Johannes Ebert am 16. Oktober 2014
Deutsch als Wissenschaftssprache
Eröffnungsrede von Johannes Ebert zur Veranstaltung „Die Sprache von Forschung und Lehre: Bindeglied der Wissenschaft zu Kultur und Gesellschaft?“ im Rahmen der Reihe Deutsch 3.0
Lieber Herr Mocikat,
sehr geehrter Herr Thierse,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
am Tag, als Stefan Hell den Nobelpreis für Chemie erhielt, sah ich abends mit meiner Frau die Tagesschau. Als der Bericht der Pressekonferenz eingeblendet wurde, schaltete ich lauter. Würde Stefan Heil Deutsch oder Englisch sprechen? Gerade in Vorbereitung auf den heutigen Abend hat man ja eine erhöhte Sensibilität für diese Frage. Er sprach Deutsch und betonte auf Deutsch die Spitzenstellung der deutschen Wissenschaft. Das hat mich gefreut. Noch mehr gefreut habe ich mich, als dann einer seiner Mitarbeiter befragt wurde. Er äußerte sich euphorisch über die Leistung seines Chefs. Auch auf Deutsch. In einem Deutsch, das ähnlich stark Süddeutsch eingefärbt war wie meines. Das hat mich richtiggehend beruhigt…
Ich habe jedoch auch andere Erfahrungen gemacht. Als ich Anfang des vergangenen Jahrzehnts das Goethe-Institut in Kiew, in der Ukraine leitete, wurde ich zu einem Alumnitreffen einer deutschen Spitzenorganisation der Wissenschaften eingeladen. Das Treffen fand in der Mohiyla-Akademie statt, 1632 gegründet und damit eine der ältesten Universitäten der Welt. Die Bibliothek, ein getäfelter Saal in einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert. 50 bis 60 Top-Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der Ukraine und Belarus. Ich kannte einige von ihnen. Deutsch sprachen wahrscheinlich alle. Englisch die meisten. Der Vizepräsident der Universität begrüßte: auf Deutsch – ohne Übersetzung. Man merkte, dass sein Deutsch ein wenig eingerostet war, aber ich war beeindruckt und auch berührt von dieser Geste. Die wurde jedoch leider konterkariert, als der deutsche Vertreter seine Begrüßung begann: „Dear friends, I am very happy to be here in Kiew and offer you a very warm welcome.“ In den Blicken der osteuropäischen Forscher spiegelte sich allgemeines Unverständnis. Von solchen Erlebnissen berichten meine Kollegen und Kolleginnen immer wieder: Im Ausland begegnen wir immer dann Unverständnis, wenn deutsche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vor Publikum, das Deutsch versteht und spricht, Englisch sprechen.
Andererseits ist die Notwendigkeit einer internationalen Arbeitssprache in den Wissenschaften unbestritten, sind die Vorteile von Englisch als lingua franca ein Allgemeingut, erfordert die demographische Situation von Deutschland, dass wir uns der Integration gezielt öffnen. Eine echte Willkommenskultur erfordert auch erhöhte Anstrengungen in Sachen Mehrsprachigkeit in Deutschland.
Vor allem was die Internationalisierung an Hochschulen und damit verbunden die Erhöhung des Anteils von englischsprachigen Studiengängen betrifft, verfolgt das Goethe-Institut die Diskussion aufmerksam. Zuletzt hat die Nachricht, dass die Technische Universität in München bis 2020 alle Masterstudiengänge auf Englisch abhalten will, die Diskussion um Deutsch als Wissenschaftssprache neu befeuert.
Mein Dank gilt heute dem Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache, der Partner dieser Veranstaltung im Rahmen der Reihe Deutsch 3.0 ist. Deutsch 3.0 will Debatten über unsere Sprache anstoßen, 59 Partnerinstitutionen in 7 Ländern konnten zur Mitwirkung gewonnen werden. Die Rückmeldungen der Partner als auch der Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind durchweg positive. 40 Veranstaltungen werden im Rahmen von Deutsch 3.0 durchgeführt. Gerade die Auseinandersetzung mit Deutsch als Wissenschaftssprache ist in der Veranstaltungsreihe sehr präsent und kann auch auf unserer Webseite www.deutsch3punkt0.de verfolgt werden.
