Johannes Ebert im Juli 2013
Laudatio von Johannes Ebert auf Richard Siegal
Johannes Ebert im Juli/August 2013
Differenz als Chance
Johannes Ebert im März 2013
Rede von Johannes Ebert im Rahmen der Veranstaltung Strategic Partnership
Dezember 2012:
Bis an die rote Linie – politische Bildung im Ausland
3. Oktober 2012:
Denk ich an Deutschland …
25. September 2012:
Impulsvortrag von Johannes Ebert anlässlich der Konferenz Kultur. Markt. Entwicklung
1. September 2012:
Deutsch als Fremdsprache in den USA - Neue Welten
31. August 2012:
Rede von Johannes Ebert anlässlich des 40jährigen Jubiläums des German American Partnership Program (GAPP)
Juli-August 2012:
Botschafter Goethe – Deutsche Kultur- und Spracharbeit im Ausland
3. Juli 2012:
Rede von Johannes Ebert anlässlich 50 Jahre Goethe-Institut Paris
Juni 2012:
In guten wie in schlechten Zeiten
Mai 2012:
Kulturelles Projekt Europa - Gute Nachbarschaft muss gepflegt werden
2. Mai 2012:
Rede von Johannes Ebert anlässlich der Veranstaltung „More Europe! – Für eine neue Kultur der europäischen Außenbeziehungen“ in Berlin
April 2012:
Zeitschrift für Kulturaustausch IV/2012: „Kultur ist mehr als ein Wirtschaftssektor"
25. Januar 2012:
Rede von Hans-Georg Knopp anlässlich der Amtsübergabe an Johannes Ebert
25. Januar 2012:
Rede von Johannes Ebert anlässlich der Amtsübergabe
Lieber Richard Siegal,
Sehr geehrter Herr Offman,
Lieber Herr Dr. Küppers,
sehr geehrte Mitglieder der Jury,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
NOISE – SIGNAL – SILENCE
SILENCE – Es gibt keine Stille in Richard Siegals neuester Choreographie „Unitxt”, die in der vergangenen Woche im Bayerischen Staatsballett uraufgeführt wurde. Sechs Tänzerinnen und sechs Tänzer erschließen sich den Bühnenraum präzise, fordernd, in hohem Tempo und vielfältig wechselnden Konstellationen. Anklänge an William Forsythe, aber das Gesamtkunstwerk aus Choreographie, Graphik und der synthetisch treibenden Musik von Carsten Nicolai will abheben in eine Zukunft, in der es keine Stille gibt, sondern nur Dynamik und Bewegung. Und da ist – Richard Siegal ist Richard Siegal – doch dieser irritierende Moment in der Bewegung der Tänzerinnen, der die Konzentration herausfordert: Die elastischen Griffe, die Industriedesigner Konstantin Grcic in ihre Kostüme integriert hat, erweitern das Spektrum der Paare und forcieren neue, schnellere, direktere Bewegungen: Exakt, atemlos und von hoher Perfektion.
NOISE – SIGNAL – SILENCE und dann langer und intensiver Beifall in Münchens Prinzregententheater..
ACCELERATE
Einige Monate zuvor in der Münchner Muffathalle: Die Bühne liegt im Dunkeln. Der Tänzer mit schwarz geschminktem Gesicht ist kaum zu sehen, seine Bewegungen sind oft nur zu erahnen. Doch der Tänzer ist nicht nur Tänzer, er ist ein Sänger, ein Schamane, der mit seinen Bewegungen, den poetischen Texten, die fragmentiert und schnell wechselnd den Hintergrund ausleuchten, und mit seiner Stimme, die mal wimmernd, in großen Intervallen changierend, mal elektronisch verfremdet eine neue Welt erschafft. Eine bisweilen verstörende Welt, die auf Mythen, kollektiven Ängsten und Richard Siegals individuellem Umgang mit Poesie gründet. „Black Swan“ – so heißt dieses Stück – legt einen choreographischen Zugang in eine komplexe Welt und tut das, was wir auch von Kunst erwarten müssen: „Black Swan“ fordert uns heraus.
Diese zwei Stücke des Tänzers und Choreographen Richard Siegal, dem wir heute den Münchner Tanzpreis verleihen, geben uns eine Ahnung von seiner künstlerischen Bandbreite, von seiner schöpferischen Kraft, aber auch vom unbändigen Willen zu experimentieren, Dinge intellektuell zu durchdringen und immer wieder Neuland zu betreten.
„Eine starke Vergangenheit, eine starke Gegenwart“, bescheinigt die Jury dem Choreographen Richard Siegal. Begonnen hat alles – wie immer – ganz anders. Richard wuchs auf in einem kleinen Ort in New Hampshire an der amerikanischen Ostküste. Kein Ort, wo klassischer Tanzunterricht für Jungen Priorität hat. Er hat es trotzdem getan. Es sei so eine Art Billy Elliot-Geschichte gewesen, erinnert sich Richard, ein geheimes Kommandounternehmen, um möglichem Spott der Altersgenossen zu entgehen. Anders als der zielstrebige Nachwuchstänzer Billy Elliot im britischen Blockbuster hat Richard Siegal nach einiger Zeit den Unterricht jedoch wieder aufgegeben.
Und fing erst wieder Feuer, als er nach der Highschool für ein Jahr in New York bei seinem Bruder lebte, damals ein professioneller Tänzer mit Ausbildung an der Juilliard-School. Zwischenstation zwei Jahre am Bard Liberal Arts College im Norden von New York. Tanzunterricht und eine Vielzahl an Kursen von Französisch bis Film bezeugen Offenheit für Neues und die Begierde, möglichst breites Wissen und Erfahrungen zu sammeln. „Diese zwei Jahre waren wichtig für mich und haben mein Denken entscheidend geformt“, blickt Richard Siegal zurück. Aber Bard College wird schnell zu eng.
New York. 1990. „Immer noch ein guter Ort für Tanz und für mich eine wunderbare Zeit“, sagt Richard Siegal. – auch wenn die Umstände schwieriger werden, Einschnitte bei der Kulturförderung und die grassierende Aids-Epidemie die Kulturszene bedrohen. Richard Siegal beschließt, seine ganze Energie dem Tanz zu widmen. Er ist gereift, weiß, welche Lernumgebung ihn stimuliert und welche Lehrer ihm positive Energie vermitteln können. Ihn begeistern die Disziplin und die hohen ethischen Ansprüche, die das Tanzen fordert. Doch er will diese Disziplin aus sich selbst heraus erschaffen, ist froh darüber, dass es in seinem Leben mit dem Tanz etwas gibt, dem er sich obsessiv widmen kann, – jedoch selbstbestimmt.
Also keine Ausbildung aus einem Guss an einem Konservatorium, sondern ein eher eklektischer Ansatz: vielfältige Impulse und Experimente in unterschiedlichen privaten Klassen und bei seinen ersten Engagements. Wird so in den Jahren der Ausbildung bereits die Grundlage für das breite Spektrum in seiner zukünftigen Arbeit gelegt? „Ich lebte das klassische Leben eines Tänzers in New York. Ich kellnerte, arbeitete als Masseur, verteilte Flugblätter und tat buchstäblich alles, um Geld zu verdienen, damit ich mir den Unterricht leisten konnte“, erzählt Richard im Rückblick.
Nach einem kurzen Zwischenspiel in der Martha Graham School lernt er bei Igal Perry und Zvi Gotheiner. Aus der Ausbildung wird eine Karriere, er tanzt in unterschiedlichen Compagnien, absolviert Tourneen und Gastspiele. „Doch irgendwann stieß ich mit dem Kopf an die Decke, zumindest habe ich das sehr stark so empfunden. Ich fühlte die Grenzen dieses Lebens als Tänzer in New York“. .
Nach einem Gastspiel in Linz beschließt Richard Siegal, in Europa vorzutanzen. Er erinnert sich genau an den Moment, der sein Leben erneut verändert: Ein wunderbarer heller Frühlingstag, ein perfektes Studio, eine Tanzklasse mit William Forsythe. Als die Tänzer den Saal verlassen haben, tanzt er allein für sich, lässt sich von Stimmung und Bewegung mitreißen. Was er nicht weiß: William Forsythe sieht ihm unbemerkt zu. Sechs Monate später – Richard ist längst zurück in den USA – erhält er einen unerwarteten Telefonanruf: Forsythe holt ihn nach Frankfurt. Es sei ein Paradies für ihn gewesen. In Frankfurt habe er gemerkt, welch hohes Niveau erreicht werden kann, wenn außergewöhnlicher künstlerischer Anspruch und sinnvolle staatliche Förderung eine fruchtbare Symbiose eingehen.
Richard Siegal bleibt von 1997 bis zum Ende des Frankfurter Balletts 2004 bei William Forsythe, ist auch heute noch bisweilen bei ihm zu Gast. Man kann die Bedeutung dieser Zeit für seine Entwicklung nicht unterschätzen. Forsythe als Quelle der Inspiration, als künstlerischer Katalysator, der Choreographie als die tänzerische Aneignung von Weltwissen versteht. Ein weltberühmtes Ensemble mit hervorragenden Tänzern. Das erzeugt auch Druck, Erfolg zu haben; es gibt künstlerische Wettbewerb zwischen den Tänzern und auch Freundschaft und gemeinsames Erleben. Noch in New York hat Richard Siegal sich an kleineren Choreographien versucht und nimmt es dankbar an, dass Forsythe für seine Tänzer eine Plattform bietet, eigene Arbeiten zu entwickeln.
Das ist es, was ihn jetzt interessiert. Als das Frankfurter Ballett aufgelöst wird, trifft Richard Siegal die Entscheidung, sich in Zukunft vor allem auch auf die Choreographie zu konzentrieren.
Nach Forsythe beginnt Siegals „starke Gegenwart“.
Wenn man die Programme der Goethe-Institute weltweit betrachtet, so kristallisieren sich dort unterschiedliche Schwerpunktthemen heraus: Die Eroberung des öffentlichen Raums, das Vordringen der digitalen Medien in alle Lebensbereiche, die Entwicklung von urbanen Lebensräumen, das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft, die Macht der Bilder oder der Versuch, strenge Grenzen zwischen den Kunstsparten aufzuheben, interdisziplinär zu arbeiten, um neue, multiple Zugänge zu gesellschaftlichen Phänomenen unserer Zeit zu schaffen.
Es hat mich von Anfang an beeindruckt, dass solche Zusammenhänge auch grundlegend sind für Richard Siegals Arbeit, dass er sich vom Tanz her kommend mit gesellschaftlicher Analyse, Tanztheorie und Medienforschung auseinandersetzt. „Wer wie er jahrelang mit William Forsythe arbeitet, der muss nicht nur tanzen, sondern auch denken können“, postuliert die Tanzpreis-Jury. – Und wird eindrucksvoll bestätigt durch die vergangenen neun Jahre in Richard Siegals Schaffen.
Etwas Entscheidendes geschieht gleich zu Beginn dieser Zeit: Das Duett „If/then“ für Janis Brenner und Jeanine Durning. „If/then hat die Grundlage gelegt für vieles, was in den folgenden Jahren passiert ist“, sagt Richard Siegal. Ein Einblick in sein Tagebuch jener Zeit: „Ich habe begonnen, kleine Spiele zwischen zwei Tänzern zu schaffen, die auf dem syntaktischen System „Wenn/dann“ basieren. Die Spiele setzen sich zusammen aus einfachen Gesten und Regeln, sehr dem binären Prinzip folgend: Wenn du x machst, mache ich y; wenn ich y mache, folgt bei dir z oder n, und so weiter.“ (Zitat Ende) Die einzelnen Spiele wiederum können sich an definierten Schnittstellen, vergleichbar mit Hyperlinks im weltweiten Netz, mit andern Spielen verbinden. Eine komplexe Struktur entsteht, die von den Tänzern selbst geschaffen und weiter entwickelt werden kann. „If/then“ geht hervor aus den Überlegungen Siegals zu Fragen der Struktur, der Improvisation, der Interaktion zwischen Tänzern, die wiederum grundsätzliche Fragen der menschlichen und gesellschaftlichen Kommunikation ins Spiel bringen.
Vielleicht ist es bezeichnend, dass Richard Siegal zur gleichen Zeit, in der er mit „If/then“ seine theoretischen Grundlagen legt, „The new 45“ choreographiert – ein ganz anderes, leichtes, virtuoses und zugängliches Stück, das heute zum Repertoire der Junior Company des Bayrischen Staatsballetts gehört. Offen und selbstbestimmt bleiben, sich nicht von anderen festlegen lassen, das ist weiterhin Richard Siegals Devise.
Das If/then-Prinzip mit seinen zahlreichen Schnittstellen öffnet die Choreographie auch für andere Disziplinen und die neuen Medien. 2005 gründet Richard Siegal „TheBakery“ als interdisziplinäre Plattform für die Erforschung und Produktion von visuellen Medien, Tanz und Performance. Im Dialog mit Software-Designern, Philosophen, Architekten, Klang- und Videokünstlern entstehen Arbeiten mit Elementen eines neuen kreativen Vokabulars. „Homo ludens“ beispielsweise, das Richard Siegal mit Frédéric Bevilacqua vom Pariser IRCAM 2009 realisiert, setzt die Bewegungen von Tänzern in Beziehung zu den Bewegungen einer digitalen Maschine.
Die Auseinandersetzung mit der digitalen Technologie, mit sozialen Medien, mit „crowds“ und online communities führt zu weitergehenden Fragen: Was sind die Mechanismen, die Kultur generieren? Wie werden Ideen von einem Körper zum andern weitergereicht? Wie dynamisch und durchlässig sind communities? Wie funktioniert menschliche Kooperation? Was bedeuten Ownership und geistiges Eigentum? Wie und warum kommen Menschen zusammen?
Als Reaktion auf diese Fragen entsteht 2010 „©oPirates“ zur Eröffnung der Münchner Tanzbiennale. Siegal bringt ganz unterschiedliche Gruppen zusammen: zeitgenössische Tänzer, eine ungarische Volkstanzgruppe, Parkour-Läufer bis hin zu schwulen Schuhplattlern und Anhängern der Piratenpartei. Diese Gruppen kommunizieren, lernen voneinander, und eine neue Gemeinschaft entsteht. Bei der Aufführung in Form einer philosophischen Party vermischt sich das Publikum mit den Akteuren, eine neue Kommunikation, eine neue „crowd“ bildet sich. Siegal choreographiert hier kein Stück, sondern mit dem Format der Clubparty eine möglichst geeignete Situation, um diese Interaktion, den tänzerischen Austausch, die Diskussion zwischen den Menschen anzuregen und so Fragestellungen einer modernen Gesellschaft zu reflektieren.
„©oPirates“ ist auch Richard Siegals Reaktion auf seinen Aufenthalt in München. Möglichst schnell will er sich als Bürger der Stadt integrieren, will – anders als in Frankfurt, wo die Compagnie auch oft eine geschlossene Umgebung darstellte, – mit vielen Menschen in Kontakt treten. Seit 2010 erhält er für drei Jahre die Optionsförderung für freie Tanzgruppen. „Ein Privileg. Die Stadt München hat mir ungeheuer viel ermöglicht“, sagt er. Sein Kontakt zur Stadt reicht aber weiter zurück. Seit 2008 ist er „Choreographer in Residence“ am Muffatwerk, das auch als Produzent vieler Siegal-Stücke auftritt. Für München ist Siegal ein Gewinn. Seine Produktionen erfahren überregionale Aufmerksamkeit und werden international koproduziert; er initiiert interdisziplinäre Workshops, nimmt an einem Think Tank teil, der Kunst und Wissenschaft zusammenbringt; seine Arbeiten werden vom Forschungszentrum „Sound and Movement“ der LMU wissenschaftlich begleitet. „In München ist Richard Siegal nicht nur als intellektueller ´spiritus rector`, sondern ganz real und sehr körperlich präsent“, erkennt die Preis-Jury an. Von München aus geht Richard Siegal als eigenständiger Künstler in die Welt.
Für das Goethe-Institut ist er als hervorragender Repräsentant der deutschen Tanzszene zu einem wichtigen Partner geworden. In „Logobi 5“ von Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen, exerziert Richard Siegal mit dem ivorischen Tänzer Franck Edmond Yao Konkurrenz, Kooperation und interkulturellen Austausch ganz praktisch durch. Er wird für seine Rolle mit dem „Faust“ ausgezeichnet und tourt mit dem Stück – unterstützt vom Goethe-Institut – erfolgreich durch Afrika. Mit CIVIC MIMIC gastiert er Anfang 2012 am Goethe-Institut Bangalore.
Die Ansätze von „©oPirates“, mit großen, vor Ort ansässigen Gruppen zu arbeiten und lokale Akteure bewusst einzubeziehen, trifft sich mit dem Bestreben des Goethe-Instituts, in vielen Gastländern gemeinsam mit seinen Kultur-Partnern den öffentlichen Raum künstlerisch zu vermessen und neu zu deuten. Die Tanzperformance „Stadt und Tanz“ im sibirischen Nowosibirsk, die ich – damals noch als Regionalleiter des Goethe-Instituts in Moskau – aus der Ferne verfolgt habe, fand 2011 als Höhepunkt eines zweijährigen Projekts am Fluss Ob statt. Vor der Kulisse der sibirischen Metropole begegnen sich zeitgenössischer Tanz und sibirische Folklore, klassisches Ballett und Street Dance. Im postsowjetischen Kontext, wo der öffentliche Raum einem strengen Verhaltenskodex unterworfen ist, entsteht eine eigene, neue Wahrnehmung von urbaner Gemeinschaft.
Ein ähnliches Projekt im Rahmen des Tanzfestivals „Dancing Egyptian Spring“ im ägyptischen Alexandria stieß in der aufgeheizten politischen Situation an interkulturelle Grenzen. Und auch das gehört dazu: Die Erkenntnis, dass Kulturaustausch Lernbereitschaft erfordert, dass nicht alles geht, mit dem wir den anderen mit Offenheit und Demut entgegentreten. Auch das lebt Richard Siegal und dafür zolle ich ihm großen Respekt.
Zwischen „Black Swan“ und „Unitxt“, zwischen „Homo Ludens“ und „©oPirates“. „Ich möchte nicht, dass mein Territorium von anderen definiert wird. Ich möchte es selbst definieren“, sagt Richard Siegal.
Das klingt nach innovativen Ideen, künstlerischer Selbstbestimmung und einem Schuss kreativer Unberechenbarkeit.
Eben nach einer „starken Zukunft“.
In den vergangen Jahren ist viel über die Wechselwirkung von Kultur und Krisen reflektiert worden. Es wäre blauäugig, die Wirksamkeit von Kulturarbeit bei der Lösung akuter kriegerischer Auseinandersetzungen zu überschatzen. Menschen mit Maschinengewehren tauschen diese nicht gegen Bücher. Bei der Bearbeitung tief sitzender und langfristig wirkender gesellschaftlicher Konflikte, die in Gewalt münden können, spielt Kultur jedoch eine wichtige Rolle.
Spannungen innerhalb von Gesellschaften haben oft Ursachen, die mehrere Generationen zurückliegen. Häufig werden Konflikte auf der kulturellen Ebene rezipiert und ausgetragen – selbst wenn ihre Wurzeln woanders liegen. Ihre Akteure bedienen sich der Mechanismen der gegenseitigen Ausgrenzung. Gesellschaftliche Konflikte sind vielschichtig und zu komplex, um durch politische oder wirtschaftliche Interventionen allein gelöst zu werden. Vielmehr müssen multidimensionale Ansätze und ganz unterschiedliche Kommunikationskanäle geöffnet werden, um gesellschaftliche Konflikte bewusst zu machen, zu bearbeiten und damit einem Abgleiten in Zonen der Gewalt vorzubeugen. Genau hier kommen kulturelle Aktivitäten und langfristiger, nachhaltiger Kulturaustausch auf Augenhöhe, wie ihn das Goethe-Institut anstrebt, ins Spiel.
