20. Oktober 2016
Vergabe Merck-Kakehashi-Literaturpreis in Tokyo
Begrüßung durch den Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann
Meine sehr verehrten Damen und Herren,ich begrüße Sie sehr herzlich zur zweiten Verleihung des Merck-Kakehashi-Literaturpreises.
Das japanische Wort Kakehashi bezieht sich auf die Erfahrung einer Grenzüberschreitung, auf einen Brückenschlag. Es sind die Schriftsteller, die eine Vielzahl an Stimmen deutlich machen können, die mehrere Identitäten beschreiben können, die in der eigenen Sprache fremd und heimisch sind. Und ebenso ist es bei den Übersetzungen. Wilhelm von Humboldt formulierte es so: Mehrere Sprachen sind nicht ebenso viele Bezeichnungen einer Sache, sie sind verschiedene Ansichten derselben. Die Übersetzung – jede gute Übersetzung - ist ein Gewinn, ist sie doch eingebettet in den jeweiligen kulturellen Kontext. So entsteht mit dem Original und seinen Übersetzungen ein Geflecht, das verbindet.
Heute zeichnen wir eine Autorin und einen Übersetzer aus, die diesen Ansichten besonders gerecht werden: Unter vierzehn Bewerbungen fiel die Entscheidung der Jury des Merck-Kakehashi-Literaturpreises unter dem Vorsitz von Jurypräsident Prof. Masahiko Tsuchiya einstimmig auf Ilma Rakusas Erinnerungspassagen Mehr Meer und ihren Übersetzer, Fuminari Niimoto.
Das freut mich persönlich ganz besonders, denn ich kenne Ilma Rakusa gut aus der Jury des Brücke Berlin Preises. Mit diesem Preis wird jedes Jahr ein bedeutendes zeitgenössisches Werk der mittel- und osteuropäischen Literatur sowie seine Übersetzung ins Deutsche gewürdigt.
Ilma Rakusas Werk ist ein sensibles Selbstportrait. Es ist ein Meer der Erinnerung an ihre Kindheit als Tochter eines slowenischen Vaters und einer ungarischen Mutter, deren Lebensstationen von einer slowakischen Kleinstadt über Leningrad/Petersburg bis Paris reichen. Warum seine Wahl auf dieses Buch fiel, begründet der Übersetzer Fuminari Niimoto so: „Bei Ilma Rakusa handelt es sich um eine neue Art kosmopolitischer Weltliteratur – so, wie Johann Wolfgang von Goethe sie sich vor 200 Jahren erträumte“. Und in der Tat: Goethe plädierte für Weltoffenheit und Weltneugier, er plädierte aber auch dafür, sich des Eigenen bewusst zu sein – und das Eigene und das Fremde nicht vermessend, sondern in ihrer Unterschiedlichkeit gleichwertig neben- und miteinander zu denken. Genau das tun Übersetzer in ihrer täglichen Arbeit. Ich sage immer wieder: Übersetzer sind wie die Lenker einer Fähre, die schwimmend im kulturellen Kontext ihre Botschaft an das gegenüber liegende Ufer bringen und so den kulturellen Dialog immer wieder neu beleben.
Literatur kann wie kaum eine andere Kunstgattung die Gesellschaft spiegeln, verhandeln und vermitteln. Sie kann fehlende Brücken bauen, durch die vereinte Arbeit von Autoren und Übersetzern. Sie ist unverzichtbar! Das gilt insbesondere in unserem globalen, transnationalen Zeitalter. Zurecht bezeichnet die Jury Ilma Rakusa als eine der wichtigsten transnationalen Autorinnen im deutschsprachigen Raum. Die Übersetzung von Mehr Meer biete den japanischen Leserinnen und Lesern die Gelegenheit, Gemeinsamkeiten und Bruchlinien der europäischen und japanischen Geschichte nachzuspüren.
Lassen Sie mich abschließend den 14 Bewerberinnen und Bewerbern meinen Dank aussprechen, die Vorschläge zur Übersetzung eingereicht haben.
Herzlich danken möchte ich ganz besonders den Partnern, die sich für diesen Preis zusammengefunden haben: Allen voran Merck, heute vertreten durch Johannes Baillou, den Vorsitzenden des Gesellschafterrates der Merck KG, sowie den Kollegen vom Goethe-Institut Japan, vertreten durch seinen Institutsleiter Peter Anders und die Bibliotheksleiterin Barbara Richter.
Herzlichen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.