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Johannes Ebert am 15. November 2018
„Unser bester Mann weltweit: Johann Wolfgang von Goethe“

Artikel von Johannes Ebert zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Politische Studien 462 der Hanns-Seidel-Stiftung

In Zeiten der Unsicherheit und globalen Beschleunigung gewinnt der internationale Austausch von Kultur, Wissenschaft und Bildung zentrale Bedeutung. Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut spielen hier eine tragende Rolle. Dabei geht es weniger um Repräsentation, sondern um Dialog, Kooperation und Koproduktion von Wissen und Kultur.
 
Mit Kultur gegen die Krise
Der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der europäischen Union, steht kurz bevor. Die USA verhängen neue Zölle gegen China und die EU. Gewaltsame Konflikte erschüttern Syrien, den Irak und andere Teile der Welt. In Chemnitz macht ein brauner Mob Jagd auf Ausländer oder ausländisch aussehende Mitbürger. Beim Blick auf dieses Mosaik aus Schlagzeilen der vergangenen Monate entsteht der Eindruck, dass sich die Welt heute schneller dreht als noch vor wenigen Jahren, dass Konflikte zunehmen und sicher geglaubte Wahrheiten nicht mehr gültig sind. Die Dynamik hat sich erhöht.

Gerade für ein international vernetztes und von globalen Geschehnissen abhängiges Land wie Deutschland ist es wichtig, die Trends zu analysieren, die hinter diesen und vielen anderen Ereignissen und politischen Symptomen liegen. Diese Entwicklungen gewinnen zunehmend aus kulturellen und gesellschaftspolitischen Konflikten ihre Dynamik. Ihre Analyse liefert daher auch Erkenntnisse für die zukünftige Gestaltung unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Und umgekehrt kann die internationale Kulturarbeit einen wichtigen Beitrag zur Analyse und im besten Falle auch Bewältigung neuer Herausforderungen leisten. Denn Kultur, Wissenschaft und Bildung werden in solch unsicheren und volatilen Verhältnissen wichtiger werden: als Felder der Begegnung und des Austauschs; als Plattform, auf der Meinungen, Haltungen und ästhetische Konzepte aufeinandertreffen; als Ort, an dem Themen auch jenseits tagespolitischer Zwänge innovativ und zukunftsweisend verhandelt werden.
 
Die Welt ist multipolar geworden. Neue Zentren mit eigener Anziehungskraft sind entstanden, welche die lange währende Deutungshoheit „des Westens“ über die globale Gesellschaft und Politik in Frage stellen. Für viele hat das liberale Narrativ von der offenen, demokratischen und an freiheitlichen Werten orientierten Gesellschaft an Anziehungskraft verloren. Wirtschaftlicher Erfolg – so scheint es – ist auch ohne die Freiheit des Einzelnen möglich. Den Ländern des Westens wird gerade in der Debatte um Imperialismus und Kolonialismus eine Doppelmoral vorgeworfen, in der hehre Werte zwar für die eigenen Bürger gelten, nicht jedoch für die Menschen anderer Gesellschaften. So gewinnen neue Erzählungen von der eigenen Geschichte und Gesellschaft an Bedeutung, die auch in der Abgrenzung und Emanzipation vom „Westen“ entstehen und die häufig liberale Wertvorstellungen anders gewichten oder in Frage stellen. Der Begriff vom „Wettbewerb der Narrative“ beschreibt diese Situation sehr plastisch.
 
Dabei stehen nicht ganze Gesellschaftssysteme oder „Zivilisationen“ im Widerstreit, sondern die Trennlinien und Spaltungen ziehen sich zusehends mitten durch unsere eigenen Gesellschaften. In den USA und einigen europäischen Ländern haben Vertreter populistischer Strömungen die Regierung übernommen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nach außen kaum an Kompromissen arbeiten, sondern eine rigide Durchsetzung der eigenen nationalen Interessen verfolgen. Im Inneren propagieren sie eine Abgrenzung unterschiedlicher gesellschaftlicher, kultureller und religiöser Gruppen voneinander und eine Ausgrenzung des vermeintlich Fremden. Solche Strömungen sind in den letzten Jahren auch in der deutschen Gesellschaft stärker und lauter geworden. „Pegida“ oder die Ereignisse in Chemnitz sind Ausdruck dieser Bewegungen, die das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland schädigen und das liberale Erfolgsmodell der Bundesrepublik gefährden. Ein Modell, das auf demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien basiert und auf internationale Kooperation, europäische Integration und Einbettung in globale Wirtschafts-, Politik- und Kulturprozesse setzt.
 
