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Johannes Ebert am 23. August 2023 in Stockholm
60-jähriges Bestehen des Goethe-Instituts Schweden

Grußwort von Johannes Ebert anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Goethe-Instituts Schweden bei der Feierlichkeit im Goethe-Institut Stockholm

Dem Land Schweden bin ich das erste Mal in Italien begegnet.
In meiner Kindheit fuhren wir jedes Jahr an die Adria. Meine Eltern, mein Bruder, meine Schwester und ich. Mittags am Stand aßen wir Obstsalat, den meine Mutter in der Ferienwohnung vorbereitet hatte. Wir saßen unter dem Sonnenschirm im Schatten. Der feine Sand, der in den Obstsalat geraten war, knirschte leicht zwischen den Zähnen. Meine Mutter las vor.
Sie las vor von einer ganz gewöhnlichen Familie in einem ganz gewöhnlichen Haus in einer ganz gewöhnlichen Straße in Stockholm. Sicher wissen Sie schon, um wen es geht: Sie las die Geschichten von Karlsson vom Dach, einem „schönen, grundgescheiten, gerade richtig dicken Mann in seinen besten Jahren“.
Die Bücher von Astrid Lindgren haben mich durch meine Kindheit und Jugend begleitet. Die Kinder von Bullerbü, Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga und andere Geschichten weckten eine Sehnsucht nach diesem Land, nach dieser Welt, die idyllisch schien und in Ordnung.
Die Kriminalromane von Maj Sjöwall und Per Wahlöö, von Henning Mankell und Stieg Larsson und auch deren Verfilmungen zeigten mir später, dass diese Welt, genauso wie in meinem Land gar nicht so in Ordnung war. Themen wie Migration, Rechtsradikalismus, Wirtschaftliche Verflechtung, politische Intrigen kamen darin vor. Ein modernes Land mit zeitgenössischen Herausforderungen.
Meine Schwester hatte in ihrer Jugend ihr Zimmer mit Postern von ABBA tapeziert und wir führten regelmäßig geschwisterliche Diskussionen darüber, welche denn die bessere Band sei: ABBA oder die Scorpions, denen ich damals anhing. Das Billy Regal von Ikea stand später in jedem zweiten Studentenzimmer; einer meiner Lieblingsfilme war „Whats Eating Gilbert Grape?“. Ein amerikanisches Thema, verfilmt mit schwedisch-europäischer Einfühlsamkeit von dem schwedischen Regisseur Lasse Hallström (der übrigens auch die Kinder von Bullerbü-Filme gedreht hat).
Bei der Vorbereitung auf diese Veranstaltung, das 60jährige Jubiläum des Goethe-Instituts Stockholm, ist mir bewusst geworden: Literatur, Film, Design, Musik – mit einem Wort Kultur – hat meine Vorstellung von Schweden, von der schwedischen Gesellschaft tief geprägt und mich für dieses Land eingenommen.
„Das stört keinen großen Geist“, könnte man mit Karlsson vom Dach jetzt sagen.
Aber in diesem Fall kann ich am eigenen Beispiel beschreiben, wie groß diese sanfte Kraft der Kultur und des Kulturaustausches über die Grenzen hinweg wirkt. Es zeigt, wie enorm wichtig diese Komponente von Kultur und Bildung in den internationalen Beziehungen ist.
Und sie ist heute wichtiger denn je:
 

  • Wichtig bei der Begegnung zwischen Menschen
  • Wichtig bei der Festigung langfristiger Beziehungen
  • Wichtig bei der Vermittlung europäischer Positionen in der Welt
  • Wichtig bei der Verständigung mit Ländern und Gesellschaften, die durch andere Regierungssysteme und gesellschaftliche Haltungen geprägt sind
  • Wichtig für den Zusammenhalt Europas

Sehr geehrte Frau Botschafterin Beinhoff,
Sehr geehrte Frau Professorin Seiler Brylla,
Liebe Künstlerinnen und Künstler,
Liebe Freunde und Gäste des Instituts,
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
Liebe Jutta Gehrig,