Die aktuellen Diskussionen zu Deutsch als Wissenschaftssprache und zur sprachlichen Komponente der Internationalisierung von Wissenschaft lassen einen strukturellen Nachjustierungsbedarf erkennen. Bei dem wichtigen Ziel der Internationalisierung der deutschen Hochschullandschaft und der damit verbundenen Integration ausländischer Studierender und Nachwuchswissenschaftler scheint es, als ob die Relevanz des englischen auf der einen und des deutschen Sprachniveaus auf der anderen Seite sowie die Notwendigkeit der Kenntnisse interkultureller Unterschiede, die im Bildungshintergrund verankert sind, unterschätzt wurden. Es muss deshalb nach wie vor ein Ziel sein, die Deutschkenntnisse der ausländischen Studierenden derart sicherzustellen, dass ein qualitativ hochwertiges Studium gewährleistet und nicht durch sprachliche Defizite beeinträchtigt wird, eine Integration der Studierenden nicht nur in den Hochschulbetrieb, sondern auch in das jeweilige gesellschaftliche, soziale und kulturelle „deutschsprachige“ Umfeld erfolgreich gelingt. Denn die Sprache ist einer der wichtigsten Schlüssel zur Integration. Ihre Kenntnis trägt wesentlich dazu bei, dass sich angehende Fachkräfte hier zuhause fühlen und auch nach ihrem Universitätsabschluss in Deutschland bleiben.
Der frühzeitige Erwerb von Deutschkenntnissen bereits im Ausland hat sich als das probateste Verfahren hierfür und für einen individuellen Studienerfolg etabliert. Die Internationalisierung der deutschen Hochschulen und die Suche nach Fachkräften beginnen an den Schulen im Ausland. In diesem Zusammenhang ist die Vermittlung eines Bildes von einem zunehmenden Bedeutungsverlust von Deutsch als Wissenschaftssprache und dass lediglich marginale Englischkenntnisse für ein Studium im Deutschland erforderlich sind, für diesbezügliche Bemühungen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wenig hilfreich.
Mit Sorge betrachten wir die zunehmende Umstellung des Lehrbetriebs auf Englisch. Sie mag in manchen, insbesondere naturwissenschaftlichen Fächern, im Rahmen der Internationalisierungstrategien der Hochschulen sinnvoll sein, ist jedoch, wenn sie extensiv betrieben wird, kritisch auf ihre gesamtgesellschaftlichen Folgen hin zu überprüfen. Denn eine damit drohende „Sprachlosigkeit“ des Deutschen für wissenschaftliche Sachverhalte birgt auf mittelbare Sicht die Gefahr eines in seinen Folgen noch gar nicht absehbaren Verlustes der Diskursfähigkeit komplexerer Sachverhalte zwischen Gesellschaft, Politik und Wissenschaft.
Die erste Stufe dieses Prozesses ist bereits zu beobachten: die Anzahl populärwissenschaftlicher Fachartikel bzw. die Berichterstattung über aktuelle Forschungen gehen zurück, da die betreffenden Journalisten den englischen Fachdiskussion zu folgen bereits jetzt immer weniger in der Lage sind. Auf lange Sicht wird auch der deutsche Wortschatz über die entsprechenden Begriffsäquivalente nicht mehr verfügen (Sprache entwickelt sich im und durch Gebrauch), sodass eine profunde wissenschaftliche Diskussion und die universitäre Lehre auf Deutsch beeinträchtigt sind.
Nach Auffassung des Goethe-Instituts gilt jedoch für die Forschung, die Lehre und die Aufgaben der Integration gleichermaßen: Der Wert von Mehrsprachigkeit und die Geltung von Deutsch respektive der Nutzen von Deutschkennnissen ist insbesondere im europäischen Kontext zu sehen und aktiv zu sichern. Hierzu gilt es alle Einflussmöglichkeiten auszuloten und gezielt zu nutzen. Hier ist auch ein kreatives NEUdenken gefragt, um mit ungewöhnlichen, innovativen und nachhaltigen Maßnahmen Erfolge zu generieren.
Die offensichtliche Brisanz dieser sprachenpolitischen Fragen veranlasst das Goethe-Institut, sich zunehmend aktiv in die Debatte einzubringen und die Interessen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, gemeinsam mit ihren Partnern, im Kontext der Förderung der deutschen Sprache zur Geltung zu bringen. Dazu ist das Goethe-Institut durch sein weltweites Netzwerk prädestiniert. 15 Millionen Deutschlerner im Ausland sind auch Ausdruck einer diesbezüglichen Verantwortung, die das Goethe-Institut hat.
In diesem Zusammenhang ist auch der heutige Abend zu sehen, der unsere gemeinsame Initiative Deutsch 3.0. und die Diskussion um die Zukunft des Deutschen als Wissenschaftssprache in hohem Maße bereichern wird.
Vielen Dank!
Gehalten am 16. Oktober 2014 in Berlin.
Es gilt das gesprochene Wort.