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Carola Lentz und Johannes Ebert am 28. Oktober 2021
„Grenzüberschreitende Kreativität - für eine innovative Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in unsicheren Zeiten“

Beitrag von Carola Lentz und Johannes Ebert in der Zeitschrift „Politik & Kultur“

Afghanistan, Libanon, Belarus – das sind nur einige der Länder, die wir im zurückliegenden Jahr mit politischen und wirtschaftlichen Krisen, mit Autoritarismus, Gewalt und Flucht in Verbindung bringen. Die Welt ist unruhig. Neue Machtzentren sind entstanden, wo Werte wie Freiheit und Rechtsstaatlichkeit häufig anders als hierzulande gewichtet werden. Die Freiräume für Medienvertreter, Kulturschaffende, Künstlerinnen und zivilgesellschaftliche Einrichtungen werden enger. Das ist in unterschiedlicher Intensität nicht nur in Ländern wie China, Russland, Ägypten oder der Türkei der Fall, sondern auch in einigen Staaten der Europäischen Union.
 
Die Coronakrise hat diese Entwicklungen noch verstärkt. Die Pandemie hat den Vertrauensverlust nicht nur zwischen Staaten, sondern auch innerhalb von nationalen Gesellschaften beschleunigt und Fragmentierungen vertieft. Aber die Krise hat auch Chancen aufgezeigt: Der digitale Raum kann echte menschliche Begegnungen zwar nicht ersetzen, doch gibt uns die digitale Kommunikation neue Möglichkeiten, in kluger Synergie mit physischen Angeboten Reichweiten zu erhöhen und neue Zielgruppen anzusprechen.
 
Weltweit beobachten wir, dass Nationalismus und exkludierender Populismus stärker werden. Gleichzeitig wird der grenzüberschreitende Austausch notwendiger denn je, um gemeinsame Antworten auf die großen Herausforderungen der Menschheit zu entwickeln. Der menschengemachte Klimawandel, die Chancen und Grenzen der Digitalisierung, Migration und Flucht, soziale Gerechtigkeit und das Gelingen von Diversität: All diese und weitere übergreifende Problemlagen zu bewältigen, braucht das Wissen und Engagement von vielen Menschen, die über Grenzen hinweg zusammenarbeiten.
 
Grenzüberschreitende Kreativität ist dabei nicht nur zwischen Staaten, sondern auch innerhalb unserer eigenen Gesellschaft notwendig, um die Zukunft zu gestalten. Die Globalisierung hat auch die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Innern verändert. Vor 60 Jahren wurde das Anwerbeabkommen mit der Türkei unterzeichnet. Es steht heute symbolisch für die gesellschaftliche Vielfalt unseres Landes, die es für die gemeinsame Arbeit an den großen Herausforderungen zu nutzen gilt. Zuwanderung, insbesondere von Fachkräften, wird auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen, um den wirtschaftlichen Wohlstand und die sozialen Sicherungssysteme zu erhalten. Die Zugewanderten gehören hierher, und sie setzen innovative Impulse, die unsere Gesellschaft voranbringen; zugleich sind sie eine wichtige Brücke zu ihren Herkunftsländern. Wie können wir diese zunehmende Verschränkung von Innen und Außen gewinnbringend gestalten? Und was bedeuten die erwähnten globalen Entwicklungen für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik (AKBP) in den kommenden Jahren?
 
Vom Zerfall der Sowjetunion bis zum 11. September, von der europäischen Wirtschaftskrise über die Präsidentschaft Donald Trumps bis hin zu Corona– in diesen unruhigen Zeiten sind die Instrumente der Sicherheitspolitik, der Außenwirtschaftspolitik und der klassischen Diplomatie zweifelsohne wichtig. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass sie nur einen Teil der Prozesse abdecken, die für eine globale Verständigung und ein friedliches Zusammenleben notwendig sind. Denn es geht nicht nur um staatliche Politik, sondern auch um die Begegnung von Gesellschaften, um die Bearbeitung der Zwischenräume. Es geht um Werte, um tatsächliche und gefühlte Asymmetrien, um unterschiedliche Perspektiven auf Geschichte, Erinnerung und Ästhetik. Es geht um das Zuhören, die gegenseitige Kenntnis, das einander Ernstnehmen und das gemeinsame Lernen. Kurz: Es geht um eine sensible und flexible AKBP mit hohem Innovationspotenzial.
 