Im deutsch-russischen Comic-Projekt „RESPEKT“ erstellten 26 Künstler aus neun europäischen Ländern Comics gegen Fremdenfeindlichkeit. In mehr als 50 Städten Russlands wurden Ausstellungen organisiert, insgesamt mehr als 200.000 Comics verteilt und über 400 Workshops mit Jugendlichen durchgeführt. Comic-Kunst legt hier einen neuen Kommunikationskanal gerade zu jungen Menschen. Comic-Kunst spricht ihre Sprache und schafft Bewusstsein für ein gesellschaftliches Problem mit hoher politischer Sprengkraft. In der gemeinsamen Produktion „Open for Everything“ von Constanza Macras und dem Goethe-Institut Prag erarbeitete die Berliner Choreographin mit jungen Roma aus Ungarn, Tschechien und der Slowakei und ihrer Compagnie ein Tanztheaterstück, in dem die „Roma“ im Mittelpunkt stehen: Tanz als Möglichkeit, Erfahrungen und auch traumatischen Erlebnissen Ausdruck zu geben und andererseits das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Frage des Umgangs mit „Roma“ jenseits von Bedrohungsszenarien oder Verfolgtenpathos zu stärken. Die internationale Konferenz „ÜBER(W)UNDEN“ der Goethe-Institute in Afrika stellte die Möglichkeiten und Grenzen kollektiver Konflikt- und Vergangenheitsbearbeitung in den Mittelpunkt und gab Künstlern und Kulturaktivisten das Wort, deren künstlerische Auseinandersetzung von traumatischen Erlebnissen oder tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst wurde.
Das Goethe-Institut hat in seiner über 60-jahrigen Geschichte mit den ihm eigenen künstlerischen und diskursiven Zugängen, für die diese Projekte beispielhaft stehen, auf die Umbrüche in der Welt reagiert. Historische Wendepunkte waren zum Beispiel die Veränderungen in Osteuropa nach dem Fall der Berliner Mauer, als zahlreiche Goethe-Institute in Osteuropa und Zentralasien gegründet wurden, Aktivitäten im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa nach dem Vertrag von Dayton oder die Intensivierung des Dialogs mit der islamischen Welt in der Folge des 11. Septembers.
Im Fokus der letzten Jahre standen unter anderem Länder wie Afghanistan und die arabische Welt, die von tiefgreifenden politischen Änderungen und Umwälzungen betroffen sind. Dort organisiert das Goethe-Institut Kulturprojekte, welche die Transformation voranbringen, den Dialog fördern und die Zivilgesellschaft stärken sollen, auch mit dem Ziel, die Anfälligkeit für gesellschaftliche Konflikte zu verringern. Die „Tahrir-Lounge“ am Goethe-Institut Kairo schafft zum Beispiel ein freies Diskussions- und Bildungsforum für junge Aktivisten des arabischen Frühlings, das „Cultural Innovators Network“ vernetzt progressive Kulturakteure im Süden und Norden des Mittelmeeres, die Zukunftsprojekte für ihre Gesellschaften entwickeln. Von besonderer Bedeutung sind die Fortbildungsprogramme für Kulturmanager, Kulturschaffende, Verleger und andere Mitarbeiter von Kultur- und Bildungseinrichtungen, die dazu beitragen, dass die kulturellen Infrastrukturen in Umbruchsländern ihrer wesentlichen Funktion nachkommen: den Zugang zu Kultur, Wissen und Bildung für die Menschen zu öffnen.
Alle diese Beispiele zeigen, wie die Kulturarbeit der Goethe-Institute, die vor Ort eng mit den Kultur- und Bildungsszenen vernetzt sind, angelegt ist und langfristig wirkt. Die Programme der Goethe-Institute schaffen künstlerische Freiraume, in denen sich Vertreter unterschiedlicher Gruppen miteinander auseinandersetzen können. Sie ermöglichen es, durch Kunstprojekte konfliktbelasteten Erfahrungen Ausdruck zu verleihen und fordern Integration und gegenseitige Akzeptanz in heterogenen Gesellschaften. Die Goethe-Institute sind und schaffen öffentliche Foren und Kommunikationsräume für freie Meinungsäußerung und ermöglichen den Dialog durch Begegnungs- und Austauschprogramme. Darüber hinaus leisten sie Beitrage zum Kompetenzaufbau im Kulturbereich und zum Wiederaufbau kultureller Infrastrukturen.
Kulturelle Prozesse wirken, wenn sie langfristig angelegt, offen gestaltet sind und wenn sie Differenz als Chance zu einer konstruktiven Auseinandersetzung auf Augenhöhe sehen. Kultur wirkt, wenn ihr Freiraum und Unabhängigkeit zugestanden wird. Dann eröffnen sich neue, unerwartete und vielfältige Möglichkeiten, gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen, die auf anderem Wege unzugänglich scheinen.
Dear Ladies and Gentlemen,
it is with enormous pleasure that I accepted your invitation to welcome you at this 4th research panel of the “2nd workshop on Europe-China Relations on Global Politics”. This panel is entitled “Diplomacy from below? EU-China People-to-People-Exchange” and as Secretary General of the Goethe-Institut I would be happy to contribute to your reflections in a very pragmatic way: Culture and education are the central platform where people meet each other. The Goethe-Institut with its wordwide 149 institutes and a large network of partner institution serves as such a platform for over 60 years.
First of all I am satisfied to realize that the EU has definitely recognized the importance of cultural relations between its institutions and China. Lately the EXPERT GROUP ON CULTURE AND EXTERNAL RELATIONS – CHINA finished its report on a strategy for cultural relations, introducing - I quote - “a strategy-setting process… with the intention of proposing a strategic vision for the future of EU-China cultural relations in the context of an evolving EU-China strategic partnership, which was recently enhanced by the establishment of the High-Level People-to-People Dialogue”. The report gives a whole range of possible fields of action for common ground: “The implementation of a strategic approach to EU-China cultural relations shall be based on a flexible and open approach. While mutual interests and opportunities can potentially arise in all cultural and creative sectors, emerging areas of mutual interest at a first stage include: EU-China film co-production; production and commercialisation of TV formats; games (in particular online games and smartphone applications, which are less sensitive to piracy); music (especially live music performances); animation; themed entertainment; architecture; design; cultural merchandising; heritage (in particular linked to urban sustainable development); museums (in particular as regards cultural content development and management); contemporary arts events and festivals. In all these areas, there is a need on both the European and Chinese side to support the development of professional skills and build capacity through training, peer-learning, the exchange of best practices and networking”.
It was especially the purpose of networking and building capacity that the Goethe-Institut in China initiated the publication of the “Europe-China Cultural Compass” which has been realized together with our colleges from the British Council and the Danish Institute here in Beijing. Especially the glossary raised a lot of attention because it put the emphasis on different semantics of intercultural terms and it showed the burden of intercultural encounter: Do we mean the same when we say the same? Within the network of the European National Institutes of Culture – EUNIC - the European colleges organized 4 “Europe-China Dialogues” the last 4 years with the China Academy of Arts in different European and Chinese cities. Regular events are organized by EUNIC China with its Chinese counterparts. Under the lead of the Goethe-Institut a consortium of international independent experts from the Institut Français, the European Cultural Foundation and other partners had been recently mandated by the European Commission to conduct a “Preparatory Action on Culture in the EU External Relation” which is truly not focused on China but emphasizes again the potential of culture – and this means people-to-people-exchange – as a clue for EU external relations.
Ladies and gentleman – as European citizen we are aware that it is time to overcome national concepts of culture within this globalized world. This does not mean to neglect one own traditions but on the contrary to be aware of the richness of one’s own heritage. This is only my fourth day on a visit through China but traveling through different regions I am already aware of the strength of diversity of this country. I am overwhelmed by the knowledge of the Chinese people about our European culture as well as I am ashamed about how less we do know about historical and modern China. Two figures about students in our countries: In 2012 24.000 Chinese students studied at German universities, in the same year 4.000 German students were enrolled at Chinese universities. These young people play a very important role for he dialogue between our countries.
Without burdening the culture – especially the arts – too many political aspects, I do believe that the impact as cultural players through the facilitation of people-to-people-exchange has not only been crucial for the last decades ( and as the oldest foreign cultural institute in China that celebrates its 25th birthday this year we are allowed to say so) but will also the next years to come serve as platform for better understanding and dialogue. And if there is one lesson we have learnt from the reconciliation process between France and Germany which started 50 years ago then it is this: To strengthen the personal side of encounters will make us even more independent from the instrumentalization of cultural relations for political reasons.
Thank you very much for your attention.
Die Anforderungen an die politische Bildungsarbeit westlicher Institutionen im Ausland steigen. Gelingen kann sie dennoch: Wenn kulturelle Sensibilität und langfristige Kooperationen an die Stelle von Apellen treten.
„Vorsicht Ausländer“ – Das neue „Agentengesetz“, das in Russland jetzt in Kraft getreten ist, hat zu großer Verunsicherung von zivilgesellschaftlichen Institutionen auch im Bereich Kultur geführt. Demnach müssten sie sich jetzt als „ausländische Agenten“ registrieren lassen, wenn sie Finanzmittel von ausländischen Organisationen annehmen. Jüngst haben die USA auf Wunsch Moskaus ihr großes USAID-Hilfsprogramm eingestellt, das für wichtige Nichtregierungsorganisationen im Bereich Demokratisierung oder Umweltschutz eine essenzielle Förderung darstellte. Der Bundestag hat zur russischen Innenpolitik eine kritische Resolution verfasst.
Kritik an ausländischen Einrichtungen, die sich die Förderung der Zivilgesellschaft auf die Fahnen geschrieben haben, und auch konkrete offizielle Maßnahmen gegen sie, sind in der Geschichte nichts Neues: Von der Schließung des Goethe-Instituts in Teheran 1987, über die Kritik an der Soros-Stiftung, die vor allem in den neunziger Jahren in vielen Staaten Osteuropas aktiv war, bis hin zur jüngsten Schließung der Büros der Adenauer-Stiftung in Kairo und Abu Dhabi reichen die Beispiele.
Hinter solchen Entwicklungen steckt auf der einen Seite häufig die Furcht, dass Programme ausländischer Organisationen tatsächlich zu einem innenpolitischen Kontrollverlust führen könnten. Auf der anderen Seite müssen wir erkennen, dass die Bedeutung Europas und der USA und mit ihnen die Vorbildfunktion eines westlichen Wertekanons verblassen. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Welt multipolar geworden. Neue Zentren sind entstanden, die selbstbewusst ihren eigenen Weg verfolgen, in dem bisweilen die Entwicklung einer Zivilgesellschaft nach westlichem Vorbild nicht zu den erstrebenswerten Modellen gehört. Gerade Gesellschaften, die für sich diesen eigenen Entwicklungsweg postulieren und sich in einem Selbstfindungsprozess befinden, reagieren bisweilen harsch auf Aktivitäten ausländischer Organisationen.
Welche Lehren müssen wir aus dieser Situation ziehen? Es ist klar, dass unsere Arbeit im Ausland ihre Inhalte und ihre Kraft aus einem demokratischen Wertekanon bezieht. Daran gibt es nichts zu rütteln und diese Werte vertreten wir offen in unseren Gastländern. Ob unsere Botschaften und Angebote ankommen oder sogar angenommen werden, ist meiner Erfahrung nach jedoch häufig weniger eine Frage des Was, sondern des Wie: Ein Dialog auf Augenhöhe und die Bereitschaft zu lernen erfordern mehr interkulturelle Sensibilität und Mühe als der belehrende Zeigefinger. Er ist jedoch die Grundvoraussetzung dafür, dass sich der Gesprächspartner ernstgenommen fühlt, Vertrauen fasst und sich einem echten Austausch öffnet. Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht darum, ein Entwicklungsziel nach westlichen Maßstäben vorzugeben; gemeinsame Verständigungsprozesse mit offenem Ausgang entfalten eine deutlich höhere kreative Kraft und Lösungsorientierung und damit Vertrauen und Nachhaltigkeit. Unliebsame Wahrheiten müssen ausgesprochen werden: Nur wenn wir die rote Linie aus Tabus und politischen Vorbehalten berühren, ohne sie zu überschreiten, kann ein ehrlicher Diskurs entstehen. Es gilt, Themen zu finden, die in beiden Gesellschaften virulent sind - auch in dem Geist, dass wir viele gesellschaftliche Herausforderungen ohnehin nur noch über Ländergrenzen hinweg gemeinsam lösen können. Mehr als über Vorträge und Appelle vermitteln sich unsere Werte über die konkrete und auch längerdauernde Kooperation von Künstlern, Musikern und anderen Kulturschaffenden. Solche gemeinsamen Produktionen machen den Geist der Verständigung auch einem großen Publikum zugänglich.
Vielleicht klingt diese Beschreibung einer kulturell orientierten „Dialog-Strategie“ idealistisch. Aber nach 15 Jahren konkreter Arbeit in Transformations- und Ländern der Enzwicklungszusammenarbeit bin ich der festen, auf Erfahrung begründeten Überzeugung, dass nachhaltige und langfristig angelegte Kultur- und Bildungsprogramme auch dann noch wirken, wenn andere Kommunikationskanäle zwischen Gesellschaften verschlossen sind.
Auswärtige Kultur- und Bildungsarbeit in diesem gesellschaftspolitischen Sinne wird in einer multipolaren Welt gerade auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch anspruchsvoller werden. Für Deutschland weniger bedeutend wird sie auf keinen Fall.
Johannes Ebert über das Deutschlandbild in der Welt und die Arbeit des Goethe-Instituts.
Eine sichere Quelle für Informationen jeder Art sind bekanntlich Taxifahrer. Beflissen, nur manchmal etwas mürrisch, geben sie Auskunft zu Wetter, Weltpolitik und allem Wesentlichen. Das gilt auch für das Deutschlandbild in der Welt. Möchte man wissen, wie es um das Ansehen unseres Landes bei Otto, Marianne oder Naoko Normalverbraucher bestellt ist, lohnt sich ein Blick in das globale Taxi. Auch wenn sich mein Taxifahrer in Kairo in erster Linie fußballkundig gibt. Mühelos subsumiert er die Gemengelage der deutschen Bundesliga. Sein Herz schlage auf jeden Fall für den FC Bayern. Es scheint, dass die regelmäßigen Reisen des Clubs und zuletzt die Teilnahme am Endspiel der Champions League ihre Wirkung nicht verfehlen. Als globale Botschafter Deutschlands ist der FC Bayern jedenfalls eine verlässliche Größe.
Der Taxifahrer, der unsere Kollegin mit feinen weißen Handschuhen durch das Straßengewirr Tokoys dirigiert, gibt sich leutselig: . „Das nächste Mal zeigen wir es ihnen“, deklamiert er stolz.. Gemeint ist damit keineswegs die jüngste Niederlage der Bayern in der Champions League, sondern die gemeinsame Kriegserfahrung Deutschlands und Japans. Eine fragwürdige Hommage an die Herkunft des deutschen Fahrgastes. Was die Situation rettet? Das allgegenwärtige Oktoberfest natürlich, ein weit unverfänglicheres Gesprächsthema. Natürlich gibt es auch in Tokyo es alljährlich ein „Beer Festival“, veranstaltet von der deutschen Handelskammer.
Neben Maßkrug und Blasmusik ist die deutsche Ingenieurskunst ein fester Bestandteil des Deutschlandbildes rund um den Globus. „Ein BMW oder Mercedes, ja das wäre schon ein Traum“ schwärmt der Taxifahrer in Singapur, der unsere Kollegin in seinem Toyota durch die 4-Millionen-Metropole fährt.
In Europa ist der Taxidiskurs dieser Tage eher von der Eurokrise geprägt. Unverhohlen zeigt der Fahrer eines Athener Kollegen seinen Unmut über das Schlamassel, das „die Europäer da im schönen Griechenland angerichtet haben“. „Deutschland ist jetzt gefragt“ – heißt es dagegen in einem Warschauer Taxi, ein durchaus bemerkenswertes Bekenntnis, wenn man an die Ängste der Nachbarn vor einem übermächtigen Deutschland bei der deutschen Wiedervereinigung denkt. Einzig der Taxifahrer in London war – oh Wunder! – nicht willens, sich auf das dünne Eis der Politinterpretation zu begeben. „Germany has changed“, erklärt er staatsmännisch. Die Fußball-WM 2006 habe viel verändert, die Briten hätten seither ein ganz anderes Bild von den Deutschen – aber die würden ja auch erstmals in ihrer Geschichte „richtigen Fußball“ spielen.
Bier, BMW und Bayern – im Großen und Ganzen funktionieren sie mit ungebrochener Kraft, die alten Stereotype, die unserem Land weltweit ein Gefühl etwas unterkühlter Hochachtung einbringen. Neu dazu gekommen ist in den letzten Jahren mit „Berlin“ ein weiteres wirkmächtiges „B“. Die deutsche Hauptstadt steht als eine fast eigenständige „Submarke“, die die traditionellen Komponenten des Deutschlandbildes in interessanter Weise ergänzt und modifiziert. Wird Deutschland auch im 21. Jahrhundert reflexartig mit Präzision, Pünktlichkeit und ein wenig Langeweile assoziiert, punktet Berlin mit dem „Charme von kreativem Chaos“. Zahllose junge Kreative aus aller Welt, die sich in Berlin niedergelassen haben, senden diese Botschaft an ihre Freundeskreise daheim und agieren so als authentische „Markenbotschafter Deutschlands“.
Ein solcher ist qua Amt auch das Goethe-Institut. Mit seinem Netz von derzeit 149 Instituten in 93 Ländern beeinflusst es seit 60 Jahren das Deutschlandbild. „Sprache. Kultur. Deutschland.“, lautet der Claim, der seine Arbeit in größtmöglicher Verknappung zusammenfasst. Die „Spracharbeit“ besteht unter anderem aus den rund 21.500 Kursen, an denen 2011 mit 234.587 Teilnehmerinnen und Teilnehmern so viele Menschen unsere Sprache gelernt haben wie nie zuvor. Zudem betreut das Goethe-Institut die Dozenten und Lehrerinnen und Lehrer in aller Welt. Das breite Fortbildungsangebot sorgt dafür, dass sich unsere Partner aus den Erziehungssystemen in Deutschland auch immer wieder selbst ein Bild davon machen können, wie es in unserem Land aussieht. Mehr als 5.000 Kulturveranstaltungen pro Jahr ermöglichen zudem einen differenzierten Eindruck davon, was in unserem Land gedacht, erdichtet und ersonnen wird – ein Spiegel der kulturellen Vielfalt und Dichte unseres Landes. Neben „Spracharbeit“ und Veranstaltungen sind es die aktuell insgesamt 95 Bibliotheken des Goethe-Instituts, die in 68 Ländern Informationen über Deutschland anbieten. Schließlich wird das Deutschlandbild auch durch den multimedialen, vielsprachigen Internetauftritt des Goethe-Instituts mit geprägt. Bei Genese und Präsentation seiner Projekte verzichtet das Goethe-Institut bewusst auf die große Geste des Kulturexports. Seit 60 Jahren setzt es konsequent auf die Kraft des Dialogs auf Augenhöhe. Dies wird weltweit als ein Stück gelebter Demokratie erlebt, ein Ansatz, der seinerseits das Deutschlandbild nicht unerheblich prägt.
Das individuelle Informationsverhalten unterliegt indes in allen Teilen der Welt einem stetigen Wandel. Für die Bibliotheken des Goethe-Instituts mit ihrer starken lokalen und regionalen Verankerung birgt dies die Herausforderung, ihre Rolle als Vermittler und Lotse in den sich rasant entwickelnden Medien- und Informationslandschaften zu gestalten und die Funktion als „Fenster nach Deutschland“ in physischer und digitaler Form neu zu definieren. Wichtiger als der Besitz von Medien und Information wird angesichts ihrer praktisch unbegrenzten Verfügbarkeit die Zugänglichkeit, Vermittlung und qualitative Bewertung. Die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts mit ihrer digitalen Wunderkiste verfügt über ganz neue Möglichkeiten, sich rasch und umfassend zu informieren. Zugleich zeigt sich jedoch weltweit, dass Klischees und Stereotype fortbestehen. Die Vielzahl der Angebote scheint die Ausbildung differenzierter Meinungen mitunter eher zu behindern als zu befördern. Und doch hat sich in den letzten 60 Jahren viel bewegt. Deutschland verfügt über ein weitverzweigtes Netz an Fürsprechern und Freunden in aller Welt, Menschen, die oft zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere mit Deutsch und Deutschland in Kontakt gekommen sind, Anregungen erfahren haben oder Förderung ihrer beginnenden Karriere. Die Arbeit der deutschen „Antennen in aller Welt“ – Goethe-Institut, Humboldt-Stiftung, DAAD, Deutsche Welle, Ifa und ZfA…– bildet so ein wertvolles Kapital für Deutschland. Eine krisensichere Währungsreserve von unerschütterlicher Sympathie und Hochachtung. Es wird spannend sein zu sehen, was die Taxifahrer in den Metropolen der Welt 2050 über unser Land zu sagen haben.