Nicht nur in Deutschland ist die Bedeutung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in den vergangenen Jahren gewachsen. Auch andere Nationen haben das politische Potenzial dieses Feldes für sich erkannt:5 Russland betreibt mehr als 100 Kulturinstitute. China hat in den vergangenen Jahren weltweit über 500 Konfuzius-Institute gegründet, Tendenz steigend.6 Kritische Beobachter merken an, dass diese Aktivitäten auch darauf abzielen, eine stärkere außenpolitische Einflussnahme dieser Länder zu flankieren.
 
Das Goethe-Institut als Mittlerorganisation
Die Bundesrepublik wird zu Recht weltweit als Land wahrgenommen, in dem Kultur, Bildung und Wissenschaft einen hohen Stellenwert haben. Um unser „Modell“ auch in Abgrenzung zu einer staatlich verordneten Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu verstehen, ist ein Blick in die jüngere Geschichte Deutschlands notwendig. Aufgrund der Verantwortung für die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs waren die ersten Jahrzehnte nach Kriegsende von dem Bemühen geprägt, Deutschland wieder zu einem anerkannten Mitglied der zivilisierten Staatenwelt zu machen. Mit Blick auf den Missbrauch von Bildung, Kultur und Kunst im „Dritten Reich“ zur nationalsozialistischen Propaganda fiel in der jungen Bundesrepublik auch die Entscheidung, die internationale Bildungs- und Kulturkooperation dem direkten Zugriff der Regierung zu entziehen und in die Hände eigenständiger Organisationen zu übergeben, die sich als Teil der deutschen Zivilgesellschaft verstehen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), das Goethe-Institut und zahlreiche weitere Akteure arbeiten im Auftrag des Staates, strategisch abgestimmt, aber inhaltlich weitgehend unabhängig. Dabei stehen die Prinzipien der Meinungs-, Kultur- und Wissenschaftsfreiheit im Mittelpunkt. Dieses Konzept hat sich bis heute erfolgreich bewährt. Gerade in der Außendarstellung eines pluralistischen Staatswesens mit einer aktiven und breit aufgestellten Zivilgesellschaft verleiht die Eigenständigkeit der Mittlerorganisationen im Ausland der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
 
Das Goethe Institut ist als weltweit tätiges Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland mit einem Netzwerk aus rund 160 Instituten in 90 Ländern die größte Mittlerorganisation. Es fördert die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland und pflegt die internationale kulturelle Zusammenarbeit. Darüber hinaus bieten die Goethe Institute authentische und aktuelle Informationen über das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben in unserem Land an. Zu diesem Zweck betreuen die Institute auch zahlreiche weitere Einrichtungen lokalen Rechts wie Goethe-Zentren, Kulturgesellschaften, Lesesäle, Sprachlernzentren oder Projekträume. So besteht das erweiterte Netzwerk des Goethe- Instituts aus fast 1.000 Anlaufstellen. Darüber hinaus sind die Institute eng vernetzt mit Museen, Galerien, Konzerthäusern, Bibliotheken, Universitäten sowie mit Intellektuellen, Künstlern und Vertretern der Zivilgesellschaften weltweit. Das Goethe Institut ist ein lebendiger Organismus, der Menschen, Institutionen und kulturelle sowie zivilgesellschaftliche Akteure aus der ganzen Welt zusammenbringt, gemeinsame Projekte unterstützt und neue Netzwerke begründet.
 
Es geht also zunehmend weniger um reine Repräsentation, sondern um Dialog, um Kooperation und Koproduktion von Wissen und Kultur. Denn auch für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gilt: Ein tieferes Verständnis vom Gegenüber stellt sich dann ein, wenn gemeinsam gedacht, geplant und gearbeitet wird. So entstehen echte und nachhaltige Austausch- und Verständigungsprozesse. Das heißt vor allem, dass die Goethe-Institute vor Ort mit Partnern aus Staat und Zivilgesellschaft eng zusammenarbeiten und gemeinsam Projekte und Programme entwickeln. Zunehmend arbeitet das Goethe-Institut dabei auch länderübergreifend und multilateral und bringt Akteure ganz unterschiedlicher Länder und Regionen zusammen, um sich gemeinsam mit globalen Herausforderungen auseinanderzusetzen.
 
