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11. März 2021
„Mittags in Kairo, nachmittags in Delhi“

Interview mit der Präsidentin des Goethe-Instituts Prof. Dr. Carola Lentz im Berliner „Tagesspiegel“

Frau Lentz, ich sehe Sie vor einer Bücherwand, mit Kopfhörer – wo erreiche ich Sie gerade?

Ich sitze in meinem Homeoffice in Mainz, bin allerdings gestern aus der Goethe-Zentrale München zurückgekommen. Manche Gespräche müssen, natürlich mit gebotenem Abstand, dann doch in Präsenz geführt werden.

Wie ist die Arbeit bei Ihnen geregelt?

Ungefähr ein Viertel der Belegschaft oder sogar weniger kommt derzeit flexibel ins Büro. Das Rotieren lässt sich in unseren neuen Großraumbüros ohne feste Arbeitsplätze und durch die verstärkte digitale Ausstattung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut organisieren. Auch bei unseren Sprach- und Kulturangeboten versuchen wir die Digitalisierung innovativ umzusetzen.

Sie sind seit Mitte November im Amt. Wie haben Sie Ihre Leute kennengelernt, zumal die im Ausland?

Ich habe viel und lange in Westafrika gearbeitet, und dort habe ich gelernt, dass mein Bedürfnis, alles am liebsten auf ein, zwei Jahre im Voraus zu planen, nicht immer in der Realität funktioniert. Andere Gesellschaften haben andere und vor allem flexiblere Planungshorizonte. In meinen ersten hundert Tagen beim Goethe-Institut habe ich mit den Regionalleitern und Regionalleiterinnen ausführliche Skype- und Teams-Gespräche geführt, so wie wir jetzt auch. Da war ich mittags in
Kairo, nachmittags in Delhi und am nächsten Tag in São Paulo. Ab der zweiten Jahreshälfte sind Reisen hoffentlich wieder möglich.

Afrika war immer schon Ihr Forschungsschwerpunkt?

Meine Doktorarbeitsforschung habe ich in Ecuador gemacht. Danach kam ich nach Berlin ans Institut für Ethnologie an der Freien Universität, wo ich Feldforschungsreisen für Studierende nach Westafrika organisieren sollte. 1987 bin zum ersten Mal nach Ghana gekommen. Die Aufnahme dort war so überwältigend, dass ich dort geblieben bin. Wir Ethnologen arbeiten ja gern an kleinen Ausschnitten der großen Welt.

Beschreibt das auch die Perspektive der Goethe-Institute?

Das könnte man so sagen. Das Goethe-Institut arbeitet an vielen Stellen durchaus ethnologisch, indem es die Themen und Dynamiken jeweils an den Orten aufnimmt. Dieses Dezentrale kommt meiner Art zu arbeiten und zu denken entgegen.

Ethnologie ist nicht unbelastet, daran klebt oft die koloniale Geschichte, wie man gerade in Berlin am Humboldt-Forum sieht. Was macht eine Ethnologin, um nichts falsch zu machen, was sind gute Projekte?

Allgemein muss man dabei an Projekte anknüpfen, die die Menschen am Ort bewegen. Es kommt auch vor, dass man darauf hingewiesen wird: Das ist hier unsere Angelegenheit, da wünschen wir weder eine Einmischung noch Beobachtung noch Analyse von außen. Aber wir gehen ja nicht einfach in ein Land und sagen, hallo, wir würden hier gern mal was forschen. Sondern es gibt vorher umfangreiche Kontakte und Verabredungen mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Ländern, die ihrerseits oft kosmopolitische Karrieren haben und dann auch erst einmal nach Deutschland kommen im Austausch.

Schildern Sie einmal ein Beispiel Ihrer konkreten Arbeit in Afrika.

Wir haben mit einem großen Team ein Projekt zur Siedlungsgeschichte in Nordghana gemacht, haben einige Hundert Dörfer besucht und mit den Ältesten die Geschichten zusammen aufgenommen, wie und wo ihre Vorfahren sich angesiedelt haben. All das wurde transkribiert und übersetzt und daraus entstand ein Buch, für das ich dann sogar einen Preis der African Studies Association bekam. Wichtig ist, dass wir Forschungsmaterialien, die wir erheben, nicht sozusagen wie Rohstoff aus dem Land herausholen, sondern dort zugänglich machen.

Noch einmal dann: So sollten auch die Goethe Institute in aller Welt arbeiten?

Das tun sie auch bereits. Transparenz und Partizipation sind entscheidend, ohne dass ich allerdings meine eigenen Fragestellungen aufgebe. Ich gebe Ihnen noch ein anderes Beispiel: Am Wissenschaftskolleg zu Berlin organisierte ich vor drei Jahren eine Fokus-Gruppe zum Thema Familiengeschichte und sozialer Wandel in Westafrika. Zwei afrikanische Kollegen kamen dafür nach Berlin, ein Wissenschaftler und Kulturpolitiker aus Burkina Faso, inzwischen pensionierter Staatssekretär, er stammt aus einer Großfamilie, deren Mitglied ich auch bin. Und der andere Kollege aus Nord-Ghana, ebenfalls Mitglied dieser Familie, ist jetzt Professor für Ethnologie in den USA. Zu dritt haben wir an einer Geschichte der Erinnerungen in dieser Großfamilie gearbeitet und geschaut, wie sich Praktiken und Medien des Erinnerns in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Ein Resultat ist, dass die jungen Leute in dieser Familie jetzt ein digitales Archiv aufbauen.

