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Blog #4
Tbilisi – das neue Berlin?

© Theresa Kulick Diese Frage stellten mir einige meiner Freund*innen, die meine Bilder aus Tbilisi sahen und so oder so ähnlich titelte im Oktober auch die Welt, als sie in einem Artikel Vergleiche zwischen der deutschen und der georgischen Hauptstadt anstellte. Dass die beiden Städte sich in manchen Bereichen nicht ganz unähnlich sind, ist auch mir und meinem Besuch aus Berlin aufgefallen. Ich selbst habe nie in Berlin gelebt und werde mir deshalb nicht anmaßen, die beiden Städte miteinander zu vergleichen oder sogar abzuwiegen. Da ich für Tbilisi aber eine mindestens genauso große Liebe entwickelt habe, wie ich sie für Berlin habe, möchte ich in diesem Blogartikel beschreiben, wie es ist in Tbilisi zu leben, warum diese Stadt so spannend und gleichzeitig schön ist.
 
Als ich im Sommer 2018 durch Georgien reiste, war Tbilisi vor allem eins: eine Ausgangs- beziehungsweise ein Durchgangsstation. Es ist verkehrtechnisch hervorragend mit dem Rest des Landes verbunden und man kann in einem der zahlreichen Hostels für sehr wenig Geld unterkommen. Da der Fokus meiner Reise damals eher auf dem Erkunden der Natur in Georgien lag, habe ich verhältnismäßig nur wenig Zeit in Tbilisi selbst verbracht. Die insgesamt vielleicht vier vollen Tage in der georgischen Hauptstadt war ich dann auch eher erschlagen von ihr: Der Verkehr, die Unmengen an Tourist*innen in der Altstadt, die laute U-Bahn – all das war ein starker Kontrast zu meinen sonst sehr ruhigen, zum Teil einsamen Erkundungen und Wanderungen im Kaukasus oder in anderen ländlichen Regionen des Landes. Aber das Leben in der Stadt hat mich eben auch gereizt und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich mich in ihr sehr wohl fühlen würde – und dieses Gefühl hat mich nicht getäuscht.
  • Fluss in Tbilisi © Theresa Kulick
    Irgendwo zwischen grüner Oase und Verkehrschaos
  • Straße in Tbilisi © Theresa Kulick
    Irgendwo zwischen grüner Oase und Verkehrschaos
  • Straße in Tbilisi © Theresa Kulick
    Irgendwo zwischen grüner Oase und Verkehrschaos
  • Straße in Tbilisi © Theresa Kulick
    Irgendwo zwischen grüner Oase und Verkehrschaos
  • Verkehr in Tbilisi © Theresa Kulick
    Irgendwo zwischen grüner Oase und Verkehrschaos
  • Blick auf Tbilisi © Theresa Kulick
    Irgendwo zwischen grüner Oase und Verkehrschaos
Eine Stadt der Gegensätze

Etwas, das mir sehr schnell aufgefallen ist, ist, dass Tbilisi trotz des enormen Verkehrs und des regelmäßigen Smogs über der Stadt eben auch sehr sehr grün ist. Gerade in der Gegend, in der ich wohne, sind fast alle Strassen kleine von Bäumen gesäumte Alleen. Wenn man sich an einem der zahlreichen Aussichtspunkte aufhält und von oben auf die Stadt sieht, ergibt sich folgender Sinneseindruck: Man hört das Rauschen der Autos durch die Straßen und sieht gleichzeitig unzählige grüne Flecken, wo Bäume in Straßen oder Parks stehen. Ich durfte feststellen: An den Verkehr gewöhnt man sich und ich selbst fand ihn von Anfang an eigentlich nicht besonders belastend. Über die vielen schönen Bäume hingegen habe ich mich bei jeden Anblick erneut gefreut.

Das Stadtbild ist aber noch von einer weiteren Gegensätzlichkeit geprägt: Den Gebäuden! Die für Tbilisi typischen alten (zum Teil bunten) Häuser mit den Holzbalkonen findet man nämlich nicht nur in der Altstadt, sondern auch überall sonst. Dort stehen sie dann aber teilweise neben Bauten im Sowjetstil oder aber modernen Gebäuden aus Glas. Insgesamt ist die Stadt ein bunter Mischmasch aus den verschiedensten Baustilen und ich finde, dass gerade diese Mischung der Stadt einen ganz besonderen Charme verleiht – obwohl auch jeder Baustil für sich, etwas hat, dass mir gefällt.