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD sind die Arbeit des Goethe-Instituts als deutsche Mittlerorganisation und andere Aspekte der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik explizit erwähnt, wie etwa die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte im Verhältnis zu Afrika, die Bedeutung der deutsch-französischen kulturpolitischen Zusammenarbeit für die weitere Entwicklung des europäischen Projekts oder auch die Bekämpfung von Fluchtursachen durch eine Stärkung lokaler Strukturen von Startups oder Kreativindustrien. Dadurch setzen die Regierungsparteien ein deutliches Zeichen, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik tatsächlich eine starke dritte Säule der deutschen Außenpolitik darstellt, wie es Willy Brandt in den 1960er-Jahren – damals in seiner Funktion als Außenminister – gefordert hatte. Kultur- und Bildungspolitik als dritte Säule der deutschen Außenpolitik Für eine aktive pluralistische Zivilgesellschaft Immer stärker rückt dabei ein Thema in den Fokus, nämlich die Zivilgesellschaft. Wir beobachten, dass weltweit der Druck auf die Zivilgesellschaften steigt und Freiräume zusehends eingeschränkt werden. Laut Transformationsindex BTI der Bertelsmann Stiftung ist die Qualität von Demokratie, guter Regierungsführung und Marktwirtschaft auf den niedrigsten Stand seit 12 Jahren gefallen. Dies betreffe, so der BTI, heute nicht mehr nur autokratische Regime, sondern auch in Demokratien versuchten Regierungen zusehends, mit harter Hand durchzugreifen. Dabei ist eine aktive und pluralistische Zivilgesellschaft nach unserem Verständnis ein wesentlicher Faktor, um die Freiheit und Teilhabe des Einzelnen zu gewährleisten, die Verantwortung des Bürgers für das Gemeinwesen zu stärken, die Entwicklung von Gesellschaften auf ein breites Fundament zu stellen und diese damit nachhaltig zu gestalten.
 
Das Goethe-Institut und andere deutsche Mittlerorganisationen sind in dieser Situation gefordert. Physische und digitale Freiräume sind notwendig, um für Partner, die unter Druck geraten, einen Ort des offenen und zensurfreien Dialogs zu schaffen. Mit Qualifizierungsangeboten
und Mobilitätsprogrammen stärken die deutschen Mittlerorganisationen lokale Netzwerke und vernetzen sie mit Partnerorganisationen weltweit. Denn gerade die Einbettung in internationale Kontexte stärkt Akteure vor Ort, im schlimmsten Fall auch bei einer konkreten Gefährdung von Kulturschaffenden oder zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie wir es in manchen Ländern erleben. Gemeinsam mit dem Institut für Auslandsbeziehungen und unterstützt vom Auswärtigen Amt hat das Goethe-Institut deshalb vor Kurzem die Martin Roth-Initiative eingerichtet. Dieses weltweite Schutzprogramm gibt gefährdeten Akteuren aus dem Kulturbereich die Möglichkeit, sich in ein sicheres Land ihrer Heimatregion oder nach Deutschland zu begeben, um dort weiter zu leben und zu arbeiten. Gerade in diesem Feld trägt Deutschland aufgrund der eigenen Vergangenheit eine besondere Verantwortung gegenüber seinen Partnern in Ländern, in denen die Zivilgesellschaft durch antidemokratische und autokratische Entwicklungen zu erodieren droht.
 
Für Europa und seine Integration
Die europäische Integration ist für Deutschland von besonders hoher Bedeutung. Bei allen Herausforderungen darf man nicht vergessen, dass sie die Grundlage für ein jahrzehntelanges friedliches Zusammenleben in Europa darstellt. Allerdings scheint die Strahlkraft des Gründungsmythos der Europäischen Union, auf dem Trümmerhaufen des Zweiten Weltkriegs die europäischen Staaten friedlich geeint zu haben, zusehends zu verblassen. Die europäische Wirtschafts- und Bankenkrise hat das Vertrauen in die europäischen Institutionen erschüttert und euroskeptische Bewegungen nehmen zu. Die Brexit- Entscheidung war ein Schock und stellt sowohl Großbritannien als auch die EU vor gewaltige Probleme.
 
