18. Oktober 2024
Rede anlässlich des Jubiläums der Übersetzungsprogramme des Goethe-Instituts
- Es gilt das gesprochene Wort -
Ich freue mich sehr, Sie heute hier zu begrüßen, um gemeinsam zu feiern: das 50. Jubiläum der Übersetzungsförderung des Goethe-Instituts und das 20-jährige Bestehens von Litrix.de. Diese beiden Meilensteine sind eine Gelegenheit, die immense Bedeutung der Literatur und der literarischen Übersetzung für den internationalen Kulturaustausch zu würdigen.
2003 ging der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels / Peace Prize of the German Book Trade an die großartige Autorin und Kulturkritikerin Susan Sontag. Ihren acceptance speech in Frankfurt stellte sie unter das Motto „Literature is freedom“. Durch den Austausch mit exilierten europäischen Literaten und Denkern, die sie in früher Jugend in Amerika getroffen hatte, habe sie gelernt, nicht dem Zwang zur nationalen Eitelkeit zu erliegen. Der Austausch der Literaturen durch die Jahrhunderte habe das Bett geformt, durch den der Strom der Verständigung heute fließen könne. Literatur war und ist der Pass in die Sphäre der Freiheit. An anderer Stelle betonte Susan Sontag: “Literature is the house of nuance, and contrariness against the voices of simplification”. Dabei war ihr der Zugang zu Weltliteratur besonders wichtig.
Diese Überlegungen sind heute—angesichts von zunehmenden nationalistischen Abschottungen und der großen Verführungskraft ideologischer Vereinfachung—brandaktuell. Und damit wir Literaturen der Welt lesen können, braucht es Übersetzungen. „Translation is the circulatory system of the world’s literatures”, schrieb Susan Sontag in ihrem Essay “The World as India” (posthum 2007 veröffentlicht). “Literary translation […] is preeminently an ethical task, and one that mirrors and duplicates the role of literature itself, which is to extend our sympathies; to educate the heart and mind; to create inwardness; to secure and deepen the awareness (with all its consequences) that other people, people different from us, really do exist.”
Zu diesem wichtigen weltliterarischen “circulatory system” trägt das Übersetzungsförderungsprogramm des Goethe-Instituts seit fünfzig Jahren bei. Weltweit unterstützt es Verlage, die deutschsprachige Werke in ihre jeweiligen Landessprachen übersetzen möchten, mit einem Zuschuss zum Übersetzungshonorar. Auf diese Weise erscheinen jährlich rund 300 Übersetzungen von Belletristik, Kinder- und Jugendbüchern, Comics und Sachbüchern. Dazu gehört beispielsweise Jenny Erpenbecks „Kairos“, übersetzt ins Niederländische und sechs weitere Sprachen, die erste Übersetzung von Werken Thomas Manns ins Aserbaidschanische, Andreas Steinhöfels „Rico und Oskar“-Bücher auf Vietnamesisch oder Friederike Ottos „Klimaungerechtigkeit“ auf Englisch.
Das Litrix-Programm gibt seit zwanzig Jahren gezielt Impulse für die Übersetzung aktueller deutschsprachiger Literatur in wechselnde Schwerpunktsprachen. Damit ermöglicht Litrix Begegnungen zwischen Autor*innen, Übersetzer*innen und Leser*innen in ganz unterschiedlichen Sprach- und Kulturräumen. Nach Arabisch, Chinesisch, Portugiesisch, Spanisch, Russisch und Griechisch steht aktuell die italienische Sprache im Fokus.
Ins Italienische wurden u.a. die Übersetzungen von Jens Balzers „Ethik der Appropriation“ und Charlotte Gneuß’ Roman „Gittersee“ gefördert wurden. Die italienische Übersetzung dieses beeindruckenden Debüts stammt von Silvia Albesano, die wir eben im Gespräch mit der Autorin und ihrer norwegischen Übersetzerkollegin Merete Franz erleben durften. Hier wurden die vielfältigen Zugänge zu einem literarischen Text und seinem historischen Kontext deutlich—und das ist der Kern von Kulturaustausch, also der Austausch über Themen und Diskurse, die nicht nur uns in Deutschland, sondern ebenso Leserinnen und Leser in aller Welt beschäftigen.
Mehrfach hat das Goethe-Institut die große Bedeutung der Übersetzungsarbeit und die eminent wichtige Rolle der Übersetzerinnen und Übersetzer im internationalen Kulturaustausch mit der Verleihung einer Goethe-Medaille gewürdigt. So ging auch dieses Jahr eine der Goethe-Medaillen an die literarische Übersetzerin Claudia Cabrera aus Mexiko, die unter anderem die Exilwerke „Transit“ und „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers ins mexikanische Spanisch übersetzt hat. „Die Literaturübersetzung ist unentbehrlich für den Wissenstransfer,“ sagt Claudia Cabrera. „Ohne sie würden wir alle nur in den Sprachen lesen und lernen, die wir selber können, und hätten keinen Zugang zu anderen Sprachen, Welten und Kulturen. Dass es eine Weltkultur gibt, ist den Literaturübersetzenden zu verdanken. Ohne spezielle Förderprogramme wäre es viel schwieriger, wichtige Bücher übersetzen zu lassen, denn die finanzielle Situation der Verlage ist leider oft prekär“, so Cabrera weiter.
Die Förderung von Übersetzungen ist eine der Kernaufgaben und das Alleinstellungsmerkmal des Goethe-Instituts im Hinblick auf den internationalen Literaturaustausch. Keine andere Institution in Deutschland betreibt Übersetzungsförderung in diesem Umfang. Zudem zählt die Übersetzungsförderung zu den nachhaltigsten Kulturprogrammen. Das übersetzte Buch bzw. E-Book bleibt dauerhaft verfügbar. Und so könnte man mit den seit 1974 rund 7000 geförderten Übersetzungen etwa 220 Regalmeter füllen – eine durchaus ansehnliche und vielstimmige Bibliothek deutschsprachiger Literatur in Übersetzung!
Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang der Stiftung Volker und Vera Doppelfeld, die sich intensiv für die Förderung von Nachwuchsübersetzern einsetzt. Die Zusammenarbeit beim Projekt „Neue deutsche Stimmen“ hat es jungen italienischen Übersetzerinnen ermöglicht, vier herausragende Debüts aus Deutschland zu übersetzen.
Übersetzungen vermitteln Ideen. Sie tragen zu Perspektivwechseln bei. Sie überschreiten kulturelle und politische Grenzen. Und sie fördern Debatten über aktuelle literarische und gesellschaftliche Themen. Die Übersetzungsförderung ist deshalb eine wichtige Säule des internationalen Kulturaustauschs, für den das Goethe-Institut als Mittlerorganisation steht. Damit sichert das Institut literarische Diversität und fördert die Bekanntheit deutschsprachiger Literatur im Ausland. Und es trägt zu einer Welt der Vielfalt und des Dialogs bei.
Lassen Sie uns nun auf die Autorinnen und Autoren, die Übersetzerinnen und Übersetzer in aller Welt und auf ihre Werke in den verschiedensten Sprachen anstoßen, die uns immer wieder neue Perspektiven auf unsere eigene und andere Kulturen eröffnen!