarmt und küsst sich, die Gäste in der Halle applaudieren und freuen sich mit dem Paar. Die Zeremonie erreicht nun ihren Höhepunkt, denn gleich werden die Ringe getauscht. Ich sitze an einem der runden Tische unweit von der Bühne entfernt und lasse mich von der inszenierten Romantik einfangen. Es ist meine erste chinesische Hochzeit.
Als meine Kollegin Ting Ting mich neulich beim Mittagessen fragt, ob ich sie nicht auf die Hochzeit ihrer Cousine begleiten möchte, muss ich keine Sekunde lang darüber nachdenken. Ich bin wirklich glücklich darüber, dass sie mich einlädt, sie zu begleiten. Gibt es eine schönere Möglichkeit in die Kultur und Traditionen eines anderen Landes einzutauchen, als auf einer Hochzeit?
Am Samstagmorgen stehe ich pünktlich um 7.45 Uhr unten am Tor meines Wohnkomplexes und warte auf Ting Ting, die mir zu einem roten Kleid geraten hat. Rot ist die Glücksfarbe in China und obwohl die Braut an ihrem Hochzeitstag auch (mindestens einmal!) rot tragen wird, ist es kein Problem, wenn ihre Gäste in der gleichen Farbe erscheinen. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zur Wohnung der Brauteltern.
Brauteroberung
Von Ting Tings Tante werden wir herzlich in Empfang genommen. Ich bekomme heißes Wasser gereicht. Liebevoll nimmt mich Ting Ting an die Hand und führt mich herum. In China ist es unter Frauen und guten Freundinnen sehr üblich, dass man sich an der Hand hält oder eingehakt durch die Straßen zieht. Ein bisschen komisch fühlt es sich für mich schon an und ich erinnere mich an die Zeit, als ich mit meinen Freundinnen zuletzt händchenhaltend durch die Stadt gezogen bin – das war vor gut 10 Jahren, ich war 15 Jahre alt. In China ist das auch unter erwachsenen Frauen ein Zeichen der Freundschaft.Wir gelangen in ein mit pinken und roten Luftballons geschmücktes Zimmer. In der Mitte steht ein in rot überzogenes Bett auf dem die Braut mit traditionellem Hochzeitskleid und goldenem Haarschmuck sitzt. Um sie herum stehen Freundinnen, Verwandte. An der Wand hängen silberne Zahlen: 1-3-1-4. Ting Ting erklärt mir, dass diese Zahlen eine Lautverwandtschaft mit anderen Wörtern haben und dafür sorgen sollen, dass das Glück des Liebespaares ewig währt.
Ich beobachte eine in schwarz gekleidete, professionell aussehende Frau, die durch ein Headset Anweisungen gibt, hinter ihr steht ihr Assistent mit Walkie-Talkie. Eine Visagistin trägt im Gesicht der Braut frisches Puder auf, eine andere Frau überprüft, ob der Haarschmuck noch richtig sitzt. „Meine Cousine ist schon seit 4.00 Uhr wach, man hat sie geschminkt und zurecht gemacht“, erzählt mir Ting Ting. „Das ist die Managerin der Hochzeit“, berichtet sie weiter und zeigt auf die in schwarz gekleidete Frau. „Sie arbeitet für ein Unternehmen, das alles hier organisiert hat.“ Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Wie groß diese Hochzeit gefeiert wird, begreife ich in diesem Moment aber tatsächlich noch nicht so recht und ich habe auch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn plötzlich ertönt lautes Feuerwerk im Hof.
Es ist so weit, die lauten Knaller sind das Zeichen, dass der Bräutigam nun auf dem Weg in die Wohnung der Eltern ist. Die Tür des Schlafzimmers wird von den Freunden und der Familie versperrt, alle sind sehr aufgeregt. Nur mit sogenannten Hong Bao, roten Umschlägen mit Geld darin, kann der Bräutigam die Gäste vielleicht besänftigen und sich Zugang zu seiner Braut verschaffen. Es dauert eine Weile bis er sich durch die Wohnungstür vor die Schlafzimmertür gekämpft hat. Die ersten roten Umschläge werden durch die Türschlitze überreicht, die Meute johlt und lacht. Mit aller Kraft versperrt die Menge die Tür. Nach einigem Hin und Her geht die Tür endlich auf und der Bräutigam kniet vor seiner Angetrauten nieder und steckt ihr Blumen an das Kleid. Mittlerweile ist auch das extra für die Hochzeit engagierte Kamerateam im Zimmer angelangt und es wird eng. Während der Bräutigam nun noch die Schuhe der Braut suchen muss, machen wir es uns schon einmal im Wohnzimmer gemütlich, wo gleich das nächste Highlight stattfinden wird.
