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Johannes Ebert am 22. März 2024 in Berlin
Länderschwerpunkt „Belarus“ bei Goethe-Institut im Exil

Grußwort von Johannes Ebert zur Eröffnung des Belarus-Festivals im Rahmen des Programms Goethe-Institut im Exil

Auf einem großen Kehrrichthaufen: Eine Karikatur zeigt Stiftungen und zivilgesellschaftliche Stiftungen zusammengekehrt zu einem großen Kehrrichthaufen. Darunter auch das Goethe-Institut. Die Zeitung Sovetskaja Belorussiya ist kein Freund von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auch kein Freund des Goethe-Instituts. Am 29.11.2022 schrieb sie: „Die aktivste Arbeit zur Schaffung, Finanzierung und Organisation der „Zivilgesellschaft“ in Belarus wurde durch alle Arten von „Goethe-Instituten“ aus Deutschland sowie durch zwei amerikanische Programme […] geleistet“. Und über ein Stipendienangebot des Goethe-Instituts, das auf den Webseiten für belarusische Bürgerinnen und Bürger zugänglich war, schrieb sie am 2.5.2023: „Das Goethe-Institut, das seit langem geschlossen und aus Belarus ausgewiesen ist, wird dafür bezahlen. Wie Sie sehen: Wir schmeißen sie bei der Tür raus und sie kommen durchs Fenster wieder rein.“ In der Tat war zu dieser Zeit war schon lange kein Platz mehr für das Goethe-Institut in Minsk: Im Sommer 2021 wurde es bis auf weiteres geschlossen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten das Land verlassen.

Ein klarer Fall für das Goethe-Institut im Exil und der Anlass, dass ich Dich, liebe Michelle Müntefering, und Sie, lieber Staatsminister Lindner, Sie, Sasha Filipenko, und alle anderen Künstlerinnen und Künstler und Sie, liebe Gäste zum Schwerpunkt „Belarus“ beim Programm Goethe-Institut im Exil begrüßen darf.

Seit seiner Eröffnung im Oktober 2022 hat das Goethe-Institut im Exil bereits drei Länderschwerpunkte gesetzt. Nach dem Schwerpunkt Ukraine folgten der Iran sowie Afghanistan im letzten Jahr. Das Ziel ist bei allen Schwerpunkten das Gleiche geblieben: geflüchteten Kulturschaffenden und Partnerinnen und Partnern aus Ländern, in denen das Goethe-Institut seine Präsenz aufgeben musste, eine Bühne zu bieten, ihnen Sichtbarkeit zu verschaffen, ihnen Kontakte in und Informationen über die lokalen Netzwerke zu vermitteln und ihnen Rückzugsorte für eigene Formate anzubieten.

Heute nun beginnt das mehrtägige Belarus-Festival, mit dem wir einen Fokus auf die nach wie vor dramatische Situation von Kulturschaffenden in Belarus aufmerksam machen, gleichzeitig aber auch die bewundernswerte Resilienz und Kreativität der Exil-Kulturschaffenden feiern möchten. Aufgrund der gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 und dem damit einhergehenden Einsatz von brutaler Gewalt sind bis heute mehr als 1.500 politisch Gefangene unter äußerst gefährlichen Bedingungen in Haft. Es ist kein Wunder, dass wichtige Romane belarusischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen vom Gefängnis handeln: Maxim Znaks „Zekamerone“ beispielsweise oder Mikola Dziadoks „Die Farben einer parallelen Welt“. Zigtausende von Menschen, unter ihnen viele Kulturschaffende, mussten das Land verlassen. Die traumatischen Erfahrungen der Niederschlagung der Proteste und der politischen Repressionen, die auch zur Einstellung der Tätigkeiten des Goethe-Institut Minsk geführt haben, wirken bis heute nach.

