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Blogeintrag 11
90 Tage China: Woche 11

Willkommen und Abschied

Abschied von meinen Deutsch-Schülerinnen und -Schülern Abschied von meinen Deutsch-Schülerinnen und -Schülern | © Theresa Metzler Am 31. Mai 2018 um 05.51 Uhr landet das Flugzeug der China Southern sanft auf deutschem Boden. Ich sitze am Fenster und sehe hinaus. Im Landeanflug erhasche ich einen Blick auf die saftig grünen Wiesen und Wälder des Taunus. Die Autos auf der A3 sehen von oben wie Ameisen aus. Die Sonne strahlt klar vom blauen Himmel. „Welcome to Frankfurt International Airport“, tönt es aus den Flugzeuglautsprechern in holprigem Englisch.
 
Nachdem ich meinen Koffer vom Gepäckband gehievt habe, mache ich mich auf den Weg zum Ausgang. Goethes Verse, die die Schüler mir zum Abschied aufgesagt haben, klingen in meinem Kopf nach und ich atme die warme Sommerluft tief ein. Willkommen zu Hause.

Sie haben gewonnen!

Meine letzten Wochen und Tage in China vergehen wie im Flug. Mit Hanna und Lennart besteige ich zum zweiten Mal den Hua Shan und genieße die spektakuläre Aussicht von der zweithöchsten Bergspitze im Westen. Mit Cici, einer der Englischlehrerinnen unserer Schule, mache ich einen Ausflug an den Yellow River, der in der Nähe des Hua Shan fließt. Mit Anna und Joy erlebe ich einen verrückten Tag auf dem Strawberry Music Festival im nahe gelegenen Daming Palace National Heritage Park. Mit den anderen Fremdsprachenlehrerinnen unserer Schule verabrede ich mich zum traditionellen Roasted-Duck-Essen. Mit den Englischlehrinnen feiere ich – zunächst ohne es zu wissen – meinen Geburtstag in einem der angesagten Hot Pot Restaurants vor. Weil die Tage nun an zwei Händen abzuzählen sind, nehme ich alles mit und sage zu jeder Verabredung ja. Denn schließlich weiß ich nicht sicher, wann ich das nächste mal in China sein werde und wer von den Leuten, die ich hier kennen gelernt habe, dann noch hier sein wird. Deshalb bin ich eigentlich froh, an dem vorletzten Wochenende in Xi’an keine Pläne oder Verabredungen zu haben. Das denke ich zumindest, bis ich in der Mitte der Woche auf mein Handydisplay blicke, wo mir eine aufpoppende WeChat Nachricht verkündet: Congratulations! You are invited to our two-day trip to Ankang!
 
  • Hua Shan Teil 2: Auf der Bergspitze mit Hanna und Lennart © Theresa Metzler
    Hua Shan Teil 2: Auf der Bergspitze mit Hanna und Lennart
  • Ausflug zum Yellow River © Theresa Metzler
    Ausflug zum Yellow River
  • Festivalstimmung: Joy, Anna und ich auf dem Strawberry Music Festival 2018 © Theresa Metzler
    Festivalstimmung: Joy, Anna und ich auf dem Strawberry Music Festival 2018
  • Pre-Birthday-Party beim Hotpot-Essen mit den Englischkolleginnen © Theresa Metzler
    Pre-Birthday-Party beim Hotpot-Essen mit den Englischkolleginnen
Mehr aus Jux und Tollerei kommentiere ich einige Tage zuvor den WeChat-Post des Channels „DiscoverShaanxi“, über den eine zweitägige Reise mit Übernachtung nach Ankang, in den Süden der Provinz Shaanxi, zu gewinnen ist. Es gibt bereits über 300 Kommentare als auch ich meinen Senf dazu gebe und schon ein paar Stunden später habe ich eigentlich vergessen, dass ich an dem Gewinnspiel teilgenommen habe. Als ich nun auf mein Handydisplay blicke, stelle ich fest, dass ich gewonnen habe. Ich habe gewonnen! Ich grinse in mich hinein und tanze einen kleinen Sieger-Tanz in meiner Wohnung. Das glaubt mir keiner, denke ich. Nun ist auch das letzte freie Wochenende verplant. Am Ende kommt es ja doch immer anders als geplant. Wenn ich zu Hause bin, brauche ich erst einmal Urlaub.