In seinem Vortrag spricht Johannes Ebert über die Schnittstellen von Kultur, Markt und Entwicklung und die Rolle der Kreativwirtschaft.
Sehr geehrte Frau Müller,
sehr geehrter Herr Dr. Kreft,
sehr geehrte Frau Gönner,
sehr geehrter Herr Dr. Hartstein,
liebe Frau Rüland,
lieber Ronald Grätz,
sehr verehrte Damen und Herren,
Die heutige Konferenz ist – wie wir gehört haben – Bestandteil einer Veranstaltungsreihe, die die Arbeitsgruppe „Kultur und Entwicklung“ seit mehreren Jahren in Bonn organisiert. In dieser Arbeitsgruppe arbeiten die staatlich geförderten Mittler der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik mit den Durchführungsorganisationen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zusammen, die inzwischen zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ fusioniert wurden, und mit der Deutschen Welle, die auch diese Konferenz wieder in ihrem Saal beherbergt.
Die Gruppe geht davon aus, dass eine Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg Synergien schafft und Wirkungen erzeugt, die ein Mittler oder eine Durchführungsorganisation für sich allein genommen nicht erreichen könnte.
Dies gilt auch für das aktuelle Thema: Kultur. Markt. Entwicklung. Und hier spreche ich ausdrücklich nicht nur für das Goethe-Institut, sondern auch für die anderen Mittler der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, den DAAD, und das Institut für Auslandsbeziehungen, das ifa: Entwicklung und die internationale Zusammenarbeit kann nur stattfinden, wenn der „Markt“ nicht nur ökonomisch betrachtet wird und eine einseitige Marktförderung bleibt, wenn sie nur marktwirtschaftliche, finanzielle Aspekte berücksichtigt und vornehmlich zwischen Regierungen ausgehandelt wird. Nein – und hier sehe ich die Kernkompetenz, das „fehlende Verbindungsstück“ – erst durch eine Verständigung über die Kultur, die kulturellen Ausdrucksweisen und über Kulturproduktionen wird wirtschaftliche Entwicklung sinnvoll und zugkräftig. Vergleichbar ist die Funktion der Bildung: nicht eine ausschließlich auf den aktuellen wirtschaftlichen Bedarf hin ausgerichtete Bildungs- und Förderpolitik führt hier zum Ziel, sondern durch die Verständigung über die Grundlagen einer Gesellschaft, die kulturellen Errungenschaften und kulturellen Arbeitsweisen wird Bildung im umfassenden Sinne möglich.
Deshalb freue ich mich, dass wir, das ifa, der DAAD und das Goethe-Institut, diese Konferenz mitgestalten. Es braucht nicht nur einen „Markt“ im wirtschaftlichen Sinne, der Werte erzeugt und Arbeitsplätze im Kultursektor schafft, sondern auch einen Marktplatz, auf dem über Werte der Kultur, der Bildung und der Entwicklung verhandelt wird: durch internationale kulturelle Zusammenarbeit und durch akademischen wie kulturellen Austausch. Das ist das „Salz in der Suppe“ der internationalen Zusammenarbeit.
Die so genannten Creative Industries sind keine neue Erscheinung, immer schon standen hinter den kreativen Szenen die kreativen Branchen, haben Künstler und Kulturschaffende, Kulturorganisatoren und Kulturvermittler mit Kunst und Kulturproduktionen ihren Lebensunterhalt bestritten oder dieses versucht.
Erlauben Sie mir eine kleine Nebenbemerkung. Nicht immer ist es für Künstler – insbesondere in Ländern der Entwicklungszusammenarbeit und Transformation – leicht, sich vollständig über ihre künstlerische Tätigkeit zu finanzieren. Der berühmte ägyptische Autor Alaa al-Aswani, den ich vor zwei Wochen in Kairo getroffen habe, hat beispielsweise sein tägliches Auskommen lange als Zahnarzt bestritten. Dass er sich nun vollständig aus seinen literarischen Aktivitäten finanziert, ist für ägyptische Kulturschaffende ein Einzelfall.
Kultur ist ein eigener, eigenständiger gesellschaftlicher Bereich, der wesentlich ist für die Aushandlung und Definition unseres Wertegefüges und unserer gesellschaftlichen Identität. Insofern ist Kultur – das ist fast banal zu sagen – weit mehr als ein wirtschaftlicher Sektor im Sinne der Creative Industries. Kultur ist das, worauf unser Zusammenleben basiert. Kultur funktioniert aus dieser Perspektive nach eigenen Regeln und Gesetzen. Diese wirken in den wirtschaftlichen Sektor der Kreativindustrie hinein und treffen dort auf ökonomische Zusammenhänge.
Warum rückt seit wenigen Jahren die Kreativindustrie immer stärker ins Zentrum der Förderinstitutionen? Dafür gibt es mehrere Gründe, und dieser Frage und ihrer Beantwortung will sich diese Konferenz „Kultur. Markt. Entwicklung“ widmen.
Ich nenne nur einige Stichpunkte:
Erstens:
Europa und Deutschland in Europa hat an sich selbst erfahren, wie wichtig die Kulturproduktion ist und möchte die Impulse, die von der „Kreativindustrie“ ausgehen, auch in andere Länder tragen, weil sie nachweislich wirtschaftliche und gesellschaftliche Erfolge zeitigen.
Aber hier müssen wir von unseren deutschen und innereuropäischen Erfahrungen lernen: Zum Beispiel macht sich regelmäßig nach dem „Rummel“ einer Kulturhauptstadt Ernüchterung breit, den Impuls dieses intensiv bespielten Jahres weiter lebendig zu halten. So gilt es auch zu überlegen, wie die neuen Kreativberufe und Kulturproduktion längerfristig Kunden gewinnen und nachhaltig wirtschaften können. Ich möchte hier die Konferenzteilnehmer ermuntern, das Aufkommen der Creative Industries mit einem längeren Zeithorizont zu betrachten.
Zweitens:
Wir sollten – und wollen – den umgekehrten Weg der Impulse bedenken: Es sollte uns auch interessieren, welche Überlebensstrategien Länder ohne die weltweit einmalige staatliche Förderung der Kultur- und Bildungsakteure in Deutschland entwickelt haben. Ganz Nollywood ist entstanden aus einem enormen Bedarf der Konsumenten, ohne staatliche Unterstützung, völlig informell. „Learning from Nairobi Mobility“ heißt ein Projekt des Goethe-Instituts mit der Hochschule für Design in Köln, bei dem Arbeitsweisen und Produktionsmechanismen der Straßenhändler in den großen Slums untersucht und dargestellt werden. Nicht umsonst haben sich dabei Kulturakteure, Künstler, Medienschaffende und Ethnologen zusammengefunden. Vielleicht kann eine Folge der Konferenz sein, solche multilateralen und multiperspektivisch besetzen Projekte zu identifizieren und neue gemeinsam zu konzipieren?
Drittens:
Wenn wir also durchlässig in beide Richtungen sein wollen und Aspekte der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kultur und der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigen wollen, müssen wir uns verständigen auf eine Förderungsmethodik, die die Regeln der Kulturproduktion und der akademischen Produktion berücksichtigt: Zum einen brauchen Wissenschaft wie auch Kultur kreative Freiräume, Freiräume im Sinne von „freien Denkräumen, frei von Zensur und Beschränkung“, aber auch als „freie Räume“ im räumlichen Sinne, als Möglichkeit zum Austausch durch Mobilität und Vernetzung, was den Diskurs sowohl innerhalb eines Landes, regional oder international fördert und belebt.
Ohne diese Freiräume können sich weder akademische noch künstlerische Erfolge entwickeln. Zum zweiten brauchen die neu geschaffenen oder verstärkt geförderten kreativen Wirtschaftszweige eine intensive Pflege und Beratung: Kompetenzen zur Professionalisierung der Produktionen, eine Förderung der Distribution, damit sie sich auf dem Markt behaupten können, und Investitionen in Bildungs- und Qualifizierungsprogramme. Auch die besondere Förderung von „jungen Talenten“ und die Förderung „gegen den Mainstream“ – beides Bereiche, die es in der freien Wirtschaft oft schwer haben, aber deren frühe Förderung sich längerfristig „bezahlt“ macht – sind oft der Grundstein für die Produktion von genuin Neuem und Innovativem. Für alle diese Bereiche steht das Goethe-Institut zur Verfügung, und ich erhoffe mir von Ihnen, den Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmern, Vorschläge und Empfehlungen an die Adresse der Veranstalter zu erhalten, wie sie, wie wir, bei Produktion, Distribution und Qualifikation der Creative Industries verstärkt aktiv werden können.
Anlässlich der New Yorker Sprachkonferenz 2012 beschäftigt sich Johannes Ebert in einem Artikel für „The European“ mit den Möglichkeiten und Chancen der Deutschförderung in den USA.
Es gibt viel zu tun für die deutsche Sprache in den USA, jedes Engagement lohnt sich. Denn jedem Amerikaner, der Deutsch lernt, öffnet sich auch eine neue Welt.
„Wir können gar nicht genug Schüleraustauschprogramme haben. Wenn Kinder in jungen Jahren in die Welt reisen, kommen sie – so glaube ich – als andere Menschen zurück. Der Wert lässt sich kaum ermessen“, lobt Arne Duncan, der amerikanische Minister für Erziehung, das German American Partnership Program (GAPP).
GAPP wird in diesen Tagen 40 Jahre alt. Das Austauschprogramm ist eine Erfolgsgeschichte: Seit 1972 sind mehr als 260.000 junge Deutsche und Amerikaner im Rahmen von GAPP zwischen den Ländern gereist, haben ihre Sprachkenntnisse vertieft und in Gastfamilien das „ganz normale“ Leben und die Kultur eines anderen Landes kennengelernt. 40 Jahre GAPP sind ein Anlass, zu feiern und einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Deutsch steht nach Spanisch und Französisch an dritter Stelle der am meisten gelernten Fremdsprachen in den USA. Die Zahl ist einer Studie des „Netzwerks Deutsch“ zufolge 2010 sogar gestiegen. Insgesamt gibt es fast 500.000 Deutschlernende in den USA, davon 400.000 an Schulen: knapp 70.000 mehr als 2005. Dennoch ist es wichtig, weiter für die Attraktivität der deutschen Sprache in den USA zu werben. Zum einen wird Sprachen wie Chinesisch oder Spanisch mehr Aufmerksamkeit als früher geschenkt. Zum anderen entsteht bisweilen der Eindruck, dass gerade in Ländern mit Englisch als Muttersprache das Sprachenlernen zunehmend vernachlässigt wird, da Englisch ohnehin internationale Geschäftssprache ist.
Dabei gibt es immer noch zahlreiche Gründe für junge Amerikaner, Deutsch zu lernen: Menschen mit deutscher Abstammung sind die größte ethnische Gruppe in den USA: Ein Viertel aller Amerikaner hat deutsche Wurzeln. In meiner Zeit beim Goethe-Institut bin ich vielen jungen Amerikanern begegnet, die Deutsch gelernt haben, um in die eigene Familiengeschichte einzutauchen. Gerade in Zeiten, in denen Grenzen fallen und traditionelle Bindungen schwächer werden, gewinnt die Erkundung der eigenen Identität an Bedeutung. Die Sprache ist der wichtigste Schlüssel dazu.
Deutsch ist mit 95 Millionen Sprechern die größte Muttersprache in der europäischen Union und wird von 55 Millionen Europäerinnen und Europäern als Fremdsprache gesprochen. Handfeste Gründe Deutsch zu lernen ergeben sich, wenn man Deutschland als Wirtschafts- und Studienstandort betrachtet. Deutsche Unternehmen sind weltweit tätig und haben als Arbeitgeber einen guten Namen. Deutschkenntnisse und die Auseinandersetzung mit deutscher Kultur und Sprache erhöhen die Karrierechancen. Auch die deutschen Universitäten genießen weltweit einen guten Ruf. Gerade in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sind deutsche Hochschulabschlüsse weltweit anerkannt und ein Studium in Deutschland ist – verglichen mit den USA – nahezu kostenlos.
Neben diesen sehr am persönlichen Nutzen orientierten Argumenten dürfen wir nicht vergessen, dass Mehrsprachigkeit zu einer umfassenden Bildung gehören sollte. Fremdsprachen sind der Schlüssel zu fremden Kulturen und damit auch eine Kulturtechnik, die es uns erlaubt, neue Welten zu erschließen, Verständnis und Toleranz zu fördern. Gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung sind Fremdsprachenkenntnisse von höchster Bedeutung.
Viele gute Gründe, die deutsche Sprache zu lernen. Doch was ist zu tun, um das Interesse an unserer Sprache hoch zu halten? Eine wesentliche Aufgabe ist es, die Vielfalt an Sprachlernangeboten in Schulen zu unterstützen. Bildungsbehörden und Schulleiter müssen gut und umfassend darüber informiert werden, weshalb Deutsch an ihrer Schule einen festen Platz haben sollte. Weshalb entscheiden sich Schülerinnen und Schüler für die eine oder andere Sprache? Zu den entscheidenden Kriterien gehören das Image der Sprache und des Landes, die Attraktivität des Unterrichts, gut ausgebildete Lehrer, außerschulische Angebote und die Karrierechancen, die mit der Kenntnis der Sprache verbunden sind.
Die von der Deutschen Botschaft in Washington und den Goethe-Instituten in den USA im vergangenen Jahr durchgeführten Deutschlandwochen waren ein großer Erfolg. Neben der Ausstellung „Deutsch für Anfänger“, einem Schülerforschungsprojekt, sorgte die Konzerttour der deutschen Rockband Madsen auf besonders große Begeisterung.
Solche Image- und Werbekampagnen müssen verstärkt werden. Sie erhöhen die Aufmerksamkeit für die deutsche Sprache nicht nur bei jungen Menschen. Dass eine Sprache allerdings langfristig in den Curricula verankert wird und die Lernerzahlen dauerhaft steigen, erfordert weitere Anstrengungen. Wichtig sind Austauschprogramme für Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, wie sie unter anderem GAPP bietet. Wichtig ist die Vermittlung eines modernen Deutschlandbildes auch außerhalb des Deutschunterrichts – so wie das Transatlantic Outreach Program erfolgreich Sozialkundelehrer mit Lehrmaterialien und Studienreisen nach Deutschland unterstützt. Die Erweiterung dieses Programms auf Lehrer und Lehrerinnen, die Wirtschaftskunde und die sogenannten MINT-Fächer – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – unterrichten, ist auch in den USA ein Weg, Interesse an Deutschland und der deutschen Sprache zu wecken.
Das Netzwerk der Partnerschulen, das im Rahmen der Initiative des Auswärtigen Amts „Schulen – Partner der Zukunft“ weltweit entstanden ist und gemeinsam von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, dem Goethe-Institut, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Pädagogischen Austauschdienst betreut wird, ist auch in den USA ein Garant für lebendige und nachhaltige Bildungspartnerschaften.
Nicht zu vergessen ist die Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere was die Integration digitaler Formen des Sprachenlernens in den Unterricht betrifft. So hat das Goethe-Institut das erste „serious game“ zum Deutschlernen entwickelt und investiert auch weiterhin in online verfügbare Sprachlernangebote.
Es gibt viel zu tun für die deutsche Sprache in den USA und das Engagement der amerikanischen und deutschen Partner, die sich dafür einsetzen, ist in hohem Maße lohnend. Einen Nutzen haben beide Seiten davon, denn – so schrieb der amerikanische Schriftsteller Frank Harris zu Beginn des vorigen Jahrhunderts: „Jede neue Sprache ist wie ein offenes Fenster, das einen neuen Ausblick auf die Welt eröffnet und die Lebensauffassung weitet.“
In seiner Rede würdigt Johannes Ebert die Leistung des German American Partnership Program und stellt Herausforderungen für die künftige Arbeit dar.
Sehr geehrter Herr Walbroel,
sehr geehrte Frau Friedrich Pfeifer,
Sehr geehrter Herr Boettger,
Sehr geehrter Herr Cothrum,
Sehr geehrter Herr Alexander,
Lieber Herr Leibrecht,
Lieber Christoph Bartmann, liebe Eva Marquardt,
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist mir eine besondere Ehre und Freude, dass mich mein erster Besuch als neuer Generalsekretär des Goethe-Instituts in den USA direkt zu der Feier des 40jährigen Jubiläums des German American Partnership Program führt.
Das German American Partnership Programm, kurz GAPP: Das waren seit 1972 mehr als 260.00 Schüler und Schülerinnen aus Deutschland und den USA, die sich – innerhalb ihres Klassenverbands – auf eine besondere Erfahrung eingelassen haben: mehrere Wochen intensiv eintauchen in eine andere Sprache, Kultur, Lebensweise und den (Schul-)Alltag in Bayern, Sachsen, Berlin oder in Kalifornien, Texas, New York. Dabei lernen die Schülerinnen und Schüler die unterschiedlichsten Facetten Deutschlands und Amerikas kennen, entwickeln ihre sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen, schließen Freundschaften. Solche Erfahrungen – besonders in jungen Jahren – können Biografien beeinflussen, Verständnis für den transatlantischen Nachbarn schaffen und die Kenntnisse und die Verbundenheit zur deutschen Sprache stärken.
Die Mutter eines GAPP-Teilnehmers von der Troy High School hier in New York, Eleonor Christie, formulierte den Wert von GAPP so: „This program is such a positive experience for students and their families. It builds character in young people as well as supporting their language learning. It also brings other subjects they learn in school to life. It is truly the phrase „The World is your classroom!“
Für eine gute transatlantische Nachbarschaft sind die gegenseitigen Sprachkenntnisse von essentieller Bedeutung. Neben den Schülerinnen und Schülern erweitern auch jährlich ca. 600 Lehrerinnen und Lehrer aus dem Netz der fast 800 Partnerschaften zwischen amerikanischen High Schools und deutschen Sekundarschulen ihren Horizont und ihre (sprach-)pädagogischen Kenntnisse, indem sie die Schülergruppen sprachlich und kulturell auf den Austausch vorbereiten und begleiten. Außerdem stärkt das Programm die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und den beteiligten Gemeinden diesseits und jenseits des Atlantiks.
Das German American Partnership Program ist Teil der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein einzigartiges und sehr lebendiges Instrument, die deutsche Sprache in Nordamerika zu fördern und und verbindet sich damit mit dem zentralen Sprachauftrag des Goethe-Instituts. GAPP wurde 1972 auf Initiative des Goethe-Instituts Boston ins Leben gerufen. Seit 1974 ist es am Goethe-Institut New York angesiedelt und wird seit 1983 in Zusammenarbeit des Goethe-Instituts New York und des Pädagogischen Austauschdiensts der Kulturministerkonferenz betreut. Gefördert wird GAPP hauptsächlich vom deutschen Auswärtigen Amt, weitere Mittel erhält es vom amerikanischen State Department und von privaten Geldgebern. Das Goethe-Institut möchte den Ministerien beider Länder, seinen Sponsoren, Partnern und allen, die sich seit 40 Jahren für dieses Programm engagieren, herzlich danken. Nur so war es möglich, dass diese Erfolgsgeschichte, die aus so vielen einzelnen Begegnungen erwachsen ist, geschrieben werden konnte.
Was ist das Besondere an GAPP, was macht das Programm so erfolgreich?
Ich möchte einige Faktoren nennen:
- GAPP ist das einzige bilaterale Kurzzeitprogramm, das seit 40 Jahren kontinuierlich gegenseitige und auf Dauer eingerichtete Partnerschaften zwischen amerikanischen High Schools und deutschen Schulen im Sekundarbereich pflegt. Hier wird die Grundlage gelegt für ein anhaltendes Interesse der jungen Menschen an der Sprache und Kultur des Gastlandes. Es trägt damit wesentlich zur Vertiefung und Nachhaltigkeit der Beziehungen der jungen Generation in Deutschland und den USA bei.