Es gibt aber noch einen weiteren sehr starken Gegensatz, welcher in Tbilisi aufeinander trifft: Ich möchte es das moderne und alte Georgien nennen, auch wenn das eine Vereinfachung ist, die der Situation natürlich nicht ganz gerecht wird. In der Hauptstadt jedenfalls treffen Menschen aufeinander, leben nebeneinander, die sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Welt haben. Das ist ja prinzipiell erstmal fast überall so – in Tbilisi allerdings zeigt sich dies in besonderem Maße, da diese Menschen sehr weit auseinandergehende Vorstellungen haben und es dazu kommt, dass sie sich in Protesten und Gegenprotesten regelmäßig gegenüberstehen. Da gibt es einmal die Gruppe junger Menschen, die für die Rechte von LGBTQI+ demonstrieren will und sich in den Techno-Clubs der Stadt ihre safe spaces geschaffen hat und zum anderen den Konservatismus der orthodoxen Kirche, der Menschen dazu bringt, zu demonstrieren, wenn ein Film über eine Liebesgeschichte zwischen zwei Männern im Kino läuft.
  • Häuser in Tbilisi © Theresa Kulick
    Bilder werden dem Charme und der Vielfalt der Gebäude in Tbilisi leider nicht gerecht
  • Häuser in Tbilisi © Theresa Kulick
    Bilder werden dem Charme und der Vielfalt der Gebäude in Tbilisi leider nicht gerecht
  • Straße in Tbilisi © Theresa Kulick
    Bilder werden dem Charme und der Vielfalt der Gebäude in Tbilisi leider nicht gerecht
  • Häuser in Tbilisi © Theresa Kulick
    Bilder werden dem Charme und der Vielfalt der Gebäude in Tbilisi leider nicht gerecht
  • Häuser in Tbilisi © Theresa Kulick
    Bilder werden dem Charme und der Vielfalt der Gebäude in Tbilisi leider nicht gerecht
  • Häuser in Tbilisi © Theresa Kulick
    Bilder werden dem Charme und der Vielfalt der Gebäude in Tbilisi leider nicht gerecht
  • Häuser in Tbilisi © Theresa Kulick
    Bilder werden dem Charme und der Vielfalt der Gebäude in Tbilisi leider nicht gerecht
And then we danced...

Während ich die Zeilen aus dem Abschnitt zuvor schreibe, merke ich: Das ist nicht einfach nur einer der Gegensätze, die Tbilisi ausmachen. Es ist der Gegensatz, mit dem ich mich während meiner Zeit hier am meisten auseinandergesetzt habe und der fast immer, wenn ich mit georgischen Freund*innen sprach, zur Sprache kam. Ohne urteilen zu wollen, möchte ich deshalb kurz davon berichten, wie ich die Situation in Tbilisi wahrgenommen habe.

Tbilisi und Georgien befindet sich irgendwo zwischen einer Öffnung zu Europa und einer sehr starken konservativen Kirche. Das bedeutet vor allem für die Gruppe an Menschen, die sich für diese Öffnung einsetzen und sie leben möchten, dass sie für ihre Freiheit „kämpfen“ müssen – in ihren Familien und in der Gesellschaft. Wie sehr diese Öffnung Konfliktpotential birgt, zeigt sich an den Ereignissen, die an dem Wochenende, als  „And then we danced“ in den Kinos in Tbilisi lief, stattfanden. Der Film, der von zwei Tänzern am National Georgian Ensemble handelt, wurde in Georgien sowieso nur an diesem einen Wochenende gezeigt und alle Vorstellungen waren in kürzester Zeit ausverkauft – es besteht also zum einen großes Interesse und zum anderen wird gleichzeitig nur begrenzt die Möglichkeit eingeräumt, die Interessen zu bedienen.

