28. September 2016
Preisverleihung: Brücke Berlin Preis 2016
Begrüßung durch den Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann
„Brücke Berlin“ ist eine Initiative der BHD-BANK-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Literarischen Kolloquium Berlin, dem Goethe-Institut und dem Deutschen Theater Berlin.
Die Konzentration auf die mittel-und osteuropäischen Literaturen hatte zwei Aspekte. Es war absehbar, dass die Osterweiterung der Europäischen Union rasch erfolgen würde, was 2004 auch tatsächlich geschah. Die kulturellen Stimmen dieser Region sollten von Anfang an vernehmlich sein, um die EU nicht nur als homogenen Wirtschaftsraum zu sehen sondern die EU auch in ihrer gemeinsamen kulturellen Verantwortung wahrzunehmen. Dieses Bekenntnis war umso wichtiger, weil Europa gerade wegen seiner kulturellen Vielfalt für Pluralität, Offenheit und Freizügigkeit stehen soll. Mittel- und Osteuropa haben andere Erfahrung als Westeuropa und es bestehen große Ungleichzeitigkeiten. Das verlangt Kenntnis für einen spezifischen und sensiblen Umgang, für einen kulturellen Umgang. Denn letztlich ist unser menschliches Zusammenleben eine kulturelle Leistung. Es hat sich gezeigt – und das ist der zweite Aspekt -, dass die deutsche Sprache vielfach als Transfersprache die entscheidende Brücke für Literatur aus Mittel- und Osteuropa in die Weltliteratur ist, um von da ins Englische, Spanische oder Französische übersetzt zu werden. Diese Chance zu nutzen und Nachbarschaft zu leben, war für den Brücke Berlin Preis ausschlaggebend.
Weil die Literatur wie kaum eine andere Kunstgattung die Gesellschaft spiegelt, verhandelt und vermittelt, ist die gegenseitige Kenntnis in einem gemeinsamen Europa von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Der Brücke Berlin Preis soll auf die fehlenden Brücken in Europa aufmerksam machen und er will dieses Fehlen nicht durch politische Appelle sondern durch praktisches Handeln angehen, durch die vereinte Arbeit von Autoren und Übersetzern. Sie ist unverzichtbar!
Wer uns hier die Chancen, aber auch die wachsenden Risiken der Lesbarkeit der Welt immer wieder vor Augen geführt hat, ist jemand, den wir heute zutiefst vermissen, Péter Esterhàzy, der Schirmherr des Brücke-Preises, der mit 66 Jahren im Juli diesen Jahres verstorben ist und eine schmerzliche Leerstelle hinterlässt. Er hat als Schriftsteller die von Brüchen geprägte Geschichte Mitteleuropas in seinen Büchern verarbeitet, nicht anklagend sondern mit feiner Ironie, kenntnisreich und sinnlich. Von seinen 30 Werken sind allein 20 ins Deutsche übersetzt. 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Bei der Verleihung bemerkte er, die Literatur gehöre nicht zur Rechtmäßigkeit oder Toleranz sondern zur Leidenschaft und zur Liebe. Und der damalige Kulturstaatsminister Naumann bezeichnete ihn als schrecklichen Unruhestifter, der den Leser mit seiner komödiantischen Ruhelosigkeit irritiert.