Die Teezeremonie ist eine wichtige Tradition bei chinesischen Hochzeiten. Während die Brauteltern erwartungsvoll auf dem Sofa sitzen, verbeugt sich das Paar nun vor ihnen und reicht zunächst dem Vater, dann der Mutter Tee. Im Anschluss darf der Schwiegersohn seine Schwiegereltern endlich mit „Mama“ und „Papa“ ansprechen. Es gibt noch Tangyuan, die runden gefüllten Teigbällchen, welche das Zusammenkommen der beiden Familien symbolisieren. Sobald die Zeremonie beendet ist, herrscht plötzlich Aufbruchsstimmung. Der Bräutigam trägt die Braut auf Händen durch die Wohnung nach unten. Dort warten bereits mehrere schwarze Audis A6, mit denen wir nun zur Besichtigung der neuen Wohnung des Paares gebracht werden. Das Kamerateam fährt vornweg und filmt die Kolonne, die von einem mit Blumen geschmückten schwarzen Rolls-Royce angeführt wird. Unterwegs müssen wir mehrmals anhalten, die Autos dürfen sich nicht verlieren, denn jeder soll sehen, dass sich die Familien diese Autos für ihre Gäste leisten können. Auf dem Weg im Auto tauschen wir uns über Hochzeitstraditionen aus und langsam begreife ich, dass Hochzeiten in China wahnsinnigen Event-Charakter haben. „Man heiratet ja nur einmal“, erklärt mir Ting Ting. „Deshalb kann es auch ruhig ein teures Fest sein.“ Die Wohnung haben die Eltern der Braut gekauft, ein neues Auto gab es als Mitgift dazu. Die Wohnung ist mit hochwertigen Holzmöbeln und einer richtigen Küche ausgestattet, der Marmorboden glänzt. Überall hängen kitschige Hochzeitsfotos, die typischerweise bereits vor der Hochzeit gemacht werden.
Ja, ich will!
Um die Mittagszeit kommen wir endlich in dem Restaurant an, in dem die Hochzeitsfeier stattfinden wird. Eigentlich handelt es sich mehr um eine Halle – schließlich müssen die rund 800 geladenen Gäste irgendwo Platz nehmen. Ihr habt richtig gelesen, es handelt sich nicht (!) um einen Tippfehler. Die meisten Gäste sitzen bereits an den runden 10er-Tischen und erwarten die Ankunft des Brautpaars mit den Familien und engsten Freunden. Alles ist in rot und weiß dekoriert, an den Stühlen hängen kitschige pinke Schleifen. Wir nehmen an einem Tisch unweit von dem des Brautpaares Platz und ich habe eine gute Sicht auf die Bühne. Am Bühnenrand erblicke ich das Moderationspaar in Anzug und rosa-farbigem Kleid. Wir nehmen Platz und kurze Zeit später eröffnet eine extra bestellte Kinder-Tanzgruppe das Programm, gefolgt von musikalischen Beiträgen eines Saxophonspielers und einer Sängerin, die einen Ausschnitt aus der traditionellen Peking-Oper zum Besten gibt. Die Braut wird währenddessen zum bereits zweiten Mal an diesem Tag umgestylt.Die Trauung, die bald darauf folgt, wird auf der Bühne von dem Moderator übernommen. Die eigentliche formelle Trauung hat im Vorhinein bereits stattgefunden. Für die Chinesen ist das aber eigentlich nur Papierkram, Bedeutung hat nur das, was nun auf der Bühne stattfinden wird. Obwohl ich kein Wort von dem verstehe, was der Moderator auf der Bühne erzählt und Ting Ting die Liebesgeschichte der beiden für mich nur grob übersetzt, kann ich mir beim Tausch der Ringe ein oder zwei Freudentränen nicht verkneifen. Hochzeit bleibt Hochzeit!