Dabei hat die Europäische Union, dieser historisch einmalige Zusammenschluss der Mitgliedsstaaten, ihren Bürgern auf der Grundlage von Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit einen vergleichsweise hohen Grad an Wohlstand und Sicherheit ermöglicht. Sie sorgt für eine Annäherung unterschiedlicher Interessen und verleiht Europa in einer multipolaren Welt eine eigene Stimme und ein eigenes Gewicht. Es gibt keine Alternative zur europäischen Integration, auch wenn diese ein langwieriger Prozess mit Kompromissen und Rückschlägen ist. Kultur und Bildung können hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Denn schon Jacques Delors, der langjährige Präsident der Europäischen Kommission, hat erkannt: „Man verliebt sich nicht in einen großen Binnenmarkt.“

Für das Goethe-Institut ist die europäische Kooperation daher ein wichtiges Thema. Es engagiert sich für die Vision der europäischen Integration und für einen auf kultureller Vielfalt basierenden europäischen Kulturraum. 2015 hat es die Arbeit in Europa explizit in seine Satzung aufgenommen. Die Goethe- Institute treten für den fundamentalen Wert der Freiheit als Kern des europäischen Gedankens ein, thematisieren aber auch explizit dessen Brüche, Krisen und Ambivalenzen. Es gilt, Ängste ernst zu nehmen, ihnen jedoch eine Diskussion über die Chancen und Vorteile der europäischen Integration entgegen zu setzen. Kultur kann ein Schlüssel zum Dialog insbesondere mit denjenigen sein, die Zweifel und Befürchtungen hinsichtlich einer offenen Gesellschaft in Europa hegen.
 
Gemeinsame europäische Kulturprojekte wie Festivals, Ausstellungen oder Musik können den Reichtum und die Vielfalt unserer Kulturen verdeutlichen und auf emotionaler Ebene für Europa begeistern. Dabei arbeiten die Goethe-Institute zunehmend europäisch und üben jeden Tag konkrete Kulturzusammenarbeit ein, beispielsweise in gemeinsamen Häusern mit europäischen Partnern wie dem deutsch-französischen Kulturinstitut in Ramallah, den gemeinsamen Unterbringungen mit dem Instituto Cervantes in Stockholm, dem British Council in Kiew oder dem Istituto Italiano di Cultura in Straßburg. Für die nächsten Jahre ist die Einrichtung von zehn deutsch-französischen Kulturinstituten geplant. Weitere Anker der Zusammenarbeit sind das Netzwerk EUNIC, ein Zusammenschluss aller europäischen Kulturinstitute mit über 90 Clustern weltweit, die europäisch kooperieren, und More Europe, ein Netzwerk aus Stiftungen und Kulturinstitutionen, die das Ziel verfolgen, Kultur in der Europäischen Union stärker in den Fokus zu rücken.
 
Europa nimmt also in unserer Arbeit seit Jahren einen besonderen Stellenwert ein. Im Dezember 2016 fand in Brüssel die große Konferenz „European Angst“ statt. Eröffnet von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller setzte sich die Konferenz mit der aktuellen Situation in Europa auseinander und
ließ auch EU-kritische Stimmen zu Wort kommen. Im Rahmen der Konferenz verfassten 42 junge Europäer gemeinsam ein Manifest zur Zukunft Europas. Das ist auch insofern wichtig,
als sich gerade die junge Generation „ihr“ Europa immer wieder neu erarbeiten muss. Im Februar 2017 organisierte das Goethe-Institut ein Festival mit dem Titel „Collecting Europe“, bei dem gemeinsam mit dem British Council im Londoner Victoria and Albert Museum ein Bewusstsein für Europa geschaffen werden sollte. Im Zentrum stand dabei der Gedanke, wie dauerhaft die liberalen Wertvorstellungen Europas sind und was davon in den kommenden Jahrhunderten noch Bestand haben wird.
 
Dass nicht naiver Enthusiasmus, sondern die Bereitschaft zu produktiven, auch spannungsgeladenen Dialogen für die Arbeit und die künftige Ausrichtung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wegweisend sein muss, zeigt das Großprojekt „Freiraum“, das 2017 bis 2019 stattfindet und an dem fast 50 zivilgesellschaftliche Organisationen in Europa teilnehmen. Im Mittelpunkt steht der Begriff der Freiheit, der spätestens seit der Aufklärung für die europäische Kulturgeschichte und das europäische Selbstverständnis hohe Relevanz hat. Viele Partner des Goethe- Instituts, auch in Ländern der Europäischen Union, sind verunsichert, manche stehen tatsächlich unter Druck. Ihnen möchte das Goethe-Institut mit „Freiraum“ eine Plattform zum Austausch eröffnen und stabiler Partner sein.
 