Er war mit seinem Engagement als Schriftsteller und Leser, als Intellektueller und Aufklärer ein herausragender Anwalt für die Übersetzer. Er war als Schirmherr des Brücke Berlin Preises ein idealer Botschafter. Er hätte es nie so ausgedrückt. Deshalb lasse ich ihn jetzt mit seinen eigenen Worten über die Bedeutung des Schirmherrn sprechen:
„Mein Enkel wollte wissen, was ich bin. Ein Schirmherr, antwortete ich ihm, streng und selbstbewusst. Schirmherr wiederholte er andächtig. Und vor seinen Augen flogen bunte Schirme unter der Brücke des Regenbogens dahin. Er schien recht zufrieden damit, dass all diese Märchenhaftigkeit mit seinem Großvater zusammenhing. Er wäre zufrieden gewesen, wenn er kein Ungar gewesen wäre. Denn das schöne Wort Schirmherr heißt auf Ungarisch lediglich védnók, so etwas wie Patron – ein gutes Wort, aber grau, nicht dichterisch, ungeeignet jemand damit zu verzaubern, insbesondere ein wertebewusstes Enkelkind. Sie sehen, um zu einem verzaubernden, geheimnisvollen Großvater zu werden, muss ich nach Berlin kommen. Damit meine wahre Größe ersichtlich wird, muss ich übersetzt werden.“
Er hätte so fortfahren können, aber das war nur eine Seite von ihm. Die andere war, die Dinge beim Namen zu nennen, deutlich zu machen, wie die Egoismen zunehmend Europa prägen, wie Solidarität, Humanität, Anerkennung und Respekt auf der Strecke bleiben. Hier war er ein großer Mahner!
Die Schriftsteller sind diejenigen, die die Vielzahl der Stimmen deutlich machen können, die mehrere Identitäten beschreiben können, die in der eigenen Sprache fremd und heimisch sind. Und ebenso ist es bei den Übersetzungen. Wilhelm von Humboldt formulierte es so: Mehrere Sprachen sind nicht ebenso viele Bezeichnungen einer Sache, sie sind verschiedene Ansichten derselben.
Heute zeichnen wir einen Autor und einen Übersetzer aus, die diesen Ansichten besonders gerecht werden. Der polnische Autor Szczepan Twardoch wird für seinen Roman „Drach“, ausgezeichnet, mit ihm der kongeniale Übersetzer Olaf Kühl. Der Preis geht jeweils zur Hälfte an Autor und Übersetzer. Es ist ein Opus Magnum, das ein ganzes Jahrhundert in den Blick nimmt, mit einer kraftvollen Sprache und eindringlichen Bildern, das die immer wiederkehrenden Fragen nach Identität, nationaler Zugehörigkeit und sozialer Gerechtigkeit verhandelt. Die schlesische Erde mit ihren geschichtlichen Schichten ist der Ort des Geschehens. Natürlich geht mir das als geborener Schlesier besonders unter die Haut, aber die Aussagen sind von großer Allgemeingültigkeit. Und Olaf Kühn gelingt es, diese unterschiedlichen Sprach- und Zeitschichten in all ihrem Reichtum und ihren Differenzierungen für den Leser zu erschließen. Die Übersetzung – jede gute Übersetzung - ist ein Gewinn, ist sie doch eingebettet in den jeweiligen kulturellen Kontext. So entsteht mit dem Original und seinen Übersetzungen ein Geflecht, das verbindet.
Die mittel- und osteuropäische Literatur benötigt aber hinsichtlich ihrer Wahrnehmung im deutschsprachigen Raum auch einer ständigen Beziehung und Förderung durch Kenner und institutionelle Betreuung. Hierfür steht der Brücke Berlin Initiativpreis, der in diesem Jahr durch eine besonders glückliche Entscheidung hervorsticht. Er geht an den Theaterverlag Henschel Schauspiel für seine ungemein erfolgreiche, nachhaltige und entdeckerfreudige Arbeit, Theaterwerke aus Mittel- und Osteuropa im deutschsprachigen Raum verfügbar zu machen und auf die Bühnen zu bringen. Theaterliteratur hat es generell nicht leicht, im Kreis von Literaturpreisen vertreten zu sein. Deshalb ist es verdienstvoll, den Blick einmal bewusst darauf zu fokussieren. Es lohnt sich und wird hoffentlich künftig stärker Berücksichtigung finden.
Ich wünsche Ihnen einen anregenden Abend und beglückwünsche die Preisträger.
Es gilt das gesprochene Wort.