Als wir an besagtem Wochenende nichtsahnend durch die Stadt gingen, stellten wir fest, dass eine Straße von der Polizei gesperrt wurde und Demonstrierende vor einem Kino standen. Schilder wie „Stop LGBT-Propaganda“ wurden hochgehalten. Zu diesem Zeitpunkt fragten wir uns: „Das alles wegen dieses einen Films? Da muss doch noch was anderes sein!?“ Aber nein – Tatsächlich war der Film der Auslöser für all das! Von einem Freund, der selbst im Kino war und aus den Medien erfuhren wir dann: Es kam zur Gewalt zwischen den Kino-Besucher*innen und den Demonstrierenden und es gab zahlreiche Festnahmen. Das Zeigen eines Films also, der Homosexualität in Georgien behandelt, hat enorme Folgen. Dennoch habe ich alle Menschen, mit denen ich mich über die Thematik unterhalten habe, als sehr hoffnungsvoll erlebt. Ich bin gespannt, wohin es für dieses so wunderschöne Land mit seiner spannenden Vergangenheit geht.
  • Fotoausstellung in Tbilisi © Theresa Kulick
    Ein paar Eindrücke daraus, was Tbilisi alles zu bieten hat
  • Konzert in Tbilisi © Theresa Kulick
    Fotoausstellung in Tbilisi
  • Oldtimer in Tbilisi © Theresa Kulick
    Fotoausstellung in Tbilisi
  • Cafe in Tbilisi © Theresa Kulick
    Fotoausstellung in Tbilisi
  • Theater in Tbilisi © Theresa Kulick
    Ein paar Eindrücke daraus, was Tbilisi alles zu bieten hat
  • Bar in Tbilisi © Theresa Kulick
    Ein paar Eindrücke daraus, was Tbilisi alles zu bieten hat
Es wird nie langweilig!

Etwas, was ich an Großstädten besonders liebe, ist das nie endende kulturelle Angebot, welches sie bieten. Hier ist Tbilisi keine Ausnahme: Von zahlreichen Restaurants, Cafés, Bars und Clubs über Konzerte, Theater- und Filmvorstellungen, Chöre, Yoga- und Koch-Kursen bis hin zu zahlreichen Museen und Galerien hat Tbilisi so einiges zu bieten. Drei Monate reichen in jedem Fall nicht aus, um auch nur ansatzweise alles auszuprobieren und zu entdecken, was ich gerne würde. Und so kommt es, dass ich, obwohl ich schon sehr viele Museen und Galerien von innen gesehen habe, mehrere Filme und Theaterstücke bewundert habe und auch sonst fast alles „mitgenommen“ habe, was ging, noch immer eine lange Liste mit Dingen habe, die ich gerne sehen, ausprobieren und erleben möchte.

Drei meiner absoluten Freizeit-Favoriten möchte ich hier kurz vorstellen. Zum einen ist das die Jam-Session, die jeden Dienstag im Movement-Theatre stattfindet. Hier machen Berufs-Musiker*innen den ganzen Abend lang in einer wunderbaren Location Musik und ich glaube, ich habe es geschafft, fast jede Möglichkeit zu nutzen, dort hinzugehen. Ein Highlight der Esskultur in Tbilisi ist das Sofia Melnikova. Hierbei handelt es sich um ein Restaurant, dass extrem leckeres georgisches Essen an einem sehr gemütlichen und entspannten Ort serviert. Zum Schluss möchte ich an dieser Stelle die Sulfurbäder von Tbilisi erwähnen. Vor allem im Winter ist ein Besuch sehr empfehlenswert, da man dort im heißen Schwefelwasser zusammen mit seinen Freund*innen quatschen und entspannen kann.

Ihr merkt – ich hatte keine Probleme, mich für die kulturellen Angebote der Stadt zu begeistern und diese voll auszunutzen – und das, obwohl wir häufig am Wochenende aus der Stadt gefahren sind und die Zeit für dieses „ausnutzen“ durchaus begrenzt war. Und so kommt es, dass am Ende meines Georgienaufenthalts für Tbilisi noch eine lange Liste offen steht, die einer der Gründe sein wird, warum ich wiederkommen werde.

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