Kluge Außenpolitik hat diese Erfahrung immer beherzigt. In den vergangenen Jahren mit ihren markanten Krisen sind die Aufgaben, die Verantwortung und auch die Budgets der deutschen Kulturmittlerorganisationen – der Alexander von Humboldt-Stiftung, des DAAD, des Goethe-Instituts, des Instituts für Auslandsbeziehungen und anderer – gewachsen. Wenn wir angesichts der aktuellen Weltlage Außenpolitik auch zukünftig friedensstiftend gestalten wollen, sollte sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren fortsetzen.

Die AKBP leistet einen wichtigen Beitrag zum gedeihlichen Zusammenleben auf unserem Globus. Sie bringt Menschen aus der ganzen Welt zusammen in Residenzprogrammen, Kulturveranstaltungen oder Jugendaustauschprojekten. Sie schafft Plattformen wie „Music in Africa“, die Musikerinnen und Musiker auf dem ganzen afrikanischen Kontinent vernetzt und Erwerbsmöglichkeiten schafft. Sie öffnet mit dem Unterricht der deutschen Sprache Zugänge zu unserem Land für Studentinnen, Krankenpfleger und Ingenieurinnen. Sie nimmt die großen Themen der Gegenwart – Klima und Nachhaltigkeit, Digitalität und Demokratie – in Kunst- und Bildungsprojekten, in Workshops für junge Menschen und in öffentlichen Debatten auf, macht die Herausforderungen bewusster und motiviert zum Handeln. Sie fördert kulturelle Kooperation und Koproduktion. So entstehen etwa auf dem Weg zu einem gemeinsamen Theaterstück auch ein besseres Verständnis vom Gegenüber und häufig lebenslange Kultur-Partnerschaften. Die AKBP unterstützt Kulturschaffende und Bildungseinrichtungen unter Druck, beispielsweise durch den Internationalen Hilfsfonds für zivilgesellschaftliche Akteure oder die Martin-Roth-Initiative, die Stipendien für gefährdete Kulturschaffende vergibt. Sie steht für einen vielfältigen europäischen Kulturraum und nimmt Populismus und Nationalismus in Europa unter die Lupe, wie beim Projekt „Freiraum“, in dem zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen zur Lage der Freiheit in Europa zusammengearbeitet haben. Sie trägt auch zum Gelingen der Diversität hierzulande bei, etwa durch die Zentren für internationale kulturelle Bildung an Goethe-Instituten in Deutschland. Das sind nur einige Beispiele, wie die AKBP auf vielfältige und wirkungsvolle Weise offenen Austausch, internationale Verständigung und innovatives Handeln jenseits tagespolitischer Zwänge ermöglicht.
 
Gerade angesichts der Coronakrise muss die AKBP einen weltweiten Kultur- und Bildungsaustausch gestalten, der nachhaltig ist und zugleich echte Begegnungen ermöglicht; dafür müssen wir in innovative digitale Instrumente und Formate ebenso investieren wie in die Gestaltung und den Aufbau von physischen Räumen der Begegnung. Zum Austausch gehört auch, internationale Bildungsbiografien zu begleiten, beispielsweise durch eine stärkere Sprachförderung an den über 100.000 Schulen weltweit, an denen Deutsch unterrichtet wird. Wir plädieren dafür, Zuwanderung als Gesamtprozess zu begreifen, von der Zeit vor der Abreise bis zur Verankerung in der deutschen Gesellschaft – ein Prozess, der Deutschunterricht und kulturelle Sensibilisierung im Heimatland bis hin zu neuen „Kümmerer“-Strukturen braucht, die auf beiden Seiten der Grenzen ineinandergreifen. Das sind nur einige der Aufgaben, vor denen wir in den kommenden Jahren stehen.
 