Carpool-Karaoke auf pakistanisch

Am frühen Sonntagmorgen stehe ich mit drei Pakistanern, einem Türken und vier Frauen aus Saudi-Arabien, Armenien, Pakistan und China vor dem Fernsehturm in Xi’an, unserem Treffpunkt. Zusammen mit unserer Reisebegleitung von „DiscoverShaanxi“ und unserer privaten Reiseführerin warten wir auf den Van und unseren Fahrer Shou Shu, der uns in den nächsten zwei Tagen überall hinfahren und auch begleiten wird. Irgendwie ist die Stimmung erst ein bisschen komisch, denn schließlich kennen wir uns nicht. In einer Gruppe von Ausländern bin ich schon wieder die einzige, die aufgrund der Haarfarbe auffällt. Sich fremd zu fühlen ist ein Gefühl, dass ich so noch nie vorher erlebt habe. Heute bin ich froh, dass ich mich aus meiner sicheren Blase in Deutschland rausbewegt habe und diesem Gefühl ausgesetzt war.
 
Die Stimmung steigt zunehmend auf der Fahrt durch die Berge und zahlreichen Tunnel auf dem Weg in den Süden. Grund dafür ist das Naturell der drei Pakistaner, die ein pakistanisches Lied nach dem anderen grölen und dann alle anwesenden Nationen nacheinander auffordern, ein Lied in der jeweiligen Landes- bzw. Muttersprache zu singen. Allmählich werden alle ein bisschen lockerer. Neben mir sitzt das Mädchen aus Saudi-Arabien. Ich versuche ein Gespräch mit ihr zu beginnen und teile meine mitgebrachten Erdbeeren mit ihr. Ich bin neugierig und möchte wissen, was sie in Xi’an macht. Leider ist ihr Chinesisch, das sie hier an der Universität studiert, um Meilen besser als ihr Englisch. Ich bin erstaunt: Mit ihren Chinesisch-Kenntnissen steht ihr in Saudi-Arabien, einem Land, in dem Frauen lange nicht die gleichen Berufschancen haben wie Männer, eine vielversprechende Karriere bevor.
 
  • Unsere Reisegruppe am Yinghu Lake © Theresa Metzler
    Unsere Reisegruppe am Yinghu Lake
  • Die Aussicht genießen: Der Nangong Mountain © Theresa Metzler
    Die Aussicht genießen: Der Nangong Mountain
  • Ein bisschen Pakistan in China: Fastenbrechen mit Sami und ihrem Sohn Mushaf © Theresa Metzler
    Ein bisschen Pakistan in China: Fastenbrechen mit Sami und ihrem Sohn Mushaf
Mit Sami aus Lahore, Pakistan freunde ich mich über das Wochenende an, wir teilen uns ein Hotelzimmer und in ausgezeichnetem Englisch erzählt sie mir alles über ihre Liebeshochzeit in Pakistan und die Geburt ihres Sohnes, der mittlerweile schon drei Jahre alt ist. Im Gegensatz zu Fahd und Wajid aus Pakistan, die eine sehr konservativen Lebensweg mit einer arrangierten Ehe eingeschlagen haben, lebt Sami eher liberal. Sie ist Muslima, trägt aber im Gegensatz zu ihren Schwestern in Pakistan kein Kopftuch. Ich höre wie gebannt zu, wenn sie von ihrem Leben in Pakistan erzählt, habe gefühlt tausend Fragen, die sie alle geduldig während des Aufstiegs auf den Nangong Mountain beantwortet. Sie erzählt von ihrem kleinen Sohn Mushaf, der bald in Xi’an in einen Kindergarten gehen soll. Sami ist mit ihrem Sohn erst vor kurzem nach China gekommen, weil ihr Ehemann hier promoviert. Samis Chinesisch ist noch relativ schlecht. Ihr dreijähriger Sohn hingegen spricht schon fast drei Sprachen: Urdu, Englisch und Chinesisch. Ich lerne ihre Familie kennen, als Sami mich in meiner letzten Woche in China zum Fastenbrechen – es ist Ramadan – zu sich nach Hause einlädt.
Während wir uns über die chinesische Küche, deutsche Backkünste sowie pakistanische Spezialitäten und halal-gerechte Ernährung austauschen, habe ich nicht mehr das Gefühl in China zu sein. In der Natur treffen wir kaum Touristen, wir könnten gerade überall auf der Welt sein. Sami und ich tauschen uns auch über die Besonderheiten der chinesischen Kultur aus und ich bin überrascht, wie sehr sich unsere Ansichten ähneln. Immerhin ist sie in einem ganz anderen Land als ich aufgewachsen, lebt nach anderen religiösen Leitsätzen und ist ganz anders geprägt als ich es bin. In meinem Leben hat sich bisher kein Anlass ergeben, mehr über Pakistan herauszufinden, das ändert sich nun schlagartig. Als wir auf der Spitze des Berges ankommen, habe ich beschlossen, eines Tages nach Pakistan zu reisen und Samis Familie kennen zu lernen.
 