Food-Koma ohne Karma
Dann geht alles irgendwie ganz schnell. Auf dem Tisch stehen von Beginn an bereits kalte Vorspeisen, kaum ist die Trauung abgehalten, ist das Mittagessen eröffnet, ein Live-Musiker singt im Hintergrund. Während die Chinesen die Platten und Teller plündern, lasse ich mir Zeit. Ich ahne, dass bald Nachschub kommen wird. Die Kellner servieren eine ganze Ente (mit Kopf), Fisch, verschiedene Gemüse- und Nudelgerichte, süßen Lotus und Mango-Desserts. Ting Tings Mutter platziert einzelne Speisen auf meinem Teller, die vermutlich ohne ihre liebgemeinte Unterstützung nicht auf meinem Teller gelandet wären. Die Hühnerfüße lässt sie selbst unberührt und so landen sie auch nicht auf meinem Teller. Obwohl ich mir vorgenommen habe, sie wenigstens einmal zu probieren, kann ich mich einfach nicht überwinden. Hier ist meine persönliche Grenze einfach erreicht. Die anderen Dinge, die sich auf meinem Teller so langsam stapeln – vermutlich esse ich zu langsam – probiere ich, ohne zu fragen. Erst danach frage ich, was ich gerade gegessen habe. Ich bin stolz auf mich, ich habe ohne mit der Wimper zu zucken, Schweineohren gegessen!Als mein Sättigungsgefühl einsetzt, lasse ich meinen Blick noch einmal durch den Saal schweifen. Ich bin überrascht, als ich bemerke, dass wir die letzten verbleibenden Gäste sind. „Wo sind denn alle?“, denke ich im Stillen und bemerke im nächsten Moment, dass auch die Gäste an meinem Tisch ihre Stühle nach hinten rücken – um aufzustehen und zu gehen! Ich kann es kaum fassen. Das Brautpaar hat noch nicht einmal zum Essen Platz genommen und schon haben sich alle Gäste aus dem Staub gemacht. Das Hochzeitsessen wirkt im Nu wie eine riesige „Abfertigung“ und irgendwie fühle ich mich schlecht. Auf den meisten Tischen sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld und ich weiß auch ohne genauer nachzufragen, dass die ganzen Reste auf einem großen Müllberg hinter der Halle landen werden.
Hong Bao und Tschüss!
Ich frage mich schon die ganze Zeit über, wie sich (und vor allem wer!) dieses Event finanziert. Auf dem Weg zum Ausgang entdecke ich eine große geschmückte Kiste, in welche die Gäste reihenweise rote Umschläge, also Hong Bao einwerfen. Ting Ting bestätigt meine Vermutung, dass sich ein derartiges Fest nur über Geldgeschenke der Gäste finanzieren lässt. Dabei ist die Beziehung zum Brautpaar nicht unwichtig. Familienangehörige und sehr gute Freunde geben besonders viel Geld, es unterstreicht die gute Beziehung. „Wenn ich einmal heirate, wird mir meine Cousine gleich viel Geld zurück schenken“, erklärt Ting Ting. „So gleicht sich alles wieder aus und niemand bleibt auf den Kosten sitzen.“Auf dem Nachhauseweg denke ich noch eine Weile über das Erlebte nach. Dass chinesische Traditionen auf derart viel Kommerz und Konsum prallen würden, damit habe ich tatsächlich nicht gerechnet. Obwohl es sich bei den beiden wirklich um eine Liebesheirat und nicht um eine arrangierte chinesische Ehe handelt, werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich um eine riesengroße Inszenierung handelt. Der fremde Moderator, das Heiratsunternehmen und all die Menschen, die diesem Event beiwohnen, sich über das Essen hermachen, um kurz danach aufzustehen und zu gehen, das alles wirkt auf mich ein bisschen lieblos bei all der visuell sichtbaren Liebe im Raum und auf den Fotos an den Wänden. Doch wahrscheinlich spiegeln all diese Bemühungen nur das wieder, was für alle Hochzeiten dieser Welt gelten soll: Der Tag muss einfach perfekt sein.
In zwei Wochen werde ich nach Shanghai fliegen. Dort soll es einen berühmten Heiratsmarkt geben, wo Eltern versuchen, ihre unverheirateten Kinder unter die Haube zu bringen. Vielleicht erfahre ich dort noch ein paar Details, was das Heiraten in China anbelangt. Das Thema ist noch nicht vom Tisch!
Das Ehepaar mit Eltern und Moderator | © Theresa Metzler