Auch stellt sich die Frage, ob die AKBP nicht jenseits derzeitiger Schwerpunktregionen wie Afrika und den osteuropäischen Partnerländern der EU auch den Asien-Pazifik-Raum stärker in den Blick nehmen muss. Während Medien und Außenpolitik sich derzeit stark auf China konzentrieren, plädieren wir dafür, sich darüber hinaus auch um eine noch intensivere Kooperation mit den starken oder sich transformierenden Bildungs- und Kulturszenen von Japan über Korea und Indonesien bis Myanmar zu bemühen.
 
Zu einer innovativen Auswärtigen Kulturpolitik gehört auch die kritische Selbstreflexion. Wir müssen uns etwa fragen: Setzt die AKBP Machtasymmetrien in kolonialer Tradition fort? Hier gilt es, konsequent transparent zu machen, aus welcher Perspektive wir selbst und unsere Partner sprechen und agieren und im besten Fall Differenzen produktiv zu machen. Nur so können wir glaubwürdig sein und Vertrauen gewinnen – die wichtigste Voraussetzung für einen offenen Kulturaustausch. Ein zweites Spannungsfeld, in dem sich unsere Arbeit bewegt, ist das zwischen Aufgaben, die wir als Goethe-Institut aus nationaler deutscher Perspektive wahrnehmen – wie die Förderung der deutschen Sprache, der kulturelle Austausch mit Deutschland und die Vermittlung eines differenzierten Deutschlandbilds –, und Aufgaben, in denen wir „postnationalstaatlich“ agieren und transnationale Plattformen ermöglichen. Im Projekt „Museum Futures Africa“ z. B. treten die Leiterinnen und Leiter afrikanischer Museen auf Einladung des Goethe-Instituts in einen gegenseitigen Erfahrungsaustausch und entwickeln durch Peer-To-Peer Learning gemeinsam Perspektiven für die afrikanische Museumslandschaft. Das Goethe-Institut praktiziert, je nach den lokalen Erfordernissen und Erwartungen unserer Partner im Ausland, beide Herangehensweisen – als Vertreter einer deutschen Perspektive oder als unabhängiger Makler multilateraler Prozesse. Das hat sich bewährt und wird auch die künftige Arbeit prägen. Ein drittes herausforderndes Spannungsfeld ist das Arbeiten in illiberalen Kontexten. Für freiheitliche demokratische Werte zu stehen in einem von politischer oder gesellschaftlicher Zensur geprägten Umfeld, erfordert großes Fingerspitzengefühl und auf Erfahrung gegründeten Pragmatismus. Hier gilt es, mit den Kulturpartnern vor Ort kluge und mutige Formate zu entwickeln, die Freiräume öffnen und rote Linien verschieben, ohne Partner und Mitarbeiter zu gefährden.
 
Der Umgang mit diesen Spannungsfeldern erfordert von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort große Erfahrung im internationalen Kulturaustausch, Sensibilität und die Bereitschaft, zuzuhören sowie die eigene Rolle immer wieder zu hinterfragen. Die AKBP braucht also ausgewiesene Fachleute – einer der Gründe, warum das Auswärtige Amt auf Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut oder den DAAD setzt. Das Goethe-Institut bietet aber nicht nur Professionalität, sondern auch seit vielen Jahren ein starkes weltweites Netzwerk. Um die 158 Goethe-Institute in fast 100 Ländern mit ihren unzähligen Verbindungen zu zivilgesellschaftlichen und staatlichen Kultur- und Bildungsinstitutionen beneiden uns viele Länder. Was gerade in Zeiten, in denen wegen der Pandemie und aus Gründen der Nachhaltigkeit weniger gereist wird, wichtig ist: Jedes Goethe-Institut im Ausland verfügt über ein Netzwerk, das weit in die jeweiligen Kultur- und Bildungsszenen hineinreicht. Es ist gleichzeitig ein Raum der Begegnung, des Lernens und des freien Austauschs. Die Institute sind offen für vielfältige Meinungen und Lebensentwürfe; sie regen zu Debatten an und sind einladend für Kulturpartner und Lernende. Kurz: In einer unsicheren Welt sind sie Orte der innovativen, vielfältigen und demokratischen Kultur, für die Deutschland heute steht.

 

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