Johannes Ebert am 18. September 2018
25-jähriges Jubiläum der Muffathalle in München
Laudatio von Johannes Ebert anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Muffathalle in München
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Dietmar Lupfer, lieber Christian Waggershauser, liebes Muffathallen-Team, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde.
Im Urlaub mag ich keine SMS, die mit der Arbeit zu tun haben. Das heißt dann meistens, dass irgendwo etwas passiert ist, ein Projekt schiefgegangen, wichtiges Zitat für eine Pressemitteilung, oder manchmal auch richtig schlimme Dinge, die Gefahr für ein Institut bedeuten. Ein sofortiger Rückruf im Büro ist also immer notwendig!
Über die SMS, die ich am 1. August bekommen habe, habe ich mich dagegen sehr gefreut: „Lieber Johannes, am 18.9. ab 19 Uhr machen wir einen kleinen Festakt zu unserem 25-jährigen Jubiläum. Meine Frage: Hättest Du Zeit und Lust eine kurze Rede zu halten? Du kennst uns von Anfang an und kannst auch die internationalen Beziehungen einordnen! Würde mich freuen, wenn das geht. Grüße Dietmar“
Ich habe mich, lieber Dietmar, nicht nur gefreut, sondern sogar sehr geehrt gefühlt, dass ich bei einem so wichtigen Ereignis reden kann. 25 Jahre Muffathalle! Das sind – in der Statistik ist es schon mehrmals genannt worden – weit über 4000 Künstler aus über 110 Ländern, die in München aufgetreten sind!
25 Jahre Muffathalle! Das ist auch der Moment, wenn Du am Müllerschen Volksbad vorbei den Weg nach unten gehst. Es riecht nach Wasser und Isar, im Herbst nach feuchtem gelbem Laub. Am Eingang triffst Du jemanden, den Du kennst, hältst einen kleinen Schwatz, noch einen, noch einen. Langsam baut sich die Spannung auf. Im Café trinkst Du ein Glas Rotwein, isst ein Schinkenbrot. Langsam kommst Du runter, Du bist direkt von der Arbeit hergefahren, gehetzt, und jetzt stellt sich diese Vorfreude ein, diese Lust, dieser Hunger auf das Neue, den die Muffathalle stets beschert. Du sprichst noch ein wenig über das, was jetzt kommt. Dann musst Du aufpassen, wenn der Einlass losgeht. Du willst einen guten Platz bekommen.
Und plötzlich bist Du drin: Es riecht nach frisch gefallenen Sägespänen in der rätselhaften, sich stetig verändernden Holzlandschaft bei Anna Konjetzkys „Testlauf“, eine leere Bühne vor hunderten nach oben gestaffelten Sitzen bei Richard Seagals „Ballet of Difference“, riesige wurmförmige Gebilde, die sich durch die ganze Halle bewegen in Chico MacMurtries Amorphic World.
In 25 Jahren haben über 250 000 Besucherinnen und Besucher jährlich etwa 12000 Mal dieses besondere Muffathallen-Gefühl erlebt, sind nach Haus gegangen, beseelt oder aufgewühlt, bewegt und bereichert, in Gruppen diskutierend, am Müllerschen Volksbad vorbei. Irgendwie ein wenig beschenkt und gestärkt von dieser Muffathalle.
1995. Die SMS von Dietmar Lupfer hat mich zurückversetzt ins Jahr 1995. 1995 fing ich nach einer einjährigen Station in Riga in der Presseabteilung des Goethe-Instituts in München an. Es war damals nicht immer einfach, in den deutschen Medien Aufmerksamkeit dafür zu bekommen, was das Goethe-Institut im Ausland macht – und sei es noch so interessant. Zu weit weg, zu abstrakt bisweilen. Und so war kurz nachdem wir unsere neue Zentrale in der Dachauer Straße bezogen hatten, das Goethe-Forum mit dem leider viel zu früh verstorbenen Uli Everding gegründet worden. Hier trafen sich zwei Ambitionen: Die der Muffathalle, die dem Münchner, dem bayerischen, dem deutschen Kulturleben mit zeitgenössischer populärer Kultur eine neue internationale Dimension hinzufügen wollte – und das ganz bewusst auch aus dem Ausland, aus internationalen kulturellen Kontexten und globalen Diskursen.
Die Ambitionen des Goethe-Instituts außerdem, das seine vielfältige Welt, sein reiches und verästeltes Netzwerk, seine Kooperationen mit Kultureinrichtungen und Zivilgesellschaft in Deutschland sichtbar machen wollte. Damals war das auch einen Schuss visionär: das Internet für alle hatte gerade erst begonnen, die Globalisierung war auf dem Weg.
Das „Festival der Kulturen“ 1995 war eine der ersten großen gemeinsamen Aktionen, mit Produktionen aus fünf Ländern von Kiew bis Kairo. Wir begannen also mit der Pressearbeit. Ich radelte ins improvisierte und überfüllte Betriebsbüro der Muffathalle. Und lernte dort Dietmar Lupfer kennen.
Das „Festival der Kulturen“ wurde ein großer Erfolg – auch wenn wir feststellten, dass nicht alles, was im Ausland ankommt, den Sehgewohnheiten des deutschen Publikums entspricht. Das war eine wichtige Erkenntnis auf diesem gemeinsamen Weg.