- Das Programm ist an Schulen in allen deutschen Bundesländern und allen US-Bundesstaaten vertreten.
- Durch die finanzielle Förderung für Eltern und Schüler ist GAPP bezahlbar und es kann als einziges Austauschprogramm eine zahlenmäßig ausgewogene Balance von amerikanischen und deutschen Teilnehmern und Teilnehmerinnen ausweisen.
Ein Jubiläum ist nicht nur Anlass zurückzuschauen, es sei auch ein Blick in die Zukunft gerichtet. Dass sich etwas bewährt hat, lässt sich auch daran ablesen, dass es anderen als Vorbild dient. GAPP steht aktuell Pate für ein Austauschprogramm in der Türkei, welches das Goethe-Institut Istanbul in Zusammenarbeit mit der Stiftung Mercator und der Robert-Bosch-Stiftung plant. Ihm ist zu wünschen, dass es in 40 Jahren auf eine ebenso positive Erfahrung zurückblicken kann.
Was GAPP für das Goethe-Institut so wertvoll macht und direkt mit unserer wichtigen Aufgabe der Förderung der deutschen Sprache im Ausland verbunden ist: GAPP hat in hervorragender Weise dazu beigetragen, die Deutschprogramme an den High Schools in den USA zu stabilisieren, die Bildungsnetzwerke zu intensivieren und die beteiligten Lehrer und Lehrerinnen fortzubilden. Dies ist angesichts der Entwicklung der Deutschlernerzahlen in den USA eine besonders wichtige Funktion von GAPP, in die es sich lohnen würde, künftig noch größere und gezieltere Anstrengungen zu setzen. Das Goethe-Institut möchte hier seine jahrzehntelange Kompetenz, sein Netzwerk, seine Angebote der Lehrerfortbildung und Bildungskooperation verstärkt anbieten, um die Anschlussstellen, für alle, die ein Interesse an der Vermittlung deutscher Sprache haben, noch zu vergrößern, die Synergieeffekte zu steigern und Deutsch weiterhin als attraktive Sprache für den Fremdsprachenerwerb in den USA zu positionieren. Zwar ist die Zahl der Deutschlerner in den USA nach einer Studie des „Netzwerks Deutsch“ 2010 gestiegen: Insgesamt gibt es 494.000 Deutschlerner in den USA, davon 400.000 an den Schulen, 67.000 mehr als 2005. Doch wir dürfen uns hier nicht ausruhen, sondern sollten alle Anstrengungen darauf setzen, den Trend positiv zu beeinflussen und Austauschprogramme wie GAPP verstärken, die dies befördern können. Weitere Strategien zur Förderung der deutschen Sprache in den USA werden auch morgen, bei der New Yorker Sprachkonferenz Thema sein. Der letzte Woche verstorbene Astronaut Neil Armstrong hat einmal gesagt: „I think we're going to the moon because it's in the nature of the human being to face challenges.“
Die deutsche Sprache in den USA zu stärken ist für GAPP eine sehr irdische Herausforderung, der wir uns stellen sollten und der sich die Kolleginnen und Kollegen, die für GAPP arbeiten, jeden Tag neu und mit großem Engagement widmen. Dafür wünsche ich ihnen, uns und dem Programm weiterhin viel Erfolg und gutes Gelingen! Das Goethe-Institut ist bereit seine Kompetenzen, sein Netzwerk und seine Beratung in vollem Umfang für diese Mission – nicht zum Mond, sondern über den Atlantik hinweg – zur Verfügung zu stellen.
Vielen Dank!
Johannes Ebert im „Zeitgespräch“ der Zeitschrift „Politische Studien“ der Hanns Seidel Stiftung.
Johannes Ebert folgte am 1. März 2012 Hans-Georg Knopp auf den Posten des Generalsekretärs des Goethe-Instituts nach. Zuvor war der Islamwissenschaftler und Politologe als Leiter des Goethe-Instituts Moskau und Regionalleiter der Region Osteuropa / Zentralasien und davor von 2002–2007 als Leiter des Goethe-Instituts Kairo und der Region Nahost / Nordafrika für diese bedeutende Sprach- und Kultureinrichtung tätig. Somit kennt Johannes Ebert nach 20 Jahren mit den zwei zentralen Einsatzfeldern Osteuropa und Naher Osten die Praxis der Auswärtigen Kulturpolitik in allen Facetten. Seine Wahl signalisiert auch Kontinuität in der Arbeit.
Das Goethe-Institut arbeitet mit dem Auswärtigen Amt eng und loyal zusammen, wie es in dem betreffenden Rahmenvertrag von 1976 formuliert ist. Welche sind nun die Prinzipien der Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland?
Die Grundsätze der aktuellen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben ihren Anfang in den 70er-Jahren. Seither wurden sie den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen weltweit immer wieder angepasst. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wird als wichtiger Bestandteil der Außenpolitik der Bundesrepublik verstanden und teilt deren Ziele: Friedenssicherung, Stärkung des europäischen Integrationsprozesses und Förderung internationaler Partnerschaften. Schon Willy Brandt sprach in den 60er-Jahren von der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik als „dritter Säule“ der Außenpolitik neben Diplomatie und Außenwirtschaftsförderung. Wenn ich meine persönlichen Erfahrungen betrachte, was die Arbeit unserer Institute beispielsweise in Osteuropa oder dem Nahen Osten in diesem Sinne zu leisten vermag, ist das ein sehr weitsichtiges Modell, das sich Tag für Tag neu bewährt. Neben der Vermittlung deutscher Kultur im Ausland setzt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auf den partnerschaftlichen Dialog und den Austausch zwischen Ländern und Menschen unterschiedlicher Kulturen. Deutsche Kultur wird in diesem Zusammenhang verstanden als Teil der europäischen Kultur, die in einen spezifischen Wertediskurs eingebunden ist, der auch in die Kulturarbeit im Ausland einfließt. Dem Ganzen liegt ein erweiterter Kulturbegriff zugrunde, der neben den eigentlichen Künsten auch das Nachdenken über gesellschaftliche Entwicklungen und Phänomene im weiteren Sinne einschließt. Von besonderer Bedeutung und ganz spezifisch für die Bundesrepublik ist, wie diese Prinzipien seit der Nachkriegszeit organisatorisch umgesetzt werden. Vor dem Hintergrund des Missbrauchs von Kultur und Bildung durch das Dritte Reich hielten es die der jungen deutschen Demokratie verpflichteten Politiker für grundlegend, Kultur und Bildung mit einer gewissen Staatsferne zu versehen: Sie vertrauten die operative Umsetzung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik den unabhängigen Mittlerorganisationen wie dem Goethe-Institut, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) oder dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) an. Eine sehr weise Entscheidung, die viel dazu beigetragen hat, das internationale Vertrauen in die Bundesrepublik zu stärken.
Haben diese Prinzipien in letzter Zeit eine größere Veränderung erfahren?
Seit der Nachkriegszeit gab es immer wieder Veränderungen, vor allem in der regionalen Schwerpunktsetzung der Auswärtigen Kulturpolitik. Wendepunkte waren zum Beispiel die Veränderungen in Osteuropa nach dem Fall der Berliner Mauer, die Intensivierung des Dialogs mit der islamischen Welt in der Folge des 11. Septembers. Im Moment sind natürlich die Transformationsprozesse in der arabischen Welt oder die Entwicklungen in der Europäischen Union wichtige Themen, die uns intensiv beschäftigen. Die jüngste inhaltliche Anpassung ist die Konzeption „Auswärtige Kulturund Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung. Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten“, die das Auswärtige Amt im September 2011 vorgestellt hat.
Hört das Auswärtige Amt gerne auf die Anregungen, die das Goethe-Institut einbringt?
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Erfahrung der Mittlerorganisationen auch in Zukunft von der Politik gefragt sein wird und das Auswärtige Amt den Rat und die Expertise des Goethe-Instituts schätzt. Unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort sind Profis für den internationalen Kultur- und Bildungsaustausch und stellen dies täglich neu unter Beweis. Das Goethe-Institut kennt die Mechanismen, kulturellen Szenen und Akteure vor Ort. Es ist hervorragend vernetzt. Diese Expertise bringen wir in die Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt ein. Gerade wenn Gesellschaften hoch politisiert sind, wenn Regime in Frage stehen oder die Zivilgesellschaften hier und in den Gastländern eine immer wichtigere Rolle für die deutschen Außenbeziehungen spielen, sind der Erfahrungsschatz und die gewachsenen Partnerbeziehungen des Goethe-Instituts wichtig. Aber auch was Europa betrifft: Selbst wenn jetzt die Finanzen die Tagesnachrichten dominieren, so müssen wir doch sehr darauf achten, dass wir Europa als langfristiges kulturelles und gesellschaftliches Projekt gemeinsamer Werte verstehen, das von Enthusiasmus und Empathie erfüllt sein muss. Dieser gemeinsame Geist wird in der Finanzkrise doch sehr strapaziert und ich bin sicher, dass Organisationen, die unabhängig und mit einer gewissen Entfernung zur harten Tagespolitik handeln, sich gerade gegenüber jungen Zielgruppen leichter tun, um diese positive Emotionalität für Europa zu fördern. Nach dieser Vorbemerkung: Wir befinden uns in einer ständigen Diskussion mit dem Auswärtigen Amt und so wird – denke ich – ein sehr professioneller Abgleich zwischen den Erfordernissen eines langfristigen Kultur- und Bildungsaustausches und kurzfristigeren außenpolitischen Herausforderungen hergestellt. Leitmotiv der Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Goethe-Institut sind neben dem Rahmenvertrag die gemeinsam vereinbarten Zielkorridore, die jeweils für vier Jahre festgelegt werden. Im Rahmen der Verhandlungen hierzu werden die zentralen Herausforderungen angesprochen. Hier spielt die Stimme des Goethe-Instituts für das Auswärtige Amt mit Sicherheit eine wichtige Rolle.
Welche Schwerpunkte für die Arbeit des Goethe-Instituts möchten Sie persönlich als Generalsekretär setzen?
Die 100 ersten Tage meiner Amtszeit sind vorüber und ich habe natürlich Vorstellungen, in welchen Bereichen wir Akzente setzen. Das Kerngeschäft des Goethe-Instituts ruht auf drei Säulen: der deutschen Sprache, dem internationalen Kulturaustausch und der Information über Deutschland. Hier leistet das Goethe-Institut hervorragende Arbeit und natürlich gilt es zuerst, diese auf hohem Niveau fortzuführen. Das Goethe-Institut muss – und es hat dies immer getan – die Impulse und Herausforderungen, die sich aus der deutschen Gesellschaft und aus unserem internationalen Umfeld ergeben, aufnehmen und in seine Arbeit integrieren. Nur so entwickelt es seine Kernkompetenzen weiter und bleibt zukunftsfähig. Welche Schwerpunkte bestimmen vor diesem Hintergrund die nächsten Jahre? Wenn wir über die Zukunft von Gesellschaften diskutieren, fällt ziemlich schnell der Begriff „Bildung“. Es liegt auf der Hand, dass das Goethe-Institut im Bereich der deutschen Sprache eine Bildungsinstitution reinsten Wassers ist. Weniger bekannt ist jedoch, dass wir auch im Rahmen des kulturellen Austausches zahlreiche Bildungsinhalte anbieten: die Fort- und Weiterbildung von Theatermachern, Dokumentarfilmern etc., aber auch von Kulturmanagern, Verlegern und Informations-Spezialisten. Es geht mir jetzt darum, dass wir diese Bildungskompetenzen, die aus dem Kulturbereich kommen, bündeln und stärker ausbauen. Weitere wichtige Fragen, die sich in den nächsten Jahren stellen werden, sind Fragen von Demographie und Mobilität. Im Zusammenhang mit der Euro-Krise wurden Projekte begonnen, mit denen das Goethe-Institut mobile Menschen innerhalb Europas auf ihren Aufenthalt in Deutschland vorbereitet und die berufliche Qualifikation von Menschen aus dem Ausland mit Deutschkursen unterstützt. Solche Fragen werden immer wichtiger. Ein dritter Punkt ist die zunehmende Bedeutung des Internets für unsere Zielgruppen. Hier gilt es, bestehende Ansätze auszubauen und neue Formate zu entwickeln. Es gibt noch andere inhaltliche Schwerpunkte: Die Arbeit in den Transformationsländern des arabischen Raums gehört dazu. Die Frage, wie es uns gelingt, gerade in Schwierigkeiten ein positives Bewusstsein für Europa zu stärken. Von großer Bedeutung nach innen ist es, dass das Goethe-Institut eine lernende Institution ist, die sich weiterentwickelt und auf neue Herausforderungen jederzeit adäquat reagieren kann. Es gibt viele Aufgaben und ich freue mich darauf.
Frankreich treibt eine sehr ehrgeizige und konzentrierte, sozusagen „affirmative“ Auswärtige Kulturpolitik. Welche Unterschiede zum
deutschen Konzept von Auswärtiger Kulturpolitiksehen Sie insgesamt?
In den Ländern, in denen ich für das Goethe-Institut tätig war – in der Ukraine, in Ägypten und in Russland –, haben wir oft sehr eng mit den französischen Kulturinstituten zusammengearbeitet und spannende Vorhaben verwirklicht. Die europäische Zusammenarbeit zu stärken und damit auch das Bewusstsein für die europäische Einheit zu stärken, ist heute eine wichtige Aufgabe für die nationalen Kulturinstitute. Von großer Bedeutung ist dabei das Netzwerk der europäischen Kulturinstitute EUNIC, in das sich sowohl das Goethe-Institut als Gründungsmitglied als auch das Institut Français aktiv einbringen. Natürlich setzt die französische nationale Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik noch etwas andere Akzente und befindet sich näher an den staatlichen Strukturen als die deutschen Mittlerorganisationen. Die Bundesrepublik Deutschland hat in ihrer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik den Weg gewählt, der am besten zu ihr passt und die eigenen historischen Erfahrungen widerspiegelt. Unsere Arbeit zielt auf Dialog, auf das Einbringen deutscher Positionen und Expertise in einen internationalen gesellschaftlichen Diskurs; sie setzt stärker auf die kulturelle Kooperation als auf staatliche Repräsentation. Vor dem Hintergrund einer globalisierten und multipolaren Welt ist dieser Ansatz der Offenheit für andere Kulturen und der Wille zum Dialog, in dem man jedoch immer auf der Basis europäischer Werte agiert, so zeitgemäß wie nie, um Partnerschaften für Deutschland zu schaffen.
Auf welche Weise begleitet das Goethe-Institut in seiner auswärtigen Kulturarbeit den gegenwärtigen Wandel in der arabischen Welt, die sogenannte „Arabellion“?
Mir gefällt der Begriff „Arabellion“ weniger als der hoffnungsvolle Begriff „arabischer Frühling“. Ich selbst habe mich in meinem Studium sehr intensiv mit der arabischen Welt beschäftigt und war von 2002 bis 2007 für das Goethe-Institut von Kairo aus für den arabischen Raum zuständig. Ich finde es sehr beeindruckend, dass die progressiven Kräfte in Ägypten und Tunesien ihre autoritären Regime gestürzt haben und dass vom Maghreb aus in der ganzen arabischen Welt der Ruf nach Freiheit lauter wurde. Allerdings besteht jetzt eine große Gefahr, dass Hoffnungen enttäuscht werden und dass durch die neue Demokratie Kräfte an die Macht kommen, die mit Demokratie wenig im Sinn haben. Umso wichtiger ist es, die innovativen Kräfte, die für eine freiheitliche gesellschaftliche Ordnung stehen, voranzubringen. Das Goethe-Institut arbeitet bereits seit vielen Jahren im arabischen Raum mit Vertretern der Zivilgesellschaft und den progressiven Kräften im Kultur- und Bildungsbetrieb zusammen. Deshalb haben wir die richtigen Partner und Netzwerke. Im Rahmen der Transformationspartnerschaft der Bundesregierung mit dem arabischen Raum stehen dem Goethe-Institut mehr als zwei Millionen Euro jährlich zusätzlich zur Verfügung. Mit diesen Mitteln legen wir Projekte auf, die in den Bereichen Kultur, Information, Medien, Bildung und Jugend die Zivilgesellschaft stärken. So beispielsweise die Tahrir-Lounge, ein Forum für junge innovative Ägypter mit Elementen der kulturellen und politischen Bildung. Weiterhin Qualifizierungsprogramme für Kulturmanager, Theaterfachleute und Lehrer, so dass deren Institutionen, die eine wichtige Rolle in der Bildung des Volkes spielen, professionell und effektiv arbeiten können oder auch das in diesem Jahr geplante „Jugendnetzwerk“ für junge, innovative Mitgestalter von gesellschaftlichen Prozessen in der arabischen Welt und Europa.
Im Münchener Presseclub fand am 13. Februar 2012 dieses Jahres eine Diskussion unter dem Titel „Schafft Deutschland seine Sprache ab?“ statt. Gemeint ist natürlich die Überflutung der deutschen Sprache mit Anglizismen. Nun gehört das Lehren der deutschen Sprache im Ausland zu den zentralen Aufgaben des Goethe-Instituts. Schadet die angesprochene Entwicklung der Erfüllung dieser Aufgabe? Neigen Sie eher zum Optimismus oder zum Pessimismus, was die Zukunft der deutschen Sprache anbelangt?
Sprachen sind nie monolithisch festgefügt, sondern sie sind lebendige Gebilde. Sie nehmen Einflüsse, denen ihre Sprecher ausgesetzt sind, automatisch auf. Das können wir über die Jahrhunderte hinweg auch an der deutschen Sprache sehen. Wir benutzen zahlreiche Begriffe aus dem Lateinischen oder Französischen und heute nimmt aus den bekannten Gründen der Anteil englischer Wörter zu. Vor diesem Hintergrund ist es ein normaler Prozess, dass englische Begriffe Bestandteil unserer Sprache werden. Aber wir sollten uns selbst überprüfen, in welchem Maße wir das zulassen wollen. Deutsch ist eine wunderbare Sprache, mit der wir verantwortungsvoll umgehen müssen. Manchmal ärgere ich mich, wenn ich im deutschen Fernsehen den vom Englischen „slow motion“ abgeleiteten Begriff „slomo“ höre, wenn unsere eigene Sprache doch so ein griffiges und gleichzeitig poetisches Wort wie „Zeitlupe“ anbietet. Es gibt viele weitere Beispiele für diese Tendenz und es liegt an uns, den Menschen, deren Muttersprache Deutsch ist, bewusst mit unserer Sprache umzugehen und nicht jeder Mode zu folgen. Wenn wir über Trends sprechen: Diskutiert wird beispielsweise die stetige Zunahme von englischsprachigen Studiengängen an deutschen Universitäten. Auch hier sind Augenmaß und Vorsicht geboten. Wir müssen Deutsch als Wissenschaftssprache und damit ein Deutsch, das es seinen Sprechern jederzeit ermöglicht, auch komplexe wissenschaftliche Sachverhalte darzustellen, fördern. Andernfalls würde unsere Sprache verarmen, die Sprache der Bildung würde sich von der Sprache der Bevölkerung abspalten. Wissenschaft muss mehrsprachig bleiben. Da ich ein optimistischer Mensch bin, neige ich, auch was die deutsche Sprache betrifft, zum Optimismus. Sie wird sich verändern, sie wird aber immer die deutsche Sprache bleiben.
Oft wird bemängelt, dass die deutsche Sprache in der EU eine zu geringe Rolle spielt, obwohl sie die am meisten verbreitete Sprache in der EU ist. Sehen Sie das auch so? Wenn ja, welche Maßnahmen zur Abhilfe würden Sie vorschlagen?