Unseren zweiten Tag in Ankang verbringen wir auf einem Boot, um den Yinghu See zu erkunden. Von Eudora, unserer chinesischen Reisebegleitung von „DiscoverShaanxi“ möchte ich wissen, warum das Unternehmen uns ein ganzes Wochenende sponsert. Völlig ungeniert erzählt sie mir, dass es sich um eine Maßnahme des chinesischen Präsidenten handelt - Xi Jinping stammt gebürtig aus der Provinz Shaanxi und erhofft sich durch derartige Gewinnspiele, bei denen fast ausschließlich Ausländer gewinnen, seine Heimatprovinz weltweit zu promoten. Wir müssen zwar nichts für die Reise bezahlen, es ist jedoch ausdrücklich erwünscht, unsere Fotos per #discovershaanxi auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter zu teilen. Wieder einmal finde ich mich in einem der Widersprüche des Landes gefangen, bei dem westliche Social-Media-Kanäle wie Facebook und Twitter eigentlich für die gesamte Bevölkerung verboten und im Netz auch gesperrt sind, gleichzeitig jedoch zur Image-Bildung Chinas von Ausländern explizit benutzt werden sollen. An die bestehenden Internet-Reglementierungen halten sich übrigens auch die wenigsten. Wer einmal die Möglichkeit hat, sich einen VPN zu besorgen, der tut es auch. Dann steht der Nutzung von Google, Facebook & Co. auch nichts mehr im Wege, zumindest solange, wie man sich im Netz unauffällig verhält.

Wie war’s?

Seit meiner Rückkehr fragen mich Familienmitglieder, Freunde und Bekannte immer wieder: Und, wie war’s in China? Natürlich bin ich von der Frage per se nicht überrascht. Ich gehöre selbst zu den Leuten, die derartige Fragen stellen, wenn man auf aus dem Ausland zurückgekehrte Freunde trifft. Es wäre schön, wenn sich eine so harmlose Frage ganz einfach und unkompliziert beantworten ließe. Dass das nicht geht, stand jedoch von Anfang an fest.
 
Vielleicht beginne ich damit, dass ich für jede meiner Erfahrungen in den vergangenen drei Monaten dankbar bin. Eine Chance wie diese ist einzigartig. Obwohl wir als SCHULWÄRTS!-Stipendiatinnen und -Stipendiaten manchmal ähnliche Erfahrungswerte teilen, durchlebt und erlebt jede und jeder von uns ein einzigartiges Praktikum im Zielland. Das ist eine Stärke des Programms, denn es fordert mich als Individuum heraus, nicht nur ein neues Land, eine neue Stadt mit neuen Menschen, sondern auch mehr über mich selbst zu entdecken. Die vergangenen drei Monate waren eine Entdeckungsreise, auf der ich wachsen konnte.
 
  • Abschiedsgeschenke austauschen © Theresa Metzler
    Abschiedsgeschenke austauschen
  • Das Deutschkollegium an der Fremdsprachenschule Xi’an © Theresa Metzler
    Das Deutschkollegium an der Fremdsprachenschule Xi’an
Heute denke ich an all die Bekannt- und Freundschaften, die ich geschlossen habe, an die kulinarischen Köstlichkeiten, die ich schätzen und lieben gelernt habe, an die Dankbarkeit, die meine Kolleginnen mir in der Schule entgegen gebracht haben. Ich erinnere mich gerne an das Abschlussfest, das meine Deutsch-Schülerinnen und -Schüler so liebevoll für mich vorbereitet und organisiert haben und an all die Ausflüge und Reisen, die ich unternommen habe.
In Deutschland schätze ich seit geraumer Zeit wieder die klare und frische Luft, die ich hier atmen kann und die deutsche Bürokratie, die alles irgendwie zusammen hält. Ich genieße die Freiheit und Anonymität, mit der ich mich hier bewegen kann. Es fühlt sich gut an, sich mit Menschen in meiner Muttersprache zu unterhalten, an der Elbe entlang zu laufen und ohne Gedrängel in die Bahn einzusteigen. Eine Erfahrung wie diese bringt neue Genügsamkeit, lässt mich die Dinge in Deutschland in einem anderen Licht sehen. Meiner Zukunft als Referendarin in Dresden blicke ich gelassen entgegen.
 
Das Goethe-Gedicht, das die Schülerinnen und Schüler für mich zum Abschied aufsagen, ist eines seiner bekanntesten. Goethe schreibt die Liebeshymnen in „Willkommen und Abschied“ für seine Sesenheimer Bekanntschaft Friederike Brion. Es ist eine Berg- und Talfahrt der Gefühle, die ich in China oft empfunden habe, sei es bei meinem ersten Einkaufserlebnis im chinesischen Supermarkt, bei all den Herausforderungen im Klassenzimmer oder auf meinen Reisen und Wanderungen durch das Land. An einer Stelle im Gedicht heißt es: „Doch frisch und fröhlich war mein Mut: In meinem Herzen welches Feuer! In meinem Herzen welche Glut!“ Ich könnte es nicht besser formulieren.

Das war’s: China 2018! Das war’s: China 2018! | © Theresa Metzler
 

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