Ein Weg, der viele erfolgreiche Jahre zusammen weiterging. „Korea im Jahr des Tigers“ 1998, „Future Communities“ im Jahr 2000, das weit in die Zukunft blickend die gesellschaftlichen Veränderungen durch neue Informationstechnologien aufarbeitete. Saskia Sassen, Peter Weibel, Chico MacMurtrie, Florian Rötzer, internationales Top-Niveau. Aber auch – und da ist das Goethe-Instituts gut drin – Digital-Spezialisten aus Belgrad, Neu Delhi und anderen globalen Städten, die man hierzulande nicht immer auf dem Schirm hat.
Bei den Faust-Spielen 1999 zum 250-jährigen Geburtstag Goethes brachten Muffathalle und Goethe-Institut Faust-Produktionen aus der ganzen Welt nach München und zeigten deren zeitlose weltweite Aktualität.
Zwei Jahre davor waren beim HongKong-Festival über 100 Künstlerinnen und Künstler in München zu Gast. Zwei Jahre vor der Übergabe der britischen Kronkolonie an China war das auch ein erster kulturpolitischer Test, wie frei die Kulturszene auf der Insel arbeiten konnte.
Helena Waldmanns „Letters from Tentland“, das Free Theatre Minsk, „Minorities“ von Yang Zehn aus China – auch in den vergangenen Jahren haben wir gerade im Rahmen der großen Festivals, von Spielart, Dance oder der Münchner Musikbiennale, eng kooperiert.
Das Muffatwerk aber auch in seiner Funktion als zentrale, aus dem Münchner Kulturleben nicht wegzudenkende Veranstaltungsplattform. Immer ging es der Muffathalle und ihren Machern darum, das Neue zu entdecken, den Horizont dafür zu öffnen, dass wir in einer globalen Welt leben, dass es unterschiedliche Positionen und Themen gibt, an denen wir über Grenzen hinweg gemeinsam arbeiten, denken und uns bereichern müssen. Dass eine globale Welt nur funktioniert, wenn wir sie auch möglichst gut verstehen. Dieser Austausch ist auch immer eine Zweibahnstraße. Auch das hat die Muffathalle verstanden.
Brötzmann, Element of Crime, die Einstürzenden Neubauten in Russland, Mexiko und Brasilien – für sie ist das Muffatwerk eine Brücke zur Welt. „Copirates“ oder „text“ – bei vielen Produktionen Richard Siegals, bei Tourneen von Beirut bis Nowosibirsk haben Muffatwerk und Goethe-Institut eng kooperiert. Projekte in Addis Abeba, Johannesburg oder im Senegal zeigen, wie die Muffathalle von München aus in die Welt hinausreicht.
Im Moment planen wir eine gemeinsame Residenz für Medienkunst in Peking.
Ein weiteres Projekt liegt mir besonders am Herzen: Vor einigen Jahren hat das Goethe-Institut ein weltweites Kulturmanagement-Programm gestartet. China, Indien, Afrika, Osteuropa – auf allen Kontinenten fanden Seminare, Workshops und Begegnungen statt.
Für die Praktika in Deutschland suchten wir kompetente Kulturinstitutionen, die unseren Absolventen Zeit widmeten und sie in ihre Abläufe einbezogen. Seit 2009 ist auch die Muffathalle dabei. Neue Projekte und nachhaltige Partnerschaften haben sich so entwickelt – z.B. mit Amadou Fall Ba aus Dakar oder mit Alemayehu Seife Selassie in Äthiopien.
Seit 25 Jahren steht das Muffatwerk für solide Partnerschaften, kreative Kontinuität und Experimentierfreude. Ein Ort, wo lokale Kultur ihren Platz hat, genauso wie die aus der ganzen Welt. Ein Ort, wo man sich trifft, austauscht, wo man bereichert wird.
Was ist heute, was bringt die Zukunft? Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Angst vor dem Fremden in unserer Gesellschaft zunimmt. In einer Zeit, in der manche vergessen, dass gerade die globale Vernetzung, die Offenheit gegenüber anderen Kulturen, und nicht „Deutschland First“ zu schreien, unserer Gesellschaft und unserem Land Frieden garantieren und uns weit vorangebracht haben. In einer Zeit, in der manche vergessen, wie gut es – trotz aller Herausforderungen und Fragen – den Menschen in unserer Gesellschaft im Vergleich zu anderen geht. In einer Zeit, in der böse und schmutzige Begriffe, die wir seit über 70 Jahren nicht mehr gehört haben, wieder sagbar sind.
In dieser Zeit brauchen wir Orte, die uns neue, weitere Perspektiven eröffnen. Orte, die uns sehen, spüren und erleben lassen, wie reich wir durch die Begegnung mit Kultur, mit anderen Kulturen werden. Wir brauchen Orte, die Menschen immunisieren und resilient machen gegen Fremdenfeindlichkeit und nationalen Egoismus. Wir brauchen Orte, wo die Komplexität der Welt nicht auf einfache Parolen reduziert wird, wo Dinge offen sind, wo diskutiert und debattiert und um Zukunft gerungen wird. Orte, wo wir unsere Batterien aufladen können für die Auseinandersetzung mit diesem anderen Teil Deutschlands, der unserem Land und seinem Ansehen in der Welt schadet. Wir brauchen bunte, offene und reiche Orte. Wir brauchen Orte wie das Muffatwerk, eine Plattform der Begegnung, des Austausches, der Debatte und des Kunstgenusses. Ein Ort, den wir uns aus München, Bayern, Deutschland, Europa nicht mehr wegdenken können. Ein Ort, der in diesen Zeiten notwendiger ist denn je. Ein Ort, dem wir Dank sagen für die vergangenen 25 Jahre und vor allem dafür, dass er da ist, wenn wir ihn gerade jetzt besonders brauchen.
Vielen Dank! Und herzlichen Glückwunsch!
Es gilt das gesprochene Wort.