Ja, Deutsch ist in der Europäischen Union die am meisten verbreitete Muttersprache. Aber auch bei Nicht-Muttersprachlern erfreut sich die deutsche Sprache großer Nachfrage. Das konnten wir letztes Jahr beobachten. 2011 verzeichnete das Goethe-Institut Rekordzahlen bei seinen Sprachkursen und Prüfungen, das Interesse in Südwesteuropa war besonders groß. Rein formal ist die Stellung unserer Sprache im Kanon der Sprachen der Europäischen Union keine geringe. Sie ist eine von 23 gleichberechtigten Amts- und Arbeitssprachen. Darüber hinaus hat sie als eine der drei Verfahrenssprachen sowohl in der Europäischen Kommission als auch im Europäischen Rat eine Sonderstellung. So ist neben Englisch und Französisch Deutsch beispielsweise Sprache des Kollegiums der Kommission – des höchsten Entscheidungsgremiums. Aber natürlich kann es Unterschiede zwischen der formalen Stellung der deutschen Sprache und ihrem tatsächlichen Gebrauch geben. Vielleicht könnte man diesen auf zwei Ebenen stärken. Eine bessere Stellung von Deutsch in der Europäischen Union ist vor allem eine politische Frage. Das Lobbying der Abgeordneten ist wichtig. Die andere Seite ist die Sprachpraxis. Deutsche Beamte in der Europäischen Union sollten durchaus in der Kommunikation zunächst Deutsch benutzen. Wenn jemand das nicht versteht, kann man immer noch auf andere Sprachen umschalten. Insgesamt sehe ich die Mehrsprachigkeit als ein wichtiges Element der europäischen Integration. Das Goethe-Institut ist bereit – was die deutsche Sprache betrifft –, hier mit Angeboten zu unterstützen. Bereits heute bieten wir im Auftrag des Auswärtigen Amtes ein umfangreiches, themenorientiertes Sprachkursprogramm für Beamte der EU-Institutionen an. Mit dem Programm kamen seit 1994 mehr als 1800 Stipendiaten zu Sprachkursen nach Deutschland. Auch in vielen Ländern Europas werden vor Ort Sprachkurse für europäische Ministerialbeamte angeboten. Einer der bekanntesten Teilnehmer, der an einem Individualkurs des Goethe-Instituts für hohe Führungskräfte teilgenommen hat, war übrigens José Manuel Barroso.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhang war in den ehemals kommunistischen Ländern ein verstärktes Bedürfnis zu verzeichnen, die deutsche Sprache zu erlernen. Hält diese Bedürfnis immer noch an, oder beginnen unsere Nachbarn im Osten, das Englische dem Deutschen vorzuziehen?
Das ist nicht ganz korrekt. Die Grundlagen für die hohen Deutschlernerzahlen wurden insbesondere vor dem Fall der Berliner Mauer gelegt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die DDR mit zahlreichen Kontakten und Bündnissen in den Ostblock eingebunden war und dass so ein ganz konkretes Motiv bestand, Deutsch zu lernen. Nach 1989 hat dann auch hier Englisch als die Weltsprache schlechthin an Terrain gewonnen. Diese Entwicklung halte ich auch für nachvollziehbar, allerdings ist es wichtig, dass wir deutlich machen, wie wichtig Deutsch aus ganz unterschiedlichen Gründen für unsere östlichen Nachbarn ist. Neben der geographischen Nähe und den historischen Beziehungen sind die Motive heute auch sehr stark auf den Wirtschafts- und Hochschulstandort Deutschland bezogen. Junge Polen, Russen, Tschechen etc. sehen in Deutschland auch einen Ort, wo sie arbeiten oder studieren können. Diese ganz konkreten Gründe sind sicher verantwortlich dafür, dass in Osteuropa immer noch sehr viel Deutsch gelernt wird. Polen und Russland sind mit jeweils 2,3 Millionen die Länder mit den weltweit höchsten Deutschlerner-Zahlen. Aber wir müssen auch etwas dafür tun, für unsere Sprache werben und die Vorteile der Mehrsprachigkeit in einem vereinten Europa betonen.
Zwischen dem Freistaat Bayern und dem Goethe-Institut besteht seit Februar 2010 eine Kooperationsvereinbarung. Welche Erfahrungen hat das Goethe-Institut bei dieser Zusammenarbeit bis jetzt gemacht?
Die Zentrale des Goethe-Instituts liegt in München. Wir hoffen natürlich, dass sowohl die Stadt als auch die Landesregierung zu schätzen wissen, dass die Organisation, die das kulturelle Gesicht der Bundesrepublik im Ausland wesentlich mitgestaltet, in Bayern angesiedelt ist. Eine eigene Straßenbahnhaltestelle „Goethe-Institut“ haben wir vor einigen Jahren in München bereits erhalten. Im letzten Jahr ehrte Oberbürgermeister Christian Ude das Goethe-Institut anlässlich dessen 60. Geburtstages damit, dass er seinen Kulturempfang in unser Gebäude verlegte. Das empfand ich als eine schöne Geste. Neben Bayern haben wir auch mit einigen anderen Bundesländern Kooperationsvereinbarungen, beispielsweise mit Nordrhein-Westfalen, Berlin und Sachsen. Wir sehen hier gute Möglichkeiten, die Bundesländer bei der Pflege und dem Aufbau ihrer kulturellen Außenbeziehungen zu unterstützen – auch durch gemeinsame Projekte, die durch unsere Kooperationsvereinbarung begünstigt werden. In Bayern konnten zum Beispiel über den Austausch mit dem Bayerischen Kultusministerium Partnerschaften von Schulen der weltweiten Partnerschulinitiative mit Schulen in Bayern aufgebaut werden und Deutschlehrer aus dem Ausland hatten die Möglichkeit, an bayerischen Schulen zu hospitieren. Das Goethe-Institut ist außerdem sehr interessiert an einer Zusammenarbeit mit bayerischen Krankenhäusern im Kontext der sprachlichen Weiterbildung internationaler Ärzte und Pfleger. Besonders freuen wir uns, dass das Goethe-Institut in München so erfolgreich arbeitet: Rund 5000 Menschen aus 150 Ländern sind jährlich hier bei uns zu Gast.
Herr Generalsekretär, wir danken Ihnen für das Gespräch.
In seiner Rede zum Festakt des 50jährigen Jubiläums des Goethe-Instituts in Paris, der in Anwesenheit des Bundesministers Guido Westerwelle begangen wurde, sprach der Generalsekretär über die Bedeutung der Institution für die deutsch-französische Partnerschaft und zukünftige Aufgaben, besonders im Hinblick auf Europa.
Sehr geehrter Herr Dr. Westerwelle,
sehr geehrter Herr Lang,
liebe Frau Krüger-Leißner,
sehr geehrter Herr Botschafter Schäfers,
lieber Herr Franke
lieber Herr Umlauf
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freunde,
„Histoires Croisées“ – so ist der Titel eines Projekts, das die Goethe-Institute in Frankreich und das Institut Français in Vorbereitung des 50jährigen Jubiläums der Elysée-Verträge in diesem Jahr beginnen. „Histoires Croisées“ stellt 50 deutsch-französische Paare vor, wie sie sich kennengelernt haben, wie ihre persönliche Geschichte verläuft, warum sie sich mögen.
Mein französischer Freund heißt Michel und lebt in Nizza. Wir haben uns vor 36 Jahren als 13jährige beim Schüleraustausch kennengelernt. Wir haben gemeinsam unsere Pubertät durchlebt, reisten gemeinsam durch Europa und hatten zur gleichen Zeit lange Haare, die wir dann irgendwann zur gleichen Zeit wieder abgeschnitten haben. Ich war sein Trauzeuge, er hat uns vor zwei Jahren das letzte Mal in Deutschland besucht. Irgendwann, als er noch lebte, sagte mein Großvater, der 1905 geboren ist, zu mir: „Wir sind erzogen worden in dem Glauben, dass die Franzosen unsere „Erbfeinde“ seien. Heute bin ich so glücklich über eure Freundschaft.“
Diese kleine Geschichte macht deutlich, warum es für mich heute von überaus großer, auch persönlicher Bedeutung und Freude ist, hier anlässlich des 50jährigen Jubiläums einer anderen großartigen „histoire croisée“ zu Ihnen zu sprechen, zum 50jährigen Jubiläum des Goethe-Instituts Paris.
Das Goethe-Institut Paris ist eine Institution, die Partnerschaften und Freundschaften zwischen Frankreich und Deutschland stiftet. Ein halbes Jahrhundert lang regte das Goethe-Institut Begegnungen an zwischen Kulturinstitutionen, zwischen Intellektuellen, Künstlern, Schriftstellern, Musikern, Film- und Theaterregisseuren, aber nicht zu vergessen auch zwischen Lehrern und vor allem Schülern unserer beider Länder. Gerade sie werden unsere deutsch-französische, unsere europäische Zukunft gestalten.
Bei zwei großen europäischen Kulturnationen wie der französischen und der deutschen spielen der kulturelle Austausch und der intellektuelle Diskurs eine herausragende Rolle. Dort finden wir die Freiräume für eine echte und nachhaltige Verständigung. Über Debatten, Diskussionen und auch das Lernen der jeweils anderen Sprache stiften wir das Interesse füreinander und mit Musik, bildender Kunst oder zeitgenössischem Tanz wecken wir die Begeisterung und die Emotion gerade auch junger Menschen für die deutsch-französische Partnerschaft.
In diesem Sinne war das Goethe-Institut in Paris von Anfang an ein Mittelpunkt des deutsch-französischen intellektuellen und künstlerischen Austausches. Die großen Gestalten der Versöhnung wie Joseph Rovan oder Alfred Grosser gingen und gehen hier ein und aus.
Zahlreiche Kontakte zwischen herausragenden Kulturvertretern neuerer jüngerer Generationen wurden über die 50 Jahre vom Goethe-Institut geknüpft. Im Film bestand großes gegenseitiges Interesse: für die Nouvelle Vague auf der einen, für den deutschen Autorenfilm mit Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und natürlich Wim Wenders auf der anderen Seite. Hier arbeitet das Goethe-Institut seit langem mit den großen französischen Institutionen wie der Cinémathèque und dem Centre Pompidou zusammen.
Das Interesse an deutschem Tanz und Theater in Frankreich ist überwältigend. Pina Bausch ist in Paris berühmt geworden. Frank Castorf, René Pollesch oder Thomas Ostermeier gastieren und produzieren mit den Theatern – überall ist das Goethe-Institut willkommener Partner. Wie übrigens auch bei den großen jüdischen Institutionen wie dem Mémorial de la Shoah – hier hat sich das Goethe-Institut immer sehr stark engagiert.
Über eine Million junge Französinnen und Franzosen lernen die deutsche Sprache und wir möchten den zuständigen Ministerien, mit denen wir Seminare und Fortbildungen organisieren, dafür danken. Für eine gesunde und erfolgreiche Nachbarschaft sind gerade gegenseitige Sprachkenntnisse von besonderer Bedeutung.
Es gibt noch viele Beispiele, wie das Goethe-Institut Paris in den letzten 50 Jahren dazu beigetragen hat, dass zwischen Frankreich und Deutschland echte Partnerschaft und Freundschaft entstehen – eine tragfähige und tiefe Beziehung, die in unseren gemeinsamen Werten begründet liegt und die deshalb auch kaum zu erschüttern ist.
Wenn wir in die Zukunft schauen, so wird die Aufgabe des Goethe-Instituts, aber auch aller anderen nationalen Kulturinstitute noch wichtiger werden. Und diese Aufgabe heißt auch Europa. Gerade in den letzten beiden Tagen beim Treffen des Netzwerks der nationalen europäischen Kulturinstitute EUNIC, das in Paris stattgefunden hat, haben wir intensiv über die Herausforderung, die Europa uns stellt, diskutiert. Denn in Europa geht es – auch wenn in diesen Tagen naturgemäß von wenig anderem die Rede ist - nicht nur um die Wirtschaft. Europa ist ein kulturelles Projekt gemeinsamer Werte, ein langfristiges Projekt, in dem wir Vertrauen schaffen müssen und Begeisterung. Denn ohne diese emotionale und kulturelle Grundlage ist das gemeinsame Europa gefährdet.
Gerade die deutsch-französischen Beziehungen zeigen, dass es möglich ist, dieses Vertrauen zu schaffen, aus „Erbfeinden“, wie es mein Großvater genannt hat, Partner und Freunde zu machen. Das Goethe-Institut Paris ist ein wichtiger und erfolgreicher Leuchtturm in diesem historischen Prozess. Dass unsere Arbeit hier in den letzten 50 Jahren so erfolgreich war, ist das große Verdienst vieler Menschen. Und so danke ich allen unseren französischen und deutschen Partnern aus Kultur, Bildung, Politik und Wissenschaft. Der Erfolg des Goethe-Instituts gründet auf Ihrem Vertrauen, Ihren Ideen und Ihrer Unterstützung. Herzlichen Dank dafür. Stellvertretend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der letzten 50 Jahre danke ich Herrn Umlauf und seinem Pariser Team ganz herzlich für ihr Engagement und ihren Einsatz für das Goethe-Institut Paris und die deutsch-französischen Kulturbeziehungen.
Nach den vergangenen 50 Jahren erfolgreichen Kulturaustausches zwischen Deutschland und Frankreich müssen wir jetzt unsere ganze Kraft dafür aufwenden, unsere gemeinsamen histoires croisées fortzuschreiben und gemeinsam Lösungen für Europa zu finden. Denn wir brauchen viele europäische Geschichten wie die histoire croisée zwischen mir und meinem Freund Michel: Ihn werde ich im Sommer mit meiner Frau und meinen drei Kindern in Südfrankreich besuchen.
Vielen Dank.
Das Goethe-Institut ist das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland und derzeit in 149 Instituten und 11 Verbindungsbüros in 93 Ländern aktiv. Es fördert die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland, pflegt die internationale kulturelle Zusammenarbeit und vermittelt ein umfassendes Deutschlandbild. Mit welchen konkreten Projekten und persönlichem Engagement er das erreichen möchte, schildert Johannes Ebert, der Generalsekretär des Goethe-Instituts, im Gespräch mit Dirk Besserer.
Herr Ebert, seit dem 1. März dieses Jahres sind Sie Generalsekretär des Goethe-Instituts. Vorher haben Sie fünf Jahre lang das Goethe-Institut Moskau und die Region Osteuropa/Zentralasien geleitet. Wie ordnen Sie die Bedeutung Moskaus im Kosmos des Goethe-Instituts ein?
Russland hatte und hat einen hohen Stellenwert für den Kulturaustausch. Das lässt sich auch an der Konzeption zur auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik des Auswärtigen Amtes ablesen, die im letzten Herbst vorgestellt wurde. Dabei wird Osteuropa weiterhin einen Schwerpunkt der auswärtigen Kulturpolitik bilden. Allein aufgrund der historischen Bindung ist Russland sehr wichtig für Deutschland – und umgekehrt. Zentral für unsere Arbeit ist: In Russland gibt es 2,3 Millionen Deutschlernende.
Welche Erfahrungen bringen Sie aus Ihrer langjährigen Tätigkeit an den Goethe-Instituten im Ausland in Ihre Arbeit als Generalsekretär in der Zentrale ein?
Ich bin für das Goethe-Institut in Kiew, Kairo und Moskau gewesen und habe da natürlich vor dem jeweils kulturellen Hintergrund viele unterschiedliche Erfahrungen gesammelt, die ich mit einbringe. Mit 120 festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist Moskau das weltweit größte Goethe-Institut. Persönlich habe ich dort in erster Linie gelernt, wie man eine große Organisation steuert und so Führungserfahrung gesammelt. Generell lässt sich natürlich sagen, dass ich aufgrund der Kenntnis und Zusammenarbeit mit vielen Sprachlernzentren, Partnerschaften und unterschiedlichen Netzwerken genau dieses mit einbringen kann: Netzwerke und Kommunikationserfahrung sind hier die Stichworte.
Ist das Erlernen der deutschen Sprache ein Anachronismus für Russen? Wo steht Deutsch im Kontext zur englischen Sprache?
Sowohl aus persönlicher Sicht als auch Kraft meines Amtes kann ich sagen: Nein, Deutsch zu lernen ist kein Anachronismus.
Ich bin überzeugt, dass es zur Bildung eines Menschen dazugehört, mehrere Fremdsprachen zu sprechen. So erziehe ich auch meine eigenen Kinder. Fremdsprachen tragen dazu bei, dass man die eigene Persönlichkeit öffnet und dass man einen Zugang zu anderen Kulturen bekommt..
Als Generalsekretär des Goethe-Instituts kann ich dazu sagen, dass es aufgrund der Verbreitung der deutschen Sprache in der Welt handfeste Gründe gibt, neben Englisch auch Deutsch zu lernen: Mehr als 6.000 deutsche Unternehmen haben ihren Sitz in Russland. Mehr als 14.000 Russen studieren in Deutschland. Deutschland ist attraktiv als Wirtschafts-, Wissenschafts- und Bildungsstandort. Die deutsche Sprache spielt eine tragende Rolle als Qualifikation im persönlichen Bildungsprofil..
Es wäre vermessen zu bezweifeln, dass Englisch die Sprache Nummer 1 weltweit ist: Englisch ist ein Muss – Deutsch ist ein Plus. Die interne Sprache beispielsweise der DAX-Unternehmen ist Englisch; aber bereits in großen deutschen mittelständischen Firmen, nicht selten Weltmarktführer für ihre Produkte, ist Deutsch die Unternehmenssprache. Deutsch ist ein Muss, wenn man es ernst meint, die russisch-deutschen Wirtschafts-, Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen weiterführen zu wollen.
Sind Sie aus Sicht des Goethe-Instituts zufrieden mit der derzeitigen auswärtigen Kulturpolitik der BRD?
Seit der Nachkriegszeit wird die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland von unabhängigen, so genannten Mittlerorganisationen durchgeführt. Die größte von ihnen ist das Goethe-Institut. Die Basis für die Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt bilden ein Rahmenvertrags und gemeinsam vereinbarte Zielkorridore. Diese Arbeitsteilung zwischen der Diplomatie und den Kulturmittlern hat sich hervorragend bewährt. Deutschland hat sich aufgrund seiner historischen Erfahrungen für dieses Prinzip entschieden und dadurch weltweit Vertrauen und Glaubwürdigkeit gewonnen.
Das Deutschlandjahr in Russland 2012/2013 wird gemeinsam vom Goethe-Institut, dem Auswärtigen Amt und dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft organisiert. Was ist der konkrete Beitrag Ihres Instituts zu diesem Projekt?
Einerseits obliegt dem Goethe-Institut die Leitung des Gesamtprojekts und es hat somit strak koordinierende Funktion. Andererseits haben wir auch unsere eigenen Kulturmittler-Projekte..
Das Goethe-Institut ist für die Haupt- und Kulturprojekte zuständig. Da sind durchaus gesellschaftskritische und politische aktuelle Projekte dabei, die beide Länder stark beschäftigen. Hier lautet die Frage: „Welche Entscheidungen müssen wir heute treffen, um die gesellschaftliche Zukunft richtig zu gestalten?“.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Projekte, die bisherige langjährige erfolgreiche Kooperationen fortsetzen, Netzwerke, die auf langjähriger vertrauensvoller Zusammenarbeit basieren und hier betont werden. Denn darum geht es ja auch in so einem Deutschlandjahr: Nicht nur neue Projekte aus der Taufe zu heben, sondern auch bestehende feste Beziehungen weiter zu intensivieren. Für den konkreten Fall sind das etwa das Festival für neues europäisches Theater „NET“, das Tanzfestival „TSEKH“ sowie die Kooperationen mit dem Zentrum für Zeitgenössische Kunst oder mit dem Museum für Moderne Kunst, in dem wir eine große Werkschau von Joseph Beuys zeigen.
Welche Erklärung haben Sie dafür, dass deutschen Unternehmen das Projekt nicht mehr als 1,5 Mio. Euro an Sponsoring wert ist?
Verglichen mit dem, was die deutsche Wirtschaft bei den Deutschlandjahren in China und in Indien aufgebracht hat, ist das ein wirklich kleiner Betrag, den letztendlich nur fünf Unternehmen gestiftet haben – bei mehr als 6.000 in Russland tätigen Unternehmen …
Einerseits sind die Projekte in Indien und China nicht unbedingt vergleichbar, da sie einen anderen zeitlichen und organisatorischen Rahmen hatten. Darüber hinaus glaube ich, dass es auch in Russland mehr Sponsoren gegeben hätte, hätte dieses Projekt noch in den 90er Jahren stattgefunden. Aber nun, da die deutsche Wirtschaft nicht nur in Moskau, sondern auch in den russischen Regionen fest etabliert ist, fließen sozusagen standardmäßig Gelder und das Geschäft bedarf nicht unbedingt mehr einer finanziellen Förderung durch solche Zusatzprojekte. Zwar wurde die kritische Masse für einen gemeinsamen Großauftritt nicht erreicht, das Interesse einiger Konzerne am Deutschlandjahr und den Projekten des Goethe-Instituts ist aber bemerkenswert.