Ich freue mich, Sie heute herzlich zur Feier des 60. Geburtstags des Goethe-Instituts Schweden begrüßen zu dürfen. Wir feiern den Geburtstag eines Instituts, das von deutscher Seite seit Jahrzehnten seinen Beitrag dazu leistet, dass dieser bedeutende internationale Austausch funktioniert und wir unseren Anteil daran leisten.
Und vielleicht haben Sie persönlich die eine oder andere Veranstaltung der vergangenen Jahre im Kopf, bei der Sie die Bedeutung dieses kulturellen Austausches ganz besonders wahrgenommen haben!

Ein Geburtstag ist ein Anlass zum Feiern und er dient gleichzeitig der Bestandsaufnahme und der Verortung in der Zeit.
Das Goethe-Institut Schweden wurde 1963 gegründet.
Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass dieses Jahr nicht das schlechteste ist, um das Licht der Welt zu erblicken. Das Goethe-Institut Stockholm und ich sind nämlich gleich alt…

In diesen 60 Jahren hat dieses Institut natürlich viele Ereignisse, Entwicklungen und Veränderungen erlebt.
Ich möchte an dieser Stelle daraus beispielsweise die immer stärkere europäische Kooperation hervorheben. 2004 erfolgte der Umzug in das Gebäude, in dem wir uns jetzt befinden, wo sich das Goethe-Institut die Bibliothek und den Veranstaltungssaal mit dem spanischen Instituto Cervantes teilt.  Mit dieser Kollokation sind die beiden Institute Vorreiter für eine europäische Zusammenarbeit, die für uns politisch, institutionell und kulturell immer wichtiger wird.

Mein erster persönlicher Besuch in Stockholm fand vor wenigen Jahren ebenfalls in europäischen Zusammenhängen statt. Da hatte Annika Rembe, die damalige Leiterin des Schwedischen Instituts, die Mitglieder der Vereinigung der europäischen Kulturinstitute EUNIC als Präsidentin nach Stockholm zum jährlichen Leitertreffen eingeladen. Ich war beeindruckt wie überzeugt, zielorientiert und pragmatisch die Kolleginnen und Kollegen des Schwedischen Instituts diese europäische Kooperation vorangebracht haben und weiterhin tun.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Krisen, die Herausforderungen und Unwägbarkeiten, denen wir uns gegenübersehen und die sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und seinen Folgen noch verschärft haben, nur gemeinsam auf europäischer und globaler Ebene bewältigen können. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten.

Das künstlerische Projekt, mit dem das Institut sein Jubiläum begeht, trägt den Titel „In Need of Protection“ und nimmt ebenfalls Bezug auf die aktuellen Krisen und das Gefühl der Schutzlosigkeit, das damit einhergeht: Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland, Schweden und der Ukraine setzen sich in ihren Arbeiten mit Verletzlichkeit, Instabilität und den Möglichkeiten von Schutz und Gemeinschaft auseinander.
Einige von Ihnen, liebe Anwesende, haben vermutlich an dem Kunstparcours heute Nachmittag teilgenommen und konnten sich selbst ein Bild machen von der Vielfalt an künstlerischen Positionen und Formaten zum Thema.  Wir werden später dazu von der Kuratorin Katja Schroeder noch mehr erfahren. Herzlichen Dank an Sie, an die beteiligten Künstlerinnen und Künstler sowie an das Team am Goethe-Institut, das dieses Projekt betreut hat.