Wie kamen Sie in diese Familie in Ghana?

Für die Vorbereitung meiner Ghana- Reise 1987 hatte ich Kontakt zu Sebastian Bemile, ein Sprachwissenschaftler an der University of Ghana, der 1996 die Goethe-Medaille erhielt. Er brachte mich mit seiner Familie im Norden des Landes in Kontakt, und sein Vater adoptierte mich dann quasi als Tochter. Eine solch enge Anbindung an die erforschten Gesellschaften ist für Ethnologen durchaus nicht ungewöhnlich.

Ihr Vorgänger Klaus-Dieter Lehmann wirkte bundespräsidial, war aber auch ein geschickter Verkäufer der Goethe-Ideen. Wie beschreiben Sie Ihr Amt, was sind die wichtigsten Elemente?

Ich sehe drei große Aufgabenbereiche für die Präsidentin. Der eine ist die Repräsentation nach außen, auch in der bundesrepublikanischen GeGesellschaft. Das will ich ausbauen. Das Nächste ist die Frage des Zusammenhalts in diesem über die Welt verstreuten Betrieb mit über 3500 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Die Präsidentin kann sich als Identifikationsfigur anbieten. Und drittens bin ich Vorsitzende des Aufsichtsrats und begleite das operative Geschäft. Ich sage dabei nicht, es muss in diese oder jene Richtung gehen, ich höre vielmehr zu und setze aus meinen Erfahrungen und wissenschaftlichem Hintergrund bestimmte Impulse.

Und das heißt praktisch?

Nun, ich bin die erste Präsidentin, die eine ähnliche Biografie hat wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Goethe-Instituts. Ich bin die erste Präsidentin, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren ist und bin auch drei Jahre jünger als das 1951 gegründete Goethe-Institut, das hatten wir noch nicht. Ich habe im Ausland gelebt und gearbeitet, meine wissenschaftliche Mobilität entspricht dem Lebenslauf eines typischen Goethe-Institutsleiters. Mal sehen, was daraus wird.

Sie forschen zurzeit in der Geschichte des Instituts und schreiben darüber ein Buch, die Ethnologin im eigenen Haus.

Ja, das tue ich, gemeinsam mit meiner wissenschaftlichen Kollegin Marie-Christin Gabriel. Ich habe allerdings auch eine Vorgeschichte in der Germanistik. Mein Examen ging über Goethe und den Bildungsroman, ich bin ausgebildete Deutschlehrerin, und nun kann ich all meine Interessen, Literatur, Oper, Theater, einbringen in mein neues Amt.

Im Humboldt-Forum soll Kunst und Wissenschaft, Politik und Kultur zusammengeführt werden. Wie läuft Ihre Kooperation?

Es gibt einen Koordinationsausschuss von Goethe-Institut und Humboldt-Forum, wo gemeinsame Programmarbeit überlegt wird, und enge personelle Kooperation. Ich hatte jüngst ein gutes Gespräch mit dem Generalintendanten Hartmut Dorgerloh, den ich im Übrigen aus anderen Zusammenhängen kenne.

Sie verstehen Afrika wahrscheinlich besser als die meisten Menschen hier. Der Prozess kommt offensichtlich nicht wirklich voran: Wie würden Sie an die Frage von kolonialer Raubkunst und Rückgabe angehen?

Das ist ein multilaterales und europäisches Thema, nicht allein ein deutsches. Nehmen wir nur einmal die Benin-Bronzen, die bekanntlich nicht aus Benin, sondern aus Nigeria stammen. Die Sache ist deshalb so schwierig, weil Sie nicht nur auf deutscher und europäischer, sondern auch auf nigerianischer Seite mit unterschiedlichen Gesprächsebenen zu tun haben, vom Königshaus und der Regionalregierung bis zur Zentralregierung. Die Verhandlungen sind mühselig, aber auf einem guten Weg, denke ich. Wir als Goethe-Institut können mit unseren Netzwerken Kontakte und Gespräche vermitteln, zum Beispiel durch die Reihe „Museum Futures Africa“, die fragt, was Museen und Kuratoren heute wollen. In diesem größeren Zusammenhang soll man auch über Rückgabe und Restitution sprechen. Wo es moralisch berechtigte Ansprüche gibt, muss natürlich gehandelt werden.

Sie klingen etwas zögerlich.

Gar nicht, aber wir machen die Erfahrung, dass es für eine afrikanische Kuratorin interessanter sein kann, sich mit Kollegen in Indien auszutauschen, als sich von einem deutschen Kurator sagen zu lassen, wie Museum funktioniert. Ich möchte eher ein Fragezeichen setzen. Ich bin mir bei den identitätspolitisch und postkolonial besetzten Debatten in Deutschland manchmal nicht so sicher, ob sie auch die vielfältigen Diskussionen in den jeweiligen Ländern rezipieren – und ich denke, es könnte der Debatte hierzulande guttun, stärker als bisher auf diese internationalen Stimmen zu hören. Es ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Mir scheint aber, die Rückgabeforderungen sind allgemein gar nicht so umfangreich wie meist dargestellt. Wichtig ist: ins Gespräch kommen, Verbindungen aufbauen und selbstverständlich auch Objekte zurückzugeben, warum denn nicht?

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

Jünger als das Goethe-Institut. Carola Lentz, 1954 in Braunschweig geboren, ist seit November 2020 Präsidentin des GI. Sie lehrte Ethnologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, war Vizepräsidentin der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und ist Mitglied der Leopoldina.
 

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