In seinem SPIEGEL-Beitrag hat Matthias Schepp kürzlich das Bild einer „Neuen Eiszeit“ in den deutsch-russischen diplomatischen Beziehungen skizziert: Brauchen wir wirklich ein Deutschlandjahr, wenn sich die poltische Elite beider Länder in diesem Jahr offensiv zurückhält?
Politisch kann ich das nicht bewerten. Wenn es aber so ist, wie Herr Schepp es heraufbeschwört und die politischen Beziehungen sich abkühlen, dann ist ein Deutschlandjahr doch umso wichtiger! Unser Ansinnen ist es doch, junge Menschen und die Zivilgesellschaften, die also, die über die gemeinsame Zukunft bestimmen, zusammenzubringen – in guten wie in schlechten Zeiten.
In einem Artikel in der Zeitung des Deutschen Kulturrates mit dem Themenschwerpunkt 50 Jahre Deutsch-Französische Freundschaft schreibt Johannes Ebert über die Bedeutung der Arbeit des Goethe-Instituts in Frankreich.
Juli 2012. Fast zur gleichen Zeit, als Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault im französischen Parlament seine Regierungserklärung abgibt, hält unweit davon Bundesaußenminister Guido Westerwelle eine Rede zum 50-jährigen Jubiläum des Goethe-Instituts Paris. Das politische Projekt Europa wird nur gelingen, wenn wir es viel starker als bisher auch als kulturelle Gestaltungsaufgabe begreifen, sagt der deutsche Außenminister. Bewegend erzählt er von seinen ersten persönlichen Begegnungen mit Franzosen als Jugendlicher. Auch Premier Ayraults Beziehung zu Deutschland geht tief: Er studierte Germanistik unter anderem in Würzburg und arbeitete vor seiner Wahl zum Abgeordneten als Deutschlehrer.
Der Elysée-Vertrag, der vor fast 50 Jahren unterzeichnet wurde, schuf den Rahmen für die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich, die in vielen Bereichen zum Motor der europäischen Integration wurde. Die entscheidende Grundlage für eine echte Aussöhnung bildeten die zahlreichen persönlichen Beziehungen und Berührungspunkte, für die Ayrault und Westerwelle symbolhaft stehen: Jugendliche in Austauschprogrammen, Städtepartnerschaften, Kulturbegegnungen, französische Schülerinnen und Schüler, die Deutsch lernen, und deutsche Schülerinnen und Schüler, die über die französische Sprache den ersten Kontakt mit dem Nachbarn bekommen.
Auf der Grundlage solcher Begegnungen ist in den vergangenen 50 Jahren ein einzigartiges Beziehungs-Netzwerk entstanden, an dessen Entstehung die Goethe-Institute in Frankreich und die französischen Kulturinstitute in Deutschland einen wesentlichen Anteil haben. Die Goethe-Institute in Paris, Nancy, Lyon, Toulouse, Bordeaux und Lille, die ein großes Netz an deutsch-französischen Kulturgesellschaften betreuen, informieren über Deutschland, öffnen den Zugang zur deutschen Kultur und fördern das Erlernen der deutschen Sprache an Schulen und Universitäten.
In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sahen sich die Goethe-Institute angesichts der weltpolitischen Umwälzungen in Osteuropa und Asien neuen Herausforderungen gegenüber. In Mittelosteuropa und der ehemaligen Sowjetunion galt es, eine historische Chance zu ergreifen und ein beispielloses Interesse an Deutschland, an deutscher Kultur und Sprache zu befriedigen. Viele hielten damals vor diesem Hintergrund die EU-Nachbarschaften – etwa zwischen Deutschland und Frankreich – für so gefestigt, dass sie glaubten, die Arbeit nationaler Kulturinstitute in diesen Ländern könne zugunsten der neuen Aufgaben reduziert werden.
Heute, vor dem Hintergrund einer Krise, die die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttert, sind solche Überlegungen kaum denkbar. Auch wenn die ökonomische Situation die Medienberichte dominiert, dürfen wir nicht vergessen, dass Europa ein kulturelles Projekt gesellschaftlicher Werte ist. Und auch wenn das Thema, die Strukturkosten zu senken, angesichts sinkender nationaler Haushalte auch die Kulturinstitute nicht loslassen wird, so geht es heute nicht darum, eingesparte Ressourcen in andere Weltgegenden zu verlagern, sondern Freiräume zu gewinnen für die Arbeit in Europa: Es geht darum, den Austausch zwischen den Ländern der europäischen Union zu fördern und nachhaltige Prozesse des gegenseitigen Verstehens zu intensivieren, die tiefer gehen als kurzfristige politische Differenzen. Es geht darum, ein europäisches Bürgerbewusstsein zu verstärken, das nationale Identitäten berücksichtigt, aber doch ermöglicht, dass sich der Einzelne als Europäer fühlt und handelt. Und hierbei können Frankreich und Deutschland, die Goethe-Institute und die französischen Kulturinstitute mit ihren Netzwerken und ihrer großen Erfahrung im interkulturellen Austausch gemeinsam Zahlreiches bewirken.
Herausforderungen gibt es viele: Gute Nachbarschaft ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss dauerhaft und aktiv gepflegt werden. Das gilt gerade auch für die nachwachsenden Generationen, für die der Abschluss des Elysée-Vertrags wenig mehr ist als ein fernes historisches Ereignis. Dabei spielt die Sprache – die deutsche wie die französische – eine Schlüsselrolle. Diesen Türöffner durch modernen Sprachunterricht, Qualifizierungsangebote für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer und Beratung von Bildungsinstitutionen zur Verfügung zu stellen und Freude an der Sprache des Anderen zu wecken, sieht das Goethe-Institut als eine zentrale Aufgabe. Informationsangebote, die das Verständnis für den Anderen fördern, und kulturelle Programme gerade auch für junge Menschen, die Vertrauen und Empathie erzeugen, bleiben in den bilateralen Kulturbeziehungen weiter wichtig.
Europa heißt das große kulturelle Projekt, das unseren Einsatz heute mehr denn je erfordert. Die deutschen und französischen Kulturinstitute arbeiten hier eng zusammen. In einem Abkommen haben sich Institut français und Goethe-Institut einer engeren Zusammenarbeit verpflichtet. So führen die sieben Goethe-Institute und zehn deutsch-französischen Kulturgesellschaften in Frankreich sowie die elf Instituts français in Deutschland gemeinsame Projekte durch. Aber auch international realisieren Deutsche und Franzosen gemeinsame Kulturprogramme und demonstrieren eindrucksvoll, wie aus ehemaligen Erbfeinden befreundete Nachbarn werden können. Der Wille zur Zusammenarbeit beschränkt sich jedoch nicht nur auf bilaterale Kooperation. Goethe-Institut und Institut français sind wichtige Akteure von EUNIC, dem Netzwerk der nationalen europäischen Kulturinstitute. Gemeinsame Programme rund um den Globus verdeutlichen den hohen praktischen und ideellen Mehrwert europäischer Zusammenarbeit. Diese zu intensivieren, auch indem wir neue Programmformate initiieren und aktuelle europäische Fragestellungen in den Mittelpunkt rücken, ist eine der Zukunftsaufgaben deutsch-französischer Kultur-Kooperation.
Das Goethe-Institut versteht sich als ein Akteur kultureller Verständigung in seinem Heimatkontinent, gerade auch in Zeiten wachsender Europa-Skepsis. Dieser Ansatz verlangt nach mehr Kultur in Europas Außenbeziehungen, d.h. nach einer kulturellen Diplomatie neuen Stils, mit der sich Europa außerhalb seiner Grenzen in den internationalen Dialog einbringt.
Sehr geehrte Frau Ebadi,
Sehr geehrter Dr. Herr Henning Schulte-Noelle,
sehr geehrter Herr Vimont,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
MORE EUROPE!
Es ist genau zwei Wochen her, dass sich die Leiter der europäischen Regionen und der Vorstand des Goethe-Instituts in Warschau getroffen haben, um über Europa zu diskutieren. Krise, neuer Nationalismus, aber auch Mobilität als Chance, Europa als kulturelles und gesellschaftliches Projekt mit Zukunft und die Kooperation der europäischen Kulturinstitute waren Schlagworte der Diskussion.
Diese Treffen zu Europa haben im Goethe-Institut Tradition. Denn das Goethe-Institut ist nicht nur ein nationales Kulturinstitut, sondern wir verstehen uns auch als europäische Institution. Multilaterales Arbeiten im europäischen Partnerkreis und das Thema Europa sind grundlegend für das Goethe-Institut.
Auch in Zukunft wird das Goethe-Institut mehr und mehr auf die Zusammenarbeit im europäischen Kontext angewisen sein. Deutschland und seine Kultur werden als Teil Europas wahrgenommen, und das Goethe-Institut übernimmt zusammen mit seinen Partnern auch und zunehmend europäische Aufgaben – auch auf Basis der Finanzierung durch die Europäische Union.
Wir wollen, gerade auch wenn es um die kulturelle Vertretung Europas außerhalb Europas geht, unsere Erfahrung und Expertise einbringen – genauso wie wir in diesem Kontext lernen wollen. Hierzu haben wir als strategische Perspektive die Zusammenarbeit in unserem EUNIC-Netzwerk. EUNIC steht für European Union National Institutes for Culture und ist der Zusammenschluss der nationalen Kulturinstitute der EU. Hier hat sich das Goethe-Institut von Anfang an stark engagiert.
Wir wissen, dass die Kultur nicht im Zentrum der EU-Kompetenz angesiedelt ist. Dennoch glauben wir, dass es höchste Zeit ist, mit den europäischen Institutionen, vor allem auch mit dem neuen Auswärtigen Dienst der Europäischen Union über Kultur zu reden. Dies ist die Kernaufgabe, die sich die Initiative „More Europe“ gestellt hat.
Wir hören mit Freude, dass diese Initiative auf positives Echo im Europäischen Auswärtigen Dienst gestoßen ist, wie die Gegenwart seines Generalsekretärs Pierre Vimont heute Abend beweist.
Wir brauchen die Kultur in der europäischen Diplomatie, aber wir brauchen sie nicht im diplomatischen Gewand. Kultur braucht Freiraum, um zu wirken. Sie braucht Begegnungen auf Augenhöhe und die Möglichkeit, sich kreativ zu entfalten. In diesem Sinne steht das Goethe-Institut bereit für eine Vertretung Europas im globalisierten Dialog der Kulturen. Hierfür wünschen wir uns Aufmerksamkeit und Partnerschaft mit allen Institutionen der Europäischen Union.
Unsere Initiative „More Europe“ möchte in Politik und Öffentlichkeit Bewusstsein schaffen für die großartigen Chancen einer europäischen kulturellen Diplomatie im Geiste des gemeinsamen Lernens und der fairen Partnerschaft. Es ist klar, und wir werden dies mit all unserer Kraft unterstützen, dass ein wichtiger Träger dieses Prozesses in Zukunft das EUNIC-Netzwerk der unabhängigen europäischen Kulturinstitute sein wird.
Thema des heutigen Abends sind die Menschenrechte, ein Thema mit einer bedeutenden europäischen Dimension. Europa hatte bei der Formulierung des heutigen Bestandes der Menschenrechte einen bedeutenden Anteil und steht deshalb bei seinem Auftritt in der Welt unter besonders kritischer Beobachtung. Menschenrechte sind qua Definition universell: Wer sie postuliert, muss sie auch einhalten. Doppelte Standards dürfen nicht gelten. Über diesen Zusammenhang wird uns sicherlich auch der Vortrag unseres großartigen Gastes Shirin Ebadi aufklären.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Gästen des heutigen Abends, für ihre Bereitschaft dabei zu sein. Ebenso bedanke ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen, die die Initiative „More Europe“ ins Leben gerufen haben und weitertragen.
Vielen Dank!
Europa in der Krise, die Arabische Welt im Umbruch: Was heißt das für die Kulturarbeit im Ausland? Und wie sieht eine moderne Außenkulturpolitik aus? Ein Gespräch mit dem Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert.
Noch vor Kurzem wurden in Europa Goethe-Institute geschlossen, Völkerverständigung mit den Nachbarn erschien überflüssig. Jetzt, in der Euro-Krise, ist die Stimmung zwischen den Staaten alles andere als gut. Wie reagiert das Goethe-Institut auf diese Situation?
Es gab wirklich eine Zeit, in der es hieß: Innerhalb der EU läuft die Verständigung gut, man kann sich also auf andere Weltgegenden konzentrieren. Alle, die das dachten, müssen jetzt umdenken. Das, was wir heute in Europa erleben, stellt hohe Anforderungen, auch an die Kulturinstitute. In den Medien geht es meist nur um die wirtschaftlichen Aspekte – was ich verstehe, weil die ökonomische Entwicklung in Europa wirklich sehr bedrohlich ist. Aber es wäre gefährlich, zu vergessen, dass Europa auch ein Ort der Kultur und der gemeinsamen Werte ist. Das Goethe-Institut ist ein deutsches, also ein nationales Kulturinstitut. Wir sind aber auch ein europäisches Kulturinstitut. Es geht darum, für Deutschland, aber auch für Europa kulturpolitisch einzustehen. Jetzt in der Krise gibt es eine größere Wahrnehmung für Deutschland. Wir spielen eine besondere Rolle in der Politik. Einerseits hat man Verständnis für das, was Deutschland fordert und macht. Es kommen aber auch alte Klischees wieder hoch. Die Krise bringt Dinge ans Tageslicht, die bekannt waren, aber jetzt noch mal richtig deutlich werden, etwa die Frage: Wie weit ist der europäische Integrationsprozess fortgeschritten?
Die europäischen Staaten überlegen sich derzeit sehr genau, was für sie selbst am wichtigsten ist und was gemeinsam geht. Sehen Sie ein Bemühen der europäischen Kulturinstitute, gerade jetzt an einem Strang zu ziehen?
Die Kulturinstitute vertreten natürlich nationale Interessen, viele Institute sind ja auch sehr eng an ihre Regierungen gebunden. Aber ich denke, dass ein Bewusstsein da ist, dass wir zusammenarbeiten müssen. Ob British Council, Institut Français, Goethe-Institut oder Instituto Cervantes: Wir müssen uns jetzt gemeinsam für Europa starkmachen. EUNIC, der Zusammenschluss der europäischen Kulturinstitute, versucht, wirklich europäisch zu arbeiten. Aber es gibt natürlich Diskussionen darüber, wie man das macht. Das finde ich aber auch sehr spannend und bereichernd. Mein Wunsch wäre, dass EUNIC künftig als unabhängige Institution aus nationalen Instituten, aber als kultureller Partner der EU arbeitet.
Es gibt ein Papier der Europäischen Kommission, das heißt: "Kreatives Europa – ein neues Rahmenprogramm für Kultur und Kreativforen". Es ist voll von Begriffen wie: mangelnde Investorenbereitschaft, unterkapitalisierte Unternehmen, Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfungsketten. Findet auf politischer Ebene gerade ein Paradigmenwechsel statt, was unter Kultur verstanden wird? Müssen sich Kulturprojekte durch wirtschaftliche Leis¬tung legitimieren?
Ich kann nicht beurteilen, ob das ein Paradigmenwechsel ist, aber es besteht die Gefahr, Kultur auf einen Wirtschaftssektor zu reduzieren. Kultur ist aber viel mehr als ein Wirtschaftssektor. Kultur ist das, womit wir unsere Identität, unser Leben verhandeln, eine Grundlage. Im Moment liegt es nahe zu sagen: Wir müssen die Kreativwirtschaft fördern, um wirtschaftlich voranzukommen. Ich habe nichts dagegen, die Kreativwirtschaft zu fördern. Was mich stört, ist die Abwendung vom Begriff des Bürgers. Wenn wir eine europäische Identität, ein europäisches Bürgerbewusstsein kreieren wollen, brauchen wir einen freien Kulturbetrieb. Und wir brauchen unabhängige Institutionen, die öffentlich gefördert werden. Wir brauchen auch die kleinen Spieler und die Vielfalt. Wenn das auf dem Spiel stünde – wie die Begriffe in dem Papier andeuten –, hielte ich das für gefährlich und in der jetzigen Krise für noch gefährlicher. Kulturprojekte wirken langfristig. Da können Sie nicht am Ende des Jahres einen Budgetabschluss machen und sagen: So viel hat es gebracht. Wir müssen der Kraft der Kultur vertrauen.
Gehört die sogenannte Kreativwirtschaft, also Menschen und Unternehmen, die von schöpferischer Arbeit leben, für Sie eher zum Bereich Wirtschaft oder zur Kultur?
Schwierige Frage. Ich glaube, die Kreativwirtschaft liegt dazwischen. Es gibt viele Berührungspunkte in der Filmwirtschaft oder in der Literatur. Übersetzungsförderungsprogramme helfen etwa dabei, deutsche Literatur in fremde Sprachen zu übertragen und somit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das ist einerseits Kulturpolitik, aber gleichzeitig auch die Förderung eines Verlags. Ich würde gar nicht so eine scharfe Trennung machen und sagen: Das ist nur Kultur und das ist nur Kreativwirtschaft. Aber Kultur ist breiter und umfasst viel mehr.
Vor Kurzem wurde das Manifest "Wir sind Europa" veröffentlicht und von vielen Künstlern, Intellektuellen und Normalbürgern unterschrieben. Es geht darin um das kulturelle Selbstverständnis Europas und darum, das Kennenlernen von Menschen über Grenzen hinweg stärker zu fördern. Haben die europäischen Kulturinstitute solche Begegnungen bisher nicht umfassend genug organisiert?
Ich glaube nicht, dass wir zu wenig getan haben. Ich war gerade bei der 50-Jahr-Feier des Goethe-Instituts Paris und war wirklich beeindruckt, wie viele Kontakte es dort gibt und wie tief wir sowohl in die Bildungs- als auch in die Kulturlandschaft hineinreichen. Wenn man etwas Neues fordert, sollte man nicht vergessen, was sich bewährt hat.
Das Interessante an diesem Aufruf ist doch, dass es offenbar bei vielen Menschen ein starkes Bedürfnis gibt zu sagen: Das, was auf politischer Ebene geschieht, wie die Politik gerade versucht, die Wirtschaftsbeziehungen zu retten, ist das eine. Wir stellen uns aber unter Europa noch etwas ganz anderes vor.
Das entspricht doch genau dem, was wir auch sagen. Wir glauben, dass Austausch und Begegnungen sehr wichtig sind. Wir organisieren ja nicht die Wirtschaftsbeziehungen und sind auch keine staatliche Institution, sondern ein unabhängiger Kulturmittler. Die Organisation von Begegnungen von Kulturschaffenden, Schülern oder Lehrern – das ist unser tägliches Geschäft. Wir bewegen uns innerhalb gewisser Rahmenbedingungen der Außenkulturpolitik. Aber natürlich müssen wir überlegen, und das tun wir auch, welche neuen Instrumente wir schaffen. Durch die unterschiedlichen Stärken der europäischen Wirtschaften sind zurzeit viele Menschen daran interessiert, in Deutschland zu arbeiten und zu studieren, viel mehr als vorher. Ich finde das gut, weil es ein Ausdruck von Mobilität ist und Mobilität ist die Grundlage der EU. Hierzu können wir als Goethe-Institut über unsere Sprachprogramme viel beitragen. In unserem Institut in Barcelona wollten im vergangenen Jahr 35 Prozent mehr Spanier Deutsch lernen.
Lernt man im Ausland vor allem Deutsch, um hier arbeiten zu können?
Nein, es gibt weiterhin ganz unterschiedliche Gründe. Es gibt Deutschlerner, die Freunde oder Verwandte in Deutschland haben, es gibt Menschen, die einfach gerne Sprachen lernen oder sich für deutsche Kultur interessieren. Aber die Motive Deutsch zu lernen sind heute mehr am Nutzen orientiert als früher, das beobachten wir schon. Der Studien- und Arbeitsstandort Deutschland gewinnt an Gewicht.