Kulturpolitischer Einsatz zur Bewältigung globaler Herausforderungen Auch im globalen Maßstab hat die Bedeutung der internationalen Kooperation deutlich zugenommen, denn viele Herausforderungen lassen sich auf nationaler Ebene allein gar nicht mehr lösen. Ökologie, Nachhaltigkeit, die Folgen
des Klimawandels – hierzu bedarf es internationaler Abkommen und Konzepte, aber auch bei jedem Einzelnen eines Problembewusstseins, zu dessen Schärfung Kultur- und Bildungsprojekte beitragen können.
 
Digitalisierung
In ähnlich globalen Zusammenhängen steht das Thema der Digitalisierung. Technologische Entwicklungen und der freie Fluss von Informationen über das Internet, das per se global und nicht national angelegt ist, bieten unzählige Chancen in der Arbeitswelt, bei Bildung und Ausbildung, bei der demokratischen Meinungsbildung und gesellschaftlichen Transparenz. Gleichzeitig haben die vergangenen Jahre gezeigt, welche Gefahren mit der grenzenlosen Digitalisierung verbunden sind. Stichworte wie Datenschutz und Datensicherheit, aber auch die Problematik von Filterblasen und Fake News spielen hier eine Rolle.
 
Die tiefgreifenden gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung zu beleuchten, aber auch digitale Instrumente für Bildung und Kulturaustausch zu nutzen und weiterzuentwickeln, sind wichtige Zukunftsaufgaben für Kultur- und Bildungsinstitutionen. Ebenso müssen sie es sich zur Aufgabe machen, die Medienkompetenz gerade junger Menschen auch im internationalen Kontext zu stärken, nicht nur, weil das Verständnis anderer Kulturen zusehends im Internet geprägt wird. Vor allem in Ländern wie Weißrussland, der Ukraine, Armenien oder Aserbaidschan setzt das Goethe-Institut sehr erfolgreich darauf, Jugendliche in speziellen Workshops für den kritischen Umgang mit Quellen zu sensibilisieren und so ihre Medienkompetenz zu steigern. Nicht zuletzt stellen die Informationen, die das Goethe-Institut im digitalen Raum über Deutschland und die Zusammenarbeit mit Partnern und Künstlern in den Gastländern bereitstellt, häufig im globalen Kontext die erste Informationsquelle über unser Land und unsere Herangehensweise dar.
 
Migration
Ein großes Thema, das nicht nur auf einer europäischen, sondern auf globaler Ebene zu betrachten ist, ist die Migration. Große Fluchtbewegungen aufgrund von Gewalt oder Umweltkatastrophen werden weiterhin eine wichtige Konstante der Weltpolitik bleiben. Die Integration von Asylsuchenden bleibt, unabhängig von der Zahl, die jährlich nach Deutschland kommt, vor diesem Hintergrund ein zentrales Thema. Eine wichtige Aufgabe für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist es hier, Bildungs- und Kulturangebote für Flüchtlinge zu machen, die in Länder geflohen sind, die an ihre Heimat angrenzen. Man sollte nicht vergessen, dass die meisten Flüchtlinge aus Syrien nicht in Deutschland, sondern in Jordanien (mehr als 600.000), im Libanon (knapp 1 Mio.) und der Türkei (etwa 2,9 Mio.) untergekommen sind. Gerade mit Programmen für junge Menschen kann Kulturarbeit Perspektiven vor Ort geben und dazu beitragen, die Entstehung einer „verlorenen Generation“ zu verhindern. Mit einer positiv bestärkenden Arbeit in Flüchtlingslagern und Auffangstellen in den Nachbarländern Syriens schafft das Goethe-Institut Perspektiven für ein Leben vor Ort – durch Kultur- und Bildungsprogramme für Kinder und Jugendliche oder Fußballaktivitäten, die den Teamgeist stärken sollen, und Programme, die geflüchteten Kulturschaffenden das Weiterarbeiten auch im Exil erleichtern.
 
