Blog #5
Wie es mir Tbilisi einfach gemacht hat, meine Neujahrvorsätze (großteils) einzuhalten
Zuerst einmal: Ich halte nichts von Neujahrvorsätzen! Ich bin aber ein Mensch, der ständig reflektiert. Und obwohl ich grundsätzlich ziemlich zufrieden mit mir bin, gibt es doch immer wieder Änderungs- oder, wenn man es so will, Optimierungswünsche. Einige von diesen Änderungswünschen sind dieses Jahr zufällig zum Jahreswechsel aufgekommen. Außerdem habe ich zu Weihnachten einen Achtsamkeits-Kalender für 2019 von meiner Mama geschenkt bekommen, in dem ich zusätzlich nochmals zur eigenen Reflexion angeregt wurde. Auch dadurch habe ich mich mit kurzfristigen und langfristigen Zielen und Wünschen auseinander gesetzt. Dass ich hier jetzt nicht mein komplettes Innenleben offen legen werde, sollte klar sein. Dafür habe ich ganz viele tolle Menschen in meinem Leben – danke an dieser Stelle.
Wenn man verreist oder sich der Alltag ändert, ändern sich oft auch Gewohnheiten und es fällt manchmal schwer, sich an die eigenen Prinzipien zu halten. Und so war ich mir auch vor meinem Aufenthalt in Georgien nicht sicher, ob ich – vor allem neugewonnene – Verhaltensweisen beibehalten könnte. Aber, ihr habt es in der Überschrift bereist gelesen, Tbilisi hat es mir einfach gemacht, meine „Neujahrsvorsätze“ einzuhalten. Von zwei dieser „Vorsätze“ möchte ich euch heute berichten – beide beziehen sich auf mein Konsumverhalten.
Konsumverhalten Nummer 1: Essen
Ich lebe bereits seit mehreren Jahren zum ganz großen Teil vegetarisch. Aber eben nur zum großen Teil. Pro Jahr habe ich mir bis 2019 immer fünf Ausnahme-Gerichte erlaubt. Das heißt ich habe mir die Freiheit genommen, meine eigenen Prinzipien bei fünf Gelegenheiten pro Jahr zu ignorieren. Das war vor allem beim Reisen, beim Couchsurfen, auf Festivals oder auch bei Essenseinladungen sehr hilfreich.
Gleichzeitig habe ich mich jedes Mal, wenn ich so eine Ausnahme gemacht habe, gefragt, ob das wirklich notwendig gewesen ist und besonders gut habe ich mich dabei auch nicht gefühlt. Also habe ich mir für 2019 vorgenommen, es einmal ohne diese Ausnahmenregelung zu probieren. Eine gute Entscheidung! Ich hatte nicht einmal eine Situation, in der ich eine der Ausnahmen hätte wahrnehmen müssen/können/wollen. Auch in Georgien nicht. Wie ihr vielleicht schon in meinem Artikel über Essen in Georgien gelesen habt, gibt es hier einfach sehr viele und vor allem auch vielseitige vegetarische und vegane Optionen, sodass es beim auswärtigen Essen überhaupt kein Problem ist, auf Fleisch zu verzichten. Wenn ich zu selbstgekochtem georgischen Essen eingeladen wurde, habe ich einfach sehr schnell kommuniziert, dass ich kein Fleisch essen möchte und das wurde immer beachtet. Meine Kolleginnen haben mich zum Abschied sogar zu einem komplett vegetarischen selbstgekochten georgischen Essen eingeladen und auch meine Schüler*innen haben mich einmal mit einem vegetarischen Picknick überrascht.
Konsumverhalten Nummer 2: Kleidung
Seit ich 2016 für vier Monate in London lebte, war mir klar, dass ich auch mit sehr viel weniger Kleidung (bestens) auskomme, als sie in meinem Kleiderschrank zu finden ist. Außerdem haben mir die zahlreichen Vintageläden in der britischen Hauptstadt gezeigt, dass auch Second-Hand eine tolle Option ist. Seit diesem Zeitpunkt habe ich also versucht weniger und vor allem, wenn es denn sein muss, Second-Hand zu kaufen. Ende 2018 habe ich mich dann noch weiter mit der Thematik beschäftigt und festgestellt: Fast Fashion ist sowohl aus feministischer als auch umweltethischer Perspektive (zwei für mich sehr wichtige Aspekte) absolut keine vertretbare Option. Also habe ich mich Ende des Jahres dazu entschieden, ab sofort weniger und nur noch Second-Hand zu kaufen und nur wenn es gar nicht anders geht konventionell einzukaufen. Das hat in der ersten Jahreshälfte hervorragend funktioniert. Bis auf drei Flohmarkt-Shirts wanderten keine neuen Klamotten in meinem Kleiderschrank.