Das letzte Strategiepapier des Auswärtigen Amts zur Außenkulturpolitik betont die Idee gemeinsamer europäischer Kulturinstitute. Gleichzeitig ist die Rede von einer stärkeren Vernetzung kultureller Auslandspräsenzen mit den Botschaften. Ist das im Interesse des Goethe-Instituts?
Kultur und Politik sind unterschiedliche Felder, die beide professionell bearbeitet werden müssen. Die Arbeitsteilung zwischen der Diplomatie und den Kulturmittlern hat sich hervorragend bewährt. Wir glauben an den Erfolg von Mittlerorganisationen, die durch vertragliche Konstruktionen zwar mit dem Staat verbunden sind, aber ihre Kulturprogramme unabhängig gestalten. Deutschland hat sich aufgrund seiner historischen Erfahrungen für dieses Prinzip entschieden und dadurch weltweit Vertrauen und Glaubwürdigkeit gewonnen. Ich halte es für wichtig, dieses Prinzip ebenfalls in Europa anzuwenden. Ein Vorteil dabei ist, dass es Menschen gibt, die nichts anderes tun, als sich professionell mit Bildung und Kultur auseinanderzusetzen. Das halte ich für elementar, weil Kulturaustausch etwas anderes ist als klassische Diplomatie. Ein anderer Vorteil ist, dass man in der Kulturszene vor Ort als jemand gilt, für den Kultur und Bildung im Mittelpunkt stehen und nicht eine auf Repräsentation ausgerichtete politische Agenda. Wenn man Kultur zu sehr instrumentalisiert und anderen Zielen unterordnet, nimmt man ihr ihre tiefe Kraft. Das Ziel der Kulturarbeit im Ausland ist es, Beziehungen zu anderen Ländern und Menschen nachhaltig zu gestalten.
Gleichzeitig steht Außenkulturpolitik immer in einem Spannungsfeld zwischen Kultur, die frei sein will, und Politik, die steuert.
Das stimmt, man steht immer in diesem Spannungsfeld. Das ist unsere tägliche Arbeit. Die Frage ist, wie man da Kurs hält. Ich glaube, man muss sich seine Prinzipien immer wieder verdeutlichen. Und auch in Diskussionen und Veranstaltungen dafür einstehen. Das Wichtigste ist, dass man sich des Spannungsfelds bewusst ist. Manchmal muss man Kompromisse eingehen, aber ich bin überzeugt, dass die Politik den Nutzen dieses Sy¬stems der unabhängigen Kulturmittler schätzen gelernt hat. Das Goethe-Institut arbeitet gut mit den Auslandsvertretungen und dem Auswärtigen Amt zusammen. Und oft ziehen wir in ganz aktuellen politischen Fragen an einem Strang: Wenn wir jetzt überlegen, wo wir neue Auslandsinstitute aufbauen, dann denken wir natürlich an die Arabische Welt oder Myanmar – und zwar sowohl seitens der Politik wie auch von unserer Seite.
Europa ist im Augenblick völlig absorbiert von seiner Krise. Derweil herrscht in Syrien Krieg. Und erst im vergangenen Jahr gab es die Umwälzungen in der Arabischen Welt. Sie haben mehrere Jahre in Kairo gelebt und waren für die Goethe-Institute in der Region zuständig. Müsste es im Augenblick nicht viel mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung für die Transformationsbemühungen der nordafrikanischen Länder geben?
Ich fand sehr beeindruckend, was 2011 passiert ist. Aber es war auch früh abzusehen, dass die liberalen Kräfte nicht über die politischen Strukturen verfügen, die notwendig sind, um einen Staat aufzubauen. Über Strukturen verfügen die Muslimbrüder. Sie sind sehr gut organisiert, die Militärs auch. Es wird eine sehr große Herausforderung für die liberalen Kräfte sein, Strukturen aufzubauen und sich dauerhaft und effektiv im politischen Prozess zu behaupten.
Welche Art von Unterstützung wollen die Ägypter, Tunesier und Libyer jetzt von einem deutschen Kulturinstitut?
An den Revolutionen waren viele Kulturschaffende beteiligt. Jetzt muss sich eine Zivilgesellschaft formieren, die stark ist, sich organisieren kann und demokratische Prozeduren einübt. Theater, Verlagshäuser, Museen, Kinos müssen sich professionalisieren, um die Bevölkerung oder die Studenten weiter anzuziehen und ihnen gute Angebote zu machen. Ich weiß aus meinen Erfahrungen vor Ort, dass Kultur ein Raum ist, in dem viele gesellschaftliche Fragen ausgehandelt werden, bevor es vielleicht im politischen Raum zu einem Konflikt kommt. Man braucht zum Beispiel professionell arbeitende Verleger, um Bücher auf den Markt zu bringen und Informationen zur Verfügung zu stellen. Auch Kulturmanager, die Festivals organisieren können, stärken und beleben den Kulturbetrieb.
Wie unterstützt das Goethe-Institut diese Belebung?
Im Moment laufen drei Programme, etwa für die Leiter und Leiterinnen von Kulturhäusern in Tunesien. Arabische Kulturmanager hospitieren in Kultureinrichtungen in Deutschland. Wir haben auch seit Langem Verlegerfortbildungen, die jetzt noch intensiviert wurden. Was ich auch sehr spannend finde, ist der Aufbau eines Jugendnetzwerkes, um junge Aktivisten und Kulturschaffende zusammenzubringen. Im Rahmen von sogenannten "Learning journeys" reisen arabische Aktivisten an verschiedene Orte in Deutschland und im arabischen Raum. Im Dezember treffen sie sich dann in Istanbul zu einer großen Konferenz, werten ihre Erfahrungen aus und bauen darauf neue Projekte auf. Es gibt den "Documentary Campus", wo wir junge Dokumentarfilmer fördern, und das "Théâtre du demain" in Tunesien, ebenfalls mit Fortbildungen. Oder die "Tahrir-Lounge": Das Goethe-Institut Kairo liegt nur hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt. Wir haben dort einen Raum, wo sich junge Menschen treffen, diskutieren und Veranstaltungen machen. Oder das Projekt „Moderne Schule“, in dem wir Schulverantwortliche mit neuen Unterrichtsmethoden vertraut machen – vor allem im Sozialkundeunterricht, wo ja das Bild einer Gesellschaft mit geformt wird. Dieses neue Konzept soll in Ägypten an zehn Modellschulen eingeführt werden. Das ist ein Versuch, sehr junge Menschen auf eine neue demokratische Gesellschaft vorzubereiten. Eine große Frage ist natürlich, wie man ins Gespräch kommt mit politischen Kräften, die jetzt demokratisch gewählt an der Macht sind, aber vielleicht nicht unseren …
... Demokratievorstellungen entsprechen?
Ja, genau.
Ist denn der Westen umgekehrt bereit für muslimische Demokratien?
Natürlich wird es interessant, wie Regierungen, in denen islamische Parteien die Mehrheit haben, mit der Rolle von Frauen in der Gesellschaft, der Meinungsfreiheit oder auch der Zensur im Kulturbetrieb in Zukunft umgehen. Wir müssen mit den demokratisch gewählten Kräften den Dialog führen, aber auch hier für unsere Wertvorstellungen eintreten.
Dass eine Gesellschaft sich verändert, weil Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln in ihr leben, ist auch in Deutschland ein großes Thema, wie die Sarrazin-Debatte oder die aktuelle Diskussion zur Beschneidung zeigen. Menschen, die im Ausland Kulturprojekte betreuen, kennen sich mit diesen Fragen sehr gut aus. Was kommt von deren Expertise eigentlich zu uns zurück?
Ich halte die Verbindung vom Ausland ins Inland für sehr wichtig. Wir haben ja auch 13 Institute im Inland, die Sprachkurse und Bildungsprogramme anbieten. Der Hauptkulturauftrag für das Goethe-Institut liegt jedoch im Ausland. Ich denke, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, unsere Arbeit nach Deutschland zurückzuspielen, aber das ist nicht unsere Hauptaufgabe.
Sie sind seit einem halben Jahr Generalsekretär – welche Ideen haben Sie für die Zukunft des GoetheInstituts? So für die nächsten zehn Jahre?
Die Globalisierung hat dazu geführt, dass Deutschland in ein enges Geflecht von internationalen Kontakten, Diskursen und Partnern eingebunden ist. Wir haben in diesem Feld langjährige Erfahrungen und Kernkompetenzen: Das sind der Kulturaustausch mit Deutschland, die deutsche Sprache, die Information über Deutschland. Ausgehend von diesen Kernkompetenzen müssen wir für aktuelle Entwicklungen wach sein und neue Felder erschließen. Wir sollten zum Beispiel noch mehr Bildungsangebote machen, wie etwa Fachsprachenkurse für Pflegeberufe oder Fortbildungen für Menschen, die im Bereich Kultur und Bildung arbeiten. Ein weiterer großer Bereich sind das Internet und die digitalen Medien. Wir müssen uns fragen: Welche Möglichkeiten bietet das Internet für den Kulturaustausch? Nicht nur als Informationsinstrument, sondern auch um Feedback zu bekommen, und wechselseitig zu kommunizieren.
Wie stellen Sie sich den Goethe-Mitarbeiter der Zukunft vor? Und wie fördern Sie Ihren Nachwuchs?
Wach, engagiert und offen stelle ich mir den vor. Wir haben zehn Jahre lang keinen Führungskräftenachwuchs einstellen können, aufgrund von Kürzungen. Das heißt wir standen vor der Problematik, dass die 40–50-Jährigen im Goethe-Institut schwach vertreten waren. Das ist für eine Institution schwierig, man braucht eine durchgehende Altersstruktur. Seit acht oder neun Jahren bilden wir wieder selbst Nachwuchs aus.
Wollen Sie Mitarbeiter, die schon lange im Institut arbeiten, oder sind Sie auch offen für Quereinsteiger?
Ich glaube, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im In- und Ausland sehr viel Wissen und interkulturelle Kompetenz aufbauen und sehr motiviert sind. Es gibt seit einigen Jahren auch Möglichkeiten für den Quereinstieg. Wir können es uns jedoch nicht leisten, ein Durchlauferhitzer zu sein. Wir brauchen Menschen, die im Kulturaustausch beheimatet sind und mit jeder Auslandsversetzung neue Fähigkeiten hinzugewinnen.
Nach insgesamt 28-jähriger Tätigkeit, davon über fünf Jahre als Generalsekretär, verabschiedet sich Hans-Georg Knopp vom Goethe-Institut und übergibt sein Amt als Generalsekretär an Johannes Ebert.
Anrede,
Als ich im Spätsommer 2005 als gerade gewählter Generalsekretär des Goethe-Instituts hier stand, habe ich darüber gesprochen, welche Weiterentwicklung und welche Änderungen aus meiner Sicht im Goethe-Institut notwendig wären.
Nach sechs Jahren, zum Abschied, möchte ich nicht darauf zurückblicken, nicht etwa, weil ich befürchten würde, dass sich das meiste nicht verwirklicht hätte oder dass das, was ich damals gesagt habe, so abwegig gewesen wäre. Manches ist gelungen, die Neuordnung des Vorstands in Kaufmännischen Direktor und Generalsekretär, die Reform unter dem Namen goethe 09 mit den Stärken Budgetierung, Zielvereinbarung, Regionalisierung. EUNIC, die Vereinigung der europäischen Kulturinstitute, und anderes zählen dazu. Einiges war unerwartet, wenn auch angestrebt, wie etwa der Wirtschaftsbeirat des Goethe-Instituts. Und vieles bleibt noch zu tun. Darüber, ob und was richtig und gut war, möge das Goethe-Institut und die Zukunft entscheiden. Beständige Erneuerung und Überprüfung bleibt wichtige Führungsaufgabe, die richtigen Entscheidungen von heute müssen möglicherweise morgen revidiert werden.
Heute möchte ich kurz über ein Thema sprechen, das mir persönlich ganz besonders am Herzen liegt, weil ich es für entscheidend halte für das Gelingen eines, wie man sagt, interkulturellen Dialogs.
Ob wir an einem kulturpolitischen Scheideweg im Kulturaustausch stehen, mag vielleicht ein wenig zu hart klingen. Klar aber ist, dass die Zeiten, in denen der damalige Bundespräsident Herzog so wortmächtig über den Dialog auf Augenhöhe zwischen den Kulturen sprach, nicht mehr ganz so günstig sind und eigentlich wenig weiterentwickelt wurde. Seine Rede damals, ich selbst war zu dieser Zeit Intendant im Haus der Kulturen der Welt, könnte noch heute als wegweisend gesehen werden. Gerade weil uns diese Zeit zeigt, wie stark ein solcher Dialog auch in die lebenspraktischen Bezüge der Bürger in Deutschland eingebunden ist.
Wir müssen uns entscheiden, ob wir Kunst und Kultur als bloße Repräsentationen nationaler Identität im Ausland begreifen, oder ob wir Kunst und Kultur verstehen als Annäherungen zwischen Menschen und Kulturen. Die Schwierigkeit ist, dass beides als Kulturaustausch beschrieben werden kann. Und es geht wohl bemerkt um ein kulturpolitisches Verstehen von Kulturaustausch, also um Strategie und Selbstverständnis von Organisationen wie dem Goethe-Institut, die den Kulturaustausch zum Zentrum haben.
Wir haben mit dem Goethe-Institut eine Tradition des Kulturaustauschs. Erinnern wir die Säulen dieser Erfolgsgeschichte der 60er bis 80er Jahre. Erstens die strukturelle Unabhängigkeit von der Politik, damit zweitens verbunden ein Verstehen von Kunst und Kultur als Aufklärung und Kritik. Erinnern wir, dass ohne diese kritische Tradition auch in Bezug auf die eigene Geschichte und Kultur, Nachkriegsdeutschland nach Holocaust und Vernichtungskrieg, international niemals hätte Anerkennung finden können. Und drittens die Öffnung zur jeweils lokalen Kunst- und Kulturszene, so dass viele Goethe-Institute zu den Treffpunkten und Plattformen für die lokalen Szenen geworden sind, für die Entwicklung von Demokratie, Freiheit und Unabhängigkeit. Was Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg international anbieten konnte, war nicht der repräsentative Auftritt einer sich neu formierenden Kulturnation, sondern die Selbstbefragung in den Künsten, die international zum Vorbild für zahllose Künstler und Kunstszenen, für zivile Initiativen und für Institutionen wurde. Es ist diese Tradition von Kulturaustausch, in der ich das Goethe-Institut sehe, auch wenn mir sehr bewusst ist, dass sich die Situation in Deutschland, vor allem aber die globale Situation verändert hat.
Deutschland ist nach 1989 zur zentralen Größe in Europa geworden, die Konstruktionen des Kalten Krieges sind in sich zusammen gefallen und der Aufstieg Asiens und Lateinamerikas, die Revolten in der arabischen Welt oder in den Bankenvierteln des Westens wie auch das was gegenwärtig in Europa geschieht, nicht nur die Finanzkrise, verändern die Möglichkeiten von Kunst und Kultur. Die Frage ist, wie wir uns diesen Herausforderungen stellen.
Wenn wir die zuvor skizzierte Tradition des Goethe-Instituts erinnern, dann kann hier auch die Lösung für die Strategien der Zukunft liegen.
Die Vorzeichen haben sich verändert.
Entwicklungsländer der 60er und 70er Jahre sind heute wirtschaftlich auf gleicher Höhe mit Industrieländern und es ist längst akzeptiert, dass Kunst und Kultur auch andere Wege in eine eigene Moderne kennen, als sie Europa entwickelt hat. Die intellektuelle und künstlerische Aufarbeitung des europäischen Kolonialismus, des Anspruchs auf europäischen Universalismus in Asien, Afrika und Lateinamerika relativiert die eingefahrenen Wahrnehmungsmuster. Zudem ist ein uneinholbar scheinender Vorsprung in Ausbildung und Hochschulen zusammengeschrumpft. Die finanziellen, ökonomischen und ökologischen Krisen zeigen die Grenzen des westlichen Modells.
Wer soll sich nun in dieser Welt und ihren teilweise dramatischen Veränderungen besser auskennen als diejenigen, die die meiste Zeit ihres Lebens tagtäglich diese Entwicklungen, diese Herausforderungen in anderen Ländern erfahren, also die Mitarbeiter der Goethe-Institute. Nicht als kurzweilige Gäste, sondern als solche, die auch Teil der Kultur eines anderen Landes sein wollen, ja sein müssen, weil man nur so entscheidungsfähig sein kann für die dem Goethe-Institut zuerkannte Aufgabe. Denn entscheidend ist längst geworden, was sich auf die Verhältnisse woanders bezieht, was sie einbezieht, was quasi auf sie antwortet. Auch in der kulturellen Zusammenarbeit gibt es eine Machtfrage, die, wenn sie ausgespielt würde, genau das bewirken würde, was uns der Clash vorgaukelt.
Politisch und kulturpolitisch braucht Deutschland diese Struktur mehr als jemals zuvor. Aber ihr alleiniger Auftrag kann nicht mehr sein, nur das Image der Deutschen in der Welt zu verbessern, oder Kunst und Kultur aus Deutschland international zu verbreiten. Ihr genauso wichtiger Auftrag muss sein, diese Veränderungen nach Deutschland zurückzuspielen, sie systematisch zu thematisieren, zu reflektieren, aus ihnen zu lernen, sich ihnen zu stellen. Ja, europäische, deutsche Geschichte und viel mehr noch unsere Zukunft ohne diese Verflechtungen mit anderen Kulturen zu denken und zu beschreiben ist ganz und gar unmöglich geworden. Unlängst fragte mich ein guter Freund, ein wichtiger Künstler aus Hongkong: “und wie verändert ihr euch, wenn ihr erwartet, dass wir uns verändern?”
Dabei geht es nicht zuerst darum, Projekte der Goethe-Institute nach Deutschland zurückzuschicken. Das war die Idee der Zweibahnstraße Ende der 80er Jahre. Vielmehr geht es darum, die Institute, die wir weltweit haben, als Wissenszentren zu verstehen, als Seismographen der Veränderungen, als Plattformen des Austauschs und der Vernetzung zwischen Menschen. Im Grunde würden wir hier an ein Ideal der Aufklärung wieder anknüpfen. Jeder hier weiß, dass wir über ein unvorstellbares Wissen verfügen, das wir nicht wirklich abrufen.
Goethe-Institute sind Außenstellen der deutschen Kultur, zweifellos. Aber meine Vision ist noch eine andere. Ich beziehe mich hier auf die Erfahrungen, die ich in meiner Institutsarbeit selbst gemacht habe, aber auch auf meine Erfahrungen im Haus der Kulturen der Welt, das ja ursprünglich als Ergänzung zum Goethe-Institut gegründet wurde. Ich möchte an dieser Stelle den Begriff des Dritten Raumes einführen, des Third Space. Die Idee einen dritten Raumes hat verschiedene Bedeutungsebenen. Eine erste ist die eines Begegnungsraumes für Künstler oder Intellektuelle, die sich ansonsten kaum oder nicht treffen können. 2003 entwickelten wir am Haus der Kulturen der Welt das Projekt „DisOrientation“, das sich mit den zeitgenössischen Positionen arabischer Künstler aus dem Nahen Osten beschäftigte. Viele dieser Künstler hatten zuvor keine Chance, sich zu begegnen, da Ihnen die Reisemöglichkeiten im Nahen Osten untersagt waren. Institutionen wie das Haus der Kulturen der Welt, aber auch jedes Goethe-Institut, wir sehen das heute besonders am Tahrir-Platz wieder, sind potentiell immer Orte, an denen diese Begegnungen stattfinden können. Dieses Potential gilt es zu entwickeln und zu fördern. Wir müssen offensiv damit umgehen.
Auf einer zweiten Ebene bedeutet Third Space für mich die Produktion eines Dritten, eines Neuen.