Erwähnen möchte ich auch ein weiteres Projekt zum Jubiläum: die Übersicht über 50 Jahre Übersetzungsförderung in Schweden. Mehr als 250 deutschsprachige Titel wurden in dieser Zeit übersetzt und haben im literaturinteressierten Schweden viele Leserinnen und Leser gefunden. Ende der siebziger Jahre hat das erste Treffen von Übersetzerinnen und Übersetzern der deutschen und schwedischen Sprache im Goethe-Institut stattgefunden. Ein Treffen, das heute immer noch seine Fortsetzung findet. Einberufen wurde es von der heute sechsundneunzigjährigen Übersetzerin Margaraeta Homquvist, die über ihre Zeit mit dem Goethe-Institut sagte: „Eine Zeitlang fühlte sich das Goethe-Institut wie eine zweite Heimat an. Das war vielleicht die schönste Zeit in meinem Leben.“
Eine Auswahl dieser Übersetzungen und dieser Arbeit können Sie als Wandtapete in der Bibliothek bewundern. Mein Dank gilt den Übersetzerinnen und Übersetzern für ihre wertvolle Arbeit am Kulturaustausch.

„Im Austausch mit der Welt. Für Vielfalt, Verständigung und Vertrauen“ – das ist die Vision des Goethe-Instituts. Wir tun das in den Bereichen Vermittlung der deutschen Sprache, kulturelle Begegnung und Information über Deutschland und Europa. Das tun wir in Schweden seit 60 Jahren mit Engagement, Überzeugung und hoher Motivation. Das geht nicht ohne unsere schwedischen Partner aus den Bereichen Bildung und Kultur. Ohne Sie ist das Goethe-Instituts nichts! Vielen Dank für Ihre Unterstützung und Ihre Zusammenarbeit mit uns.
Mein Dank gilt auch der deutschen Botschaft und den deutschen Institutionen.
Mein besonderer Dank gilt natürlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Goethe-Instituts Schweden, die in den vergangenen 60 Jahren diesen Austausch vorangetrieben haben. Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Mit 60 ist man zwar erfahren und hat vieles gesehen, aber Kraft, Motivation und Energie für diesen Austausch sind so stark wie am Anfang.

Ich möchte zwei Mitarbeiterinnen an dieser Stelle besonders hervorheben. Es ist mir eine große Freude, dass Ende September meine ehemalige Vorgesetzte am Goethe-Institut Riga, meine Freundin Jutta Gehrig, den Staffelstab der Institutsleitung an meine ehemalige Volontärin am Goethe-Institut Kairo, Judith Mirschberger übergibt.
Liebe Judith, ich wünsche Ihnen viel Erfolg und eine glückliche Hand bei dieser neuen Aufgabe.

Liebe Jutta, Dir gilt mein beruflicher und persönlicher Dank. Ich durfte 1995 und 1996 beim Aufbau der Spracharbeit am Goethe-Institut Riga, die Du geleitet hast, mitarbeiten.
Ich habe viel von Dir gelernt und habe Dich immer bewundert: Deine Umsicht und Deine Professionalität, Deinen weiten Horizont in allen Belangen von Kultur und Sprache, Deine Klugheit und Gelassenheit, Deine Menschlichkeit und Integrität.
Du hast viele Situationen gemeistert in Riga, in unserer Münchner Zentrale, in Sofia oder Budapest, an allen Orten, an denen Du für das Goethe-Institut tätig warst. Wir haben damals in Riga und auch später viele Gespräche geführt beruflicher und persönlicher Natur. Wir sind Freunde geworden, und wir werden dieses Gespräch auch in den kommenden Jahren fortsetzen, darauf freue ich mich sehr.

Jetzt bist Du aber noch über einen Monat hier, wirst Abschiede feiern, Dankesworte hören und gute Wünsche erhalten. Ich aber habe jetzt schon viel zu lange geredet. Ich möchte deshalb mit einem Gedanken Astrid Lindgrens enden, der mir bei einem europäischen Zitate-Wettbewerb des Goethe-Instituts besonders gefallen hat. Den gebe ich Dir mit und auch uns allen in diesen unruhigen und hektischen Zeiten.

Dieser unspektakuläre, aber wichtige Gedanke, den wir uns öfter zu Herzen nehmen sollten, lautet:

„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen…“

Vielen Dank!

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