Dann musste ich meinen Backpack für die Über-Land-Reise nach Tbilisi packen und ich hatte plötzlich einige Zweifel, ob mein bis dahin so gut befolgter Vorsatz auch in Georgien hinhauen würde. Schließlich musste in meinen Rucksack alles von Sommer- zu Winterklamotten und von schicken Schulklamotten zu Outdoorausrüstung. Es hat natürlich nicht alles in den Rucksack gepasst. Also war klar: Wollte ich in Georgien wandern gehen, muss ich mir dort einen Fleece-Pulli kaufen; wollte ich in der Schule mehr als eine Hose tragen, muss ich mir dort eine Hose kaufen; wollte ich im Winter eine warme Pyjamahose anziehen, muss ich sie mir dort kaufen; usw.
Obwohl ich dieses Jahr gerne noch weniger Kleidung konsumiert hätte, habe ich es zumindest geschafft, das, was ich konsumiert habe, Second-Hand zu kaufen. Tbilisi ist in dieser Hinsicht nämlich ein absolutes Paradies. Es gibt kleine Second-Hand-Läden von wenigen Quadratmetern bis hin zu riesigen Hallen und Kaufhäusern. Und auch außerhalb von Tbilisi gibt es zahlreiche Second-Hand-Läden. So habe ich mir beispielsweise in Borjomi kurz vor einer Wanderung, überrascht von extrem niedrigen Temperaturen, die scheußlich schönsten Handschuhe mit Rüschen und goldenem Stoff gekauft, die ich je besessen habe. In Tbilisi selbst wurde ich meistens in einer riesigen Second-Hand-Halle in der Nähe des Station-Squares fündig. Besonders gefreut habe ich mich über den Fund eines alten Over-Size-Blazers aus grünem Samt-Stoff, den ich super, ohne mich verkleidet zu fühlen, in der doch etwas schickeren georgischen Schule tragen konnte. Auch als ich kurz vor dem Botschaftsempfang anlässlich des Jubiläums 30 Jahre Mauerfall feststellen musste, dass das einzige wirklich schicke Kleidungsstück, das ich dabei hatte, so sehr eingelaufen war, dass bestenfalls noch ein Kinderkörper angemessen Platz darin gefunden hätte, konnte in der Halle Abhilfe gefunden werden: Ein schwarzes Oversize-Kleid, aus dem ich die riesigen Schulter-Polster heraustrennte und das mich gerade mal knapp drei Euro kostete, hat verhindert, dass ich in einem viel zu kurzen, eingelaufenen Kleid in der Botschaft auftauchen musste. Mein allerliebstes Konsum-Gut, was ich aus Tbilisi mitnehme, ist im Grunde auch Second-Hand. Meine Freundinnen und ich haben uns in Yerewan auf einem Trödelmarkt alte Silberlöffel kauft und in Tbilisi zum Schmied gebracht. Dieser hat daraus dann Ringe geformt, sodass ich nun einen wunderschönen alten Silberlöffel als Ring um meinen Finger trage.
Georgien hat es mir also ohne Probleme ermöglicht, meinen Vorsatz zumindest ansatzweise einzuhalten. Nun hoffe ich, dass mir das auch im kommenden Jahr so gut gelingt und ich es schaffe, einfach noch weniger zu kaufen.
New City – New Me?
Im Zuge dieses Blogartikels habe ich nochmal darüber reflektiert, was Veränderung für mich bedeutet und wie mich meine Zeit in Tbilisi verändert hat, beziehungsweise wie ich mich selbst geändert habe. Dabei habe ich (mal wieder) auch festgestellt, dass eine Veränderung der Umgebung, des Alltags und das Leben innerhalb einer anderen Kultur, in der man Gast ist, so viele neue Erlebnisse, Begegnungen und somit Perspektivwechsel mit sich bringt, dass man dabei nicht nur das Land und die Stadt, in der man lebt, besser kennenlernt, sondern vor allem auch sich selbst. Ob durch besonderes eigenes Zutun oder nicht, man entwickelt sich automatisch weiter. Man erkennt, worin man bereits gefestigt ist, wo Unsicherheiten herrschen und man betrachtet sich selbst aus mindestens einer, wenn nicht sogar, sehr vielen neuen Perspektiven. Also Tbilisi, ich bin dir nicht nur dankbar dafür, dass ich meinen oben dargelegten Prinzipien treu bleiben konnte, sondern auch für die Veränderungen, die du in mir angestoßen hast.