Kulturaustausch in diesem substantiellen Sinne geht von einem offenen Kunstwerk aus, von einer offenen Haltung, die jederzeit Veränderung erfahren darf, aber auch andere und uns selbst verändern kann. Hier geht es nicht um die Bestätigung gegebener Identitäten, sondern um das Neuerfinden, um das Neudenken des Eigenen wie des Anderen. Roberto Culli hat diese Vorstellung von Identität sehr prägnant beschrieben. Jeder Mensch hat eine von der Natur, von seinen Eltern, seiner Gesellschaft und seiner Kultur geprägte Identität. Freiheit aber bedeutet, diese vorgegebene Identität zu erkennen, sie in Frage zu stellen, sie eventuell zu brechen, um sich selbst neu zu erfinden und selbst zu bestimmen. Nur so – wie es Roland Barthes formuliert, ist Freiheit ist modernes Subjekt lebbar. Für diesen Prozess sind wir, und das betrifft eben nicht nur das Individuum, sondern auch gesellschaftliche Prozesse, auf die Auseinandersetzung, auf die Begegnung mit dem Anderen angewiesen. Das Andere, das ist neben dem anderen Geschlecht und dem eigenen Unbewussten vor allem die andere Kultur. Es ist diese Utopie einer beständigen Veränderung, die ich gegen das Modell fester Identitäten, ob nationaler, religiöser, ethnischer oder kultureller Natur stellen möchte. Es sind jene fragilen Situationen der Ungewissheit, es ist der Geschmack des Risikos, der meiner Arbeit Sinn, aber auch ästhetischen und ethischen Ausdruck verliehen hat.
The Third Mind, so hieß eine Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum, die sich dem Einfluss Asiens auf die amerikanische Moderne quer durch das 20. Jahrhundert widmete. Die unglaubliche Produktivität der amerikanischen Moderne, so wurde gezeigt, ist nicht denkbar ohne die Offenheit gegenüber den asiatische Kulturen und Künstlern. Diese Ausstellung zeigte exemplarisch in einer historischen Perspektive, dass das, was wir die westliche Moderne nennen, nur in der Öffnung für ein anders Denken und Handeln möglich geworden ist. Nicht anders verhält es sich mit Europa. Und eben solche Prozesse erleben wir in China.
Natürlich stellt sich die Frage, wie die Praxis eines solchen Kulturaustauschs aussieht. Ich kann mich hier und jetzt nur auf die konkreten Erfahrungen beziehen, die ich gemacht habe. Da möchte ich zunächst eine Arbeitsweise hervorheben, die uns allen bekannt ist, die es aber in sich hat: das Arbeiten mit Themen.
Entscheidend ist hier die Setzung von einem Thema, das essentiell ist für die aktuelle Entwicklung vor Ort, das vor allem aber relevant ist in beiden Kulturen oder eben mehreren Kulturen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, das für die kulturelle Praxis in Deutschland, aber auch in vielen Partnerländern von herausragender Bedeutung ist. Ich spreche vom Kulturellen Gedächtnis. International gilt Deutschland als vorbildlich in der Aufarbeitung der Vergangenheit, sowohl der politischen und kulturellen Katastrophen des 20. Jahrhunderts als auch der einzigartigen künstlerischen Tradition.
Dass diese Aufarbeitung nicht nur in den Wissenschaften erfolgt ist, sondern mit großer gesellschaftlicher Wirkung auch in den Künsten, im Film, in Tanz und Theater, in der Literatur und Bildenden Kunst, das hat die Arbeit der Goethe-Institute unendlich beflügelt. Dabei war es gerade die kritische Analyse der eigenen Geschichte, die zum Motor künstlerischer und gesellschaftlicher Aufklärung führte.
In der internationalen Vorstellung dieser Projekte wurde eine Lawine der Selbstreflexion in den jeweiligen Kulturen ausgelöst. Dabei wurde das Geschichtsbild der Europäer radikal hinterfragt. Denn die europäische Moderne hat in Indien, in der arabischen Welt oder in Schwarzafrika ihre dunkle Seite von Ausbeutung, Unterdrückung und Kolonialisierung hinterlassen, eine für uns zumeist verdrängte Seite der kulturellen Erinnerung. Dass mit den Künstlern aus Deutschland hier eine zuerst kritische Aufarbeitung des eigenen kollektiven Versagens thematisiert wurde, erschloss uns einen offenen und dynamischen Raum der Kommunikation. Es war diese Infragestellung der eigenen nationalen Identität, diese Brechung des eigenen Selbstverständnisses, die zur Grundlage von Kooperation und Austausch wurde. Das ist heute nicht weniger relevant als in den 70er Jahren. Die Aufarbeitung der Kulturrevolution in China, die Auseinandersetzung darüber, was auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschah, sie können im Sinne einer kulturellen Erinnerung nur in China selbst geleistet werden, nicht von Europa. Deutschland kann hier eben nur Vorbild sein in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte, in der Aufklärung des eigenen Versagens, um zum Gesprächspartner für die chinesischen Partner zu werden.
So initiierte ich 2006 im Haus der Kulturen der Welt ein China-Programm, das sich thematisch dem Kulturellen Gedächtnis widmete. Erstmals verarbeiteten große künstlerische Persönlichkeiten der traditionellen chinesischen Tanz- und Opernszene Themen wie etwa die Kulturrevolution. Möglich wurde das allein in einem offen Raum der Auseinandersetzung, der zurückwirkte.
Die praktische Seite der Kooperation heißt Koproduktion. Fälschlicherweise wird unter dem Begriff der Koproduktion oft in erster Linie das Beisteuern von finanziellen Ressourcen gesehen. Koproduktionen im eigentlichen Sinne aber bedeuten für mich inhaltliche Annäherung, das Mitdenken der jeweils anderen Position und gesellschaftlichen sowie politischen Situation. Koproduktion bedeutet Freiraum, den wir als Institution schaffen müssen.
Dabei müssen wir gegen die eigenen Klischees auf beiden Seiten an arbeiten. Ich möchte Ihnen das Beispiel der Produktion “Three Posters” geben, das von dem libanesischen Schriftsteller Elias Khoury zusammen mit dem Schauspieler und Regisseur Rabia Mroue entwickelt wurde. Wir hatten diese Produktion 2003 in Berlin eingeladen. Inhaltlicher Gegenstand von “Three Posters” waren Videos, die Selbstmordattentäter drehten, bevor sie sich an öffentlichen Plätzen in die Luft sprengten. In der Ankündigung im Haus der Kulturen der Welt bezogen wir diese Produktion fälschlicherweise auf palästinensische Selbstmordkommandos. Wir folgten gleichsam dem öffentlichen Diskurs in den Medien. Tatsächlich aber handelte es sich bei dem authentischen Video, das im Zentrum der Produktion stand, um das Video eines libanesischen Intellektuellen, der mit dem Versagen der kommunistischen Bewegung in Beirut abrechnete. Dieser Videofund, der auch die Szene in Beirut schockierte, warf ein vollkommen anderes Bild auf die Attentate als das in der Öffentlichkeit bekannte. Handelte es sich doch weder um einen Palästinenser noch um einen islamischen Hintergrund. In der heftigen Debatte mit den Akteuren mussten wir als Veranstalter unsere eigenen Zuordnungen revidieren, um einen wesentlich kleinteiligeren und differenzierteren Ansatz in der Vorstellung der eingeladenen Produktionen zu praktizieren. Das sind entscheidende Erfahrungen, die uns im Kulturaustausch zu Lernenden machen.
Es muss uns auch in Zukunft gelingen, diesen Raum für Transformationen des Eigenen und des Anderen zu erhalten und ihn weiter zu erschließen – gegen jede Form von Bürokratisierung oder politischer Zuspitzung. Nur so kann es uns gelingen, eine Form der Utopie von Kunst als Annäherung zu behaupten. Und es ist meine Erfahrung und Überzeugung, dass nur auf diesem Wege die gesellschaftliche Verantwortung solcher Kultureinrichtungen wie dem Goethe-Institut verwirklicht werden kann, weil in dieser Weise auch die Werte unserer Gesellschaft verwirklicht werden.
Zum Schluss bleibt mir nur mich bei all denjenigen zu bedanken, die auf meinem bisherigen Weg so wichtig waren und die vor allem in den letzten sechs Jahren bewirkt und mitgeholfen haben, dass das Goethe-Institut wieder zu einem Leuchtturm werden konnte. Wir haben alle daran mitgearbeitet. Das sind vor allem die Kolleginnen und Kollegen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Goethe-Institute hier in München, in Deutschland und weltweit, ohne ihre Bereitschaft, ihre Motivation wäre dieser Weg ganz unmöglich. Es sind zu viele, die ich deshalb auch nicht einzeln nennen kann, gleichwohl, eines ist besonders wichtig, ist die Grundlage, nämlich die gute und vertraute Zusammenarbeit mit dem Präsidium vor allem den beiden Präsidenten, Frau Limbach und nach ihr vor allem Herrn Lehmann, war wirklich entscheidend für diesen Weg. Ganz herzlichen Dank dafür. Wir sind einen guten Weg gemeinsam gegangen. Entscheidend war auch die wirklich sehr gute Zusammenarbeit des Goethe-Instituts mit dem Parlament, insbesondere dem Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik unter der Leitung von Herrn Gauweiler sowie dem Auswärtigen Amt, vor allem der Kulturabteilung unter der Leitung von Herrn Wnendt.
Lieber Herr Gross, ohne Offenheit und Vertrauen, die wir im Vorstand so gut praktiziert haben, wäre es gar nicht möglich, ein so kompliziert verzweigtes Institut zu führen. Zu einem solchen Vorstandsteam gehören auch die beiden Referenten. Ihnen allen ganz herzlichen Dank!
Zum Schluss aber möchte ich mich noch ganz besonders bei einer bedanken, ohne deren Mitwirken es für mich ganz und gar unmöglich gewesen wäre: Liebe Frau Urich, ich könnte nun viele Superlative aneinanderreihen, ich will es kurz machen: Ich bin wirklich ein wenig wehmütig wenn ich mit Ihnen nicht mehr zusammenarbeiten kann. Und ich kann meinem Nachfolger nur gratulieren, Sie als Mitarbeiterin zu haben. Was hätte ich ohne Ihre Sorgfalt, Ihr Mit- und Vorausdenken, Ihre wunderbare freundliche Art gemacht. Tausend Dank für alles!
Und ich weiß, dass der Wechsel von einem Generalsekretär zum anderen nicht so schwer ist. Jemand aus dem Goethe-Institut, das ist doch wirklich die beste Nachricht, jemand der „den Laden“ kennt. Lieber Herr Ebert, große Kompetenz haben Sie bereits bewiesen, in und außerhalb des Goethe-Instituts schätzt man Sie, und ich bin gewiss, dass Sie das Maß an Fortune haben werden, das immer notwendig ist. Viel Glück, viel Erfolg. Alles Gute!
Johannes Ebert, bis Februar 2012 Leiter des Goethe-Instituts Moskau und Regionalleiter der Region Osteuropa/Zentralasien, übernimmt das Amt des Generalsekretärs des Goethe-Instituts von Hans-Georg Knopp bei einem Festakt in München.
Sehr geehrter Herr Wnendt,
lieber Herr Lehmann,
lieber Herr Knopp,
liebe Frau Limbach,
sehr geehrte Gäste,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich freue mich sehr, dass Sie zur heutigen Feier gekommen sind und ich bin sehr froh, dass meine Tätigkeit als Generalsekretär in Kürze beginnen wird. Im vergangenen halben Jahr hatte ich viele parallele Aufgaben: Leiter des Goethe-Instituts Moskau, Leiter der Region Osteuropa/Zentralasien, Projektleiter des Deutschlandjahres in Russland. Ich war daneben sehr oft in München und konnte mich mit Unterstützung des amtierenden Vorstandes auf meine neue Aufgabe vorbereiten. Ab 1. März werde ich nur noch einen Hut aufhaben. Einen sehr großen zwar. Die Stelle des Generalsekretärs des Goethe-Instituts ist eine Aufgabe, die viele Ansprüche stellt. Ich freue mich sehr darauf.
Als ich im August 1988 als Zivildienstleistender am Goethe-Institut Freiburg begonnen habe, habe ich mir natürlich nicht vorgestellt, dass ich einmal - genauer gesagt heute - hier stehen könnte. Zivildienstleistender in Freiburg – Prien - Abidjan – Riga – München – Kiew – Kairo – Moskau – Generalsekretär in München. Ich habe das Institut in dieser Zeit aus vielen Blickwinkeln sehr gut kennengelernt. Insbesondere die letzten zehn Jahre als Regionalleiter waren eine wichtige Zeit für mich. Als einer der drei Sprecher der Regionalleiter, die sich regelmäßig mit dem Vorstand treffen und austauschen, war ich in zahlreiche Entscheidungsprozesse mit einbezogen und habe dabei viel gelernt. Gerade auch von der Diplomatie und „Staatskunst“ des scheidenden Generalsekretärs Hans-Georg Knopp.
Lieber Herr Knopp, das ist auch der richtige Moment, Ihnen ganz herzlich zu danken. Auf der einen Seite für das, was Sie für das Goethe-Institut geleistet haben – darüber wurde heute ja schon gesprochen – Auf der anderen Seite – und das ist mir persönlich sehr wichtig - für das Vertrauen und die Offenheit, mit denen Sie in den letzten Wochen meiner Vorbereitungszeit Ihre Erfahrungen mit mir geteilt haben.
In der vergangenen Woche fand in Moskau mein offizieller Abschied statt und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen ganz wunderbaren Film über meine Zeit am Goethe-Institut Moskau gedreht. Ich habe ernsthaft überlegt, ob ich diesen Film anstelle einer Rede hier zeigen soll. Aber vielleicht ist es besser, Sie wissen gar nicht so genau, was auf Sie zukommt. Deshalb an dieser Stelle vielleicht einige Überzeugungen, die ich in meiner Zeit mit dem und für das Goethe-Institut gewonnen habe:
Kultur ist zentral für das gesellschaftliche Zusammenleben. Kultur besetzt ihr eigenes gesellschaftliches Terrain und gehorcht eigenen Regeln und Abläufen. Es zeugt deshalb von Weitblick, dass die Bundesrepublik Deutschland den kulturellen Austausch mit dem Ausland einer unabhängigen Mittlerorganisation übertragen hat. Erfolgreicher Kulturaustausch funktioniert nicht auf Knopfdruck. Kulturaustausch braucht Zeit, Offenheit und Vertrauen. Wenn wir dem kulturellen Austausch dieses zugestehen und ihn nicht einseitig für kurzfristige wirtschaftliche oder politische Ziele instrumentalisieren, dann ist er das wirksamste Mittel, für Deutschland Vertrauen zu schaffen und die Beziehungen unseres Landes in der Welt positiv zu gestalten.
Gerade wenn ich an meine Zeit in Ägypten denke – ich wurde ein halbes Jahr nach dem 11. September Institutsleiter - habe ich den Freiraum Kultur und die offene Plattform Goethe-Institut als wirksame Kommunikationsbasis wahrgenommen, die in dieser Zeit oft wesentlich besser funktionierte als traditionelle Felder von Politik und Wirtschaft. Es muss uns bewusst sein, dass diese Mechanismen – auch das sehen wir in der arabischen Welt - gerade in den Zeiten der Globalisierung immer wichtiger werden. Ich bin sicher: Die Ansprüche an den internationalen Kulturaustausch und damit die Aufgaben für das Goethe-Institut werden in den nächsten Jahren weiter steigen.
Ich habe viele Jahre in Transformations- und Entwicklungsländern gearbeitet. Nicht nur hier wird die Rolle des Goethe-Instituts im Bereich der Bildung sehr deutlich. Das ist zum einen die sprachliche Bildung - das Erlernen der Fremdsprache Deutsch mit innovativen Methoden. Seit kurzem erweitert das Goethe-Institut auch seine traditionellen Bildungsprogramme im Bereich Kultur, Information und Medien. Sie richten sich an Verleger, Filmemacher, Kulturmanager, Bibliothekare, Journalisten und viele andere - also genau an die Multiplikatoren, die wiederum in vielfältiger Weise ihren Mitbürgern Werte vermitteln und Zugänge zu Wissen und Bildung öffnen. Darüber hinaus verbinden sie diese Menschen auf positive Weise mit Deutschland. Wir müssen diese Bildungsangebote fokussieren und noch besser zugänglich machen.
Die deutsche Sprache ist mir ein sehr wichtiges Anliegen. Sie ist der Schlüssel, der die Türen nach Deutschland öffnet. Aus unterschiedlichen Gründen ist es für uns von großer Bedeutung, dass Menschen aus dem Ausland diese Türen offen stehen. Die Goethe-Institute haben für Deutschlerner und – lehrer an Schulen, an Universitäten, in Kindergärten und im Bereich der Erwachsenenbildung hervorragende Programme. Es ist darüber hinaus eine Zukunftsaufgabe, dass wir für die deutsche Sprache bei Entscheidungsträgern unserer Gastländer werben, um die Stellung von Deutsch in den nationalen Bildungssystemen zu stärken. Es gibt hier erste Erfahrungen, erste Erfolge sind sichtbar: die Sprachinitiative „Lern Deutsch“ in Russland; das Partnerschulprogramm PASCH, wo das Goethe-Institut in vielen Ländern einen Schwerpunkt bei den Schulen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich setzt, deren Abgänger auch für unser Land von Bedeutung sind.
Zahlreiche weitere Zukunftsthemen werden das Goethe-Institut in den nächsten Jahren beschäftigen:
- Welche Rolle wird das Internet für den internationalen Kulturaustausch spielen? Sicher wird es nicht die direkte Begegnung ersetzen. Wir haben hier viel geleistet, aber ich glaube, dass hier noch viele neue Möglichkeiten liegen: Neue Veranstaltungsformate, neue Kommunikationskanäle und Inhalte in zeitgemäßen Formen werden die Reichweite und Nachhaltigkeit unserer Angebote erhöhen.
- Wie verhalten sich nationale und europäische Kultur- und Bildungspolitik zueinander? EUNIC, der Zusammenschluss der europäischen Kulturinstitute, ist hierbei ein wichtiges Instrument. Welche Möglichkeiten gibt es für das Goethe-Institut, seine finanzielle Basis auf europäischer Ebene zu verbreitern?
- Wie gewinnen wir hervorragenden Nachwuchs für die Zukunftsaufgaben des Auswärtigen Kultur- und Bildungsaustausches angesichts eines enger werdenden Arbeitsmarktes?
- Und: Wie stellen wir die Ressourcen für unseren wichtigen Kultur- und Bildungsauftrag sicher, wenn sich die dunklen Wolken der Schuldenkrise weiter verdichten?
In den vergangenen zehn Jahren habe ich mit Kairo und Moskau zwei sehr große Goethe-Institute geleitet. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der wichtigste Garant für den Erfolg der Arbeit des Goethe-Instituts sind, ist deshalb für mich eine ganz unmittelbare und starke Erfahrung. Ich freue mich sehr auf unsere Zusammenarbeit weltweit und insbesondere auch hier in München. Gerade wir in der Zentrale des Goethe-Instituts haben eine hohe Verantwortung für den Erfolg unserer Kolleginnen und Kollegen im Ausland. Sie bauen auf uns.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich danke dem Präsidium und dem Präsidenten des Goethe-Instituts für das Vertrauen, das sie in mich setzen. Ich habe Respekt vor der neuen Aufgabe, ich freue mich auf sie, und ich werde sie mit großem Engagement angehen. Meine Frau und ich freuen uns sehr auf Deutschland. Auch für unsere drei Kinder, die noch nie hier gelebt haben, wird das eine spannende Sache werden. In den letzten Wochen habe ich mich bereits eng mit meinem Vorstandskollegen, dem Kaufmännischen Direktor Bruno Gross, in sehr fruchtbaren Diskussionen ausgetauscht. Lieber Herr Gross, ich freue mich sehr auf unsere Zusammenarbeit. Zivildienstleistender, Dozentenanwärter, Lehrer für Deutsch als Fremdsprache, Referent für Sprachkurse, Referent für Öffentlichkeitsarbeit, Institutsleiter, Regionalleiter und jetzt Generalsekretär.
Sie fragen mich vielleicht, was die schönste und befriedigenste Aufgabe am Goethe-Institut ist.
Ich habe das Privileg arbeiten zu dürfen, bis ich 66 Jahre und 11 Monate alt bin. Ich werde es Ihnen danach genau sagen können.
Vielen Dank.