Mit seiner Programmgestaltung möchte das Goethe-Institut im Exil einen künstlerisch-intellektuellen Beitrag in die Debatte um ein zukünftiges Belarus einbringen und die relevanten Akteurinnen und Akteure unterstützen. Der Länderschwerpunkt will die Vitalität und Diversität der belarusischen Kulturszenen in der Diaspora in Deutschland und weiteren ausgewählten Ländern sichtbar machen. Das Festival ist dabei der Höhepunkt unseres aktuellen Schwerpunktes, wir haben ihn Anfang Februar mit der Ausstellung „manchmal halte ich mich an der luft fest“, einer Kooperation mit der Galerie im Körnerpark sowie der Prater-Galerie eröffnen können. Eine weitere wichtige Veranstaltung war die Verleihung des belarusischen Filmpreises „Red Heather Award“, die Mitte Februar im Rahmen der Berlinale und des European Film Markets stattfand. Das Datum des Festivals ist nicht ganz zufällig gewählt. Am 25. März wird der Freiheitstag des unabhängigen Belarus gefeiert und ist seit den Protesten auch der Tag der belarusischen Demokratiebewegung. Im Fokus des Programms stehen daher auch dezentrale und vernetzende Formate. Damit greift es zentrale Aspekte der Arbeit des Goethe-Instituts Minsk vor seiner Schließung auf.

Nur einige Beispiele aus dem Programm: Das Festival selbst wird im Anschluss an die Reden jetzt durch eine Lesung von Sasha Filipenko eröffnet, einem der bekanntesten belarusischen Schriftstellern, gefolgt von einem Konzert der Musikerin Valeria Dele mit ihrer Band KOOB. Zeitgenössische belarusische Literatur spielt im Programm eine große Rolle, darunter Lesungen und Gespräche mit Eva Vieznaviec, Alhierd Bacharevic oder auch Olga Shparaga. Ebenfalls die Präsentation des Sammelbandes “Wenn du durch die Hölle gehst, dann geh weiter“ mit Briefen von inhaftierten belarusischen Frauen; einer der Höhepunkte wird morgen eine mehrstündige musikalisch-performative Produktion des Kollektivs “Keep Minsk Weird” sein. Es kombiniert in dieser Arbeit belarusische Mythologie mit queeren und feministischen Themen. Das Themenfeld der digitalen Solidarität wird durch das Kollektiv eeefff bearbeitet. Mit ihrem Projekt “Algorithmic solidarity: can colonialism be encoded into algorithms?“ stellen sie wichtige Fragen zu Solidarität und Dekolonisierung im post-sowjetischen Kontext. Ebenfalls performativ findet das Stück “Clausa Fores” des belarusischen Kollektivs “INEXKULT” statt, ein eminent politisches Stück, welches sich der Psyche eines Menschen mit unbegrenzter Macht widmet. Das Filmprogramm gibt einen Einblick in die Vielfalt des aktuellen belarusischen Filmschaffens, als besonderes Highlight zeigt es zwei Folgen der erfolgreichen Satire-Serie „Prozesse“ von Andrei Kashperski. Das und noch vieles mehr wird in den nächsten drei Tagen und Wochen hier zu erleben sein.

Ein wichtiger Aspekt des Länderschwerpunktes Belarus ist auch die Vernetzung der wichtigen Diaspora-Szenen in Polen, Litauen und Georgien mit der Szene in Deutschland. So werden einzelne künstlerische Positionen im Dialog mit Kulturszenen der jeweiligen Länder gebracht. Die gemeinsame Programmentwicklung mit den Goethe-Instituten in den Ländern (Warschau, Krakau, Vilnius und Tbilissi) ist ein Novum in der Arbeit des Goethe-Instituts im Exil und sie unterstreicht, dass belarusische Kulturschaffende in großen Netzwerken aktiv sind. Wir freuen uns, dass wir diese Netzwerke mit unserem eigenen europäischen Netzwerk begleiten können und – wie es für das Goethe-Institut wichtig ist – Ausland und Inland verbinden.

Ich ziehe meinen Hut vor der Stärke und Resilienz der Kulturschaffenden aus Belarus im Exil.
Ich ziehe meinen Hut vor dem Mut und der Stärke derer, die zurückgeblieben sind.
Ich denke an die, die in den Gefängnissen sitzen, weil sie für den Traum von Freiheit und Recht eintreten.

Mikola Dziadok scheibt: „Überdies, um aufrichtig zu sein, ist es nicht schwer, im Gefängnis zu sitzen und Leid zu ertragen, wenn man weiß, warum und wozu … [nämlich] um einen eigenen, wenn auch sehr kleinen Beitrag zum Aufbau einer Gesellschaft zu leisten, in der ein Mensch niemals einem anderen seine Freiheit, seine Rechte und seine menschliche Würde raubt“

Vielen Dank.

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