Zu den Kernaufgaben des Goethe-Instituts gehört die Vermittlung der deutschen Sprache. 15,4 Millionen Menschen weltweit lernen Deutsch, davon über 13 Millionen an 95.000 Schulen. Das Goethe-Institut erreicht mit seinem Netzwerk und seinen Angeboten einen großen Teil dieser Schulen und trägt mit Lehrerfortbildung, Stipendien und Seminaren zu einem modernen und attraktiven Fremdsprachenunterricht bei. An den Goethe-Instituten selbst lernen 270.000 Sprachkursteilnehmer pro Jahr. Dies spiegelt auch die Attraktivität des Bildungs-, Kultur- und Wirtschaftsstandorts Deutschland wider. Über 500.000 Deutschprüfungen werden abgenommen. Wie existenziell die Kenntnis der deutschen Sprache ist, wird gerade bei der Integration der Flüchtlinge in unserem Land sehr deutlich. Sprache ist der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe. Hier hat sich das Goethe-Institut bereits früh mit digitalen Lernprogrammen wie der preisgekrönten „Ankommen“-App für Geflüchtete und Fortbildungskursen für ehrenamtliche Deutsch-Begleiter engagiert, aber auch mit arabisch untertitelten deutschen Filmen und übersetzter Literatur, die den Zugang zu unserer Kultur und Gesellschaft erleichtern.
 
Eine ausreichende Kenntnis des Deutschen hat sicher auch dazu beigetragen, dass über 300.000 Flüchtlinge – eine unerwartet hohe Zahl – bereits eine Arbeit in Deutschland finden konnten.  Diese Zahl zeigt aber auch, wie hoch der Bedarf an Zuwanderern für den deutschen Arbeitsmarkt ist. Der eklatante Mangel an Fachkräften, der in Deutschland herrscht, ist jüngst bei der Diskussion über ein Zuwanderungsgesetz wieder in den Blick geraten.20 Wenn wir die Wirtschaftskraft und den Wohlstand unseres Landes erhalten wollen, sind wir auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Ingenieure oder Pflegekräfte, denn inzwischen betrifft der Arbeitskräftemangel auch viele andere Berufszweige. Die deutsche Sprache ist für Flüchtlinge und Arbeitskräfte gleichermaßen der Schlüssel zu unserer Gesellschaft. Sie zu vermitteln ist eine zentrale Aufgabe der Institutionen der Auswärtigen Kultur- und Bildungsarbeit. Dabei wird in der Politik häufig unterschätzt, dass das Erlernen der Sprache Zeit braucht und hohe finanzielle Ressourcen eingesetzt werden müssen, um Lehrer zu gewinnen und die für den Unterricht nötige Infrastruktur bereitzustellen.
 
Ausblick
Das Thema Migration macht besonders deutlich, wie tief sich auswärtige und innere Kulturpolitik inzwischen durchdringen, denn angesichts der globalen Verortung Deutschlands sind „außen“ und „innen“ nicht mehr zu trennen. Die Politik nimmt Ansätze der außenkulturpolitischen Akteure als modellhaft auch
für die Innenkulturpolitik auf und regt darüber hinaus neue Verknüpfungen beider Bereiche an. Mit seinem Netzwerk hat das Goethe-Institut direkten Zugang zu Intellektuellen, Kulturschaffenden und Experten weltweit. Die Erkenntnisse daraus will das Goethe-Institut künftig noch stärker in Deutschland einbringen, denn auch über das Arbeitsfeld Integration hinaus können wir die Erfahrungen aus der Auslandsarbeit für die deutsche Gesellschaft nutzbar machen.
 
Zwar kann Kulturaustausch nicht die Welt retten, aber er kann Horizonte erweitern und kreative Impulse zu zentralen globalen Fragen wie auch lokalen Problemen geben. Die Herangehensweise des Goethe-Instituts und der deutschen Mittlerorganisationen setzt darauf, nachhaltig für freiheitliche Werte und einen partnerschaftlichen Dialog einzutreten. Kulturaustausch in dieser Form verschafft im Ausland Glaubwürdigkeit und genießt hohes Ansehen. Er kann auch unter schwierigen politischen Verhältnissen – sei es in Deutschland, Europa oder in globalen Kontexten – wichtige Kommunikationskanäle offenhalten, kann in restriktiver werdenden Gesellschaften zivilgesellschaftliche Akteure stärken und zum Verständnis aufgeklärter Wertvorstellungen beitragen. In einer multipolaren Welt ist ein internationaler Kulturaustausch, der auf den Prämissen freier Meinungsäußerung sowie der Unabhängigkeit von Wissenschaft und Kunst basiert, deshalb wichtiger denn je. Eine zukunftsweisende Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik muss diesem Anspruch gerecht werden.
 

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